Textdaten
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Autor: Woldemar Kaden
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Titel: Scylla
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 292-295
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Scylla.
Eine Studie von der süditalienischen Meeresküste von Woldemar Kaden.

„Rechts wohnt Scylla und links die unversöhnte Charybdis.“
Virgil.

Zwei Meere, das tyrrhenische und das ionische, umgürten das schroffe, trotzigwilde calabrische Gebirgsland; Hunderte von rauhen Thälern, Schluchten und Schlünden, welche Wasser und Erdbeben in das Gestein hineinwuschen und sprengten, durchsetzen es, und wie kühne Küstenhochwachten treten zahlreiche felsige Vorgebirge, von den Schiffern gefürchtet, in die brandenden Wogen hinein. Die Küsten sind nur schmal; die Flüsse haben keine Zeit, zur Ruhe zu kommen, und heftigen Laufes stürzen im Winter und Lenze die Wasser des Crati, Amato, Corace, Nieto, Lao und Metramo durch felsblockerfüllte, im Sommer trockene Rinnsale herab, um im nahen Meere ihren ungestümen Lauf zu enden.

An diesen Küsten blühte in der mächtigen schönen und viel umworbenen Magna Graecia (Insel Sicilien und südliches Italien) eine herrliche Cultur, begünstigt von einem freundlichen Himmel und einem dem Verkehr der Völker dienenden Meere. Dieser Himmel lacht ermunternd noch immer über dem Lande; noch bietet das Meer seinen Rücken; noch wie einst, da sie dem Apoll und der Venus geweiht waren, grünt und blüht hier Lorbeer und Myrthe an sonnigen Hängen, und Wein und Oel, im Verein mit vielen andern Gaben einer „reichhinstreuenden“ Natur, vermöchten, wie einst, dem Lande zu Reichthum, zu Blüthe und Freude zu verhelfen, und doch liegt sein Kranz verwelkt im Staube, und doch weint die Armuth in den Thälern und auf den Bergen oder zieht, verzweiflungsvoll entschlossen, auf den schweigenden Meerschiffen hinüber nach dem gepriesenen andern Welttheile.

Die hochherrlichen Städte, in deren Marmortempeln die Götter wohnten, um deren Gunst in jenen Tagen ein Alexander, ein Hannibal sich bewarben, die von einem Pindar und Demosthenes gepriesen wurden – sie sind dahin. Dahin auch wie ein Traum ist jene Zeit, und was sie schuf, wurde zerstäubt und verweht vom Sturmessausen der Jahrhunderte, kaum daß hier eine armselige Ruine, ein paar algenumsponnene Säulen im Meeresgrunde, etwas antikes Gemäuer im Sumpf, oder dort eine dürftige, halbchristianisirte Sage als Tradition noch Kunde giebt aus dem glorreichen Morgen der Magna Graecia.

Les dieux s’en vont… Die Götter haben sich davon gemacht; als armselige Bettler, ihre Lumpenbündel voll Poesie auf den Rücken, wanderten sie in’s Exil, und in ihren verödeten Zaubergärten pflanzte der kalte Verstand seinen Kohl. In unsern Kinderstuben haben die kleinen Hände längst schon an der uralten Heiligkeit des Knechtes Ruprecht gerüttelt, und die modernen Traumdeuter der Antike erklären, daß Polyphem, der ungastliche Einäugige, den kreisrunden, steinschleudernden Krater bedeute, Vulcan die wilden, durch Erdbeben sich bezeugenden Kräfte, die schöne Zauberin Kirke, welche die Gefährten des Odysseus in Säue verwandelt, den männerhinstreckenden Wein des circejischen Vorgebirgs u. dergl. m.

Und so darf es nicht Wunder nehmen, wenn die dem Knaben einst so furchtbare, gigantische Scylla, heut ihrer Schrecken entkleidet, zu einer mythischen Allegorie zusammenschrumpft, und auch von dem abergläubigsten Calabrienfischer nicht mehr respectirt wird.

„Scylla, Du bist nicht mehr so gewaltsam, wie Du zuvor warst,“ singt ihr Platen, da er eine Nacht in der Locanda zunächst ihres Felsens zugebracht, keck in’s Gesicht und dichtet der Aermsten an, zwar noch immer Reisende zu plagen, aber nur vermittelst eines Heeres jener auch „Herren und Frauen am Hofe“ plagenden schwärzlichen Springer.

