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er hat sie mit seinem Geiste erfüllt zu der von ihm bestimmten Aufgabe. Und wenn heute alles zur Ehre Gottes geschehen soll, so ist damit von selbst gegeben, daß wir bei aller Begeisterung für die Sache der Reformation uns von einer Gesinnung der Liebe und des Friedens leiten lassen. Wir würden uns ja sonst am Gedächtnis Melanchthons versündigen, der bei aller Bekennertreue der friedfertigste unter allen Reformatoren war. Wir leben ja nicht von der Polemik gegen andere, sondern von den reichen Gütern unseres Hauses.

 Man darf wohl sagen: in der ganzen Geschichte findet sich nichts dem Gleiches, daß zwei durch Naturanlage, durch Lebensführung und ursprüngliche Lebensrichtung so sehr verschiedene Männer wie Luther und Melanchthon nicht nur zur Gemeinschaft eines großen Werks zusammengeführt, sondern auch für dasselbe zur tiefsten, innigsten Geistesgemeinschaft verbunden wurden. Wir erkennen in der Vereinigung der beiden Männer zu ihrem gemeinsamen und doch wieder verschiedenen Werke die besonderste göttliche Leitung. Luther ist der schöpferische Urheber, Melanchthon der unentbehrliche Mitarbeiter der Reformation. Ein Melanchthon allein hätte keine Reformation zu stande gebracht, aber ohne Melanchthon wäre die Reformation auch nicht zu der geschichtlichen Durchführung gekommen, die ihren Erfolg und Bestand für immer sicherte. Luther ist Genius von der Fußsohle bis zum Scheitel, Melanchthon ein außerordentliches Talent, der talentvollste Mann seiner Zeit. Luther ist unbedingt der Höhere und Größere, es ist aber auch etwas Großes, einem der größten Männer, die über die Erde gezogen, zur notwendigen Ergänzung zu dienen. Größe werden wir auch Melanchthon nicht absprechen. Die Größe der beiden Männer verkündet aber vernehmlich genug die Größe des Werkes, zu welchem göttliche Vorsehung sie bestimmt und zusammengeführt.

 Beider Männer Bereitung zur Reformation war eine verschiedene. Luther wurde geraden Wegs zum tiefsten und innersten Mittelpunkt der Reformation geführt, Melanchthon auf einem für ihn und andere notwendigen, für die Kirche heilsamen Umweg. Im 15. Jahrhundert betrieb man wohl auf großen, glänzenden Conzilien eine Reformation an Haupt und Gliedern. Auf diesem Wege

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Adolf von Stählin: Philipp Melanchthon. J. A. Schlosser, Augsburg 1897, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Philipp_Melanchthon.pdf/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)