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der Lehrstuhl der Beredsamkeit und Geschichte übertragen. Die bedeutendsten Männer wandten ihr Auge auf ihn. Der „König der Wissenschaften“, Erasmus, bewunderte den 19-Jährigen: „Beim ewigen Gott“, rief er aus, „zu welchen Hoffnungen berechtigt dieser Jüngling und fast noch Knabe Philipp Melanchthon, der in beiderlei Sprachen fast gleich ausgezeichnet ist! Was ist das für ein Scharfsinn, was für eine Reinheit und Anmut des Stils, was für ein Reichtum des Gedächtnisses, welch mannigfaltige Belesenheit, und welche Zartheit und Reinheit eines wahrhaft königlichen Geistes!“ Dem bewundernden Worte des Erasmus folgte die auszeichnende That Reuchlin’s, wenn auch zunächst nur gleichfalls in der Gestalt des Wortes. Auf das Begehren des Kurfürsten Friedrich des Weisen von Sachsen, ihm einen geeigneten Mann für die Professur der griechischen Sprache in Wittenberg zu benennen, bezeichnet ihm Reuchlin niemand anders als Melanchthon und empfahl ihn, „seinen gesippten Freund“, als einen Stifter der Menschlichkeit. Der Kurfürst weilte um diese Zeit in Augsburg, wo Kaiser Maximilian seinen letzten Reichstag hielt, und wünschte Melanchthon auf seiner Reise nach Wittenberg noch zuvor hier zu sprechen. Er wandte sich deshalb abermals an Reuchlin, dieser antwortete entgegenkommend und meinte, Melanchthon würde der hohen Schule und dem Kurfürsten „gewißlich zur Ehre, Lob und Nutzen dienen, denn er wisse unter den Deutschen keinen, der über ihm sei, ausgenommen Herr Erasmus von Rotterdam und der ist ein Holländer.“ An Melanchthon schrieb er die bekannten Worte, die wie eine über ihn ergangene Weissagung lauten: „Ich will Dich jetzt nicht poetisch anreden, sondern mit jener wahren Verheißung, die Gott dem gläubigem Abraham gab: Gehe aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will, und ich will dich zum großen Volke machen und sollst ein Segen sein. Dies sagt mir der Geist; dies hoffe ich von dir, mein Philipp, du, mein Werk und mein Trost. Komme also frohen und heitern Mutes! Eile aber, damit der Fürst nicht vor dir von Augsburg abreise. Die Sachen der Fürsten sind wandelbar.“ Die Weissagung ist ja wunderbar in Erfüllung gegangen. So machte sich denn der 21-Jährige auf den Weg, der ihn über

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Adolf von Stählin: Philipp Melanchthon. J. A. Schlosser, Augsburg 1897, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Philipp_Melanchthon.pdf/10&oldid=- (Version vom 31.7.2018)