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Severinus von Monzambano an Laelius von Monzambano, Herrn von Trezolano, seinen Gruß.[1]

In vielen Deiner Briefe, liebster Bruder, hast Du mir die Frage vorgelegt, weshalb ich Deutschland so lange durchreist habe. Nachdem ich jetzt endlich, bewogen durch Deine ernsten Mahnungen, mich zur Rückkehr entschlossen habe, will ich Dir die Antwort nicht länger schuldig bleiben.

Es ist bekannt, daß unsere Landsleute sonst nicht eben eine Vorliebe für ausgedehnte Reisen haben, weil wir glauben, daß die uns angeborenen Geistesanlagen in ihrer glänzenden Entwickelung einen Aufenthalt im Auslande überflüssig machen; während es bei den Deutschen schon den Ruf einer gewissen Bildung giebt, auch nur von den Gipfeln der Berge herab Italien erblickt zu haben.

Du weißt, daß ich durch das Geschäft, welches mich über die Alpen geführt hat, länger, als ich erwartet hatte, am bairischen Hofe aufgehalten bin. Hier habe ich nun, um meine Mußestunden auszufüllen, mich eingehend mit den italiänischen Schriftstellern beschäftigt, welche den deutschen Krieg darstellen. Denn diesen schenken selbst die Deutschen mehr Glauben, als den Schriften ihrer eigenen Landsleute, bei denen theils Parteibestrebungen, theils Furcht und Rücksichten die Wahrheit verdunkeln; und ihre eigene Hauptschrift[2] über diesen Krieg, ein weitläufiges, vielbändiges Werk, könnte man fast mit mehr Recht, als die Alten das Chaos, eine «rudis indigestaque molse»[WS 1] nennen. Da las ich nun mit Bewunderung von jenen so bedeutsamen Ereignissen und von den zahlreichen, blutigen Schlachten, die dort beschlagen sind und ich erstaunte darüber, daß das Land, an dessen Untergang einheimische und Fremde 30 Jahre lang um die Wette gearbeitet haben, so viele schwere Schläge hat ertragen können. Bald kam mir der Wunsch, die Macht und Bedeutung des Volks, die Verschiedenheit der Stämme, und das Band, das den ganzen ungeheuren Staat zusammenhält, genauer kennen zu lernen.

  1. Dieser Brief ist in der Editio posthuma (P. G.) natürlich ausgelassen, da der Verfasser hier ja die Pseudonymität aufgab.
  2. Gemeint ist jedenfalls J. Ph. Abelin, Theatrum Europaeum, oder Beschreibung aller denkwürdigen Geschichten, die hin und wieder, fürnemlich in Europa hernach auch andern Orten der Welt, sowohl in Religion als Polizey-Wesen von J. Christi 1617 sich zugetragen. 21 Bde. Frankfurt 1635–1738 fol., von Bd. 3 an von verschiedenen fortgesetzt bis 1718.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. wohl Druckfehler; im Zitat aus Zeile 7 von Ovids Metamorphosen heißt es richtig: ... moles.
Empfohlene Zitierweise:
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)