Das war zu Homer’s Zeiten anders, und nach seiner Erzählung und alten Kupferstichen malte sich unsere kindliche Phantasie Person und Local der Scylla mit lebhaften Farben aus; drohend trat uns die angstvolle Flucht von der Scylla in die Charybdis entgegen, die uns als das ärgste „Aus dem Regen in die Traufe kommen“ erscheinen wollte.

Und der arme meerdurchirrende Odysseus gerieth in diese Traufe, die Homer mit der lebhaften Phantasie meeranwohnender Männer als einen mächtigen Felsen schildert, der sein spitzes Haupt bis zum Himmel reckt; dunkle Wolken umwallen ihn, und nie sieht man den Gipfel; auch erstiegen ward er nicht; denn seine Wände sind, an das deutsche Märchen vom Glasberg erinnernd, glatt wie Krystall. Das aber braucht den Wanderer nicht zu beirren; die Gefahr liegt ganz wo anders: der Felsen birgt die entsetzliche Höhle mitten im Gestein, dicht über den Meereswogen; denn hier haust sie, die Scylla, das bellende, durch zwölf breittatzige Füße und sechs Hände und ebenso viel Köpfe zum Schreckbild gestaltete Scheusal. Wie ein ungeheurer Krake steckt sie halbleibs in das Felsenloch eingezwängt, während die Freßwerkzeuge heraushängen und wühlend und tastend in dem schäumenden Wasser herumschnappen. Seehunde, Delphine und anderes Meergethier fallen der Bestie zur Beute, als Fettleckerbissen jedoch entrafft sie den vorübereilenden „schwarzgeschnäbelten Meerschiffen“ dann und wann einen Mann, auch sechs auf einmal, wie sie es dem Fahrzeug des Odysseus gethan. Aeneas wäre es gerade so gegangen, hätte ihn Helenus der Seher nicht gewarnt, welcher rieth:

„Besser ist’s, Du umfährst das trinakrische Haupt des Pachynus,
Als Du schauest im großen Geklüft die gräßliche Scylla
Einmal nur, und die Felsen, durchhallt von bläulichen Hunden.“

Und als er nun fern aus der Fluth Siciliens Aetna tauchen sieht, vernimmt er ein gewaltiges Tosen der Wogen am Felsen und gebrochenes Getön am Gestade, woran Vater Anchises die gefährliche Klippe erkennt, von der ihnen Helenus gesprochen; sie umgingen diese, indem der Steuermann Palinurus den krachenden Schiffsschnabel links in die Meerfluth drehte. Sonst gab es gegen diese Gefahr nur ein Mittel; es ist dasselbe, welches die Zauberin Kirke dem Odysseus anrieth: Kratäis, die Mutter des Scheusals, anzurufen und es durch diese bändigen zu lassen.

[293]

Scilla. Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von F. Stoltenberg.

[294] Dies bringt uns auf die Abstammung der Scylla, und über diese erzählten die griechischen Kinderfrauen und Schiffer den lauschenden Kleinen gar mancherlei Märchen. Da hieß es: Es war einmal eine schöne Königin; die hieß Scylla, und diese Scylla liebte der Vater der Götter über alle Maßen. Hera, in Eifersucht entbrannt, zürnte der Beglückten und sann auf Rache. Sie beraubte sie ihrer Kinder. Die unglückliche Mutter suchte diese voller Verzweiflung, und wie sie nicht zu finden waren, ging sie grollend in die Einsamkeit, bezog eine dunkle Höhle, und aus Haß und Neid gegen glückliche Mütter fing sie an Kinder zu rauben und zu fressen.

Andere erzählten, Scylla sei die Tochter des Königs von Megara gewesen, die ihren Vater aus Liebe zu dem schönen kretischen Seekönige Minos, durch Ausreißen eines purpurfarbenen Haares, das der Alte auf seinem Scheitel trug, verrathen hatte, von dem Jüngling aber, der von der Liebe einer Verrätherin nichts wissen wollte, verleugnet, zur Strafe an sein Ruder gebunden und durch die Meere geschleift wurde, bis sie sich in jenes Ungeheuer verwandelte. Ihre Eltern, erzählen die Einen, sollten Phorkys und die schon genannte Hekate Kratäis gewesen sein, während sie Andere als Tochter des Triton, des Poseidon erscheinen lassen; der Vater also auch hier auf jeden Fall „ein dunkler Ehrenmann“.

