Relativitätsprinzip und Äther
Inhaltsübersicht: § 1. Vorwort. — I. Teil. Mathematische Vorbereitungen; § 2. Bezeichnungen; § 3. Lorentz-Transformation für Raum und Zeit; § 4. Eigenzeit und Punktmechanik; § 5. Kontinuum; § 6. Ausbreitung von Erregungen; § 7. Elektrodynamische Probleme. — II. Teil. Relativitätsprinzip, Äther und Raum-Zeit-Anschauung; § 8. Relativitätsprinzip gegen Äther; § 9. Relativitätsgesetze. Bedingtes und unbedingtes Relativitätsprinzip; § 10. Vorbemerkungen über die Begriffe von Raum und Zeit; § 11. Raum-Zeit-Systeme; § 12. Scheinbare Längenänderungen bei Änderungen der Schreitung; § 13. Symmetrische Raum-Zeit-Systeme; § 14. Gruppe der symmetrischen Raum-Zeit-Systeme; § 15. Grenzschreitungen, Äther; § 16. Schreitung und Geschwindigkeit des Geschehens; § 17. Elektrodynamische Erscheinungen; § 18. Grenzen der Relativitätsgesetze; § 19. Äther und Materie; § 20. Relativitätsgesetze und Raum-Zeit-Systeme; § 21. Physikalische Gleichzeitigkeit; § 22. Raum-Zeit-Vorstellung.
Die Molekulartheorie feiert zurzeit Triumphe, wie kaum je in vergangenen Zeiten. Es hat sich gezeigt, daß nicht nur die Materie, sondern auch die Elektrizität molekular beschaffen ist. Man hat gelernt, die molekularen Teilchen einzeln zu fassen, und es ist so gelungen, ihre Zahl mit großer Schärfe festzustellen. Einzelne Autoren verlangen sogar, daß man auch der Energie molekulare Struktur zuschreibe. Ein inniger Zusammenhang zwischen Molekulartheorie und Wärmestrahlung ist aufgedeckt worden. Unter der Leitung der Molekulartheorie ist eine Fülle von neuen Gesetzen entdeckt worden. — Und doch hat ein großer Teil der heutigen Physiker noch Zeiten erlebt, wo die Meinung vielfach vertreten wurde, die Molekulartheorie habe abgewirtschaftet, sei unfruchtbar geworden, man stehe an der Schwelle einer Zeit, wo energetische Betrachtungen an ihre Stelle treten würden. —
Jetzt ist die Reihe, totgesagt zu werden, an dem „Äther“, der freilich schon oftmals Gegenstand heftiger Angriffe gewesen ist. N. Campbell[2]) schreibt: „Die Darlegung, daß es um die Sache des Äthers gerade da lächerlich schwach bestellt ist, wo man sie am sichersten begründet glaubte, und daß die Äthervorstellung niemals etwas anderes als die Quelle von Irrtümern und Gedankenverwirrung gewesen ist, mag dazu dienen, ihre Überführung zu jenem Kehrichthaufen zu beschleunigen, wo schon der „Phlogiston“ und der „Wärmestoff“ modern.“ —
Diejenige Auffassung der Naturgesetze, welche dazu bestimmt sein soll, die Äthervorstellung zu beseitigen, ist das „Prinzip der Relativität“. — Den Anstoß zu seiner Aufstellung gab der negative Erfolg des berühmten Experiments von Michelson, welches die Bewegung der Erde relativ zum Äther zeigen sollte. Im Anschluß daran untersuchte H. A. Lorentz, welche Annahmen über die Naturgesetze zu machen seien, damit allgemein die Bewegung relativ zum Äther der Beobachtung entgehe. Er fand, daß für die elektrodynamischen Vorgänge bei Zugrundelegung der von ihm entwickelten Theorie der Elektrodynamik die Hinzunahme jener Hypothese über die Kontraktion bewegter Körper genügt, die man heute die „Lorentz-Fitzgeraldsche Hypothese“ zu nennen pflegt. Für die anderen Naturkräfte muß man ein ähnliches Verhalten annehmen wie für die Kräfte elektromagnetischen Ursprungs. Der Schwerkraft insbesondere muß eine Fortpflanzung mit Lichtgeschwindigkeit zugeschrieben werden. H. A. Lorentz zeigte auch, daß die Zeitauffassung eines Beobachters beeinflußt wird, der sich zugleich mit dem Körpersystem durch den Äther bewegt. Es ergibt sich eine „Ortszeit“, die von der im ruhenden Äther beurteilten wirklichen Zeit verschieden ist.
Hieran knüpfte A. Einstein[3]) an, indem er für die Naturerscheinungen in der folgenden Hypothese ein fundamentales Gesetz aufstellte: „Die Naturgesetze sind unabhängig vom Bewegungszustand des Bewegungssystems, wenigstens falls letzterer ein beschleunigungsfreier ist.“ Für diese Hypothese wählte er den Namen „Prinzip der Relativität“. Wesentlich ist bei A. Einstein eine neue Auffassung des Zeitbegriffs. Für H. A. Lorentz war die „Ortszeit“ im bewegten Koordinatensystem ein Hilfsbegriff. Nach A. Einstein soll nun keines der Koordinatensysteme vor dem anderen ausgezeichnet sein, die „Ortszeit“ muß also als „Zeit“ schlechthin definiert werden. So ergibt sich eine innere Abhängigkeit des Zeitbegriffs von der Raumanschauung. —
H. Minkowski[4]) hat das Prinzip der Relativität in ein außerordentlich elegantes mathematisches System gebracht, in dem er die Zeit als eine vierte neue Weltkoordinate den drei Raumkoordinaten gleichstellte. Der Übergang von einem Raumkoordinatensystem zu einem relativ dagegen bewegten, wobei nach H. A. Lorentz ein neues System der „Ortszeit“ hinzugenommen werden muß, wird für H. Minkowski zu einer einfachen Koordinatentransformation in der vierdimensionalen Raum-Zeit-Welt, wobei auch die Zeit eine neue „Achse“ erhält. In wissenschaftlicher Begeisterung sagt er über die neuen Vorstellungen von der Verkettung der Begriffe von Raum und Zeit[5]): „Von Stund' an sollen Raum und Zeit zu Schatten herabsinken und nur noch eine Art Union der beiden soll Selbständigkeit bewahren“.
Bei der Entwicklung des Prinzips der Relativität wird von A. Einstein die Äthervorstellung abgelehnt. Denn da es für die Beurteilung des Weltgeschehens ohne Bedeutung sein soll, auf welches der verschiedenen in relativer Bewegung begriffenen Koordinatensysteme man sich bezieht, darf ein gegenständlicher Äther nicht angenommen werden: ein solcher würde ja zur Auszeichnung desjenigen Koordinatensystems führen, welches in ihm ruht. —
Im Herbst vorigen Jahres hatten wir in Göttingen die Freude, eine Reihe von Vorträgen von Prof. H. A. Lorentz zu hören über die neuere theoretische Forschung in der Elektrodynamik und in bezug auf die Wärmestrahlung. Eine fast wörtliche Wiedergabe dieser Vorträge findet sich im vorigen Jahrgange dieser Zeitschrift[6]). H. A. Lorentz trat für die Existenz des Äthers ein; aber er ließ das Relativitätsprinzip als möglich gelten. In der zitierten Wiedergabe der Vorträge, S. 1236, heißt es: „Wenn nun das Relativitätsprinzip in der Natur allgemeine Gültigkeit hätte, so würde man allerdings nicht in der Lage sein, festzustellen, ob das gerade benutzte Bezugssystem jenes ausgezeichnete ist. Man kommt also dann zu denselben Resultaten, wie wenn man im Anschluß an Einstein und Minkowski die Existenz des Äthers und der wahren Zeit leugnet und alle Bezugssysteme als gleichwertig ansieht. Welcher der beiden Denkweisen man sich anschließen mag, bleibt wohl dem einzelnen überlassen.“ — Auch mir scheint es sehr wohl möglich, daß die schönen Relativitätsgesetze in einem gewissen Umfang der Wirklichkeit entsprechen könnten: ja, ich glaube, daß nach den Beobachtungen die Wahrscheinlichkeit dafür sehr groß ist. Ich bin aber der Meinung, daß diese Gesetze nicht nur nicht gegen die Ätherhypothese sprechen, sondern gerade umgekehrt sehr wichtige neue Anzeichen für das Bestehen des Äthers bringen. Das zu zeigen ist der Zweck der vorliegenden Arbeit. Im folgenden werde ich demgemäß die Gültigkeit der Relativitätsgesetze, wenigstens bei Ausschluß der Gravitation, annehmen. In den Gesetzen wird jedoch nicht ein grundlegendes Prinzip für das Weltgeschehen gesehen werden, sondern nur eine innerhalb gewisser Grenzen gültige Folge der Verkettung von Äther und sinnlich wahrnehmbarer Materie.
Sehr gern erkenne ich die hohe erkenntnistheoretische Bedeutung der durch das Relativitätsprinzip angeregten Untersuchungen über den Zeitbegriff an; der Schluß, zu dem ich mich genötigt sehe, ist aber doch der, daß die Gleichwertigkeit der verschiedenen Zeitsysteme nur praktisch und nur innerhalb gewisser Grenzen besteht, keineswegs aber für das Weltgeschehen im allgemeinen behauptet werden darf. —
Die schönen mathematischen Entwicklungen des leider so früh dahingegangenen Göttinger Kollegen und Freundes H. Minkowski werden durch das, was ich zu sagen habe, in ihrer Bedeutung nicht vermindert. Ja, ich meine, daß das Vermächtnis, welches wir H. Minkowski verdanken, nur noch mehr zur Geltung kommen wird, wenn man zu weitgehende Folgerungen vermeidet. —
Die Sorge um den Ausdruck hat mich veranlaßt, ein Wort neu zu bilden: „die Schreitung“. Damit soll ein Begriff kurz gekennzeichnet werden, der für die hier notwendigen Untersuchungen von der äußersten Wichtigkeit ist. Ein Punkt im Raum, der keine Beschleunigung im Sinne der Mechanik zeigt, gibt eine bestimmte „Schreitung“ an. Ein System von Punkten hat gleiche Schreitung, wenn keine relativen Verschiebungen stattfinden. Relativ zu einem solchen System wird ein Punkt anderer Schreitung sich mit konstanter Geschwindigkeit geradlinig bewegen. — Während die „Geschwindigkeit“ stets nur relativ sein kann, besitzt die Schreitung absolute Bedeutung. Es hat keinen Sinn, nach „Größe“ und „Richtung“ der Schreitung zu fragen; beides ist allein der Geschwindigkeit eigen. Die Verschiedenartigkeit äußert sich auch darin, daß die Schreitung im Gegensatz zur Geschwindigkeit völlig unabhängig von allen Maßsystemen des Raumes und der Zeit ist; diese kommen erst zur Geltung, wenn man zwei Schreitungen miteinander vergleicht und ihren Unterschied zahlenmäßig darstellen will. —
In der Darstellung der mathematischen Zusammenhänge bin ich ziemlich ausführlich, denn es liegt mir daran, das Mathematische dem Physikalischen scharf gegenüberzustellen. — Wer schnell zur Hauptsache kommen will, mag den I. Teil zunächst überspringen.
Schreitung: Bewegungszustand, der durch einen sich völlig selbst überlassenen materiellen Punkt angezeigt wird, der also frei von Beschleunigung ist. Schreitungen an verschiedenen Orten sind „gleich“, wenn bei gleichförmiger Andauer keine relativen Verschiebungen eintreten (vgl. § 1).
Lateinische und griechische Buchstaben: Skalare.
Deutsche Buchstaben: Vektoren.
: Intensität des Vektors , positiv gerechnet.
: Lichtgeschwindigkeit.
und ebenso : Rechtwinklige Raumkoordinaten mit gleicher und gleichbleibender Schreitung aller Systempunkte.
und ebenso : Ortszeit, d.h. die Zeit, insofern sie den Raumkoordinaten zugeordnet wird (Bezeichnung nach H. A. Lorentz).
und ebenso zusammengefaßt: Raum-Zeit-Koordinaten.
Lorentz-Transformation[7]) für Raum und Zeit: Verbindung zwischen zwei Raum-Zeit-Koordinatensystemen besonderer Art. Sind und die beiden Systeme, nennt man die Geschwindigkeit, mit der in dem einen System der Koordinatenanfangspunkt des anderen sich zu bewegen scheint, legt man die Achsen parallel zueinander, und zwar die - und die -Achse zugleich parallel der Richtungslinie der gegenseitigen Bewegung, so lauten die Transformationsformeln bei passender Wahl der Anfangspunkte für die Zeit und für die Raumkoordinaten:
(1) |
Mathematisch kann man die Lorentz-Transformation definieren als lineare Transformation, die der Bedingung
(2) |
genügt. Dies ist der Ausgangspunkt für H. Minkowski. Enger an die physikalische Anwendung schließt sich folgende Definition: Die Lorentz-Transformation ist eine lineare Transformation, welche die Lichtgeschwindigkeit unverändert läßt und dabei die beiden Koordinatensysteme symmetrisch aufeinander bezieht, so daß man mit vertauschen kann.
Lorentz-Transformation für Vorgänge: Wird auch dargestellt durch die Formeln (1). und bedeuten dann aber Koordinaten und Zeiten in ein und demselben Raum-Zeit-Koordinatensystem und geben Lagen und Zeiten für je zwei einander zugeordnete Punkte in zwei materiellen Systemen an. — Wird in diesem Fall mit dem Übergang von einem Vorgang zum andern zugleich auch die entsprechende Transformation für Raum und Zeit verbunden, so verlaufen beide Vorgänge formal in genau gleicher Weise.
und ebenso ; Geschwindigkeit eines sich bewegenden Punktes als Vektor aufgefaßt. bezieht sich auf die Zeit , auf die Zeit :
, usw., , usw. | (3) |
: Eigenzeit eines sich bewegenden Punktes nach H. Minkowski. Es ist:
. | (4) |
: Eigengeschwindigkeit, definiert durch:
. | (5) |
: Schwellung und Beschleunigung des Skalars und des Vektors . Es ist also:
usw. | (6) |
Als Zeit ist hier im allgemeinen die des betreffenden Raum-Zeit-Systems zu rechnen. Gehört also zum Beispiel der Vektor dem System an, so ist zu setzen:
Für aber ist die Eigenzeit als zugehörig zu betrachten, d.h. es ist zu setzen:
. | (7) |
könnte Eigenbeschleunigung heißen.
: Beschleunigung eines Punktes in seiner Bahn und quer zur Bahn.
: Ruhmasse, longitudinale und transversale Masse; im folgenden wird stets angenommen werden:
. | (8) |
: Newtonsche Kraft, d.h. die gewöhnlich so genannte mechanische Kraft.
: Minkowskische Kraft (Bezeichnung nach Lorentz). Es ist:
. | (9) |
: Elektrische und magnetische Kraft, elektrische Menge und elektrische Raumdichte.
, : Divergenz und Version[8] ) des Vektors . Es ist:
Skalares und vektorielles Produkt der Vektoren und . Es ist:
, usw.
ist als Skalar anzusehen.Nimmt man für das elektromagnetische Feld im Innern der Materie genau die gleichen Eigenschaften an wie für das Feld außerhalb, so daß der Unterschied nur darin besteht, daß im Innern der Materie Elektrizität in ruhenden oder bewegten Teilen vorhanden ist, so lauten die elektromagnetischen Feldgleichungen:
(10) |
bedeutet die Geschwindigkeit der die Elektrizität tragenden Teilchen. — Die Newtonsche Kraft, die ein unendlich wenig ausgedehntes elektrisches Teilchen bei der Geschwindigkeit durch das Feld erfährt, ist:
. | (11) |
Heaviside-Ellipsoide: Im Achsenverhältnis abgeplattete Rotationsellipsoide, die sich parallel der Figurenachse mit der Geschwindigkeit bewegen.
H. A. Lorentz erfand die nach ihm benannte Transformation zur Behandlung elektrodynamischer Probleme in bewegten Medien. Im vorliegenden Paragraphen soll hierauf noch nicht Rücksicht genommen werden, sondern die Lorentz-Transformation nur insoweit besprochen werden, als sie nicht speziell auf die Vorgänge im elektrodynamischen Feld Bezug hat. Man kann in der Lorentz-Transformation entweder sehen den Übergang von einem Koordinatensystem zu einem andern, oder die Zuordnung eines Vorgangs zu einem andern bei festgehaltenem Koordinatensystem. Hier wird zunächst die erste Auffassung verwertet werden. Dabei ergibt sich eine Transformation für Raum und Zeit.
Für unsere Ziele kommt es dabei darauf an, zwei räumliche Koordinatensysteme aufeinander zu beziehen, von denen jedes bei relativer Ruhe überall gleiche und dauernd gleichbleibende Schreitung kennzeichnet. Wesentlich ist, daß in den beiden Systemen die Zeit den Orten in verschiedener Weise zugeordnet wird. Wählt man gemäß dem vorigen Paragraphen (1) als Transformationsformeln, so stellen und denselben Raumpunkt und denselben Zeitpunkt dar. Es ist erlaubt, die Formeln (1) als Definitionsgleichungen für die Lorentz-Transformation anzusehen. Dann ist nur zu beachten, daß es allein auf die Zuordnung der Raum- und Zeitpunkte ankommt, daß also die spezielle Wahl der Achsenrichtungen und der Anfangspunkte von Raumkoordinaten und Zeit in jenen Gleichungen ohne Bedeutung ist. —
Ordnet man zum ursprünglichen Raum-Zeit-System mit verschiedenen Werten der Geschwindigkeit und verschiedener Bewegungsrichtung zwei neue Systeme zu, so findet man, daß diese untereinander ebenfalls durch eine Lorentz-Transformation verbunden sind. So folgt denn, daß alle die durch Lorentz-Transformationen verbundenen Raum-Zeit-Systeme im mathematischen Sinne des Wortes eine „Gruppe“ bilden. Damit wird ausgesagt, daß irgend zwei von ihnen durch eine Lorentz-Transformation ineinander übergeführt werden können. Die Gesamtheit der so verbundenen Raum-Zeit-Systeme heißt die „Lorentz-Gruppe“, jedes einzelne zugehörige System ein „Lorentz-System“. —
Wird für irgendein Lorentz-System ein Raumpunkt und ein Zeitpunkt ausgewählt, so ordnen sich dazu in den anderen Systemen der Gruppe andere Raumkoordinaten und ein anderer Wert der Zeit zu. Aber alle diese formal verschiedenen Bestimmungen stellen ein und denselben Raum-Zeit-Punkt dar. — Faßt man einen bestimmten materiellen Punkt ins Auge, so wird er demgemäß in jedem einzelnen Zeitmoment seines Bestehens in den verschiedenen Systemen verschiedene „Ortszeiten“ vorfinden. Wir werden sogleich erkennen, daß demgegenüber mittels der Minkowskischen Eigenzeit eine andere Zeitrechnung aufgestellt werden kann, bei der für den betreffenden materiellen Punkt die Zeit von dem gewählten Raum-Zeit-Koordinatensystem unabhängig wird.
