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Nach ihm sollte katholische Verfassung und katholischer Kultus möglichst restituirt werden, die evangelische Lehre sollte unangetastet bleiben, konnte aber, eingezwängt in die anderweitigen Bestimmungen, nicht zu klarer, unmißverständlicher Ausprägung gelangen. Melanchthon hatte an den theologischen Beratungen über das Leipziger Interim teilgenommen, aber nur die unanstößigen Lehrartikel waren von ihm verfaßt. In Bezug auf die sogenannten Mitteldinge bemühte er sich wesentlich um Ermäßigung, dem Kaiser galt er auch jetzt noch als die Seele des Widerstands; derselbe forderte abermals seine Landesverweisung, die aber der Kurfürst mannhaft zurückwies. Daß er sich dem unglücklichen Kompromiß nicht grundsätzlich widersetzt hat, war der größte Fehlgriff seines Lebens, den er selbst am meisten hat büßen müssen. Er hat später diesen Fehler offen eingestanden und es beklagt, sich von jenen trugvollen Beratungen nicht zurückgezogen zu haben. Das Interim kam so viel als nicht zur Einführung, einzelne Gemeinden und Theologen haben sich aufs äußerste widersetzt; besonders hat Flacius den an sich vollberechtigten Widerstand organisirt. Die Reformationsgeschichte nahm jedoch überhaupt einen ganz andern, unvermuteten Gang durch das plötzliche kriegerische Eingreifen des Kurfürsten Moritz, es kam der Passauer Vertrag und dann der Augsburger Religionsfriede auf Grund der Augsburger Konfession zu stande, der den protestantischen Ständen des Reichs die konfessionelle Parität gewährte. Die ganze Geschichte der evangelischen Kirche im 16. und 17. Jahrhundert ist ein großartiges Drama, voll der bedrohlichsten Verwicklungen; wenn die Verwicklung den äußersten Grad erreicht hatte, fand sich jedoch durch höhere Hand eine unerwartete, entscheidende Lösung zu Gunsten der Protestanten. Schon vor dem Siege seines Kurfürsten hatte Melanchthon die evangelische Lehre mit aller Entschiedenheit nach zwei Seiten hin verteidigt, besonders geschah dies in „der Wiederholung der Augsburger Konfession“, welche für das Tridentiner Konzil bestimmt war. Und auch früher, z. B. auf den Religionsgesprächen zu Worms und Regensburg ist er tapfer und entschieden aufgetreten. Der Theologe Titius, ein Schüler Calixt’s, sagte gewiß richtig: „Philippus hat geirrt, sein Irrtum lag aber in seinem Naturell, nicht in seiner Gesinnung,

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Adolf von Stählin: Philipp Melanchthon. J. A. Schlosser, Augsburg 1897, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Philipp_Melanchthon.pdf/20&oldid=- (Version vom 31.7.2018)