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§. 6. Fortsetzung. Koalitionen auswärtiger Mächte.

Mag aber auch Deutschland jedem einzelnen Staate Europas überlegen sein, so bleibt doch noch fraglich, was geschehen wird, wenn mehrere sich zu einem Angriffe gegen das Reich vereinigen. Hier ist nun gleich zu bemerken, daß manche Staaten, wenn anders ihre Politik die richtige sein soll, sich überhaupt nicht gegen Deutschland verbinden können, andere dagegen auch vereint doch im Verhältniß zum Reiche zu ohnmächtig sind, um in einem Kriege mit Deutschland auf glückliche Erfolge rechnen zu können. Weiter ist zu beachten, daß auch Deutschland immer Bundesgenossen finden wird, da die Koalition, der eine völlige Ueberwältigung des Reiches gelingen sollte, mächtig genug sein würde, ganz Europa Gesetze vorzuschreiben, was die übrigen Staaten nie zugeben werden noch dürfen.

Es giebt[1] nun nur drei Staaten in Europa, welche an die Spitze einer Allianz gegen Deutschland treten können, die Türkei, Oesterreich und Frankreich.

Mit der Türkei wird schwerlich ein christlicher Fürst ein Bündniß gegen Deutschland schließen, auch nicht einmal Frankreich. Denn die Verträge, welche im vorigen Jahrhundert zwischen Frankreich und der Pforte bestanden, hatten nur den Zweck, die für den ersteren Staat so gefährliche Macht Karls V. zu theilen; ein Bündniß aber zum Zweck eines gemeinschaftlichen Angriffs und einer gemeinschaftlichen Unterwerfung von Deutschland hat man um so weniger zu befürchten, als es zugleich gottlos und thöricht wäre, das Wachsthum der Macht der ungläubigen Barbaren zu begünstigen, die ja in allen christlichen Ländern gleichmäßig verhaßt sind. Ja wie es einerseits vorteilhafter für Frankreich ist, wenn Deutschland auf seiner jetzigen Machtstufe verbleibt, als wenn ein großer Theil desselben in die Hände der Türken fällt, so kann es anderseits auch für die Türkei nur erwünschter sein, wenn das Reich eine unförmliche, einen Angriffskrieg unmöglich machende Verfassung behält, als wenn die mit Frankreich zu verbindenden Theile sich zu einer straffen Monarchie umbilden. Denn wenn Deutschland und Frankreich zu einem Staatskörper verschmolzen wären, so hätte der Türke guten Grund, für sein eigenes Reich und seine Hauptstadt besorgt zu sein.[2]

  1. Ed. posth. sagt statt dessen: „es gab nun vor der Zertrümmerung der türkischen Macht.“
  2. Die ganze vorangehende Ausführung über ein Bündniß eines fremden Staates mit der Türkei ist in der Ed. posth. durch die folgende ersetzt: „Mit den Türken hat noch kein christlicher Fürst sich offen gegen Deutschland zu verbinden gewagt; doch hat Frankreich bisweilen in geheimem Einvernehmen mit ihnen gestanden. Freilich würde man das Bündniß zwischen Franz I. und den Türken im vorigen Jahrhundert vielleicht damit entschuldigen können, daß es zur Erhaltung Frankreichs nothwendig war, der Uebermacht Karls V. gegenüber, woher auch immer es sei, Bundesgenossen zu werben - denn um der eigenen Rettung willen mag jeder Weg gestattet scheinen. Ludwig XIV. aber hätte mit Recht den Titel allerchristlicher König verlieren müssen, er, der ohne zwingenden Grund, nur aus Eroberungslust, die Türken gegen den Kaiser aufgewiegelt hat, um, wenn sie sich Wiens hätten bemächtigen können, Deutschland von der anderen Seite anzugreifen. Als das mißlang, blieb er so lange ruhig, bis die [116] Truppen von Oberdeutschland weit entfernt waren und er unerwartet über den Rhein losbrechen konnte, einmal um den Türken Zeit zu geben, sich wieder zu sammeln, die sonst leicht ganz aus Europa hätten verjagt werden können, sodann um das, was Deutschland noch auf dem linken Rheinufer geblieben, sich zu unterwerfen. Ob diese Treulosigkeit Ludwig, dem Ruhestörer Europas seit langer Zeit, dessen Ehrgeiz unersättlich ist, ungestraft hingehen wird, wird die Zeit lehren. -
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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/114&oldid=- (Version vom 5.8.2018)