Wir verfolgen die Bewegung eines materiellen Punktes mit den Raum-Zeit-Koordinaten und in zwei Lorentz-Systemen, indem wir etwa für zwei aufeinander folgende Momente einander zuordnen: zu und , , , zu , , , . Dann erscheinen die Geschwindigkeiten und , wie leichte Rechnungen mit Rücksicht auf (3) ergeben, verbunden durch die Gleichungen (12) der nächsten Spalte.
Setzt man in den ersten dieser Gleichungen eine der beiden Geschwindigkeiten oder gleich , so zeigt sich, daß die andere Geschwindigkeit ebenfalls gleich wird. Die Lichtgeschwindigkeit erscheint hiernach als eine Invariante der Lorentz-Transformation.
(12) |
Im vorigen Paragraphen wurde darauf hingewiesen, daß man diese Eigenschaft auch voranstellen und zur Definition der Lorentz-Transformation benutzen kann.
Vergleicht man entsprechende Zeitmomente und eines sich bewegenden Punktes, so ergibt sich:
(13) |
Hier ist keine Beziehung auf den besonderen gegenseitigen Zusammenhang der Raum-Zeit-Systeme und explizit erkennbar, definiert man also nach Minkowski durch und
(14) |
die „Eigenzeit“ des bewegten Punktes, so ist diese für alle durch die Lorentz-Transformation verbundenen Raum-Zeit-Systeme von gleicher Größe. Mathematisch gesprochen besteht also der Satz: Die Eigenzeit ist gegenüber der Lorentz-Transformation invariant.
Für die Elektronenbewegung und die Relativitätsprobleme spielt die durch (14) definierte Eigenzeit eine bemerkenswerte Rolle. Es soll ihr daher noch besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Die Eigenzeit hat schon für ein einziges Raum-Zeit-Koordinatensystem ohne Rücksicht auf Transformationen Bedeutung. Unsere erste Aufgabe soll sein, hierauf zu achten.
Beurteilt man die Bewegung eines Punktes nach der Eigenzeit, so ergibt sich statt der gewöhnlichen Geschwindigkeit eine Vektorgröße, die ich „Eigengeschwindigkeit“ nennen will. Wird sie mit bezeichnet, so ist zu setzen:
(15) |
Für den Zusammenhang zwischen der gewöhnlichen und der Eigengeschwindigkeit folgt hiernach:
(16) |
In Parallele zu der Eigengeschwindigkeit tritt die „Eigenbeschleunigung“, die mit bezeichnet werden soll. Sie ist definiert durch:
(17) |
Einfache Rechnungen ergeben zwischen und der gewöhnlichen Beschleunigung den Zusammenhang:
(18) |
mit zwei analogen Formeln für und . Dabei ist:
(19) |
Bezeichnet man die Beschleunigung in der Bahn mit , so daß die Richtung von und die Intensität besitzt, und die Beschleunigung quer zur Bahn mit , so daß wird, dann kann an Stelle von (18) geschrieben werden:
. | (20) |
An diese Formel knüpfen sich wichtige Folgerungen für die Mechanik von Massenpunkten, deren Bewegungsmasse von der Ruhmasse in solcher Weise verschieden ist, daß bei der Bewegung die longitudinale Masse und die transversale Masse gegeben werden durch:
(21) |
Bedeutet die antreibende mechanische Kraft, die „Newtonsche Kraft“, so kann die Bewegungsgleichung für einen solchen Massenpunkt geschrieben werden in der Form:
(22) |
Es mag noch bemerkt werden, daß hierzu eine kinetische Energie gehört, gegeben durch:
(23) |
denn für die Energieübertragung kommt nur die Kraftkomponente parallel in Betracht, sodaß
(24) |
ist, woraus sogleich (23) folgt.
Wir erkennen bei Hinblick auf (20), daß die Bewegungsgleichung (22) auch die Form erhalten kann:
(25) |
wobei abkürzend
(26) |
gesetzt werde. heißt nach Lorentz die „Minkowskische Kraft“. Es zeigt sich also, daß an Stelle der Bewegungsgleichung
(27) |
für einen Massenpunkt mit fester Masse die Gleichung (25) tritt, wenn die Masse gemäß den Formeln (21) von der Geschwindigkeit abhängt. Die Masse, die gewöhnliche Beschleunigung und die Newtonsche Kraft werden also durch die Ruhmasse, die Eigenbeschleunigung und die Minkowskische Kraft ersetzt. —
Es soll nun zweitens das Verhalten eines Massenpunktes in zwei Lorentz-Systemen verglichen werden. Dabei setzen wir fest, daß die träge Masse als eine Invariante betrachtet werden soll. Beim Übergang von einem Lorentz-System zu einem andern soll also für einen Massenpunkt mit fester Masse der Wert dieser, für einen Massenpunkt mit veränderlicher Masse der Wert der Ruhmasse und die Abhängigkeit der Masse von der Geschwindigkeit als gleichbleibend angesehen werden. Da die Transformation der Beschleunigungen fest gegeben ist, folgt so eine Transformation für die bewegenden Kräfte.
Für die gewöhnlichen Beschleunigungen erhält man leicht mittels der Transformationsformeln (12) unter Rücksicht auf (13):
(28) |
(29) |
Es entspricht also dann nach den Formeln (28) der Kraft im System eine Kraft im System , gegeben durch die Beziehungen:
(30) |
Für die Eigenbeschleunigungen findet man bei Benutzung von (12), (13), (14), (16) ohne Schwierigkeit:
(31) |
Verfolgen wir die Bewegungen eines Massenpunktes, dessen Masse gemäß den Formeln (21) von der Geschwindigkeit abhängt, so daß unter Rücksicht auf die angenommene Invarianz der Masse nach (25) zu setzen ist:
(32) |
wobei
(33) |
so entspricht nach (31) der Minkowskischen Kraft im System eine Kraft im System , gegeben durch die Beziehungen
(34) |
Wir denken uns nun ein Kontinuum in Bewegung, das „Materie“ heißen mag. Die einzelnen Punkte sollen soweit individualisiert sein, daß sie wieder erkannt werden können. Sind dann in und irgend zwei Zeitmomente gegeben, für welche die Anordnung der materiellen Punkte in den beiden Lorentz-Raum-Zeit-Systemen und ins Auge gefaßt wird, so bestimmen die Transformationsgleichungen (1) zu und eine gewisse Ebene, für welche gesetzt werden möge: und . Diese Ebene umfaßt diejenigen materiellen Punkte, welche in den Zeitpunkten und sich gerade in den der Lorentz-Transformation entsprechenden Lagen befinden, für welche und denselben Zeitmoment des Bestehens, dieselbe Eigenzeit darstellen. Ihre Raum-Zeit-Koordinaten erfüllen also die Gleichungen (1).
Für die materiellen Punkte, die zu den Zeiten , außerhalb der Ebenen liegen, trifft das nicht zu. Hat ein materieller Punkt im System zur Zeit zum Beispiel die Koordinaten wobei von verschieden ist, so ergeben (I) eine von verschiedene Zeit und liefern demgemäß die Koordinaten des Punktes im System nicht zur Zeit , sondern zur Zeit . Um also die Koordinaten von im System zur Zeit festzustellen, muß noch die Lageänderung in der Zwischenzeit bis berücksichtigt werden.
Die beiden Spezialfälle, in denen die Materie entweder im System oder im System ruht, sind ausgezeichnet. Es ist dann die Zeit im System der Ruhe ohne Bedeutung, die Formeln (I) verbinden daher direkt die Anordnung der Materie in den beiden Systemen, wenn man von den beiden Formeln zwischen und jedesmal diejenige fortläßt, welche die Zeit für das System der Ruhe enthält, und wenn man zugleich in der anderen Formel für das System der Bewegung diejenige Zeit einsetzt, für welche man die Anordnung bestimmen will. Die Formeln zeigen, daß in diesen Spezialfällen die Materie im System der Bewegung mit der gleichmäßigen Geschwindigkeit in der Richtung oder in reiner Parallelverschiebung begriffen ist. Es folgt weiter, daß die Materie quer zur Bewegungsrichtung in beiden Systemen die gleiche Anordnung der Teile besitzt, daß sich aber parallel der Bewegungsrichtung gegenüber dem System der Ruhe eine Verkleinerung der Abstände im Verhältnis zeigt.
Unmittelbar ist hiernach ersichtlich, daß eine ruhende Kugel in einem der Lorentz-Systeme sich in jedem anderen als Heaviside-Ellipsoid darstellt.
Sehr einfach kann auch der Fall behandelt werden, wo die Materie sich zwar in beiden betrachteten Systemen, jedoch ohne relative Verschiebung der Teile und mit gleichmäßiger Geschwindigkeit in reiner Parallelverschiebung bewegt.
und seien die Geschwindigkeiten; für den Zusammenhang zwischen diesen und ihren Komponenten sind uns die Formeln (12) schon bekannt. Durch einfache Rechnungen, auf die nicht näher eingegangen werden soll, ergibt sich als Resultat Folgendes: Sind und die Koordinatendifferenzen für irgend zwei bestimmte materielle Punkte in den beiden Systemen, wobei sich für beide materielle Punkte auf den gleichen Zeitpunkt , und ebenso sich auf den gleichen Zeitpunkt beziehen, so ist:
(35) |
Hiernach findet sich jeder Querschnitt =const in einem Querschnitt = const in gleicher Anordnung der materiellen Teile wieder, es sind aber die verschiedenen Querschnitte dieser Art in den beiden Systemen und verschieden angeordnet, und zwar erscheinen sie beim Übergang von einem System zum anderen in ihren Ebenen parallel zueinander verschoben und überdies in andere Abstände voneinander gestellt. — Das Volumen entsprechender Teile ist infolge der Abstandsänderung der Querschnitte in den beiden Systemen verschieden. Nennen wir es bezüglich , so folgt nach den Formeln für sogleich:
(36) |
Besonders hervorgehoben mag noch werden, daß einem Heaviside-Ellipsoid in einem Lorentz-System auch in jedem anderen ein Heaviside-Ellipsoid entspricht. Um dies einzusehen, braucht man nur zu beachten, daß dem Heaviside-Ellipsoid in dem „Ruhsystem“, d.h. in dem Lorentz-System, in dem die Materie zu ruhen scheint, eine Kugel entspricht, und daß zu dieser wieder in jedem anderen System ein Heaviside-Ellipsoid gehört.
Im allgemeinen Fall, wenn die Bewegung sich ändert und wenn während der Bewegung im Kontinuum relative Verschiebungen stattfinden, gelten die Formeln (35) zwar noch, aber nur für Bereiche von unendlich kleinen Dimensionen und in Gebieten, in welchen die etwaigen Verzerrungen der materiellen Teile infolge der Bewegung nur stetig von Ort zu Ort sich ändern. Auf den Beweis soll hier nicht eingegangen werden. In einem Gebiet der angegebenen Art möge ein beliebiger materieller Punkt und für ihn bestimmter Augenblick des Bestehens herausgegriffen werden. Dieser Augenblick werde, im System durch , im System durch bezeichnet. Die Werte und die beiden räumlichen Lagen von in den beiden Systemen sind dann durch die Formeln (1) miteinander verbunden. In der Umgebung von werde ein gewisses unendlich kleines Bereich von Materie abgegrenzt. Dieses habe im System zur Zeit das Volumen , im System zur Zeit das Volumen . und seien die Geschwindigkeiten in den beiden Systemen in dem erwählten Zeitmoment , dann gilt gemäß (36) der Satz:
(37) |
Wie ersichtlich, haben wir hier eine „Invariante“ der Lorentz-Transformationen vor uns; man könnte sie „Ruhvolumenelement“ nennen, denn sie gibt das Volumenelement in demjenigen Lorentz-System an, in welchem das betrachtete Element der Materie zu ruhen scheint.
An den Satz (37) knüpft sich die Transformation der „Dichte“. Ist die „Menge“ der Materie oder der Elektrizität usw. in , so muß sie in sich wiederfinden, da ja die gleiche Materie usw. umfassen soll. Bezeichnen also und die Dichten, so muß gelten: , woraus für die Transformation der Dichte folgt:
. | (38) |
Bei Untersuchung der Ausbreitung von Erregungen, wie Schall, Licht usw., ist die Ausbreitung relativ zum Koordinatensystem und relativ zur Materie zu unterscheiden. Es soll hier nur der Fall behandelt werden, wo die Ausbreitung in ruhender Materie nach allen Seiten mit gleichmäßiger Geschwindigkeit erfolgt. Es genügt auch, wenn wir weiter noch annehmen, daß ein einziges, punktförmiges Zentrum gegeben ist, von dem die Erregung ausgeht.
Die Ruhe der Materie kann sich nur in einem einzigen der Lorentz-Systeme zeigen. Die Koordinaten in diesem Systeme sollen mit bezeichnet werden. Wir fragen nun nach dem Anblick des Phänomens in irgendeinem anderen System und wählen dazu das System aus, welches mit dem Ruhsystem durch die Formeln (1) verbunden ist. In ihm scheint die Materie sich in reiner Parallelverschiebung mit der gleichmäßigen Geschwindigkeit in der positiven -Richtung zu bewegen. — Es ist erlaubt und bequem, in Gedanken die Ausbreitung der Erregung zu ersetzen durch die Emission besonderer materieller Teilchen, die im Ruhsystem vom Zentrum nach allen Seiten mit der gleichen Geschwindigkeit geradlinig ausgesandt werden. Die Bahnen der emittierten Teilchen geben dann sowohl im System der Ruhe als im System der Bewegung die „Strahlen“ an, die geradlinig erscheinen. Wird noch berücksichtigt, daß die Geschwindigkeiten der emittierten Teilchen, also auch die Geschwindigkeiten in den Strahlen durch die uns schon bekannten Formeln (12) verknüpft sind, so ist das Problem leicht zu behandeln. Ich gebe ohne Beweis die Hauptresultate an.
Als „Wellenfläche“ bezeichnen wir diejenige Fläche, welche von der Erregung in einem bestimmten Zeitpunkt , bezüglich des betreffenden Lorentz-Systems erreicht wird. Im Ruhsystem setzen wir gleichmäßige Geschwindigkeit voraus, die Wellenflächen sind also hier kugelförmig. Ist die Geschwindigkeit, so hat die Wellenfläche zur Zeit nach der Erregung den Radius
. | (39) |
Im System , wo die Materie sich mit der Geschwindigkeit parallel bewegt, erscheinen die Wellenflächen als Rotationsellipsoide mit der Figurenachse parallel der Bewegungsrichtung. Ist die Zeit seit dem Ausgang der Erregung vom Zentrum verflossen, so haben die Halbachsen des Ellipsoides die Größen:
(40) |
Die Abplattung in geodätischem Sinne ist also:
(41) |
Es muß nun noch die Lage der Wellenfläche in bezug auf die Bewegungsrichtung , also festgestellt werden.
mit den Koordinaten , , sei der Raumpunkt im System , von dem vor der Zeit jene Erregung ausging, deren Ort in den Formeln (40) dargestellt ist, sei der materielle Punkt, der damals in lag, der also als Ausgangspunkt in der Materie erscheint. Nach dieser Bezeichnungsweise hat dauernd dieselben Koordinaten , während zur Zeit die Koordinaten , besitzt. — Es bestehen nun folgende Sätze:
Zur Zeit erscheint der Mittelpunkt der Wellenfläche (40) gegenüber dem Ursprung im Koordinatensystem um
(42) |
und gegenüber dem Ursprungsort in der sich bewegenden Materie um
(43) |
parallel der positiven -Richtung verschoben. —
Nach (41) ist die Abplattung der Wellenflächen am stärksten für verschwindende Ausbreitungsgeschwindigkeit der Erregung und hat hier die Größe:
(44) |
Der geometrische Mittelpunkt der Wellenfläche (40) fällt nach (42) im allgemeinen nicht in den Ursprungsort der Erregung im Koordinatensystem (also in ), auch liegt er nach (43) im allgemeinen nicht in dem materiellen Teilchen (), wo die Erregung entsprang. In bezug auf das Koordinatensystem betrachtet (zu vergleichen Formel (42)) erscheint die Erregung von der Materie mitgeschleppt, wenn auch nicht mit der vollen Geschwindigkeit ; in bezug auf die Materie betrachtet (zu vergleichen Formel (43)), erscheint sie zurückzubleiben. In dem einen Grenzfall, wenn die Erregungsgeschwindigkeit verschwindend klein ist, scheint die Erregung sich vollständig mit der Materie mitzubewegen, im anderen Grenzfall, wenn die Erregungsgeschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit erreicht, scheint die Erregung an der Bewegung der Materie gar keinen Anteil zu haben.
Die Lorentz-Transformation ist für elektrodynamische Probleme erfunden worden. Das Wesentliche ergibt sich, wenn zu den Transformationsformeln für Zeit und Raum noch solche für die Felderregungen hinzugenommen werden.
Die elektrodynamischen Feldgleichungen lauten:
(45) |
Wendet man hier die Transformation für Raum und Zeit an und betrachtet dabei die Menge der Elektrizität als invariant, so daß für die Transformation von die Gleichung (38) anzunehmen ist, setzt man ferner noch mit Lorentz für die Transformation von und :
(46) |
so liefern die Gleichungen (45) für das System die Feldgleichungen:
(47) |
Diese transformierten Feldgleichungen sind den Ausgangsgleichungen genau gleich; es besteht also der folgende außerordentlich wichtige Satz, dem die Lorentz-Transformation ihre Bedeutung verdankt:
Ein jeder elektrodynamische Vorgang wird in den verschiedenen Lorentz-Systemen durch Feldgleichungen genau derselben Form beschrieben.
