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„Mancher Anblick war dergestalt schreckhaft, daß sich alles in mir empörte, und daß ich beinahe ohnmächtig davon ward. So lag z. B. in der Ecke des Zimmers eine Frau, der die venerische Krankheit das ganze Gesicht zerfressen hatte. Keine Augen, keine Nase mehr – von der Stirn bis ans Kinn Eine Oefnung, gleich einem Abgrunde, dessen Tiefe man nicht ergründen kann.[1] Die Wärterin riß ihr die Decke vom Gesicht, die sie sich aus Schaam über dasselbe gezogen hatte. Sie schrie und die Stube erschallte von dem dumpfen Tone wieder. Ich bat nur, sie in die Decke wieder einzuhüllen. Eine gräßliche Vorstellung, die ich lange mit mir herum trug! Dieses zerfleischte Opfer der schnöden Wollust hält sich schon eilf Jahr in diesem fürchterlichen Kerker auf, isset und trinkt und ihr unglückliches Leben dauert fort. Sie war ehemals die Frau eines ehrbaren Bürgers in Spandau, dem sie ihr Herz entzog und hierauf, sowol zu ihrem eigenen


  1. Ich habe dieses unglückliche Scheusal von Menschen noch einige Jahre nachher in der Charite’ gesehn, weil die Geschicklichkeit der Aerzte ihr elendes Leben so lange hinzuhalten gewußt hatte. Der Anblick ist so scheußlich, daß ich Leuten von empfindlichen Nerven nicht rathen mögte, denselben zu versuchen. Da ich sie sahe, waren auch Backen und Zunge bis tief in den Schlund weggefressen.
    Campe.
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Johann Friedrich Oest: Nöthige Belehrung und Warnung für Jünglinge und solche Knaben, die schon zu einigem Nachdenken gewöhnt sind. In: Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens, Heft 6. Schulbuchhandlung, Wolfenbüttel 1787, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Allgemeine_Revision_des_gesammten_Schul-_und_Erziehungswesens_6.pdf/436&oldid=- (Version vom 31.7.2018)