Seite:Anmerkungen übers Theater.pdf/119

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Schüler für schwerfällige Mühe mit einer Mißwachsernde. Aber Liebe, die zuerst im weiblichen Auge erlernt ward, lebt nicht blos in unsern Hirnschaalen eingemauert, sie bewegt all unsre Elemente, geht so schnell als Gedanken in jede unserer Kräfte über, und giebt jeder eine neue doppelte Kraft, sich über ihre vorige Sphäre zu erheben. Sie giebt dem Auge eine zehnfache Schärfe, eines Liebhabers Aug könnte einen Adler blind gaffen, eines Liebhabers Ohr könnte den leisesten Odemzug hören, selbst wenn des argwöhnischen Diebes Ohr ihn nicht hörte. Der Liebe Gefühl ist weit zärter und reizbarer als das zarte Fell einer ausgekrochenen Schnecke, der Liebe Zunge beschämt Bachus im lüsternen Geschmacke, und was die Stärke anbetrift, ist Liebe nicht ein Herkules, der bis an die Hesperiden vordrang. Verschlagen ist sie wie ein Sphinx, musikalisch wie die Laute Apollo mit seinem Haar besäytet. Und wenn die Liebe spricht, so macht die Stimme aller Götter den Himmel trunken von Harmonieen. Nie durfte ein Poet seine Feder eintunken, war seine Dinte nicht mit Liebesseufzern angemacht: o nur alsdann konnten seine Verse Ohren der Wilden hinreißen, und in Tyrannen milde Menschlichkeit verpflanzen. Aus den Augen der Frauenzimmer kommt alles her, sie allein funkeln

Empfohlene Zitierweise:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Anmerkungen übers Theater. Weygandsche Buchhandlung, Leipzig 1774, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Anmerkungen_%C3%BCbers_Theater.pdf/119&oldid=- (Version vom 31.7.2018)