Denkt man an die Auffassung der Lorentz-Transformation als Zuordnung eines Vorgangs zu einem andern bei festgehaltenem Raum-Zeit-Kordinaten-System, so kann man auch sagen: Zu jedem elektrodynamischen Vorgang lassen sich unendlich viele andere Vorgänge so zuordnen, daß der Verlauf aller im gleichen Raum-Zeit-System durch Lorentz-Transformationen verknüpft ist.
Für uns ist es besonders wichtig, in dem so verbundenen Raum-Zeit-Koordinaten-System oder in den so verbundenen Vorgängen die bewegenden mechanischen Kräfte zu vergleichen.
Da wir in jedem Fall die verglichenen Systeme als formal gleichwertig ansehen, müssen wir bei der angenommenen Invarianz der Elektrizität für die Newtonschen Kräfte setzen:
(48) |
Wendet man nun die Transformationsformeln (46) an, so folgen für den Zusammenhang von und die Formeln (33), (34):
Es transformieren sich also die Newtonschen Kräfte elektrodynamischen Ursprungs genau so wie die Newtonschen Kräfte an Massenpunkten, deren Masse gemäß den Gesetzen (21) von der Geschwindigkeit abhängt, und deren Ruhmasse invariant ist.
An diesen Satz schließen sich Folgerungen von großer Tragweite für die Theorie der Elektronen, und dann weiter für die Relativitätstheorie. Wir gewinnen sie durch Behandlung des speziellen Falles der freien Bewegung eines Elektrons, das keine andere als elektrodynamische Masse besitzt.
Das Feld, welches das Elektron selbst erregt, trennen wir mathematisch als „Eigenfeld“ ab. Was dann übrig bleibt, soll „Außenfeld“ heißen. Das wirklich bestehende Feld erscheint dann als Superposition des Außen- und des Eigenfeldes. Die Dimensionen des Elektrons sollen gegenüber der Inhomogenität des äußeren Feldes so klein angenommen werden, daß bei der Beurteilung der mechanischen Einwirkung des Außenfeldes auf das Elektron mittels der Formeln (48) das Elektron als punktförmig angesehen werden darf. Für das innere Feld ist dieses durchaus nicht erlaubt, da sich dann unendlich große Masse ergeben würde. Bei der Beschleunigung des Elektrons entstehen wegen des Eigenfeldes widerstehende Kräfte, die einer „Trägheit“ gleichkommen und eben deshalb darf von elektromagnetischer Masse gesprochen werden. Ist keine andere Trägheit wirksam, so muß sich eine jeweilige Beschleunigung des Elektrons solcher Art einstellen, daß die Summe der elektrodynamischen Trägheitskräfte mit der durch (48) dargestellten Einwirkung des Außenfeldes gerade im Gleichgewicht ist. Damit die dabei vorausgesetzte Zusammenfassung der äußeren mechanischen Kräfte stattfinden kann, muß man sich das Elektron als „fest“ vorstellen.
Nun möge die Lorentz-Transformation für Vorgänge oder für Raum und Zeit angewendet werden. Dann ändern sich wirklich oder nur formal äußeres Feld, Gestalt des Elektrons, inneres Feld und Bewegungszustand. Die Ladung aber bleibt ungeändert. Da die Newtonschen Kräfte des Außen- und des Eigenfeldes in gleicher Weise transformiert werden, bleibt das Gleichgewicht bestehen. So zeigt uns die Transformation entweder einen neuen Fall einer freien Bewegung eines Elektrons oder eine Beschreibung seines Verhaltens in einem neuen Raum-Zeit-System. —
Worauf es uns hier ankommt, ist der Vergleich der elektrodynamischen Masse, welche ein und dasselbe Elektron zeigt, wenn es in verschiedenen Raym-Zeit-Systemen beurteilt wird. Zwei Lorentz-Systeme seien und . sei die Ladung; und mögen die Einwirkung des Außenfeldes darstellen. Wir betrachten einen Zeitmoment, in welchem das Elektron im System verschwindende Geschwindigkeit hat. Dann ist für dieses System, dem „Ruhsystem‘“, und diesen Augenblick nach (18), (26) und (48)
(49) |
Nun soll noch angenommen werden, daß das Elektron im Ruhsystem kugelig beschaffen sei. Es soll also in diesem System nur eine Funktion des Abstandes vom Mittelpunkt des Elektrons sein. — Dann ist die „Masse“ wegen des Eigenfeldes als gleich für alle etwaigen Bewegungsrichtungen anzusetzen, so daß
(50) |
sein muß, wobei eine „Masse“ und zwar die elektrodynamische Ruhmasse bezeichnet, welche allein durch die Beschaffenheit des Elektrons bestimmt wird. ist auch unabhängig davon, wie das äußere Feld beschaffen und wie demgemäß die mechanische Kraft gerichtet ist.
Im System sind die Beschleunigungen durch (31) und die mechanischen Kräfte des Außenfeldes, wie wir vorhin fanden, durch (34) bestimmt. Wegen der Beziehungen (50) gilt daher
(51) |
wobei die gleiche Größe wie in (50) bedeutet, also die Ruhmasse im zugehörigen Ruhsystem angibt. — Denkt man sich das elektrodynamische Außenfeld in immer neuer Verteilung, so wird ebenso wie , ebenso wie immer neue Werte annehmen, immer aber bleibt (50) und also auch (51) mit gleichem Wert gültig: (51) erscheint so für ein im Ruhsystem kugeliges Elektron als Bewegungsgleichung in den übrigen Lorentz-Systemen des Raumes und der Zeit. Das Elektron verhält sich also in diesen Systemen gerade so, als ob seine Masse von der Geschwindigkeit gemäß den Gesetzen (21) abhängt.
Will man diesem Satz nicht irrtümlich eine zu große Tragweite zuschreiben, so muß wohl beachtet werden, daß der Satz nur das Verhalten des Elektrons in den verschiedenen Lorentz-Systemen in einem Augenblick vergleicht, wo es im Ruhsystem kugelförmige Gestalt besitzt. Ändert also etwa das Elektron bei der Bewegung die Gestalt in irgendeiner Weise, so daß schon im nächsten Augenblick die Ruhgestalt nicht mehr kugelförmig ist, so wird unser Satz schon im nächsten Augenblick seine Anwendbarkeit verlieren. Einzig und allein in dem speziellen ausgezeichneten Fall, wo das Elektron seıne Gestalt stets gleichzeitig mit der Bewegung so ändert, daß die Gestalt in dem jeweiligen Ruhsystem (wo das Elektron eben die Geschwindigkeit 0 besitzt) kugelig und dabei den Maßzahlen nach von gleicher Größe ist, stellt die Formel (51) die allgemeine Bewegungsgleichung des Elektrons dar. Gerade diesen Fall nimmt die Relativitätstheorie an, — aber indem sie das tut, macht sie eine physikalische Hypothese, die nicht mehr in den Bereich der rein mathematischen Untersuchungen dieses ersten Teiles gehört.
§ 8. Relativitätsprinzip gegen Äther
Für die weiteren Darlegungen ist es wichtig, die verschiedenen einander entgegenstehenden Standpunkte kennen zu lernen; insbesondere ist festzustellen, wie einzelne Autoren dahin gelangen, aus den Relativitätsgesetzen einen Widerspruch gegen die Ätherhypothese abzuleiten. So sei es gestattet, hier einleitend einige Zitate voranzustellen.
Hören wir zunächst A. Einstein. In dem zitierten Jahrbuch der Radioaktivität usw. (Bd. 4, S. 412) schreibt er:
„Aber das negative Resultat des Experimentes von Michelson und Morley zeigte, daß in einem bestimmten Falle auch ein Effekt zweiter Ordnung (proportional ) nicht vorhanden war, trotzdem er nach den Grundlagen der Lorentzschen Theorie bei dem Versuche sich hätte bemerkbar machen müssen.
Es ist bekannt, daß jener Widerspruch zwischen Theorie und Experiment durch die Annahme von H. A. Lorentz und Fitzgerald, nach welcher bewegte Körper in der Richtung ihrer Bewegung eine bestimmte Kontraktion erfahren, formell beseitigt wurde. Diese ad hoc eingeführte Annahme erschien aber doch nur als ein künstliches Mittel, um die Theorie zu retten; der Versuch von Michelson und Morley hatte eben gezeigt, daß Erscheinungen auch da dem Relativitätsprinzip entsprechen, wo dies nach der Lorentzschen Theorie nicht einzusehen war. Es hatte daher den Anschein, als ob die Lorentzsche Theorie wieder verlassen und durch eine Theorie ersetzt werden müsse, deren Grundlagen dem Relativitätsprinzip entsprechen, denn eine solche Theorie lieBe das negative Ergebnis des Versuchs von Michelson und Morley ohne weiteres voraussehen.
Es zeigt sich aber überraschenderweise, daß es nur nötig war, den Begriff der Zeit genügend scharf zu fassen, um über die soeben Schwierigkeit hinwegzukommen. Es bedurfte nur der Erkenntnis, daß man eine von H. A. Lorentz eingeführte Hilfsgröße, welche er „Ortszeit“ nannte, als Zeit schlechthin definieren kann. Hält man an der angedeuteten Definition der Zeit fest, so entsprechen die Grundgleichungen der Lorentzschen Theorie dem Relativitätsprinzip, wenn man nur die obigen Transformationsgleichungen durch solche ersetzt, welche dem neuen Zeitbegriff entsprechen. Die Hypothese von H. A. Lorentz und Fitzgerald erscheint dann als eine zwingende Konsequenz der Theorie. Nur die Vorstellung eines Lichtäthers als des Trägers der elektrischen und magnetischen Kräfte paßt nicht in die hier dargelegte Theorie hinein; elektromagnetische Felder erscheinen nämlich hier nicht als Zustände irgendeiner Materie, sondern als selbständig existierende Dinge, die der ponderablen Materie gleichartig sind und mit ihr das Merkmal der Trägheit gemeinsam haben.“
In einem Vortrag auf der Naturforscher-Versammlung 1909 sprach A. Einstein[9]) folgende Gedanken aus:
„Unter Zugrundelegung der Ätherhypothese führte das Experiment dazu, den Äther als unbeweglich anzunehmen. Das Relativitätsprinzp besagt dann, daß alle Naturgesetze in bezug auf ein relativ zum Äther gleichförmig bewegte§ Koordinatensystem gleich seien den entsprechenden Gesetzen in bezug auf ein relativ zum Äther ruhendes Koordinatensystem . Ist dem aber so, dann haben wir ebensoviel Grund, uns den Äther als relativ zu ruhend vorzustellen, wie als relativ zu ruhend. Es ist dann überhaupt ganz unnatürlich, eines der beiden Krordinatensysteme , dadurch auszuzeichnen, daß man einen relativ zu ihm ruhenden Äther einführt. Daraus folgt, daß man zu einer befriedigenden Theorie nur dann gelangen kann, wenn man auf die Ätherhypothese verzichtet. Die das Licht konstituierenden elektromagnetischen Felder erscheinen dann nicht mehr als Zustände eines hypothetischen Mediums, sondern als selbständige Gebilde, welche von den Lichtquellen ausgesandt werden, gerade wie nach der Newtonschen Emissionstheorie des Lichtes. Ebenso wie gemäß letzterer Theorie erscheint ein nicht von Strahlung durchsetzter, von ponderabler Materie freier Raum wirklich als leer.“
In der in dem Vorwort zitierten Anklageschrift gegen den Äther schreibt N. Campbell auf S. 185, wo er von der Relativgeschwindigkeit zwischen dem angenommenen Äther und dem Beobachter spricht: „Wenn der Äther angesehen wird als der Körper, in welchem die elektrische Energie lokalisiert ist, so scheint es einleuchtend und einfach, die Punkte des Äthers, welche zur Definition der Geschwindigkeit nötig sind, zu identifizieren durch eben die Energie, welche sie enthalten. Dann würde die Geschwindigkeit des Äthers relativ zum Beobachter sich verschieden ergeben, je nachdem dieser den einen oder den anderen der elektrisch geladenen Körper ins Auge faßte, und sie würde in jedem Falle der Geschwindigkeit gleich erscheinen, welche der entsprechend geladene Körper relativ zum Beobachter zeigt.
§ 6. Dieses, denke ich, ist der einfache und einleuchtende Gesichtspunkt, welcher direkt zu dem Prinzip der Relativität geführt haben würde, hätte nicht der Gebrauch des Wortes ‚Äther‘ entgegengestanden....“
Und weiter lesen wir (S.189): „... Das System, in welchem elektromagnetische Energie lokalisiert ist, hört auf, ein einzelner Körper unabhängig von allen materiellen Körpern zu sein; es wird zu einer Vereinigung von Teilen, welche als zugehörig betrachtet werden müssen zu jedem einzelnen der sich bewegenden geladenen Körper. Wenn der geladene Körper in in gleichmäßiger Bewegung gegenüber dem Beobachter begriffen ist, so bewegt sich derjenige Teil des Äthers, in welchem seine Energie lokalisiert ist, mit derselben Geschwindigkeit relativ zum Beobachter.“
Hören wir noch, weshalb man nach N. Campbell eine andere Auffassung von der Individualität des Äthers nicht hegen dürfe (Seite 185):
„§ 7. Es ist sofort klar, daß, wenn es nicht erlaubt sein sollte, einen Punkt des Äthers durch die in ihm enthaltene Energie zu identifizieren, kein anderes Mittel der Identifikation sich darbieten würde. Alle optischen Phänomene beweisen, daß der Äther (außerhalb der materiellen Körper) vollkommen homogen ist, insoweit die Fähigkeit, Energie aufzunehmen, in Betracht kommt: die Geschwindigkeit der Strahlung ist geradlinig und gleichförmig, in welcher Richtung auch immer die Strahlung stattfinden möge.“
Einwände gegen diese Ausführungen von Einstein und Campbell werden in § 17 und § 19 gemacht werden.
Indem ich nun dazu übergehe, die verschiedenen Standpunkte zu formulieren, soll zunächst eine Hypothese vorangestellt werden, welche die Relativitätsgesetze zusammenfaßt. Ich möchte ihr folgende Fassung geben:
„Zu jeder Schreitung kann man ein System der Gleichzeitigkeit so aufstellen und die Längeneinheiten für die verschiedenen Richtungen so aufeinander beziehen, daß für die Beschreibung der uns bekannten Naturerscheinungen (mit Ausnahme vielleicht der Gravitation) alle Richtungen formal gleichwertig werden. Insbesondere erhalten dabei die elektrodynamischen Felderregungen im Raum frei von Materie für alle Richtungen der Maßzahl nach gleiche Ausbreitungsgeschwindigkeit.
Diesen Raum-Zeit-Systemen kann man für jede Schreitung die Zeit- und die Längen-Einheit so zuordnen, daß alle Systeme für die Beschreibung der Naturerscheinungen (wieder vielleicht mit Ausnahme der Gravitation) formal gleichwertig werden.“
Die so entstehenden Raum-Zeit-Systeme werden „Lorentz-Systeme“ genannt; sie schließen sich mathematisch zur „Lorentz-Gruppe“ zusammen.
„Formal“ soll hier heißen: „qualitativ und den Maßzahlen nach“. — Das besonders hervorgehobene Verhalten der elektrodynamischen Felderregungen im Raum frei von Materie zeichnet diese Erregungen vor allen übrigen Erregungen aus (z. B. auch vor den elektrodynamischen Felderregungen im Raum, der Materie enthält). — Wir werden bald erkennen, daß die Wahl der Schreitungen nicht völlig frei ist, daß vielmehr die Relativitätsgesetze an ein bestimmt abgegrenztes Gebiet der Schreitungen gebunden sind. Dieser Umstand wird sich als ein Fundament für alle weiteren theoretischen Untersuchungen erweisen. —
Die Relativitätsgesetze sind von H. A. Lorentz im Anschluß an das Ergebnis des Michelsonschen Versuches diskutiert worden. Sie verlangen für die Materie die Lorentz-Fitzgeraldsche Kontraktionshypothese; welche Annahmen man über die Wirkungsweise der Gravitation machen muß, ist zuerst ebenfalls von H. A. Lorentz untersucht worden. — Wie im Vorwort angekündigt, werde ich im folgenden die Annahme machen, daß die Relativitätsgesetze wenigstens bei Ausschluß der Gravitation der Wirklichkeit entsprechen.
An die Relativitätsgesetze knüpfen sich die Diskussionen, um die es sich für die vorliegende Arbeit handelt. Zwei Standpunkte der Auffassung mögen einander entgegengestellt und durch zwei „Prinzipien“ gekennzeichnet werden.
Das erste Prinzip nenne ich das bedingte Relativitätsprinzip. Es sagt aus: Die Relativitätsgesetze gelten mit folgenden weiteren Ausführungen: Es gibt einen Äther, dessen Eigenschaften und dessen Beziehungen zur Materie die Relativitätsgesetze zur Folge haben. Die Gleichwertigkeit der verschiedenen Richtungen in einem einzelnen Lorentz-System, außer in demjenigen der Ruhe gegen den Äther, und die Gleichwertigkeit der verschiedenen Lorentz-Systeme besteht nur formal, nicht physikalisch. Bei den Lorentz-Systemen bedeuten im allgemeinen gleiche Werte für die Zeit an den verschiedenen Orten nicht wirkliche, sondern nur scheinbare Gleichzeitigkeit. Beim Übergang eines materiellen Systems von einer Schreitung zur anderen, erleidet das System reale Änderungen der Dimensionen. — Bei diesem Übergang wird auch die Geschwindigkeit des Ablaufs entsprechender Vorgänge real geändert.
