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leiblich nicht zugegen war, Luther, der gebannte und geächtete, der als solcher auf dem Reichstag nicht erscheinen durfte, sondern auf der Feste Koburg zurückbleiben mußte; aber hier verharrt er in dem unerschütterlichen Glauben, daß die Sache der Evangelischen Gottes und Christi Sache sei, steht vor seinem Gott in gewaltigem Gebetsringen, bewahrt sich den Frieden unter allen Stürmen und Anfechtungen der Zeit, kann deshalb auch, obwohl tief durchdrungen vom gewaltigen Ernst der Lage, in eigentümlichem Humor und fröhlicher Laune scherzen über den Reichstag, welchen die Krähen und Dohlen in einem Gehölz vor seinem Fenster abhalten, kann an sein vierjähriges Söhnchen den köstlichen Brief schreiben, schaut den nächtlichen Sternenhimmel an und wundert sich, daß er nicht zusammenstürze, weil er keine Säulen sehe, und zieht seinen teuren Philippus, der sich in der Sorge fast verzehrt, mit starker Glaubenshand aus der Tiefe seiner Verzagtheit empor und mahnt ihn, nicht mehr sorgen zu wollen, als derjenge sorgt, dessen Sache zu treiben sie beide gewürdigt sind. Fürwahr, Spalatin hat recht, wenn er von dem Tage zu Augsburg schreibt: „An diesem Tage ist der allergrößten Werke eines geschehen, die je auf Erden geschehen.“ Es leuchtete an ihm wie ein Abendrot mittelalterlicher Herrlichkeit, aber auch wie das Morgenrot eines neuen Tages. Die Geburtsstunde einer evangelischen Kirche hatte geschlagen. In und mit dem damals abgelegten Bekenntnis, in und mit dem lautern Evangelium, das dieses enthält, hat sie trotz aller erlittenen Niederlagen gesiegt. Tausende haben für dieses Bekenntnis Gut und Blut dahingegeben, einen tausendfachen Widerhall hat dieses Bekenntnis in Lebenszeugnissen aller Art gefunden. Es ist das Grundbekenntnis der lutherischen Kirche geworden, hat aber weit über deren Grenze hinaus Einfluß gewonnen. Es ist und soll bleiben unseres Glaubens Grundlage, wie es die Grundlage unserer rechtlichen Existenz ist.

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 Luther hat Melanchthon, als er ihn in Koburg abholte, als Konfessor, als Bekenner begrüßt. Das war er, das blieb er. Den heroischen Geist Luthers hatte allerdings Melanchthon nicht, auch in Augsburg zagte, schwankte er öfters. Er hat dem Kardinal Campegius ins Antlitz gesagt: Wir können nicht weichen und die Wahrheit nicht verlassen, ist Gott für uns, wer mag wider uns

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Adolf von Stählin: Philipp Melanchthon. J. A. Schlosser, Augsburg 1897, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Philipp_Melanchthon.pdf/18&oldid=- (Version vom 31.7.2018)