Am schönsten gestaltet sich die Sage bei Ovid; da war Scylla, „so Dichtermund nicht lügt“, dereinst eine schöne, vielumworbene Jungfrau, der aber Liebe das Herz nicht rühren wollte. Kalt und gleichgültig ging sie zu den Nymphen des Meeres, denen sie als Gesellschafterin sehr willkommen war. Gewandlos – es war im Hochsommer – wandelt sie heimwärts, im trockenen Sande des Ufers hin und erfrischt hier und da die brennenden Glieder in lauschigen Buchten. Hier erblickt sie der schillernde Glaukos, einst ein schöner Fischerknabe, der, nachdem er von dem Wunderkraute gegessen, in der Fluth zum weissagenden Gotte geworden war; begierig, seinen zahlreichen Liebesabenteuern, ein echter Don Juan des Mittelmeeres, ein neues zu gesellen, stellt er der auf eine Klippe fliehenden Scylla nach. Aus den Wellen heraus stammelt er ihr seine Liebe, von der die Spröde durchaus nichts wissen will. Zornig schwimmt er – nicht kühlt die Fluth seine Gluthen – zum Zauberpalast der Kirke, sie um ein Liebeselixir für Scylla bittend. Kirke jedoch möchte Glaukos für sich selbst gewinnen, und als dieser davon nichts wissen will, beschließt sie, die Nebenbuhlerin zu verderben. Sie mischt abscheuliche Säfte und macht sich auf nach dem „winzigen Golfe, gekrümmt in geschweifetem Bogen“, in dessen Nähe Scylla ihre Mittagsruhe zu halten und in dessen Fluth sie ihr Bad zu nehmen pflegte. Sie vergiftet das Wasser, und als Scylla in die Wellen steigt, geht die plötzliche Verwandlung vor sich: als menschenfeindliches Scheusal bleibt sie am Orte und rächt sich ihrerseits später an Kirke durch Lockung der Genossen des Odysseus, welchen Kirke liebt.

Ein Landsmann der Scylla, der ihr einst gegenüberwohnende sicilianische Dialektdichter des vorigen Jahrhunderts, der rüstige Giovanni Meli, scheint die Scylla gesehen zu haben, ehe die grausame Metamorphose vor sich gegangen (oder hatte sie später eine Entzauberung erfahren?); er beschreibt sie in seinem humoristischen Epos „La fata galanti“ folgendermaßen:

„Die Zöpfe schienen wie mit Gold durchzogen;
Ein Rundgesichtchen trug der Hals, der feine,
Die Stirne hoch, die Nase sanft gebogen,
Das Mündchen wie ein Ring mit Purpurscheine;
Das Antlitz frei, von Anmuth überflogen,
Die Augen leuchtend wie zwei Edelsteine:
Die Scylla war’s, so schön beim ersten Schauen,
Und schöner immer – mögt mir wohl vertrauen.

So sah ich morgens sie auf einem Steine
Am Meeresstrand, das Fischnetz in den Händen,
Den Korb zur Seite ihr mit Brod und Weine,
’nen andern für die Fische. Abzuwenden
Von ihrem zarten Antlitz, das im Scheine
Der Sonn’ erglänzte, die mit heißen Bränden
Sie traf, die Strahlen, trug sie, unverletzet,
Von Stroh ein Hütchen, zierlich schräg gesetzet.“

Dergestalt vermöchte sie wohl einen modernen Glaukos zu verführen, als Scheusal jedoch schreckt sie, wie gesagt, Niemand mehr, und diese Ohnmacht hatte denn auch schon das spätere Alterthum, das die Dinge römisch-objectiv anschaute, erkannt. Seneca gesteht, daß der Scyllafels dem Reisenden durchaus nicht gefährlich sei, und den Bewohnern Scillas ist sogar alle und jede Erinnerung an die alten grausigen Fabeln verloren gegangen. Wir sehen heute ihre Barken schaarenweis um den großen und kleinen Scyllafelsen hergelagert; der kleine ist wie eine Art Wellenbrecher vor dem großen zu denken. Wir fahren auf schwacher Barke zu ihm hinan; leise athmend hebt sich das durchsichtige Meer an dem Gesteine empor, und nur aus der Grotte tönt es hohl und dumpf wie Schluchzen und Seufzen. Daß sich diese Laute bei Sturm und tosender Brandung in Brausen und Heulen verwandeln, ist wohl einzusehen; daß diese Brandung aber hier nicht schlimmer wirkt, als an jeder andern ausgebrochenen Küste, wie an jedem andern Cap, darf man getrost behaupten. Wer bei Sciroccosturm die ebenfalls felsige und unnahbare Küste Amalfis entlang fuhr, wird sich des abscheulichen Gebrülls erinnern, das in der Grotte dell’ Orso, der nach jenen Lauten benannten Bärengrotte, verübt wird.

