Nicht weiß ich, ob zum zweitenmal
Erblüht ein Mai im Erdenthal,
Wie jener uns in lauer Luft,
Voll Farbenpracht und Blütenduft!
Allmorgens schwebten Falter bunt;
Der Erlenbach zum Elfentanz
Allabends rauscht’, im Mondenglanz
Bis in der Ferne Nebelland
So spiegelglatt wie Bergkrystall …
Das Brautlied sang Frau Nachtigall …
Baumkronen flochten uns das Dach
Zum Feenschloß, – zum Brautgemach …
Wo nimmer scheucht das Traumbild ihr
Der Fliegen Schwarm – im Waldrevier,
Da schlummert sie. Die Sonne strahlt
Und Rosen ihr ins Antlitz malt.
Könnt’ ich erlauschen, was sie denkt,
Ob trüb ihr Blick ist, oder lacht!
Doch neidisch ihr Gewand bewacht
Vor mir sie, wie vor Phöbus’ Pfeil,
Ihr Haar, gelöst vom Seidenband,
Nur wogt hernieder bis zur Hand.
Da blüht zur Seit’ ihr – roter Mohn …
Wer weiß, ob der nicht wagte schon
Was wagte nicht solch Lumpenpack!
Wie so vertrauensvoll sie ruht!
Mir wallt und siedet schon das Blut;
Ha! Diese Natter! Ein Spion,
Ob ich den Frevler töten soll?
So fragt mein Herz im bittren Groll!
Was soll ihr diese Nachbarschaft?
Sieh nur, wie der Verräter gafft!
Albert Weiß: Polnische Dichtung in deutschem Gewande. Otto Hendel, Halle a. d. S. 1891, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Albert_Weiss_-_Polnische_Dichtung_in_deutschem_Gewande.pdf/68&oldid=- (Version vom 20.8.2021)