H. A. Lorentz hat in seinen grundlegenden Arbeiten stets nur an dieses Prinzip gedacht.
Das zweite Prinzip nenne ich das unbedingte Relativitätsprinzip. Es lautet: Die Relativitätsgesetze gelten mit den folgenden weiteren Ausführungen. Für das Weltgeschehen ist jedes der Lorentz-Systeme jedem anderen nicht nur formal, sondern physikalisch durchaus gleichwertig. Die Gleichzeitigkeit ist nur ein relativer Begriff, und es gibt daher in der Natur keine eindeutige Weltzeit. Jedes der Lorentz-Systeme ordnet die Ortszeiten in seiner besonderen Art zu einem System der Gleichzeitigkeit und also der Weltzeit zusammen, das den anderen Zusammenfassungen völlig gleichberechtigt ist. Es hat keinen physikalischen Sinn, von realen Änderungen der Dimensionen beim Übergang eines materiellen Systems von einem Bewegungszustand in einen anderen zu sprechen, weil jeder absolute Maßstab für den Vergleich fehlt. Der Anblick ändert sich, das ist alles, was gesagt werden darf. Hierdurch erklärt es sich, daß bei der Beobachtung in einem einzelnen Lorentz-System zwar scheinbar Dimensionsänderungen stattfinden, diese aber bei den verschiedenen gleichberechtigten Lorentz-Systemen bald als Ausdehnungen, bald als Verkürzungen sich darstellen, und zwar in allen möglichen Verhältnissen, von bis . — Ebensowenig hat es einen physikalischen Sinn, von realen Änderungen in der Geschwindigkeit des Ablaufs der Geschehnisse in einem materiellen System zu reden, wenn das System in eine andere Schreitung gebracht wird. Damit hängt es zusammen, daß diese Änderung der Geschwindigkeit sich in jedem anderen der gleichberechtigten Lorentz-Systeme anders darstellt. — Scheint das unbedingte Relativitätsprinzip zu Widersprüchen mit unserer gewöhnlichen Denkweise zu führen, so ist darin ein Mangel in unserer bisherigen Auffassung von Zeit und Raum zu erkennen. —
Es mag wohl sein, daß ich mit der obigen Formulierung des unbedingten Relativitätsprinzips den Standpunkt von A. Einstein und seiner Nachfolger nicht richtig wiedergegeben habe. Mit um so größerer Sicherheit kann ich aber aus persönlicher Erfahrung behaupten, daß viele der Leser den Eindruck gewinnen, als handele es sich um dieses Prinzip. Darauf aber kommt es an. So scheint es mir bei dem heutigen Stand der Diskussion über das Relativitätsgesetz von Wichtigkeit, wenn das bedingte und das unbedingte Relativitätsprinzip in ihrer Tragweite und ihren Folgerungen verglichen werden. Das wird in den folgenden Ausführungen geschehen.
Nach Kant sind Raum und Zeit Anschauungsformen des menschlichen Geistes, so daß wir alles Weltgeschehen nur in Raum und Zeit aufzufassen vermögen. Der heutige Naturforscher wird dieses gewiß anerkennen; indem er aber die fundamentale Hypothese einer Welt außerhalb des menschlichen Geistes annimmt, wird er wohl hinzufügen, daß Raum und Zeit auch objektiv zu dieser Außenwelt gehören, und daß sie Anschauungsformen des menschlichen Geistes gerade deswegen sind, weil der Mensch einen Teil der Welt bildet. Für den Naturforscher entsteht dann zwischen Raum und Zeit in der Welt und in der Vorstellung eine ähnliche Verbindung und auch ein ähnlicher Gegensatz, wie zwischen einem materiellen Ding in der Außenwelt und seinem Gedankenbild im menschlichen Geist. Geradeso, wie diesen Gedankenbildern, objektiv betrachtet, Unvollkommenheiten anhaften, könnte es auch mit unserer Raum-Zeit-Vorstellung der Fall sein; so muß damit gerechnet werden, daß unsere Auffassung von räumlichen und zeitlichen Vorgängen einmal Korrekturen verlangen könnte. Die Vertreter des unbedingten Relativitätsprinzips behaupten, daß diese Zeit gekommen sei.
Es sind mehrere Fragen, die durch die neueren Arbeiten über die Relativität der Naturvorgänge Bedeutung gewonnen haben.
Ich erinnere hier zunächst an Überlegungen, die im Anschluß an die Begriffe „groß und klein“ im Raum, sowie „lang und kurz” in der Zeit von den Philosophen seit alters her gern gemacht wurden. Wenn alles in der Welt, wir selbst mit, zwischen Einschlafen und Aufwachen in gleichen Verhältnissen beliebig vielmals größer oder kleiner geworden wäre: wir würden nichts davon merken. Und wenn das Weltgeschehen beliebig vielmals schneller oder langsamer vor sich ginge als vorher: auch das würde uns entgehen. — Für unsere Beurteilung von Raum und von Zeit fehlt uns eben jeder absolute Maßstab; alles, was wir tun können, ist „vergleichen“, und auch dieses ist uns nur möglich, wenn sich uns das zu Vergleichende unter gleichen Bedingungen beieinander darstellt. —
Eine der fundamentalen Fragen, die an uns herantreten, lautet, was „Gleichzeitigkeit" sei? Werden Vorgänge verfolgt, die in unmittelbar beieinander befindlichen Körpern vor sich gehen, so scheint es freilich ohne weiteres klar, daß das zeitliche Geschehen Moment für Moment aufeinander bezogen werden kann, — aber unsere Vorstellung wird sogleich unsicher, wenn die Körper auseinanderrücken. Welche Zeitpunkte sollen dann als ‚gleichzeitig‘ aufeinander bezogen werden? Jedenfalls wird eine Zuordnung nur erfolgen können, wenn irgendeine Verbindung hergestellt wird; aber läßt sich dieses, und zwar eindeutig tun? Die Anhänger des unbedingten Relativitätsprinzips werden es verneinen, und zwar mit der Begründung, daß die Gleichzeitigkeit gar kein absoluter, sondern nur ein relativer Begriff sei. Nach dieser Anschauung sollen Ereignisse, die von einem Standpunkt aus beurteilt als gleichzeitig erscheinen, von anderen ganz gleichberechtigten Standpunkten aus als ungleichzeitig sich darstellen können. Selbstverständlich würde zugleich auch der Begriff einer allgemein für alle Orte gültigen Weltzeit beseitigt. —
Denken wir an den Begriff des Raumes mit seinen drei Dimensionen, so entsteht sofort die Frage, wie Längen in verschiedenen Richtungen zu vergleichen seien. Für unsere Vorstellung sind die drei Dimensionen voneinander unabhängig. Wenn also zum Beispiel zwischen Einschlafen und Aufwachen alles in der Welt parallel einer Richtung gleichmäßig zusammengerückt oder auseinandergezogen würde, während in den dazu senkrechten Richtungen alles unverändert bliebe, und wenn nun das Weltgeschehen sich dieser Neuordnung ebenso wie der früheren anpaßte, so würden wir die Änderung gar nicht bemerken können. Ja, auch bei wachen Sinnen könnte uns die Änderung entgehen, wenn sie zum Beispiel während einer Bewegungsänderung aufträte, denn es wäre möglich, die etwa empfundenen Störungen als Begleiterscheinungen der Bewegungsänderung zu deuten. — Diese Übererlegungen werden zeigen, daß der Erfahrungssatz: „Jeder Körper, der nacheinander irgend zwei Lagen in Ruhe einnimmt und dabei frei seinen inneren Kräften folgen kann, zeigt in beiden dieselben Dimensionen“ nichts darüber aussagt, ob Änderungen der Dimension bei der Drehung stattfinden oder nicht. Der Satz behauptet vielmehr nur, daß alle materiellen Körper — die Maßstäbe sowohl, wie irgendwelche andere Körper —, wenn sie bei vorgegebenen Lagen zwischen bestimmten Punktenpaaren gleiche Abstände zeigen, dieses auch nach beliebigen Drehungen tun, sofern dabei die Punktepaare wieder in die zur einwandfreien Längenvergleichung erforderliche parallele Orientierung gebracht werden. —
Ganz besonders wichtig ist für uns weiter die Frage nach der Längenvergleichung bei verschiedenen Schreitungen. Wir können uns hier darauf beschränken, den Fall der Längenvergleichung parallel der Richtung der relativen Bewegung zu untersuchen. Es wird auch genügen, die Vorstellung speziell an zwei gleiche Stäbe irgendwelchen Materials zu knüpfen, und nur auf die ganzen Längen von Ende zu Ende zu achten. Wir wollen annehmen, daß die Stäbe genau gleiche Länge zeigen, wenn sie in relativer Ruhe aneinandergelegt werden. Nun mögen sie parallel der Längsrichtung in gleichmäßige, relative Bewegung gebracht werden, und zwar so, daß sie beide in gleichbleibender Schreitung verharren und dabei ohne jede Hemmung die den inneren Kräften entsprechenden Längen annehmen können. Wie kann dann festgestellt werden, ob die Längen nun noch gleich oder etwa verschieden sind? Die alltägliche Übung wird schnell eine Antwort bereit haben, etwa diese: „Die Längen sind dann gleich oder ungleich, wenn die entsprechenden Enden gleichzeitig oder ungleichzeitig aneinander vorübergehen.“ Sofort erkennen wir aber, daß hier als bekannt angenommen wird, was „gleichzeitig“ ist, und es wird klar, daß die beiden Probleme der Beurteilung der Gleichzeitigkeit und der Vergleichung der Längen bei verschiedenem Bewegungszustand unmittelbar zusammenhängen. Hier sehen wir auch ein Band sich knüpfen, das Zeit- und Raumauffassung miteinander verbindet.
Zur Vereinfachung der Darstellung wollen wir uns auf einem Weltkörper wohnend denken, der außer dem Bereich merklicher Einwirkung von anderen Körpern ist und auch keine Drehung ausführt. Sein Bewegungszustand ist also eine gleichbleibende Schreitung und scheint relativ zu jedem anderen materiellen System gleichartigen Bewegungszustandes als gleichmäßige Parallelverschiebung. Der Weltkörper mag „isolierte Erde“ genannt werden. Es wird für unsere Zwecke oft genügen, wenn nur eine einzige der drei räumlichen Dimensionen beachtet wird; als solche soll stets die -Richtung gewählt werden. Dann sind alle Längen, alle Entfernungen, alle Geschwindigkeiten, von denen gesprochen wird, parallel dieser -Richtung zu denken.
Wir müssen als möglich ansehen, daß unsere Maßstäbe bei der Änderung ihrer Schreitung und ihrer Orientierung ihre Dimensionen ändern. Für die Messung entsteht dabei keine Schwierigkeit, wenn man darauf achtet, daß der Bewegungszustand bei der Messung selbst stets der gleiche ist. Dies geschieht zum Beispiel, wenn der Maßstab bei der Messung in Ruhe gegenüber der Erde gehalten wird. — Hiernach können wir annehmen, daß für das betrachtete materielle System (die isolierte Erde) das System der Raumkoordinaten völlig bestimmt ist, wenn der Koordinaten-Anfangspunkt und die Längeneinheit festgesetzt sind.
Es kann und soll angenommen werden, daß Uhren genau gleichen Ganges zur Verfügung stehen, die an den verschiedenen Stellen des materiellen Systemes (der isolierten Erde) aufgestellt werden können. Dann ist es ohne weiteres möglich, den Ablauf der Zeit an den verschiedenen Orten des materiellen Systemes in der gleichen Zeiteinheit zu verfolgen. Offen bleibt aber die Frage, welche Zeitpunkte an den verschiedenen Orten als gleichzeitig gelten sollen.
Vorerst mag bemerkt werden, daß die Beurteilung der Konstanz einer Geschwindigkeit parallel irgendeiner Richtung etwa der -Richtung, ohne alle theoretischen Bedenken geschehen kann. Für die Ausbreitung von Erregungen (Schall, Licht usw.) ist dies sogleich klar, denn sobald die physikalischen Bedingungen auf dem Wege gleichgemacht werden, darf eine gleichgemäßige Fortbewegung angenommen werden. Die Behauptung gilt aber auch für die Bewegung materieller Körper. Handelt es sich zum Beispiel um einen relativ zur isolierten Erde sich bewegenden Körper, so genügt es, wenn in den verschiedenen passierten Orten an den dort aufgestellten Uhren diejenigen Zeitintervalle beobachtet und gleichgefunden werden, in welchen zwei am bewegten Körper selbst angebrachte Marken nacheinander eintreffen.
Es finde nun irgendeine gleichmäßige Bewegung einer Erregung oder eines Körpers parallel statt. Die Zeitpunkte des Eintreffens bei den verschiedenen Ordinaten , , seien , ....., wenn sie den zunächst irgendwie eingestellten Uhren daselbst abgelesen werden. Dann ist zu schließen, daß als gleichzeitig nur solche Zeitpunkte gelten können, die durch
zusammengefaßt sind, wobei eine für alle Orte (0), (1), (2), .... gleiche Konstante darstellt. bedeutet den reziproken Wert der uns unbekannten relativen Geschwindigkeit. Durch das angenommene Experiment wird also die Unsicherheit in der Feststellung der Gleichzeitigkeit für das materielle System auf Unbestimmtheit eines einzigen Konstanten zurückgeführt.
Die Uhren mögen nun so eingestellt werden, daß sie alle bei der Wiederholung des Experimentes genau gleichen Stand für das Eintreffen des Körpers oder der Erregung zeigen. Dann ist ein alle Punkte umfassendes Zeitsystem festgesetzt; sei die so bestimmte Zeit. Dieses Zeitsystem erfüllt aber jedenfalls nicht die Bedingung, daß gleiche Zeitmomente an den verschiedenen Orten durch gleiche Werte von angegeben werden. Fand zum Beispiel die Bewegung des Körpers oder der Erregung in der Richtung der wachsenden statt, so ist sicher, daß das Zeitsystem Angaben macht, die nach der Seite der wachsenden hin verfrühte und nach der Seite der abnehmenden z hin verspätete Zeitpunkte bezeichnen. — Ein Zeitsystem , das Gleichzeitigkeit durch gleiche Angaben kennzeichnen soll, muß mit durch die Beziehung
(52) |
zusammenhängen. Jedes der physikalisch möglich scheinenden Zeitsysteme wird durch einen bestimmten Wert der Konstanten angezeigt. Fand bei dem Experiment zur Herstellung des Zeitsystems die Bewegung in der positiven Richtung von statt, so muß jedenfalls sein. — Nun werde ein zweites Experiment zur Hilfe genommen, bei dem der Körper oder die Erregung entgegengesetzt der Richtung wie beim ersten Experiment läuft. Dann ergibt die Beobachtung den Zeitpunkt des Passierens der verschiedenen Ordinaten , wie sofort ersichtlich, eine obere Grenze für den Wert von . Die Unsicherheit der Feststellung eines Zeitsystems , welches Gleichzeitigkeit durch gleiche Angaben darstellen soll, erscheint so nach beiden Seiten hin in Grenzen eingeschlossen. Man wird auch ohne weiteres erkennen, daß die Grenzen sich um so mehr verengern, je größere Geschwindigkeiten des Körpers oder der Erregung zu Hilfe genommen werden. In der Formel (52) drückt sich dieses dadurch aus, daß immer näherliegende Wertepaare gefunden werden, zwischen denen liegen muß.
Zur weiteren Erläuterung dieser Erwägungen können noch folgende Bilder dienen. Es möge der Schall in Luft zur Zeitübertragung verwendet werden. Zwei Orte und im Abstand von 333 m, mit , mit =333 m werden gewählt. Man schickt den Schall erst von nach , dann umgekehrt. Es kann dabei vorteilhafterweise die Reflexion in benutzt werden, wodurch beide Experimente unmittelbar aneinander geschlossen werden. Der Schall trifft in diesem Fall 2 Sekunden, nachdem er von ausging, wieder dort ein. Der Zeitpunkt in , der dann als gleichzeitig gelten kann mit demjenigen Zeitpunkt , in welchem der Schall in eintrifft und reflektiert wird, muß jedenfalls in jenem Zeitintervall von 2 Sekunden liegen, das durch Aussenden und Wiedereintreffen des Schalles in abgegrenzt wird. Für den Wert von in (52) ergibt sich so ein offenes Intervall von
Wird statt der Schallausbreitung in Luft etwa diejenige in Eisendrähten benutzt, so reduziert sich die Unsicherheit auf 2 Sekunden in erst 5 km Abstand, das Intervall für wird also ca. 15 mal enger. Die schnellste von Menschen beobachtete Bewegung ist die des Lichtes im leeren Raum; wird sie für die Zeitübertragung verwertet, so bleibt als Unbestimmtheit in der Feststellung der Gleichzeitigkeit für einen Abstand von 150 Kilometer nur noch Sekunde. Dies nun ist die Unbestimmtheit, an welche die Theorie der Relativität geknüpft ist. Wie mir scheint, wird bei den heutigen Diskussionen nicht immer genügend auf die Kleinheit des offen bleibenden Intervalls geachtet. Manch einer, der sich jetzt den neuen Vorstellungen über die Relativität der Zeit zuneigt, weil er neue philosophische Perspektiven sich öffnen sieht, wird vielleicht stutzig werden und viel des Interesses verlieren, wenn er sieht, wie enge die Grenzen sind, welche seiner Phantasie gesteckt werden. Er wird nun vielleicht williger werden, es auffällig zu finden, daß die Verknüpfung von Zeit und Raum gerade durch die Lichtbewegung definitive Grenzen finden solle, und wird der Frage leichter sein Ohr leihen, was die Lichtbewegung hier für einen prinzipiellen Vorrang zum Beispiel vor der Schallbewegung haben solle? —
Die so erweckten Bedenken mögen uns weiterhin begleiten, wir dürfen ihnen aber noch nicht Raum geben. Wir wollen nur beachten, daß das unbedingte Relativitätsprinzip behauptet, es handele sich bei dem durch die Lichtübertragung offen gelassenen Intervall nicht nur um eine Unsicherheit, welche der hier angenommenen Methode der Zeitbestimmung zur Last zu legen ist, sondern um eine Unbestimmmtheit, die in dem Wesen der Zeit selbst begründet ist. Danach sollen nämlich alle Zeitsysteme des noch offen bleibenden Bereiches für das Weltgeschehen gleichwertig sein. — Da wir uns noch nicht für eine bestimmte Stellungnahme entscheiden, so begnügen wir uns mit der Feststellung, daß nach den besprochenen Beobachtungen in (52) die Konstante innerhalb eines gewissen Intervalles unbestimmt bleibt. Weil die Elektrodynamik aus unseren Betrachtungen zunächst ausgeschaltet werden soll, also das Licht nicht zu Hilfe genommen werden darf, möge jede nähere Angabe über die Abgrenzung des offenen Intervalles fürs erste noch vermieden werden.
