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vom Main bis zum hercynischen Waldgebirge besetzt. Später habe ein Theil dieser Völkerschaft das Land am rechten Ufer des Rheins bis zu seiner Mündung durchzogen oder erobert und sei dann in die alte Heimath zurückgekehrt. Ein anderer Theil sei am Main wohnen geblieben, und nach ihm sei diese Gegend Franken benannt. Diese ganze Ansicht stützt sich auf die Angaben des Livius (V, 34), Cäsar (de bell. Gall. VI) und Tacitus (Germ. 28).

§. 4. Fortsetzung.

Dagegen können nun die Deutschen mit Recht einwenden, daß die Glaubwürdigkeit der römischen Schriftsteller nicht über allen Zweifel erhaben ist, zumal wenn sie beiläufig über Begebenheiten aus längst vergangener Zeit und von einem Volke berichten, über dessen Vorzeit kein literarisches Denkmal Kunde giebt. Es scheint auch nicht einmal wahrscheinlich, daß, während die Trebocer, Nemeter, Vangionen, Trevirer und andere Stämme am Rhein sich gern als germanische bezeichneten, von einem gallischen Stamme das Innere Deutschlands in Besitz genommen sein sollte. Und selbst wenn man die gallische Abstammung der Franken zugeben wollte, müßte man doch offenbar ein Volk, das acht Jahrhunderte hindurch auf germanischem Boden gesessen und sich an Sitte und Sprache den Germanen völlig assimilirt hat, zu den Germanen und nicht mehr zu Galliern rechnen, oder wenigstens hätten ihre Nachkommen keinen Grund mehr, sich der germanischen Abstammung zu schämen. Nun steht fest, daß vor dem dritten Jahrhundert nach Christus die Franken kaum erwähnt werden. Daher haben einige geglaubt, daß die Franken aus den Chauken des Tacitus hervorgegangen seien, andere sagen, mehrere germanische Völkerschaften oder eine aus mehreren zusammengeschmolzene Menge habe diesen Namen angenommen, um ihren Freiheitssinn anzudeuten: denn Frank heißt so viel wie frei.[1] Schließlich könnte man sich auch auf die Zeugnisse Franz I. und Heinrichs II. von Frankreich berufen, welche in ihren Briefen an die deutsche Reichsversammlung sich ihrer germanischen Abstammung rühmen. Uebrigens wird jeder Verständige leicht einsehen, weshalb man sich bisweilen auf so uralte Stammverwandtschaft beruft.

§. 5. Das fränkische Reich.

Wie dem nun auch sein mag, die Franken überschritten im Gebiete der Ubier den Rhein, eroberten den größten Theil Galliens, wandten dann ihren Siegeslauf rückwärts, gingen über den Rhein zurück und unterwarfen Allemannien (Schwaben) und das Land zwischen Main und Donau bis nach Thüringen hinauf. Die größte Ausdehnung aber hatte das fränkische Reich in Deutschland unter Karl dem Großen, der auch die Sachsen und Thassilo, den Baiernfürsten, besiegte, so daß seine Herrschaft nicht nur alle von Germanen besetzten Länder umfaßte, sondern sich bis zur Ostsee und

  1. Vgl. über den Namen Franken und seine Bedeutung Zeuß, Die Deutschen und ihre Nachbarstämme, 326. Note. Grimm, Geschichte der deutschen Sprache, I, 338. 512. Herm. Müller, Marken S. 176. Philips, Deutsche Geschichte, I, 290, Note 1. Wackernagel in Haupts Zeitschrift, II, 558 u. a.
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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/29&oldid=- (Version vom 18.12.2018)