Seite:Anmerkungen übers Theater.pdf/31

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Punkt mit der Tragödie eins, daß jede eine Nachahmung edler Handlungen mittelst einer Rede ist. Darinn aber unterschieden, daß jene ein einfaches Metrum und als eine Erzählung lang fortgeht, diese aber, wenn es möglich, nur den Umlauf einer Sonne in sich schließt, da die Epopee von unbestimmter Zeit ist.“ Sind denn aber zehn Jahr, die der Trojanische Krieg währte, nicht eben so gut bestimmte Zeit als unus solis ambitus?[WS 1] Wo hinaus, lieber Kunstrichter, mit dieser differentia specifica?[WS 2] Es springt ja in die Augen, daß in der Epopee der Dichter selbst auftritt, im Schauspiele aber seine Helden. Warum sondern wir denn das Wort vorstellen, das einzige Prädikat zu diesem Subjekt, von der Tragödie ab, die Tragödie stellt vor, das Heldengedicht erzehlt: aber freylich in unsern heutigen Tragödien wird nicht mehr vorgestellt.

Wenn wir das Schicksal des Genies betrachten (ich rede von Schriststellern) so ist es unter aller Erdensöhne ihrem das bängste, das traurigste. Ich rede ehrlich, von den grössesten Produkten alter und neuer Zeiten. Wer liest sie? wer genießt sie? – Wer verdaut sie? Fühlt das, was sie fühlte? Folgt der unsichtbaren Kette, die ihre ganze

große Maschine in eins schlingt, ohne sie

Anmerkungen (Wikisource)

  1. lat., ein einziger Umlauf der Sonne (ein Tag); vgl. Aristoteles, Poetik 5, 7.
  2. lat., besondere Unterscheidung (ein in der Logik gebräuchlicher Ausdruck).
Empfohlene Zitierweise:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Anmerkungen übers Theater. Weygandsche Buchhandlung, Leipzig 1774, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Anmerkungen_%C3%BCbers_Theater.pdf/31&oldid=- (Version vom 31.7.2018)