Wir wollen aber annehmen, daß der Beobachter, den wir uns auf der isolierten Erde denken, darauf ausgeht, die Gleichzeitigkeit mit neuen Hilfsmitteln genauer festzustellen. Er beginnt damit, gegenüber der isolierten Erde „gleiche Geschwindigkeiten nach entgegengesetzten Seiten (in der und -Richtung) herzustellen. Dazu bieten sich ihm sogleich 3 Methoden, die als „Erregungsmethode“ „Schleudermethode“ und „Längenmethode“ bezeichnet werden sollen. Bei der Erregungsmethode wird angenommen, daß Erregungen (wie Schall und Licht) unter sonst gleichen physikalischen Bedingungen nach den beiden entgegengesetzten Seiten mit gleicher Geschwindigkeit laufen. — Die Schleudermethode setzt voraus, daß gleiche Körper, die nach entgegengesetzten Richtungen durch gleiche Mittel in Bewegung gesetzt werden, gleiche relative Geschwindigkeiten erlangen. — Die Längenmethode endlich nimmt an, daß gleiche relative Geschwindigkeiten angezeigt werden, wenn bei der nacheinander erfolgenden Bewegung desselben Körpers (etwa eines Stabes) in gleicher Orientierung nach den beiden entgegengesetzten Richtungen jene beiden Zeitintervalle einander gleich sind, in welchen zwei bestimmte Stellen des Körpers (etwa die Enden des Stabes) aufeinander folgend an einer Marke auf der isolierten Erde vorübergehen. Nach den Gesetzen der Relativität nehmen wir an, daß zwei entgegengesetzt gerichtete Geschwindigkeiten, die nach einer der drei Methoden als gleich erscheinen, es stets auch nach den beiden anderen tun. Dem Beobachter auf der isolierten Erde wird es dann möglich scheinen, die Gleichzeitigkeit in aller Schärfe festzustellen zustellen oder wenigstens zu definieren. Als besonders bequem für die theoretischen Überlegungen bietet sich folgendes Verfahren. Es handele sich um die beiden Orte und . Zwei Erregungen (oder zwei Körper) von entgegengesetzt gleicher Geschwindigkeit werden so ausgesandt, daß sie gleichzeitig passieren, die eine von kommend, dıe andere nach gehend. Dann erscheint der so für bestimmte Zeitpunkt als gleichzeitig mit demjenigen Zeitpunkt in , der gerade in der Mitte des Intervalles liegt, in dem von den beiden Erregungen (oder Körpern) passiert wird.
Ein Beobachter, der nicht über die gewöhnliche Erfahrung hinaus denkt, wird so glauben können, er habe die Gleichzeitigkeit in einem allgemein für die Welt gültigen Sinne festgestellt und habe also die Grundlagen für den Aufbau einer natürlichen eindeutigen Weltzeit gewonnen. Wer weiter denkt, wird sich freilich sagen müssen, daß es dem Menschen ja nicht gegeben ist, alle Dinge der Welt zu erkennen und alle Zusammenhänge zu überblicken, und wird daher Zweifeln Raum geben. Damit ist er dann zum Scheideweg gelangt. Der eine Wegweiser lautet: „bedingtes Relativitätsprinzip“ mit dem Endziel „Äther“, der andere: „unbedingtes Relativitätsprinzip“ mit dem Endziel „Zeit als nur relativer Begriff“. – Verfolgen wir zunächst den Weg „bedingtes Relativitätsprinzip“. Der Beobachter überlegt bei sich, daß außer den Dingen, die er grob-sinnlich kennen lernt, noch andere nicht so offensichtliche auf seine Experimente Einfluß haben könnten. So wird für ihn die Frage auftauchen, ob die als „entgegengesetzt gleich“ sich darstellenden Geschwindigkeiten denn auch wirklich so weit als gleich gelten können, daß die Annahme erlaubt ist, gleiche Strecken würden in gleicher Zeit durchlaufen? Ein sehr naheliegendes Beispiel kann ihn in seinen Bedenken bestärken: Weht ein Wind, so ist die Zeit, die der Schall zwischen zwei Punkten braucht, für die beiden Richtungen durchaus nicht gleich groß. — Wenn also irgend etwas bei den Experimenten mitwirkte, was einseitig die Geschehnisse beeinflußte, so müßte der Beobachter seine zunächst gefaßte Meinung, die wirkliche Gleichzeitigkeit gefunden zu haben, fallen lassen.
Wir wollen annehmen, daß der Beobachter dies bedenkt und sich darum entschließt, einen Kontrollversuch zu machen. Zu dem Zweck begibt er sich von der isolierten Erde auf ein anderes materielles System, was gegen die isolierte Erde in gleichmäßiger Parallelverschiebung begriffen ist. Es handelt sich ja nur um ja um gedachte Experimente rein theoretischer Bedeutung, so können wir zur Unterstützung der Anschauung annehmen, daß es sich um einen zweiten Weltkörper der gleichen Art wie die isolierte Erde handelt, oder auch, was für unsere Darstellung bequemer ist, daß das zweite System einen Eisenbahnzug auf der isolierten Erde darstellt, der ohne jede Erschütterung dahinfährt. Dieses zweite Bild mag hier festgehalten werden. — Auf der „Eisenbahn“ wiederholt unser Beobachter alle Operationen zur Feststellung der Gleichzeitigkeit. Dazu werden zunächst an den verschiedenen Orten im Zuge gleiche Uhren aufgestellt usw. Der Beobachter wird nun so urteilen: Wäre es erlaubt, in der Welt ein materielles System, wie die „isolierte Erde“ oder den „Eisenbahnzug“ als etwas schon in sich Selbständiges zu betrachten, so müßten die beiden gewonnenen Zeitsysteme in bezug auf die Gleichzeitigkeit genau übereinstimmen; bei passender Wahl der Zeiteinheiten müßten sie überhaupt identisch werden. Um im Falle der isolierten Erde und des Eisenbahnzuges die Probe zu machen, ist jede der Uhren auf dem Zuge stets mit denjenigen Uhren auf der isolierten Erde zu vergleichen, an denen sie gerade vorbeifährt, das heißt, mit denen sie gerade am gleichen Ort in der Gesamtwelt ist. Wir nehmen die Gültigkeit der im vorigen Paragraphen definierten Relativitätsgesetze an, daher ist zu schließen, daß als Resultat der Probe sich ein Widerspruch zwischen den beiden Systemen der „Gleichzeitigkeit“ ergeben wird. Der Beobachter wird hierin eine Bestätigung seiner Bedenken erblicken, und nun nach dem Element in der Welt außer der für seine Sinne wahrnehmbaren Materie suchen, was, unabhängig von dieser, das Weltgeschehen beeinflußt und so bewirkt, daß die verwerteten Methoden zur Herstellung entgegengesetzt gleicher Geschwindigkeiten doch nicht Relativgeschwindigkeiten ergeben, die für den Verlauf der Zeit gleichwertig sind. —
Ganz anders werden die Überlegungen, wen unser Beobachter am Scheideweg den Weg ah unbedingten Relativitätsprinzip einschlägt. Auch er wird sich bewogen finden, den oben beschriebenen Kontrollversuch zu machen, er wird sein Resultat aber anders deuten und wird etwa in folgender Art schließen: Da die Beobachtung nun nicht mehr von der isolierten Erde, sondern von der Eisenbahn aus erfolgt, so ist der Standpunkt wesentlich geändert, von den aus das Weltgeschehen beurteilt wird. So ist auch das Urteil über die Vorgänge auf der isolierten Erde nun ein anderes als vorhin. Die Änderung des Standpunktes zeigt sich ja deutlich darin, daß die isolierte Erde sich relativ zum Beobachter bewegt. Dies aber gibt eine Einseitigkeit in der Beurteilung der Vorgänge auf ihr; damit erklärt es sich, daß die beiden Relativgeschwindigkeiten, die von der isolierten Erde aus beurteilt als gleich gelten müssen, nun doch nicht mehr als gleichwertig für die Zeitanschauung des Beobachters auf der Eisenbahn angesehen werden können. Aus der Verschiedenheit der Ergebnisse über die Gleichzeitigkeit ist demgemäß zu folgern, daß die Gleichzeitigkeit kein absoluter Begriff ist, sondern sich stets anders darstellt, wenn der Beobachter selbst von einem Bewegungszustand zu einem anderen übergeht. —
Der Beobachter auf dem Weg zum bedingten Relativitätsprinzip wird gegen diese Schlüsse einwenden, daß es nicht gerechtfertigt scheint, nun mit einem Male dem menschlichen Geist ein Urteil über das Wesen der Zeit abzustreiten, denn darauf käme es hinaus, wenn man ein und dieselben Ereignisse bald als gleichzeitig, bald als ungleichzeitig erklären solle. Die Annahme, daß in der Außenwelt etwas vorhanden sei, was unabhängig von der Materie und ihren Bewegungen wäre, sei einfach und naturgemäß. — Der Beobachter auf dem Weg zum unbedingten Relativitätsprinzip wird dagegen sagen, daß die letztere Annahme keineswegs natürlich, sondern künstlich sei, da gar kein Anzeichen für dieses hypothetische ‚Etwas‘ vorhanden sei. Die Annahme, daß der menschliche Geist in seiner bisherigen Übung den Begriff der Zeit nicht erschöpfend erfaßt habe, sei angesichts der Beobachtungsergebnisse sehr naheliegend und entspreche der Erfahrung, daß der Mensch oft genug sich genötigt gesehen hat, seine Anschauungen über das Weltgeschehen zu wechseln. —
So ist denn die Streitfrage nun aufgeworfen; wir werden unsere Aufgabe zunächst darin sehen, nach weiterem Beobachtungsmaterial für ihre Bearbeitung zu suchen.
Welcher Art der Anschauung man sich auch zuwenden will, jedenfalls ist durch die Beobachtungen, deren Übereinstimmung mit den Relativitätsgesetzen wir annehmen, klargestellt, daß bei der Bestimmung der Gleichzeitigkeit ein gewisser Bereich noch offen bleibt. Es soll jetzt nur noch mit solchen Zeitsystemen gerechnet werden, die innerhalb dieses offenen Bereiches liegen, die also den Ortszeiten eine möglich erscheinende Gleichzeitigkeit zuordnen. und seien die Zeiten an den Orten der -Achse auf der „isolierten Erde“ in zwei solchen Zeitsystemen, dann müssen sie nach den Überlegungen des vorigen Paragraphen, wenn noch verschiedene Zeiteinheiten zugelassen werden, durch die Beziehung
(53) |
verbunden sein. bedeutet hier eine für uns gleichgültige Konstante, die von der Wahl der Anfangspunkte für die Zeit abhängt. wird durch die Wahl der Zeiteinheiten bestimmt und kann jeden beliebigen positiven Wert erhalten. ist nach den früheren Darlegungen in einem engen Bereich eingeschlossen, welcher durch einen gewissen positiven und einen gewissen negativen Wert abgegrenzt wird. kennzeichnet den Ort in dem materiellen Bezugssystem (etwa auf der isolierten Erde), in welchem die Zeitbestimmungen stattfinden. Das materielle System dient hier genau betrachtet nur zur Festlegung jenes Koordinatensystems, von dem wir die -Achse betrachten. Man kann also auch sagen, daß die Koordinate in einem Bezugssystem sei, von dem eine überall gleiche und gleichbleibende Schreitung angenommen wird. Bei Auflösung von (53) folgt:
, | (54) |
wobei
, | (55) |
ist.
sei die relative Geschwindigkeit parallel der -Achse eines Körpers gegen das materielle System, bezüglich gegen das Koordinatensystem bei Zugrundelegung des Zeitsystems , die entsprechende Geschwindigkeit für das Zeitsystem . Der Zusammenhang von mit ergibt sich, wenn beachtet wird, daß zum Zeitintervall die Verschiebung gehört, also nach (53) auch das Zeitintervall
. | (56) |
Es folgt wegen
. | (57) |
Es ist unsere Annahme, daß Änderungen der Dimensionen eintreten oder doch einzutreten scheinen, wenn die Schreitung eines Körpers sich ändert. Dieses Phänomen soll nun näher untersucht werden. Wir wählen einen Stab, der parallel der -Richtung gehalten wird. Seine „Ruhlänge“ (das heißt seine Länge im Falle der Ruhe gegenüber dem Koordinatensystem) ist ohne theoretische Bedenken zu bestimmen; sie sei . sei die Länge bei der Geschwindigkeit bezüglich , wenn sie im Zeitsystem beurteilt wird, die entsprechende Länge, wenn das Zeitsystem zugrunde gelegt wird. gibt dann den Abstand zweier Punkte im materiellen Bezugssystem an, die von den beiden Enden des Stabes im System „gleichzeitig“ eingenommen werden; hat gleiche Bedeutung für das System . Um den Zusammenhang zwischen und anzugeben, nehmen wir an, der Stab bewege sich in der Richtung der zunehmenden , es sei also positiv. Der Zeitmoment werde ins Auge gefaßt, wo das hintere Ende des Stabes im Koordinatenanfangspunkt liegt, wo also für dieses Ende ist. Dabei sei und ; es liegt dann das vordere Stabende für bei , und für bei . Wegen (53) ist und gehört zu und der Wert , so daß . Die Geschwindigkeit des Stabes im System wird durch angegeben; mit dieser legt das Vorderende in der Zeit von bis den Weg zurück, also ist . Bei Berücksichtigung von (55), (57) folgen nun sogleich die auch für negative Werte von und geltenden Beziehungen:
. | (58) |
Hier zeigt sich, wie das Urteil über die Längenänderung bei Änderung des Bewegungszustandes von der Wahl von , also des Zeitsystems beeinflußt wird. Wollte man nun die Meinung hegen, daß die Änderungen der Dimensionen bei Änderung der Schreitung nicht real, sondern nur scheinbar seien, verursacht durch ein falsches Urteil über die Gleichzeitigkeit, so wäre nach der gewöhnlichen Denkweise der Physik zu schließen, daß sich ein Zeitsystem — eben das der „wahren“ Weltzeit — finden lassen müsse, in welchem die Änderungen verschwinden. Verwendet man für dieses , so müßte also von der Geschwindigkeit unabhängig werden. Daraus würde nach (58) für das beliebig herausgegriffene Zeitsystem folgen:
. | (59) |
Hier wäre beliebig und eine gewisse Konstante. Traut man also der gewöhnlichen Denkweise, so wäre die Annahme, daß die beobachtbaren Änderungen der Dimensionen der materiellen Körper bei Änderung des Bewegungszustandes eine Folge eines falschen Urteils über die Gleichzeitigkeit seien, nur dann erlaubt, wenn sich bei beliebiger Wahl des Zeitsystems eine lineare Abhängigkeit der scheinbaren Länge von der Geschwindigkeit ergäbe. — Wir setzen hier die Gültigkeit der Relativitätsgesetze voraus, also ist anzunehmen, daß keines der Zeitsysteme die Länge in linearer Abhängigkeit zeigt. Es ergibt sich so für die gewöhnliche physikalische Denkweise die Notwendigkeit, nicht nur scheinbare, sondern wirkliche Änderungen der Dimensionen bei Änderung des Bewegungszustandes anzunehmen. Will man demgegenüber reale Änderungen in Abrede stellen, so ist man genötigt, das menschliche Urteil über die Änderungen der Dimensionen als hinfällig zu bezeichnen.
Es möge nun die experimentelle Untersuchung über die scheinbaren Änderungen der Dimensionen weiter fortgeführt werden. sei wiederum die Relativgeschwindigkeit gegen das gewählte materielle Bezugssystem (etwa die isolierte Erde) bezüglich gegen das gewählte Koordinatensystem. Nach den Relativitätsgesetzen ist folgendes Resultat zu erwarten: Wird ein beliebiges der möglich scheinenden Zeitsysteme zugrunde gelegt, so zeigt die scheinbare Länge bei einem gewissen Wert der Relativgeschwindigkeit ein Maximum; je mehr sich von diesem Wert entfernt, um so kleiner wird um schließlich für eine gewisse Relativgeschwindigkeit nach der einen Seite, und ebenso für eine gewisse Geschwindigkeit nach der anderen Seite unendlich klein zu werden. Die Schreitung, zu welcher sich der Maximalwert der Länge zuordnet, verschiebt sich bei wechselnder Wahl des Zeitsystemes; der Maximalwert wächst um so mehr und schließlich über alle Grenzen, je größer die zugehörige Relativgeschwindigkeit wird. — Bei einem bestimmten Zeitsystem, das hierdurch vor allen andern ausgezeichnet ist, wird sich der Maximalwert der Länge gerade dem Fall der relativen Ruhe zuordnen.
Ähnliches gilt auch für die anderen Bewegungsrichtungen. Die Folge ist, daß für die gegebene Schreitung des Koordinatensystems unter allen Systemen der Gleichzeitigkeit eines ausgezeichnet erscheint, nämlich dasjenige, in welchem jeder materielle Körper bei Variationen der relativen Bewegung gegen das Koordinatensystem, aber unter sonst gleichen Umständen, gerade im Falle der relativen Ruhe maximale Dimensionen zeigt. Auf diese Weise wird durch das Verhalten der Materie jeder Schreitung ein besonderes System der Gleichzeitigkeit zugeordnet; dieses soll dann als das zur Schreitung gehörige „symmetrische Zeitsystem“ bezeichnet werden.
Den symmetrischen Zeitsystemen sollen nun „symmetrische Raumkoordinatensysteme“ an die Seite gestellt werden. Die Vereinigung beider wird dann „symmetrische Raum-Zeit-Systeme“ ergeben. — In einem symmetrischen Zeitsystem scheint in bezug auf das Verhalten der Materie keine Richtung des Raumes vor der anderen ausgezeichnet. Darin soll auch das Charakteristikum des symmetrischen Raumkoordinatensystemes gesucht werden. Demgemäß soll ein Raumkoordinatensystem dann symmetrisch heißen, wenn die Längeneinheiten für die verschiedenen Richtungen so aufeinander be zogen sind, daß ein jeder materielle Körper, der unter sonst gleichen Umständen nacheinander in irgendwelchen verschiedenen Orientierungen zu relativer Ruhe gegen das Koordinatensystem gebracht wird, zwischen irgend zwei seiner Punkte stets der Maßzahl nach den gleichen Abstand zeigt. Nach den Relativitätsgesetzen darf angenommen werden, daß hier das Material des gerade gewählten materiellen Körpers ebenso ohne Einfluß ist, wie bei der Feststellung des symmetrischen Zeitsystems.
