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Durch die gute Übereinstimmung meiner Messungen mit dieser Theorie schien die Frage nach der Konstitution des Elektrons zunächst einigermaßen abgeschlossen. Da erschien im Jahre 1904 eine Arbeit von Hrn. H. A. Lorentz[1], in der der Versuch gemacht wurde, durch in bestimmter Weise modifizierte Grundannahmen über das Elektron und auch über die zwischen den materiellen Körperteilchen wirkenden Molekularkräfte die Schwierigkeiten zu beseitigen, die in der Optik bewegter Körper noch immer bestanden. Während nämlich die ursprüngliche Lorentzsche Theorie[2] einen Einfluß zweiter Ordnung[3] der Erdbewegung auf gewisse optische und elektromagnetische Phänomene ergab, führten alle Versuche, diese Einflüsse experimentell nachzuweisen[4], bisher stets zu einem negativen Ergebnis, so daß sich schließlich die Überzeugung Bahn brach, daß ein derartiger Einfluß vielleicht prinzipiell überhaupt nicht vorhanden sei, und daß man die Grundgleichungen der Elektrodynamik so zu modifizieren habe, daß die auf irgend ein willkürlich definiertes Koordinatensystem bezogenen „Absolutgeschwindigkeiten“ zwar als Rechnungsgrößen in den Grundgleichungen auftreten konnten, sich aber in den Endresultaten herausheben mußten, so daß die beobachtbaren Größen nur von den ebenfalls direkt beobachtbaren „Relativgeschwindigkeiten“ der ponderablen Körper gegeneinander abhingen.

Hr. Lorentz zeigte nun, daß man zu einem derartigen Resultat gelangen könnte, wenn man annahm, daß die Dimensionen aller physikalischen Körper, einschließlich ihrer einzelnen Moleküle und der Elektronen, ihre Gestalt in ganz bestimmter Weise mit der Geschwindigkeit veränderten; es sollten nämlich, wenn die Geschwindigkeit des Systems, die Lichtgeschwindigkeit


  1. H. A. Lorentz, Versl. Kon. Akad. v. Wet. te Amsterdam. 27. Mai 1904.
  2. H. A. Lorentz, Versuch einer Theorie etc. Leiden 1895.
  3. Das heißt einen Einfluß, dessen Größe proportional dem quadratischen Verhältnis der Erdgeschwindigkeit zur Lichtgeschwindigkeit ist.
  4. Literatur vgl. H. A. Lorentz, „Elektronentheorie“ in der Enzyklopädie d. mathematischen Wissenschaften, sowie die soeben zitierte Arbeit desselben Verfassers.
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Walter Kaufmann: Über die Konstitution des Elektrons. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1906, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Konstitution_des_Elektrons_(1906).djvu/4&oldid=- (Version vom 20.8.2021)