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     Nicht ringsumher sich längst verschwor

     Und sich zum Opfer uns erkor.
So hold um uns der Mai erblühte,
So hell der Mond Demanten sprühte,
     Daß täglich lud zum Stelldichein

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     Der Amsel Flöten uns im Hain,

Im Blütenbusch am Wasserfall
Das Minnelied der Nachtigall …
     Da – flammt’ ein Stern, als ob man stieß
     Ein Englein aus dem Paradies,

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Auf uns herab, erlosch, und – Qual

War unser Dasein allzumal !


XV.

     Still, eh’ zur Kirche geht die Maid
     Und schmückt mit Rosen Stirn und Kleid,
Am grünen Strauche bleibt sie stehn,
Will erst mit sich zu Rate gehn,

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     Ob sie das Röslein brechen soll,

     Das sie gezogen mühevoll
Sich selbst im Lenz zum Hochgenuß,
Das, wenn sie’s – pflückte – sterben muß!
     So faßt’ ich ihre kleine Hand,

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     Als eine Thrän’ im Aug’ ihr stand,

Und seufzte: Nimmer wirst du mein,
Die wie ein Engel hold und rein!
     Dann haucht’ ich: Liebchen, hör mich an,
     Wenn Liebe – Sünde werden kann,

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Mir schließt dein Schutzgeist sicherlich

Die Lippen, wenn sie küssen dich,
     Die er zurück gen Himmel führt,
     Als – Engel rein und unberührt.
Doch Sünde kann nicht Liebe sein,

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Wie die der Nachtigall im Hain –

     Drum laß dir küssen Hand und Mund –
     Nur – Blümlein sehn’s im Waldesgrund!


XVI.

     Da – als der Winde Kelch sich neigt,
     Sich, schlummernd drin, ein – Falter zeigt;
Hat sich der Schelm zur Ruhestätt’
Erwählt nur dieses Himmelbett,

Empfohlene Zitierweise:
Albert Weiß: Polnische Dichtung in deutschem Gewande. Otto Hendel, Halle a. d. S. 1891, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Albert_Weiss_-_Polnische_Dichtung_in_deutschem_Gewande.pdf/72&oldid=- (Version vom 21.8.2021)