Wie leicht ersichtlich, ist ein zu irgendeiner vorgegebenen Schreitung gehöriges symmetrisches Raum-Zeit-System vollständig bestimmt, wenn außer den Achsenrichtungen und den Anfangspunkten für die Raumkoordinaten und die Zeit noch die Zeiteinheit und eine Längeneinheit für eine beliebige Richtung vorgeschrieben wird.
Zwischen den symmetrischen Raum-Zeit-Systemen, die zu den verschiedenen Schreitungen gehören, bestehen Beziehungen, die in dem Verhalten der Materie begründet sind. Um sie klar hervortreten zu lassen, sollen nun noch die Einheiten der Länge und der Zeit für die verschiedenen Systeme zweckmäßig gewählt werden. Zu diesem Zweck wird festgesetzt
1. In bezug auf die Längeneinheiten: diese sind in den verschiedenen Systemen so zu wählen, daß ein jeder materielle Körper, der unter sonst gleichen Umständen von relativer Ruhe in einem System zu relativer Ruhe in eınem anderen System übergeführt wird, hier den Maßzahlen nach die früheren Dimensionen zeigt;
2. in bezug auf die Zeiteinheiten: diese sind so zu wählen, daß für irgend zwei Systeme die relative Bewegung der Systeme gegeneinander sich von beiden aus beurteilt durch Geschwindigkeiten darstellt, die den Maßzahlen nach gleich groß erscheinen.
Ganz gewiß ist bei den so gemachten Festsetzungen völlig klar, daß nun nicht etwa aus der formalen Gleichheit der Dimensionen, welche ein Körper in zwei Schreitungen zeigt, irgendein SchluB auf physikalische Gleichheit der beiden Zustände gezogen werden darf. Und ebensowenig scheint es erlaubt, die Gleichwertigkeit der Zeitsysteme in allen physikalischen Hinsichten zu behaupten.
Um bei unseren Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen den Raum-Zeit-Systemen die Anschauung zu erleichtern, wollen wir zwei gleiche materielle Maßstäbe und als Repräsentanten zweier bestimmter Schreitungen und annehmen, indem wir uns vorstellen, daß und bei den Versuchen diese Schreitungen erhalten. Es sollen ihnen dabei solche Orientierungen gegeben werden, daß sie parallel liegen, und sich relativ zueinander parallel ihrer Längsrichtung verschieben. — Die Angabe der „Gleichheit“ der beiden Stäbe soll bedeuten, daß die Stäbe genau übereinstimmen, wenn sie, auf gleiche Schreitung gebracht, in relativer Ruhe beieinander liegen. Die Teilungen kennzeichnen dann sofort Raumkoordinaten gemäß den soeben gemachten Festsetzungen über die Einheiten; wir wollen sie die -, bezüglich die -Koordinaten nennen.
Zwischen den Systemen der Zeit besteht die Beziehung (53). Die Konstante ist für unsere Untersuchungen ohne jede Bedeutung und soll daher =0 gesetzt werden. Dann ist zu schreiben
(60) |
bedeutet hier die Zeit im System desjenigen Punktes von , der zur Zeit im System sich bei der durch bezeichneten Stelle von befindet. Wegen der Symmetrie der Systeme und muß auch eine Formel gelten. Der Versuch soll so angeordnet werden, daß zur Zeit die beiden Koordinatenanfangspunkte aneinander vorbeigehen, dann wird auch , so daß zu (60) die Beziehung
(61) |
hinzutritt. gibt die Zeit im System für denjenigen Punkt von an, der sich zur Zeit im System bei der durch bezeichneten Stelle von befindet.
(60) und (61) ergeben:
(62) |
Die Formeln (60), (61), (62) enthalten 4 Konstanten: . Zwischen diesen bestehen andere Beziehungen als (55), da ja nun zu und nicht mehr zu zugeordnet wird. Um die neuen Beziehungen zu finden, beachten wir zunächst die Festsetzung über die Zeiteinheiten.
Ein materieller Punkt sei so in gleichmäßiger Schreitung begriffen, daß er sich parallel den Stäben und bewegt; die Geschwindigkeit im System beurteilt (also relativ zu ) sei , diejenige im System beurteilt (also relativ zu ) sei . sei der Zeitmoment, in welchem passiert wird, dann wird der Raumpunkt zur Zeit passiert. Zu , gehört nach (60): , zu , ebenso: . Die Differenz der beiden Zeiten ist . In gleicher Weise liefert die erste der Gleichungen (62) für dieselben beiden Lagen des sich bewegenden Punktes , also folgt wegen :
. | (63) |
Wegen der Symmetrie unserer Formeln kann man hier die gestrichenen mit den ungestrichenen Buchstaben vertauschen. Die Symmetrie kommt auch in (63) zur Geltung, wenn man diese Formel in der Form
(64) |
schreibt.
Setzt man in (64) , so ruht der Punkt im System , es stellt also dann die Relativgeschwindigkeit des Stabes gegen den Stab dar, beurteilt im System . Diese Relativgeschwindigkeit mag mit bezeichnet werden, dann folgt:
. | (65) |
Ebenso ergibt sich für :
. | (66) |
wenn die Relativgeschwindigkeit der beiden Stäbe darstellt, beurteilt im System .
Gemäß der im Anfang des Paragraphens gemachten Festsetzung über die Zeiteinheiten ist zu schreiben
, | (67) |
so daß wegen (65), (66)
, | (68) |
folgt. (60), (61), (62) gehen nun über in:
(69) |
(64) wandelt sich um in
(70) |
und an Stelle von (63) tritt
(71) |
Von den 4 Konstanten sind hier nur noch 2 übrig geblieben, und . Eine Konstante wurde durch die Relativgeschwindigkeit ersetzt, eine zweite durch die Festsetzung über die Zeiteinheiten eliminiert.
Ein materieller Körper möge sich bezüglich relativ zu den beiden Bezugssystemen und bewegen. Es wird bequem sein, den Körper ebenfalls in Form eines Stabes zu denken. Seine Länge sei und , je nachdem sie im System oder im System beurteilt wird. Die Ruhlängen in diesen beiden Systemen seien ; es bezeichne also zum Beispiel die Länge von , wenn dieser Stab in relativer Ruhe an den Stab gelegt wird. Da , gleiche Stäbe sein sollen und wir annehmen, daß alle materiellen Körper bei Bewegungsänderungen die gleichen Dimensionsänderungen zeigen, muß
(72) |
sein. Diese Formel spricht unsere Festsetzung über die Längeneinheiten aus. Zur Abkürzung soll
(73) |
gesetzt werden; und erscheinen dann als durch die Natur gegebene Funktionen von bezüglich , wenn und die Geschwindigkeiten des Körpers in den Systemen und bedeuten.
ruhe im System am Stab ; seine Endpunkte mögen bei und liegen. Diese Werte sind von der Zeit unabhängig; nun ergibt die Formel zu einem bestimmten Zeitpunkt für die Lage der beiden Endpunkte von die Koordinaten und , es ist also , oder wegen (72) und da hier ist:
(74) |
Hiermit ist gemäß (72), also durch unsere Festsetzung über die Längeneinheiten bestimmt worden. — Jetzt bleibt noch die Bestimmung von . Hierzu muß der Fall einer beliebigen Schreitung von untersucht werden. Um die Darstellung bequemer zu gestalten, soll angenommen werden, daß die Bewegung im System in der Richtung der wachsenden erfolgt und zwar so, daß das hintere Ende von gerade zur Zeit , im Punkt , liegt. Dann liegt das vordere Ende zur Zeit bei , also nach (69) zur Zeit bei . Da die Geschwindigkeit im System durch gegeben ist, muß das vordere Ende zur Zeit um näher an gelegen haben. Zur Zeit war aber die Entfernung von durch angegeben, also folgt:
und daher auch:
(75) |
Die beiden Zeitsysteme und sollen symmetrische Systeme sein, das heißt für , bezüglich für sollen bezüglich , also auch bezüglich ihre Maximalwerte zeigen. Es muß also
(76) |
sein. — (75) und (71) ergeben
. | (77) |
Bedenkt man noch, daß zu gehört , so folgt wegen der zweiten Gleichung (76):
, | (78) |
und daraus weiter:
(79) |
In diesen Formeln liegt die Bestimmung der vierten und letzten Konstanten, nämlich . Wie man sieht, wird sie geboten durch die Bedingung, daß auch das System symmetrisch sein soll.
So sind nun durch (74) und (79) in (69) alle diejenigen Größen durch die Relativgeschwindigkeit der beiden gegebenen Schreitungen bestimmt, welche erforderlich sind, um die zu den Schreitungen gehörigen Raum-Zeit-Systeme und aufeinander zu beziehen. — Willkürlich bleibt bei gegebenen Schreitungen der beiden materiellen Systeme und nur noch die Wahl einer der beiden Zeiteinheiten für und und eine der beiden Längeneinheiten für und .
Zwar nehmen wir die Relativitätsgesetze als gültig an, aber es soll vorläufig noch die Elektrodynamik aus unseren Untersuchungen ausgeschaltet werden. So ist auch ein Hinweis auf die Lorentzschen Raum-Zeit-Systeme zu vermeiden; an Stelle dieser Systeme treten für uns die symmetrischen Systeme, welche durch das
Verhalten der Materie den Schreitungen zuge| ordnet werden. Im vorigen Paragraphen wurde dargelegt, wie je zwei dieser Systeme untereinander verbunden sind. Die Relativitätsgesetze verlangen nun, daß das Verhalten der Materie gegen alle symmetrischen Systeme genau gleich erscheine, und daß auch für jedes einzelne RaumZeit-System das Verhalten unverändert erscheine, wenn die Bewegungsrichtung geändert wird. — Für unsere jetzige Untersuchung, die sich auf eine Linienorientierung mit den beiden zugehörigen entgegengesetzten Richtungen bezieht, sind die Relativitätsgesetze hiernach so zu formulieren:
(80) |
(81) |
wobei jeden Wert erhalten darf. Zu welchen Folgerungen führen nun diese Annahmen? Wenn und also gesetzt wird, und wenn man dabei bedenkt, daß ist, ergibt (75) wegen (80) und (81)
(82) |
Fügt man hierzu (79), so folgt weiter
(83) |
Es soll nun zur Abkürzung
gesetzt werden. Ferner wollen wir noch bedenken, daß für in (83) jeder beliebige Wert der Variablen gesetzt werden darf, dann tritt leicht hervor, daß (83) die Form
, | (84) |
oder auch
(85) |
erhalten darf. Als Lösung ergibt sich sogleich
, | (86) |
wobei eine Integrationskonstante ist. — Achtet man auf die Bedeutung von , die nach (73) durch , bestimmt ist, und bedenkt auch die Beziehung (80), so läßt sich die Aussage (86) in Form des folgenden Satzes aussprechen:
Die Relativitätsgesetze sind nur dann erfüllt, wenn die Längenänderungen der Körper bei der Bewegung, beurteilt in irgendeinem der symmetrischen Systeme für Raum und Zeit, so erfolgen, daß ein Körper mit der Ruhlänge , bei der Geschwindigkeit parallel der Längsrichtung die Länge
, | (87) |
zeigt. Dabei ist eine gewisse Konstante, die für alle materiellen Körper, für alle symmetrischen Raum-Zeit-Systeme und für alle Richtungen in diesen den gleichen Wert haben muß, die also universelle Bedeutung hat.
Nach (74), (82) folgen nun die Beziehungen:
, | (88) |
so daß (69) und (71) übergehen in:
(89) |
. | (90) |
Ein Vergleich von (89) mit den Formeln (1) zeigt, daß die Relativitätsgesetze schon dann, wenn sie allein auf die Dimensionsänderungen materieller Körper bei Änderung der Schreitung angewandt werden, notwendig zur Konstruktion von Raum-Zeit-Systemen nach Art der Lorentz-Gruppe führen. Der Wert der Konstanten , die bei der Lorentz-Gruppe zu der Lichtgeschwindigkeit wird, stellt sich hier dar als Resultat des Verhaltens der Materie. Je kleiner wäre, um so mehr unterschiede sich nach (87) bei gleicher relativer Geschwindigkeit die scheinbare Länge von der Ruhlänge in dem betreffendem Raum-Zeit-System.
In allen unseren bisherigen Untersuchungen ergab sich bei dem Zusammenschluß der Zeiten an verschiedenen Orten zu den symmetrischen Systemen die „Gleichzeitigkeit“ als ein rein mathematisches Band. Sie erschien überhaupt für die hier betrachteten Erscheinungen als etwas Nebensächliches; die Zeitsysteme selbst bildeten nur Hilfskonstruktionen. Das, worauf es ankam, war die Untersuchung des Verhaltens der Materie bei Änderungen der Schreitung. In dieser Hinsicht haben wir nun noch einen Schritt zu machen, der für die Entwicklung der theoretischen Auffassung von fundamentaler Bedeutung ist.
Wir gehen aus von einer beliebigen Schreitung und fassen ein in dieser befindliches materielles System ins Auge, das also keinerlei innere Verschiebungen, keine Drehung erfährt, und auch im ganzen keine Beschleunigung zeigt; es soll „Vergleichssystem‘“ heißen. Mit der so gekennzeichneten „Vergleichsschreitung“ sollen die anderen Schreitungen verglichen werden, indem wir uns irgendeinen materiellen Körper, der „Versuchskörper“ heiße, bald in die Vergleichsschreitung, bald in eine beliebige andere Schreitung übergeführt denken. Das Vergleichssystem, welches in Gedanken beliebig weiter ausgebaut werden kann, gibt die Möglichkeit, für die theoretischen Betrachtungen ein die gesamte Welt umspannendes Raumkoordinatensystem festzulegen. Der Versuchskörper kann so irgendwo in der Welt gedacht werden. Stets, wo der Versuchskörper auch sei, wird an ihm der Vergleichszustand der Bewegung dadurch charakterisiert sein, daß der Körper gegenüber dem materiellen Vergleichssystem, bezüglich gegenüber dem Vergleichskoordinatensystem, in relativer Ruhe erscheint. Jede andere Schreitung des Körpers wird durch Richtung und Größe der Relativgeschwindigkeit eindeutig gekennzeichnet. Es ist hier gleichgültig, welchen Körper man sich gerade als Versuchskörper ausgewählt denkt. Er dient hier nur als Repräsentant der Materie überhaupt, von der wir gemäß den Relativitätsgesetzen annehmen, daß sie sich in bezug auf die freiwilligen Änderungen der Dimensionen bei der Bewegung stets gleich verhält. Wenn zur Erhöhung der Anschaulichkeit von einem „Versuchskörper“ die Rede ist, so wird damit an die beobachtende Tätigkeit erinnert, welche stets das Bindeglied zwischen Theorie und Wirklichkeit abgeben muß.
Irgendeine Richtung werde ausgewählt und die Untersuchung zunächst auf diejenigen Schreitungen beschränkt, bei denen der Versuchskörper gegenüber dem Bezugssystem in relativer Bewegung parallel oder begriffen ist. Da die Zuordnung der Zeiten an den verschiedenen Orten gemäß dem von uns angenommenen symmetrischen System in einer von menschlicher Willkür völlig freien Weise geschieht, ist nach Festsetzung der Längen- und der Zeiteinheit jede der Schreitungen vollständig bestimmt durch Angabe der Relativgeschwindigkeit . Wird nun beobachtet und mit verglichen, so ist auch der Wert von mittelst (87) zu berechnen. Es ordnen sich dann durch und zwei ganz bestimmt angebbare Schreitungen zu, die eine in der Richtung , die andere in der Richtung . Ich sagte hier absichtlich nur, daß sie angebbar seien, denn darauf kommt es allein an; die Frage, ob und wie sie zu realisieren seien, kann dahin gestellt bleiben. Um sie anzugeben, kann man zum Beispiel eine bestimmte Strecke im Versuchssystem abstecken und die Zeit angeben, in welcher diese durchlaufen werden müßte, damit heraus kommt. Zu diesen Geschwindigkeiten und ordnet das Gesetz (87) den Wert zu, für jede darüber hinausgehende Geschwindigkeit ergibt sich ein imaginärer Wert von . Die beiden Schreitungen und haben also für die Materie eine kritische Bedeutung.
Man könnte zunächst auf den Gedanken kommen, daß die Schreitungen vielleicht nur infolge der getroffenen Auswahl des materiellen Bezugssystems und des Zeitsystems ausgezeichnet seien. Um darüber ins klare zu kommen, denke man sich das gewählte Bezugssytem durch ein beliebiges anderes der Reihe mit Verschiebungen ersetzt, und entsprechend das frühere Zeitsystem gegen das neue ausgetauscht. Die Relativgeschwindigkeit des neuen und des alten Bezugssystems sei . Zum alten System mögen , zum neuen gehören, so daß die Transformationsformeln (89) gültig werden. Bewegt sich ein Körper im alten System mit der Geschwindigkeit , so erscheint seine Bewegung relativ zum neuen durch angegeben, wenn nach (90):
ist. Im allgemeinen ist hiermit der Wert von von dem Wert verschieden, wenn aber gleich wird, nimmt stets auch denselben Wert an. In allen den Raum-Zeit-Systemen, deren Schreitungen sich nur durch eine relative Verschiebung parallel einer festen Richtung unterscheiden, werden also durch die Geschwindigkeiten und eben dieselben beiden Schreitungen bezeichnet.
Ebenso wie zu gibt es nun zu jeder beliebigen Richtung zwei kritische Schreitungen für das Verhalten der Materie. Alle diese Schreitungen zusammen genommen grenzen so diejenigen Schreitungen, auf welche sich die hier untersuchten Erscheinungen beziehen, ab gegen solche, welche für die uns bekannte sinnlich wahrnehmbare Materie entweder physikalisch unmöglich sind, oder bei welchen doch wenigstens die Materie ein gänzlich neuartiges Verhalten zeigen muß. Auf das abgegrenzte Gebiet der Schreitungen allein sind also auch die Relativitätsgesetze beschränkt.
