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der dichterischen Vorstellung von der göttlichen Strafe der Versteinerung und der ursprünglich-einfachen Todesstrafe durch Steinigen und weiterhin der Strafe des Steintragens zugeben sollte.


h) Das Heben, Schutzen, Lupfen.

Es ist ein alter Volksbrauch[1], der sich als Volksspiel bis heute erhalten hat, im Heben gewisser schwerer Gegenstände (eiserne Statuen, Leonhardsklotz, Leonhardsnagel u. s. f.) seine Kraft zu erproben. Diese Sitte hatte religiösen Charakter. Die Kraftprobe war eine Gewissensprobe. Wem sie gelang, der war frei von Sünden. Das Heben[2] war ein verdienstliches Werk, es war eine Bußübung.

Denkbar, wenn auch recht unwahrscheinlich, ist ein Zusammenhang dieser Sitte mit dem Steintragen. Etwa in der Weise: Bei religiösen Umzügen werden Götter- bezw. dann Heiligenstatuen umgetragen. Diese schwere Arbeit wird als verdienstlich und reinigend von Sünden angesehen. Es werden dazu Leute genommen, die ein Vergehen zu büßen haben. Schließlich wird das Tragen als eine Strafe aufgefaßt. Aber warum ist das Tragen grade Frauenstrafe?


i) Kirchliche Einflüsse.

Wenn auch die Steinstrafe als solche nicht kirchlichen Ursprung hat[3], so sind doch eine Reihe von Einzelheiten in der Verhängung der Strafe und im Vollzug derselben zweifellos auf kirchlichem Boden erwachsen. Dies ist aus verschiedenen Ursachen zu erklären. Einmal schon aus dem sakralen Charakter der


  1. Vgl. Andree Votive 102 ff. (Würdinger und Leonhardsklötze). – Hieher und nicht zur Strafe des Steintragens gehört die mir von Prof. Kahle in Heidelberg freundlichst gemachte Mitteilung über drei Steine in einer Kaserne in Oldenburg [mit den Namen: Pippin der Kleine, Karl der Große, Nero der Grausame]; das Tragen eines dieser Steine war als Kameradschaftsstrafe in Übung.
  2. ‚Heben‘ bedeutet in Luthers Bibelübersetzung auch ‚opfern‘. Grimm DWB. 4, 2. S. 731.
  3. J. Kreuser (Christliche Symbolik. Brixen 1868. SA. aus „Wiederum Kirchenbau“. S. 279) sieht im Stein eine Sünde symbolisiert. Diese Ansicht ist ebensowenig für die Aufhellung der Steinstrafe verwertbar als der Hinweis auf die Sage vom steinrollenden oder steineführenden Teufel. (E. L. Rochholz, Der Steinkultus in der Schweiz. Argovia 1862–63. S. 44).
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard von Künßberg: Über die Strafe des Steintragens. Marcus, Breslau 1907, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Strafe_des_Steintragens.pdf/55&oldid=- (Version vom 1.8.2018)