Die Scylla mit ihrem Felsen würde also längst der Vergessenheit anheimgefallen sein, wenn nicht die Stadt dahinter für Erhaltung des Namens gesorgt hätte. Die Lage dieser ist in zwei Worten geschildert: Im Rücken derselben, wie an der gesammten Küste Calabriens hin läuft das Hauptgebirge, hier eine nur schmale Ebene zwischen sich und dem Meere freilassend. Diese Ebene wird von einem vom Hauptgebirge stracks gegen das Meer, wo er in einem Cap endigt, laufenden Hügelrücken in zwei Hälften getheilt, in zwei sogenannte Marinen, welche, vor Zeiten vom Meer aufgebaut, dieses nur wenig überragen; auf diesen Ebenen sowie an den Hängen des Hügelrückens und der dahinterliegenden, von reicher Vegetation bedeckten Berge hat sich das Städtchen „Scilla“ angesiedelt.

Es existirte schon im Alterthum, und auf dem großen Felsen stand damals ein Minerva-Tempel, nach welchem dieses Cap, wie jenes bei Sorrent, den Namen Cap der Minerva erhielt. Nach Strabo, der bekanntlich kurz vor Christi Geburt schrieb, legte dort schon Anaxilaus, der Tyrann von Rhegion, dem nahen Reggio, etwa um 480 v. Chr. einen Wachtthurm gegen die Piraten an, und das jetzt verfallene Castell aus den Zeiten der Normannen hat später gleichem Zwecke gedient.

Die Stadt von heute ist noch nicht hundert Jahre alt; Alterthümer und etwaige Merkwürdigkeiten enthält sie nicht. Sie stellt sich, wie so viele ihrer süditalienischen Schwesterstädte, welche von Fischern, Winzern und Ackerbauern gegründet wurden, aus der Ferne sehr nett, im Innern aber unwohnlich und ziemlich unsauber dar, so harmlos ihre Bewohner uns auch entgegenkommen. Es mögen deren ungefähr achttausend sein, und mit redlichem Fleiße suchen sie der Erde an Wein und Oel und dem Meere an Fischen das abzugewinnen, was sie zur Fristung eines fast bedürfnißlosen Daseins brauchen. Der Fischfang und besonders der Fang des Thunfisches ist aber gleichzeitig ihre Lieblingsbeschäftigung, und man kann dreist behaupten, daß jeder Scillaner ein geborener Fischer ist. Gilt es, den Thunfisch mit festliegenden Netzen, den sogenannten Tonnaren zu berücken, so erheischt der Fang des Schwertfisches dieselbe Kraft und Gewandtheit des Mannes, wie sie in den Alpen bei der Jagd auf Gemsen erforderlich ist. Das Merkwürdigste dabei aber ist, daß er noch heute fast genau so ausgeführt wird, wie ihn schon Strabo beschreibt.

Vom Maste einer größeren Kundschafterbarke aus werden die zwei kleineren nachfolgenden Barken benachrichtigt, sobald ein Fisch in Sicht war. Eine derselben macht sich in der bezeichneten Richtung auf und spießt die Beute mit einem spitzen, an langem Stabe befestigten Eisen an, das, wenn es festsitzt, mit der Barke durch ein langes sich abrollendes Seil in Verbindung bleibt; wird der Fisch schwach, so rudert die zweite, die Todesbarke an ihn heran und holt ihn ein. Oft sitzen die Kundschafter auch auf dem großen Felsen und geben ihre Signale von da aus – selten entgeht so ein unglücklicher Fisch-Odysseus ihren Späherblicken.

Die Scillaner kennen jede Fischart und deren Lebensweise; alle Listen haben sie studirt, um die Stummen da drunten zu berücken; in der übrigen Freiheit pflegen sie ihr Stückchen Wein- und Oelland, pflücken sie die hier so üppig gedeihenden „indischen Feigen“, während die Frauen der Seidenzucht obliegen.

