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er irrte aus angeborener Willfährigkeit und Milde, nicht aus Arglist, aus allzugroßer Arglosigkeit, nicht aus Haschen nach Gunst.“ Lauterkeit und Gewissenhaftigkeit verleugnete Melanchthon nie.

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 Man hätte nun glauben sollen, daß nach jener kirchlichen und weltgeschichtlichen Lösung der Streit ruhen werde. Das geschah aber nicht. Es kamen andere Lehrunterschiede dazu, um derentwillen Melanchthon bis an sein Ende schweren Angriffen ausgesetzt war. Wir gehen auf diese Streitigkeiten nicht ein, sind auch nicht in der Lage, für alle Aufstellungen Melanchthon’s einzutreten. Die Art, wie gestritten wurde, war nicht die richtige, die Gegner Melanchthon’s verirrten sich auf der anderen Seite zum Teil in die größten Übertreibungen. Aber zur allgemeinen Charakteristik Melanchthon’s müssen wir noch anführen: er hatte in seiner gesamten Geistesrichtung einen tief ethischen (sittlichen), geschichtlichen, ökumenischen (auf das Ganze gerichteten), universell (umfassend) wissenschaftlichen Zug. Er betonte mit allem Nachdruck den sittlichen Charakter des Christentums, wie er auch der erste protestantische Theologe war, der die Sittenlehre bearbeitet hat. Er hob mit höchster Energie das Moment der Freiheit auf dem Gebiete des religiösen Lebens auch im Gegensatz zu seiner früheren Anschauung hervor, die ethische Vorbedingung des Glaubens wie die ethische Lebensentwicklung auf Grund des Glaubens in guten Werken und neuem Gehorsam, ohne welche der Glaube kein echter und wahrer sein würde. Hiedurch hat Melanchthon sich ein großes Verdienst erworben, was die letzte Bekenntnisschrift unserer Kirche auch thatsächlich anerkennt. „Melanchthon war ein vorzugsweise ethisch gerichteter Geist. Der ethische Gesichtspunkt beherrschte vor allem auch seine theologischen Arbeiten“, sagt sehr richtig ein bedeutender Theologe. Melanchthon hatte ferner eine durchaus geschichtliche Richtung, an geschichtlicher Auffassung der Dinge war er allen Reformatoren überlegen, er war in der Kirchengeschichte, namentlich der Geschichte des Altertums ungemein bewandert, sein ganzes Streben ging darauf hinaus, die evangelische Lehre als die ur- und allgemein christliche zu erweisen. Er hat auch die erste Dogmengeschichte geschrieben. Wie manchem alten Kirchenlehrer hat er eine Lobrede gehalten! Vermöge seiner geschichtlichen Anschauung konnte er auch zwischen absoluten und

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Adolf von Stählin: Philipp Melanchthon. J. A. Schlosser, Augsburg 1897, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Philipp_Melanchthon.pdf/21&oldid=- (Version vom 31.7.2018)