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§. 4. Das Reich ist auch keine Aristokratie.

Die meisten, welche eine vorzügliche politische Bildung und einen hohen Freiheitssinn zeigen wollen, bieten Deutschland als eine wahre und reine Aristokratie aus.[1] Sie stützen ihre Ansicht hauptsächlich durch folgende Gründe: 1) Das äußere Ansehen der Dinge und der ganze Apparat von Titeln und Formeln, welcher in Deutschland nur auf eine Monarchie deutet, beweist für die Sache nichts. Ein großer Theil davon stammt von der deutschen Vorliebe für hochtrabende Worte her, Anderes ist aus der Verfassung der ältesten Zeiten beibehalten, von der die heutige durchaus verschieden ist. Die wahre Gewalt aber ist bei denen, – welchen Namen sie auch immer führen mögen – denen es zusteht, über die höchsten Staatsangelegenheiten nach eigenem Gutdünken zu entscheiden. 2) Es widerspricht dem Charakter einer Aristokratie nicht, wenn einer an der Spitze steht, welcher einen höheren Rang hat, als die übrigen Mitglieder der herrschenden Geschlechter, und welchem in ihren Versammlungen die Leitung zukommt. 3) Man muß unterscheiden zwischen der Staatsform selbst und der Form der Verwaltung. Bisweilen nämlich ist es der Fall, daß ein Staat durch seine Verwaltungsform einer ihm sonst fremden Staatsform nahe kommt. So können, wenn in einem Staate der König die Pflicht hat, mit einer beratenden Versammlung über die höchsten Staatsangelegenheiten zu verhandeln, die Verwaltungsformen aristokratisch oder demokratisch zu sein scheinen, während in Wahrheit die Staatsverfassung eine rein monarchische ist, insofern der König jene Versammlung nur als berathende hinzuzuziehen hat, nicht aber an ihre Beschlüsse gebunden ist. Umgekehrt, wenn in einer Aristokratie oder Demokratie ein Beamter höheren Ranges oder ein eigentlicher Fürst an der Spitze steht, der ausschließlich oder vorzugsweise das Recht der Initiative in Staatsangelegenheiten, sowie das Recht, die Gesetze und Verordnungen auszuführen besitzt, und in dessen Namen alle öffentlichen Acte erlassen werden, so hat die Verwaltung des Staates zwar einen monarchischen Anschein, in der That aber kann die Souveränetät dem Senate oder der Volksversammlung zustehen. Gegen diese Distinction wird nun wohl der Einwurf erhoben, daß, da die Form das Princip der Thätigkeiten (das principium operationum) sei, letztere nicht anders sein könnten, als erstere in ihrer Wirksamkeit gestatte. Nun sei aber die Staatsform, die Verfassung, gleichsam die Quelle, aus welcher jene Verwaltungsthätigkeiten flössen, und es sei daher unmöglich, daß die Art der Verwaltung sich von der Staatsform selbst unterscheide. Dem gegenüber bemerken aber die Vertheidiger der aristokratischen Theorie, man müsse in der Verwaltung wiederum unterscheiden zwischen den Handlungen, welche in eigenem Namen und denjenigen, welche im Namen eines Anderen geschehen. Erstere, das geben sie zu, könnten nicht einen von der Verfassungsform verschiedenen Charakter zeigen, bei letzteren dagegen sei dies wohl möglich.

Und so ist in der That die Sache. Die Staatsformen sind verschieden, je nachdem die Souveränetät einer einzigen Person, oder allen, oder wenigen zukommt. Welcher Diener aber sich die souveräne Gewalt

  1. So Johannes Bodinus und Hippolithus a Lapide.
Empfohlene Zitierweise:
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/99&oldid=- (Version vom 1.8.2018)