Es ist ein Leben des Friedens, was hier längs der Südküste Calabriens bis Reggio hinunter geführt wird; nur einmal wurde dieses – vor fast hundert Jahren – auf so entsetzliche Weise unterbrochen: Ein schreckliches Erdbeben, wie die Geschichte [295] ein ähnliches kaum verzeichnet, hatte am 5. Februar 1783 die Westküste Calabriens erschüttert; Städte und Dörfer lagen in Trümmern und unter diesen gegen 30,000 Menschen begraben. Scilla theilte das Loos der Nachbarorte, was aber von seinen Einwohnern noch am Leben geblieben, flüchtete auf die niedere Marine am Meer, diesem jetzt mehr vertrauend als dem Lande. Unter freiem Himmel, zwischen den Barken und sonstigem Fischergeräth drängte sich Alt und Jung zusammen und harrte in Bangen der Nacht entgegen. Kurz nach Mitternacht erbebte die Erde auf’s Neue, und unter fürchterlichem Gepolter löste sich ein Felsen vom Berge Iaci und stürzte in’s Meer. Gleich darauf erbebte auch dieses, hob sich unter wildem Rauschen, hob sich wie eine Mauer über zwölf Meter hoch gegen das Land hin und spülte das unglückliche Volk vom Lande hinweg, in die grause Tiefe hinein, und wieder kam es zurück, zu neuem Streiche ausholend, zu rauben, was ihm vorher entgangen war: Hütten, Barken und Menschen. 1431 Scillaner wurden eine Beute der empörten Fluth – unter ihnen befand sich der alte Fürst von Scilla.

Beim ersten Erdstoße hatte er sich auf seinem Castell auf der Höhe des Scyllafelsens befunden; vom Schrecken überwältigt soll er sich betend und weinend vor dem Kreuze niedergeworfen haben, und erst spät hatte man ihn überreden können, zu seinen Unterthanen an’s Ufer des Meeres hinabzusteigen. In eine Fischerbarke geduckt, von seinen Dienern umgeben, blieb er dort, bis die Wellen auch ihn hinabrissen. Das Meer, von den Resten Erschlagener besäet, glich einem Schlachtfelde, und zu ganzen Haufen wurden Menschen- und Thierleichen noch lange von den Wellen an das Land getrieben.

Das ist nun längst vergessen, und seliges Vergessen auch lächelt dieser Himmel, diese Erde, und wie die Küste der Seligen glänzt Siciliens Ufer herüber; denn Scilla liegt an der Straße, wo die kürzeste Verbindung des ionischen mit dem tyrrhenischen Meer stattfindet, und die Küsten dieser Meere scheinen noch heute, wenn man sie, mit ansehnlichen Ortschaften dicht bebaut und in reicher landschaftlicher Schöne strahlend, vor sich erblickt, nicht aller Segnungen der alten Götter bar.

Wer von Castor redet, muß auch von Pollux erzählen: die Scylla verlangt ein Wort über die Charybdis, die das Loos der Entgötterung mit ihrer Schwester theilt. Zwar schreibt unser Schinkel noch 1803 über die Charybdis:

„Die Nacht brach ein; gewitterhaft umwölkte sich der Himmel, und Sturm erhob sich in der Enge. Viermal trieb das Schiff zurück in die sprudelnde Fluth der Charybdis; der Hauptmann hatte seine ganze Gegenwart nöthig, der Brandung zu entgehen.“

Die Sache ist aber nicht so schlimm. Die „Unversöhnliche“, die „Verwickelte“, die „nie ruhende Charybdis“, von deren „Geheul“ noch Schiller im „Taucher“ singt, ist nicht mehr vorhanden, und die heutige Carilla oder Rema, Calofaro oder Garofalo, wie sie die Anwohner nennen, ist ein unschuldiges Wesen, dessen Name „Garofalo“, die Nelke – wegen ihrer leicht gekräuselten Ränder – schon ihre Ungefährlichkeit andeutet; selbst leichte Fischerböte fürchten sie nicht mehr.

Freilich, wenn ein Nord- oder Südsturm sich auf die Meerenge stürzt, kann auch sie nicht ruhig bleiben, und dann mag das Bild zutreffen, das uns Virgil von ihr entwirft:

„Diese verschluckt dreimal in des Abgrunds untersten Strudel
Jähabschießende Wasser der Fluth und speiet sie wieder
Wechselweis in die Luft und peitscht mit den Wogen die Sterne.“