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wagte. Alle Welt war erstaunt über die unbegreifliche Verwandelung des jungen Menschen.

Er war nun schon über eilf Jahr alt und hatte bis dahin seinen Eltern vorsetzlich nichts zuwider gethan, ihnen auch nie eine Unwahrheit gesagt. Aber nun fieng er an, sie zu hintergehen. Es konnte nicht fehlen, daß sie nicht von ihm zu wissen verlangen sollten, was er denn so oft allein mache. Und da pflegte er denn zu sagen, er mache nichts. Wie er aber mit dieser Antwort endlich nicht ausreichen konnte, so fiel er darauf, sich zu stellen, als wenn er läse. Er trug deswegen ein Buch in der Tasche, und wenn man ihn auf seiner Stube überraschte, so fand man ihn am Tische sitzen und ein Buch lag vor ihm. Aber Wilhelm lernte aus diesem Buche nie etwas; er vergaß vielmehr alles, was sein Vater ihn vorher gelehret hatte. Sein Gedächtniß war so schwach, daß, da er vorher ganze Begebenheiten aus der Geschichte umständlich und gut hatte erzählen können, er sich jetzt kaum der bloßen Namen zu erinnern wuste. Diese Gedächtnißschwäche, die ihn zu allem Studiren untüchtig machte, und die Stumpfheit aller seiner Seelenkräfte, wozu eine große Abneigung gegen alle anstrengende Kopfarbeiten kam, war Schuld

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Johann Friedrich Oest: Nöthige Belehrung und Warnung für Jünglinge und solche Knaben, die schon zu einigem Nachdenken gewöhnt sind. In: Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens, Heft 6. Schulbuchhandlung, Wolfenbüttel 1787, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Allgemeine_Revision_des_gesammten_Schul-_und_Erziehungswesens_6.pdf/312&oldid=- (Version vom 31.7.2018)