Nach den Beobachtungen scheint uns Menschen als eine sehr große Geschwindigkeit. Aber für das Weltgeschehen hat unser Urteil über „groß“ und über „klein“ ja keine Bedeutung. So bleibt, wenn wir die Welt im ganzen betrachten, nur die Tatsache bestehen, daß aus der unendlichen Fülle der überhaupt möglich scheinenden Schreitungen ein bestimmt begrenzter und zwar in seinen Grenzen genau angebbarer Bereich sich aussondert, in dem die uns vertrauten Naturerscheinungen sich abspielen. Solange man die Augen allein auf das abgegrenzte Gebiet der Bewegungszustände richtet, könnte man die Meinung hegen, daß „alle Schreitungen und die zugehörigen Raum-Zeit-Systeme für das Weltgeschehen gleichwertig seien“, denn es läßt sich wegen der besonderen Art, in welcher die Dimensionen mit der Schreitung variieren, die eine Schreitung von der anderen mit den uns bekannten Hilfsmitteln nicht unterscheiden. Man könnte sich in der Meinung der Gleichwertigkeit noch bestärkt fühlen durch die Bemerkung, daß bei ein und demselben Übergang von einer Schreitung zu einer andern die Änderungen der Dimensionen bald als Vergrößerung, bald als Verkleinerung erscheinen, je nachdem der Beobachter selbst sich in der einen oder der anderen Schreitung befindet. Sobald nun aber aus den Beobachtungen auf die Gültigkeit der Relativitätsgesetze geschlossen wird, so daß, wie eben beschrieben, eine natürlıche Abgrenzung der uns gewohnten Bewegungszustände angenommen werden muß, ist es unmöglich der Folgerung zu entgehen, daß eben doch nicht alle Schreitungen für das Weltgeschehen gleichwertig sind. Es wäre unter solchen Umständen auch durchaus unnatürlich, wenn man ohne Einschränkung die Gleichwertigkeit der Schreitungen innerhalb jener Grenzen behauptete. Das unbedingte Relativitätsprinzip ist damit gefallen. Es bleibt nichts anders übrig, als in der Unmöglichkeit der Unterscheidung der Schreitungen mittels der bekannten Naturerscheinungen nur eine Unzulänglichkeit der menschlichen Erfahrung zu sehen. Daran knüpft sich die zur Tat anregende Hoffnung, daß es doch einmal möglich sein werde, diese Unzulänglichkeit zu überwinden.
Wie ist nun die Abgrenzung eines bestimmten Teiles der Schreitungen zu erklären? Wir glauben annehmen zu dürfen, daß diese Abgrenzung für alle materiellen Körper und in allen Teilen der Welt in gleicher Weise erfolgt, ohne daß es dabei auf die Gruppierung der sichtbaren Körper ankommt. Wie erklärt sich auch dies? Eine etwaige Unbestimmtheit in der Zusammenordnung von Zeit und Ort kommt hier gar nicht zur Geltung, so muß denn ohne Zweifel der Grund in der Außenwelt gesucht werden. Die unmittelbar sich bietende, ja sich aufdrängende Erklärung ist die, daß die Welt von einem sich unseren Sinnen nicht direkt zeigenden Etwas erfüllt ist, was die Bewegungen der sinnlich wahrnehmbaren Materie nicht merklich mitmacht, und durch seine Beziehungen mit der sinnlich wahrnehmbaren Materie die Grenzschreitungen bestimmt. Diesem Etwas wird nach altem Brauch der Name „Äther“ beizulegen sein. So zeigt sich hier, daß gerade die Relativitätsgesetze, welche so oft gegen die Ätherhypothese ins Feld geführt werden, bei voller Ausmessung ihrer Tragweite dazu zwingen, die Existenz des Äthers anzuerkennen.
Es mag hier noch der zuweilen gehörte Einwand, daß es unerlaubt sei, etwas „künstlich zu konstruieren“, wovon die Sinne keine Kunde gäben, als durchaus unberechtigt zurückgewiesen werden, denn die Sinne bieten uns nur einen sehr beschränkten Ausblick in die Welt. Schon die Luft, von der wir doch leben, zeigen sie uns nicht mehr unmittelbar. Der Fortschritt der Physik ist in sehr vielen, man könnte fast sagen, in allen wichtigen Fällen erst erreicht worden, indem man lernte über die unmittelbaren Sinneseindrücke hinauszugehen.
Nach den Relativitätsgesetzen soll es für die Beschreibung des uns bekannten Weltgeschehens ein ganzes System formal gleichwertiger Raum-Zeit-Koordinatensysteme geben. Für die Änderungen der Schreitung haben wir ein solches System in der Gesamtheit der symmetrischen Systeme schon gefunden; so ist denn nun anzunehmen, daß eben diesen Systemen gegenüber die Relativitätsgesetze sich auch bei anderen Naturerscheinungen bewähren. Es soll nun zunächst die Geschwindigkeit des „Weltgeschehens“, das heißt des Ablaufs der physikalischen, der chemischen und auch der Lebenserscheinungen beachtet werden.
Wird in einem der symmetrischen Systeme die Zeiteinheit festgesetzt, so ordnen die Transformationsformeln
(91) |
zu jedem anderen System eine bestimmte Zeiteinheit zu. sei das System, in welchem die Zeiteinheit zunächst definiert wird. An einem bestimmten Ort im System , wo etwa den Wert hat, stehe eine Uhr, die mit den Uhren im System verglichen wird, an denen sie vorübergeht. Es gilt dabei nach (91)
. | (92) |
Hieraus folgt, daß vom System aus beurteilt die Zeiteinheit für länger als für zu sein scheint, und zwar im Verhältnis
. | (93) |
Für einen bestimmten Ort im System andererseits, etwa für den Ort, dem angehört, ist nach (91)
. | (92) |
Vom System aus beurteilt, erscheint also die Zeiteinheit für länger als die für . Es zeigen sich die Gesetze der Relativität gewahrt. Der Widerspruch, der zunächst in dem verschiedenen Ergebnis der beiden Vergleiche zu bestehen scheint, löst sich sogleich, wenn man beachtet, daß im ersten Fall die Zeit an einem bestimmten Ort im System nacheinander mit den Zeiten an den verschiedenen Orten im System verglichen werden muß, an welchen er bei der Relativbewegung nacheinander vorüberkommt, während im zweiten Fall umgekehrt die Zeit an einem bestimmten Ort im System nacheinander mit den Zeiten an verschiedenen Orten im System verglichen wird. Man erkennt so, daß für den Vergleich der Zeiten nicht nur der Ablauf der Zeiten in den beiden Systemen, sondern auch die Art der Zuordnung der Zeiten an den verschiedenen Orten zu Zeitsystemen in Betracht kommt.
Es macht sich damit auch hier die Unbestimmtheit in der Festsetzung der Gleichzeitigkeit bemerkbar. Der Anhänger des unbedingten Relativitätsprinzips wird sagen, daß sich eben nur von neuem die Relativität aller Beurteilung des Zeitverlaufes äußere; wer die Unbedingtheit des Prinzipes nicht anerkennt, wird nur ein Hindernis in der Beurteilung der Geschwindigkeit des Weltgeschehens vor sich sehen, das wir nicht oder noch nicht beseitigen können. —
Die Beziehung der Längeneinheiten in den beiden verglichenen Raum-Zeit-Systemen und wurde dadurch festgesetzt, daß ein Körper, der nacheinander in beiden Systemen zu relativer Ruhe gebracht wird und unter gleichen Bedingungen die den inneren Kräften entsprechenden Dimensionen frei annehmen kann, dabei Längen mit gleichen Maßzahlen zeigen soll. Die Beziehung der Zeiteinheiten wurde vorhin (§ 10) so festgesetzt, daß die Relativgeschwindigkeit der beiden Koordinatensysteme in den beiden Zeitsystemen beurteilt, abgesehen vom Vorzeichen, den gleichen Wert erhielt. Die Relativitätsgesetze verlangen nun eine sehr viel weitergehende physikalische Bedeutung der so bestimmten Zuordnung der Zeiteinheiten. Alle entsprechenden Vorgänge nämlich sollen in den beiden Raum-Zeit-Systemen so ablaufen, daß entsprechende Änderungen in Zeitintervallen vorgehen, die gleiche Maßzahlen erhalten. Wenn also z.B. eine Uhr aus relativer Ruhe in einem der Systeme in relative Ruhe zum anderen System übergeführt wird, so soll sie, unter sonst gleichen Umständen verglichen, in bezug auf die neue Zeiteinheit eben denselben Gang zeigen wie vorhin in bezug auf die alte Zeiteinheit. Ebenso sollen, an den beiden Zeiteinheiten gemessen, elastische Körper Töne, Moleküle Lichtschwingungen gleicher Schwingungszahl zeigen, sollen chemische Umwandlungen mit gleichen Geschwindigkeiten erfolgen, und sollen Lebewesen unter gleichen Umständen gleich schnell wachsen und altern. — Bedenkt man noch, daß die Transformationsformeln, welche irgend zwei Raum-Zeit-Systeme verbinden, vollständig symmetrisch sind, so scheint der Ausspruch, „die verschiedenen Raum-Zeit-Systeme seien für das Weltgeschehen gleichberechtigt“, recht wohl am Platz —; und doch kann man schnell erkennen, daß diese Behauptung sehr mit Vorsicht aufzufassen ist, wenn man sie nicht gründlich mißverstehen soll. Es wird im folgenden gezeigt werden, daß, im Gegensatz zu der formalen Gleichberechtigung, physikalische Unterschiede vom allergrößten Ausmaß angenommen werden müssen.
Die Beschreibung eines besonderen Experimentes möge die Einleitung bilden.
Auf einem materiellen System, dem „Vergleichssystem“, das sich in einer gleichbleibenden Schreitung befindet, möge derselbe Vorgang körperlich zweimal in gleicher Weise eingeleitet werden. Zwei gleiche Uhren z. B. mögen auf gleichen Gang einreguliert und auf gleichen Stand gebracht werden, oder es möge derselbe chemische Prozeß zweimal eingeleitet werden. Man könnte die Beobachtungen auch an zwei Lebewesen knüpfen, die ihr Leben gleichzeitig beginnen. Die beiden Versuchsgebilde seien und . möge nun stets im Vergleichssystem bleiben, aber werde in eine andere Schreitung übergeführt, und hier wieder auf dieselben Bedingungen gebracht. Die relative Geschwindigkeit möge den Unterschied zwischen den Schreitungen ausmachen. Nach beliebiger Zeit werde dann die Schreitung so umgewandelt, daß vom Vergleichssystem beurteilt die Relativbewegung nun umgekehrt erscheint, die Geschwindigkeit also ist. So befindet sich denn auf dem Rückweg zu . Zur rechten Zeit werde das Gebilde wieder auf die Schreitung des Vergleichssystems gebracht, so daß es sich wieder wie anfänglich in relativer Ruhe bei befindet und in seinem Zustand mit verglichen werden kann. — Wir wollen uns vorstellen, daß während des ganzen Verlaufes des Versuches vom Vergleichssystem aus beobachtet wird, und zwar stets von denjenigen Orten aus, an denen es vorüberkommt. Die Geschwindigkeit seiner Änderungen scheint dann während der Perioden der Relativbewegungen und im Verhältnis verkleinert. Dürfen gegenüber diesen Perioden die Perioden der Übergänge vernachlässigt werden, so muß am Schluß des Versuches in seinem Fortschritt gegenüber im Verhältnis zurückgeblieben sein. Und dieses Zurückbleiben ist unbedingt reell, denn die beiden Gebilde und können ja unter gleichen Umständen unmittelbar beieinander verglichen werden. Hier ist es ganz sicher ausgeschlossen, an einen Schein zu glauben, der durch unsere Auffassung der Zeit bewirkt wird. So ist denn also auch die Folgerung unabwendbar, daß für den Verlauf der Weltvorgänge die Schreitungen nicht gleichwertig sind, und damit sind wir von neuem zu einem Schluß gekommen, welcher der Unbedingtheit des Relativitätsprinzipes durchaus widerspricht. — Man könnte vielleicht die Vermutung hegen, daß die Übergänge von einer Schreitung zur anderen mitwirkten, da in unserem Experiment nur , nicht aber solche Änderungen erfährt, also auch darin ein Unterschied in den Schicksalen von gegenüber zu finden ist. Bedenken dieser Art sind jedoch bald zu beseitigen; man braucht sich nur vorzustellen, daß auch alle die Bewegungsänderungen auferlegt werden, die durchmachen muß, mit dem Unterschied nur, daß lange Zeiten hindurch auf den Relativgeschwindigkeiten und gegenüber dem Vergleichssystem bleibt, während von der Relativgeschwindigkeit schon nach kurzer Zeit wieder zur relativen Ruhe gebracht wird, und hier lange verweilt, um dann erst wieder auf kurze Zeit auf die Relativgeschwindigkeit zu kommen. Man kann den Versuch noch mannigfach variieren, z. B. so, daß ebenso wie zwei verschiedene Schreitungen, und , nacheinander inne hat. Wird dann zu der Wert , zu der Wert , zugeordnet, so muß der Vergleich von und am Schluß des Versuches ergeben, daß oder in seinem Fortschritt zurückgeblieben erscheint, je nachdem die Schreitungen , , oder , weiter auseinanderliegen. Vielleicht ist gerade diese Formulierung des Satzes besonders geeignet, um die Ungleichwertigkeit der verschiedenen Schreitungen klar und deutlich zu zeigen. Daß auch hier ebensowenig wie vorhin zwei einzelne Schreitungen verglichen werden, ist unvermeidlich, da bei Verschiedenheit der dauernd gleichbleibenden Schreitungen zweier Gebilde der Vergleich in räumlichem und zeitlichem Beieinander nur einmal und dann niemals wieder möglich ist. –
Die hier beschriebenen Erscheinungen können auch dazu benutzt werden, um einen neuen Beweis für die Notwendigkeit der Ätherhypothese zu liefern. Zu diesem Zwecke denke man sich die Schreitungen und des Gebildes durch immer weiteres Vergrößern von weiter und weiter hinausgeschoben. Wenn sie schließlich an und herangehen, wird gemäß dem Nullwerden des Ausdrucks eine völlige Hemmung des Geschehens in eintreten. Durch und sind, wie wir erfahren haben, zwei bestimmte Schreitungen dargestellt, die der gewählten Bewegungsrichtung zugeordnet erscheinen, und die ganz unabhängig von dem gewählten Vergleichssystem sind. Wir nannten sie die zur ausgewählten Richtung gehörigen Grenzschreitungen. Jetzt tritt hervor, daß diese Grenzschreitungen auch dadurch charakterisiert sind, daß in ihnen die physikalischen, chemischen und Lebens-Vorgänge eine vollständige Hemmung erfahren. Auch hieraus folgt wieder, daß bei dem Durchgang durch die Grenzschreitungen in dem Verhalten der Materie eine fundamentale Änderung eintreten muß. So sehen wir denn neue Gründe, anzunehmen, daß in der Welt für die Bewegungen der sinnlich wahrnehmbaren Materie mit den uns bekannten Eigenschaften nur ein bestimmt abgegrenzter Bereich der Schreitungen möglich ist. Wiederum bleibt uns zur Erklärung nur die Hypothese eines Mediums, welches unabhängig von der sinnlich wahrnehmbaren Materie und von ihren Bewegungen die Welt erfüllt, eben die Hypothese des Äthers.
Bei der hier gewählten Darstellung wurde damit begonnen (§ 12), die Dimensionsänderungen der Körper theoretisch zu verwerten. Die Gesetze über die Geschwindigkeit des Geschehens ordneten sich dann ohne weiteres der schon fertigen mathematischen Theorie ein. Man wird ohne Schwierigkeit feststellen können, daß auch umgekehrt vorgegangen werden kann.
Es mag nun noch die Beziehung der Minkowskischen Eigenzeit zur Geschwindigkeit des Geschehens kurz besprochen werden. Vorgreifend setzen wir dabei .
Für die Beurteilung der Vorgänge werde ein Lorentz-System nach Belieben ausgewählt. sei das körperliche System, in welchem die beobachteten Vorgänge stattfinden. Es soll angenommen werden, daß die relativen Bewegungen innerhalb gegenüber der Lichtgeschwindigkeit so klein sind, daß es erlaubt ist, jederzeit dem gesamten System eine einheitliche Schreitung zuzuschreiben. Diese jeweilige Schreitung, die mit bezeichnet werden möge, stellt sich im System durch eine bestimmte Geschwindigkeit dar. Es soll weiter noch angenommen werden, daß die Änderungen der Schreitung von stets so langsam erfolgen, daß die Beschleunigungen keinen wesentlichen Einfluß auf den Ablauf der Vorgänge in ausüben. —
Die Relativitätsgesetze verlangen, daß die Geschwindigkeit des Ablaufs der Vorgänge in , beurteilt vom System aus, sich zugleich mit ändert. Gehört zur jeweiligen Schreitung das Lorentz-System , so daß in diesem die Relativgeschwindigkeit von gleich 0 ist, so gibt nach den Relativitätsgesetzen ein Maß an für den Fortschritt der Vorgänge während des zugehörigen Zeitmomentes des Bestehens von .
Wegen ist nach (13), (14):
. | (95) |
Bei den Änderungen der Schreitung wird sich zwar stets auf andere Lorentz-Systeme beziehen, (95) bleibt aber dauernd gültig, so folgt denn dieser Satz: Das Zeitintervall
(96) |
der Eigenzeit zwischen den beiden Momenten (1) und (2) des Bestehens des körperlichen Systems gibt ein Maß ab für den in diesem System inzwischen stattfindenden Fortschritt der Vorgänge. — Beobachtet man z. B. die gleichen Vorgänge in zwei gleichen körperlichen Systemen, die in den beiden Zeitmomenten (1) und (2) beieinander sich befinden, so daß ein Vergleich der Zustände dann möglich ist, deren Schreitung inzwischen aber in beliebig verschiedener Weise sich geändert hat, so wird das Verhältnis des Fortschrittes der Vorgänge durch das Verhältnis der beiden Intervalle der Eigenzeiten angegeben. — Die in diesem Paragraphen vorhin besprochenen Experimente können mittels des Satzes leicht rechnend verfolgt werden. —
Die Geschwindigkeit, mit welcher vom System aus beurteilt die Vorgänge im körperlichen System vor sich gehen, ist gemäß (95) proportional mit . Wegen (96) erscheint hiernach die Eigenzeit als das Zeitintegral der Geschwindigkeit des Geschehens. — Nimmt man einen Äther an, so wird bei Benutzung desjenigen Lorentz-Systemes, welches zur relativen Ruhe gegen den Äther gehört, die Geschwindigkeit des Geschehens durch nicht nur scheinbar, sondern auch der Wirklichkeit entsprechend angegeben.
Jetzt erst sollen die Blicke auch auf diejenigen Erscheinungen gelenkt werden, welche doch den Anlaß zu den heutigen Diskussionen über die Relativitätsgesetze gegeben haben, auf die Erscheinungen der Elektrodynamik. Nehmen wir einmal an, daß in der in den vorhergehenden Paragraphen geschilderten Weise die Physik aus dem Verhalten der Materie bei Änderung der Schreitung in bezug auf die Änderungen der Dimensionen und in bezug auf die Änderung der Geschwindigkeit des Ablaufs von Vorgängen physikalischer und chemischer Art sowie von Lebenserscheinungen, auf die an den Ausdruck geknüpften Gesetze geschlossen hätte, und daß so der Wert von experimentell bestimmt worden wäre. Dann würde eine Entdeckung von größter Tragweite bevorstehen: es würde gefunden werden, daß eben gleich der Geschwindigkeit des Lichts ist, und daß darum eine enge Verbindung zwischen der Materie und den elektrodynamischen Erscheinungen sich andeutet.
Die erwählten Zeitsysteme bekommen nun eine neue theoretische Bedeutung, die ihre Konstruktion in der Praxis äußerst einfach und bequem macht: Das zu einem in beliebiger Schreitung begriffenen Koordinatensystem gehörige symmetrische „System der Zeit“ wird nämlich jetzt zu demjenigen System, in welchem die Geschwindigkeit des Lichtes nach irgend zwei entgegengesetzten Richtungen und weiter überhaupt nach allen Richtungen sich als gleich groß darstellt.
Die Elektrodynamik erhält so für unsere Untersuchungen eine ausgezeichnete Stellung. Es soll, um dieses recht hervortreten zu lassen, die Ausbreitung elektrodynamischer Erregungen jetzt noch mit der Ausbreitung anderer Erregungen, vor allem mit der Ausbreitung des Schalles verglichen werden.
Da wir annehmen, daß experimentell die Gesetze der Relativität als gültig gefunden worden seien, stellt sich unserem Geiste folgendes Bild dar:
Wird in einem im Zustand relativer Ruhe und in Schreitung ohne Beschleunigung sich befindenden homogenen und isotropen elastischen Medium, etwa in Luft bei Windstille oder in Wasser ohne Strömungen, die Ausbreitung des Schalles beobachtet, wobei der Beobachter in gleicher Schreitung wie das Medium sich befindet und demgemäß mit dem zugehörigen symmetrischen System der Zeit rechnet, so zeigt sich ihm, daß die Ausbreitung in Kugelwellen vor sich geht, deren Mittelpunkt das erregende Zentrum selbst ist. Ist das elastische Medium aber gegen den Beobachter in gleichmäßiger relativer Bewegung mit der Geschwindigkeit begriffen, und urteilt er auch dann nach dem symmetrischen System seiner eigenen Schreitung, so gelangt er zu einer anderen Anschauung. (S. § 6.) Die Ausbreitung erscheint ihm nicht in Kugelwellen, sondern in ellipsoidischen Wellen zu erfolgen. Die Wellen zeigen dabei ihren geometrischen Mittelpunkt nicht mehr im erregenden Zentrum, sondern scheinen gegenüber der sich gegen den Beobachter bewegenden Materie zurückzubleiben. Handelt es sich um den Schall in Luft, so geschieht das Zurückbleiben allerdings nur mit der Geschwindigkeit
ist also recht gering. Aber ob die Wirkung stark oder schwach ist, ist hier nebensächlich, wesentlich ist, daß sie überhaupt vorhanden ist, und daß so die Erregung zwar in der Hauptsache von ihrem Träger, der Materie, mitgenommen zu werden scheint, jedoch nicht vollständig. Denken wir uns, daß ein und derselbe Beobachter zu gleicher Zeit an verschiedenen Stellen verschieden starke und verschieden gerichtete Strömungen desselben elastischen Mediums beobachtet, so wird er bemerken, daß bei jeder anderen Strömung ein anderes Zurückbleiben stattfindet. So wird er in dem Zurückbleiben nicht etwa nur einen Schein, sondern eine reale physikalische Tatsache sehen müssen. Er könnte wohl eine kurze Weile in dieser Ansicht wankend werden, wenn er an die Unbestimmtheit der Feststellung der Gleichzeitigkeit denkt, aber diese Bedenken müssen schwinden, sobald er sich davon überzeugt, daß durch keine der zulässigen Annahmen über das Zeitsystem das beobachtete Phänomen der Verschiebung der Wellen sich beseitigen läßt. Wohl kann durch passende Auswahl des Systems für eine beliebig ausgewählte Bewegung des elastischen Mediums die Verschiebung für den Anschein weggeschafft werden, — man braucht dazu ja nur das symmetrische System der Zeit für die betreffende Schreitung heranzuziehen — aber dann zeigen alle Teile des Mediums, die in anderen Schreitungen sind, die Verschiebung eben doch. Ich meine, daß gar mancher Physiker schon allein hierin einen unverkennbaren Fingerzeig für das Vorhandensein des Äthers erblicken wird.
Nun möge zur Beobachtung von Erregungen einer größeren Ausbreitungsgeschwindigkeit übergegangen werden; zunächst etwa werde die Schallausbreitung in elastisch rigideren Medien, dann die Lichtausbreitung in materiellen Körpern beobachtet werden, tritt dann stärker und stärker hervor. Für das Licht in materiellen Körpern wird es schon zu einem so großen Bruchteil der Bewegung der Materie (Fizeau-Versuch), daß man den Eindruck erhält, die Materie beeinflusse die Erregung nur insofern, als sie ihr einen Bruchteil der eigenen Bewegung aufzwinge. Wenn dann schließlich die Ausbreitung der elektrodynamischen Erregungen in Räumen frei von Materie untersucht wird, tritt etwas völlig Neues auf, indem die Ausbreitung unabhängig wird von der Materie, in welcher doch für unsere mensch lichen Experimente und Beobachtungen stets der Ursprung der Erregung zu suchen ist. — Die Beobachtungen zeigen, daß = der Lichtgeschwindigkeit ist, also folgt, daß die Ausbreitung des Lichtes stets in jenen ausgezeichneten Schreitungen erfolgt, welche sich uns als Grenzzustände für das Verhalten der Materie darstellten. So kommen wir denn zu folgenden, für die Auffassung fundamentalen Ergebnissen: Die elektrodynamischen Erregungen gehen zwar von der Materie aus und wirken auf sie ein, ihre Ausbreitung aber in dem von sinnlich wahrnehmbarer Materie freien Raum erfolgt ganz unabhängig von dieser und ihren Bewegungen. Und zwar erfolgt die Ausbreitung stets in Schreitungen, die in Raum und Zeit absolut, d. h. unabhängig von der Anschauung des menschlichen Beobachters, gegeben erscheinen.
Es sei erlaubt, hier noch etwas mehr zu verweilen.
Für die Beschreibung der elektrodynamischen Phänomene kann zwar jedes einzelne der unendlich vielen Lorentz-Systeme von Raum und Zeit benutzt werden, und für den menschlichen Beobachter wird sich je nach seiner Schreitung bald das eine, bald das andere als das nächstliegende darbieten, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß die zu beschreibenden Vorgänge ganz unabhängig von dem Beobachter und seiner Raum-Zeit-Vorstellung in der Welt sich abspielen. Der Anblick ist für den Beobachter je nach seinem Standpunkt in der Welt verschieden: darin liegt das subjektive Element; wir erkennen aber hinter diesen Vorstellungsbildern Vorgänge in der Welt, die unabhängig von dem Menschen und seinen Vorstellungen sind: darin tritt uns das objektive Weltgeschehen entgegen.
Die Folgerungen für Äther und Relativitätsprinzip sind nun klar: Für das elektrodynamische Feld mit seiner unabhängig von der sinnlich wahrnehmbaren Materie und ihren Bewegungen sich abspielenden Vorgängen und seinen absolut in Raum und Zeit gegebenen Schreitungen scheint es durchaus natürlich, einen besonderen Träger, eben den Äther, anzunehmen. Was aber das Relativitätsprinzip anbetrifft, so erkennen wir von neuem das Vorhandensein von ausgezeichneten Schreitungen, so daß es unerlaubt erscheint, ohne Einschränkung von einer Gleichwertigkeit aller Schreitungen zu sprechen.
Nach den Darstellungen von A. Einstein (vergl. 8 8) scheint es, als ob die Grundlagen der von Lorentz vertretenen Theorie der Elektrodynamik, welche einen ruhenden Äther annimmt, durch den Ausfall des Experimentes von Michelson erschüttert seien, und als ob die Lorentz-Fitzgeraldsche Hypothese der Kontraktion nur einen künstlichen Versuch darstelle, die Theorie zu retten. Ich kann das durchaus nicht anerkennen. Die Theorie, um die es sich handelt, nimmt als Träger für das elektrodynamische Feld einen ruhenden Äther an und stellt die Gleichungen auf:
mit dem Zusatz, daß die Elektrizität an einzelne materielle Teilchen gebunden ist. Die Grundlagen der Theorie sind schon hiermit vollständig; will man auf ihnen eine Darstellung der wahrnehmbaren Erscheinungen aufbauen, so muß man angeben, wie die elektrischen Teilchen sich verhalten, wie sie sich bewegen usw. Ohne weiteres anzunehmen, daß die elektrischen Teilchen sich in ihren Bewegungen etwa als vollkommen starre Kugeln zeigen sollten, wäre durchaus willkürlich. Daß eine solche Hypothese verfolgt wird, wie es zum Beispiel Abraham getan hat, ist gewiß gerechtfertigt, ja vom wissenschaftlichen Standpunkt sogar notwendig, aber physikalisch betrachtet hat die Hypothese doch nicht viel Wahrscheinlichkeit für sich. Denken wir an analoge Vorgänge, an die Bewegung eines Auto-Ballons in der Luft, eines Torpedos im Wasser: das Medium übt hier auf den sich bewegenden Körper Kräfte aus, die ihn deformieren. Nun zeigen die elektrodynamischen Gleichungen, daß auch bei Bewegung elektrisierter Körper deformierende Kräfte erregt werden. So scheint die Annahme gewisser Deformationen wohl geboten, und ein Analogieschluß legt es sehr nahe, auch für die gewöhnliche, sinnlich wahrnehmbare Materie Deformationen zu vermuten. Daß diese Deformationen erst in der Nähe der Lichtgeschwindigkeit erhebliche Bruchteile ausmachen sollen, wie aus dem Michelsonschen Experiment gefolgert wird, deutet auf sehr große seinen absolut in Raum und Zeit gegebenen Widerstandskraft der Bausteine der Materie. — Also ganz gewiß nicht in den Deformationen an sich wird man irgendeinen Widerspruch gegen die Grundlagen der Lorentzschen Theorie sehen dürfen. Man wird im Gegenteil solche Deformationen voraussehen und nach ihnen suchen müssen. Die außerordentliche Bedeutung des Experimentes von Michelson ist es nun, daß es diese Deformationen wirklich kennen lehrt, und bedeutungsvoll erscheint das Resultat, daß wir gerade auf das elektrodynamisch ausgezeichnete Verhältnis hingewiesen werden. Sollte es nun „künstlich“ scheinen, daß eben dieser Wert angenommen werden muß? H. Poincaré[11]) hat gezeigt, daß solche Deformationen sich für ein Elektron aus der Einwirkung des Eigenfeldes erklären, wenn angenommen wird, das Elektron erleide keine anderen äußeren Kräfte als elektrische, und befinde sich dabei unter allseitig gleichem konstanten äußeren Druck. Diese Vorstellung scheint so gut verträglich mit den übrigen Vorstellungen von der Konstitution der Materie, daß ein Weg zur Erklärung des Kontraktionsgesetzes jedenfalls gegeben scheint und daher von einer Absonderlichkeit nicht gesprochen werden kann. Zu erwägen wäre nur die Frage, ob denn dieses so überaus einfache Gesetz wirklich in dem ganzen Bereich bis hinauf zu der Lichtgeschwindigkeit gelten sollte. Es erscheint möglich, darüber mittels Untersuchungen über die Maße der Elektronen durch das Experiment AufschlußB zu erhalten. Abweichungen von dem einfachen Gesetz würden gegen das unbedingte Relativitätsprinzip sprechen. –
Wir haben schon insofern Grenzen der Relativitätsgesetze kennen gelernt, als von den möglichen Koordinatensystemen in gleichbleibenden Schreitungen und von den möglichen Zeitsystemen nur ein bestimmt abgegrenzter Teil für die Beschreibung der Erscheinungen gleichartig erscheint. Man kann aber noch in anderer Hinsicht nach Grenzen für die Gültigkeit der Relativitätsgesetze fragen: Gelten sie nur für einen gewissen Kreis von Naturerscheinungen, oder umfassen sie alle?
Wir nehmen an, daß für die Änderungen der Dimensionen der materiellen Körper und für die Geschwindigkeit des Geschehens bei Änderungen des Bewegungszustandes genau diejenigen Schreitungen als Grenzen auftreten, in denen die elektrodynamischen Erregungen sich ausbreiten, daß also insbesondere auch die Lichtgeschwindigkeit hier wie dort als fundamentale Konstante auftritt. So scheint es naturgemäß zwischen allen diesen Phänomenen einen nahen Zusammenhang vorauszusetzen. Sobald die Existenz des Äthers angenommen wird, gibt dieser sofort die Verbindung zwischen den Erscheinungen. Es ist dann zu folgern, daß eben dieselben Eigenschaften des Äthers, welche bei der Ausbreitung der elektrodynamischen Erregungen ins Spiel kommen, auch die Kräfte beeinflussen, welche die Dimensionen der materiellen Körper und die Geschwindigkeit des Ablaufs der Vorgänge in ihnen regeln. Darf aber angenommen werden, daß damit die Gesamtheit der Naturerscheinungen erschöpft wird? Schon in bezug auf die inneren Kräfte der Materie kann man Zweifel hegen, noch mehr treten diese auf, wenn an die Gravitation gedacht wird, denn die Gravitation hat manches an sich, was gegenüber den elektrodynamischen Erscheinungen fremdartig scheint. Auffällig ist vor allem, daß die Gravitation ganz im Gegensatz zu den elektrodynamischen Erregungen die Materie unseres Wissens ohne Beeinflussung frei durchdringt. Wir haben z. B. keinen Grund anzunehmen, daß die Wechselwirkung zwischen zwei materiellen Teilchen, von denen das eine im tiefen Innern der Sonne, das andere im tiefen Innern der Erde liegt, irgendwie durch die mächtigen umhüllenden Mäntel von Materie beeinflußt wird. Man könnte vielleicht auch hervorheben, daß die Gravitation ganz ausschließlich durch die „Masse“ bestimmt wird, während bei elektrodynamischen Vorgängen wesentlich andere Faktoren mitwirken. Aber freilich ist hier zu beachten, daß gerade die Trägheit mit den elektrodynamischen Vorgängen verkettet erscheint. Man wird daher erst noch vorsichtig fragen müssen, wie enge diese Verkettung ist. Ganz sicher ist wenigstens ein Teil der Trägheit der Materie elektrodynamischen Ursprungs, ist sie es aber ganz? Trägheit heißt im Sinne der Mechanik Widerstand gegen Bewegungsänderungen; sollte es nicht vielleicht mehrere Ursachen für diesen Widerstand geben können?
Wenn die Gravitation sich in die Gesetze der Relativität einordnen soll, so muß jedenfalls ihre Ausbreitung mit der für die Elektrodynamik charakteristischen Lichtgeschwindigkeit erfolgen: da auch die zugehörigen Kräfte in entsprechender Weise variieren müssen, so sieht man sich schließlich durch die Annahme der Relativitätsgesetze zu der Vorstellung gedrängt, daß die Gravitation von Gesetzen ganz derselben Art beherrscht wird, wie sie für die elektromagnetischen Erscheinungen gelten. Es könnte danach auch für die Gravitation ein Paar von Erregungen angenommen werden, von denen die eine den Charakter der elektrischen, die andere den Charakter der magnetischen Erregung hat. Für die Verkettung wären dann die Maxwellschen Gleichungen anzunehmen mit der Lichtgeschwindigkeit als charakteristische Konstante. Für die Wechselwirkung zwischen Feld und Materie wären die entsprechenden Beziehungen vorauszusetzen, also Formeln analog den elektrodynamischen:
. |
An Stelle der elektrischen Menge träte die Massenmenge. Entsprechend der Anziehung zwischen gleichartigen Teilchen bei der Gravitation müßte der mechanischen Kraft die entgegengesetzte Richtung von zugeschrieben werden. Durch solche Formulierungen läßt es sich gewiß erreichen, daß die Gravitation den Gesetzen der Relativität genügt. Aber haftet diesen Formulierungen nicht etwas Künstliches an? Macht man es sich nicht gar zu bequem, indem man, um mit nichts Neuem rechnen zu müssen, einfach auf die Gravitation überträgt, was man über die Erscheinungen der Elektrodynamik gelernt hat? Jedenfalls scheint mir größte Vorsicht hier unbedingt geboten. —
Ein Forscher, welcher die Existenz des Äthers annimmt, wird fragen müssen, ob etwa derselbe Äther, der Träger der elektrodynamischen Erregungen ist, auch die Gravitation übermittelt, oder ob außer ihm noch etwas Neuartiges angenommen werden muß? Selbst wenn der Lichtäther der Vermittler der Gravitation sein sollte, so ist doch nicht ohne weiteres zu erwarten, daß den Gesetzen der Relativität genügt wird, weil für die Gravitation andere Eigenschaften des Äthers in Betracht kommen könnten. Insbesondere liegt es nahe, eine Verschiedenheit der Ausbreitungsgeschwindigkeit zu vermuten. Indes ist es selbstverständlich, daß derartige Überlegungen gar leicht das Schicksal haben könnten, durch die Erfahrung widerlegt zu werden. Ich stelle sie auch einzig aus dem Grunde auf, um hervortreten zu lassen, daß man in dem unbedingten Relativitätsprinzip, welches von vornherein für die Gravitation eine gleichartige Wirkungsweise wie für das elektrodynamische Feld behauptet, eben auch durchaus nichts anderes sehen darf, als eine Anregung für theoretische Erwägungen und experimentelle Studien, wenn die verhängnisvollen Folgen einer wissenschaftlichen Voreingenommenheit vermieden werden sollen.
Es ist nun eine Reihe von Erscheinungen besprochen worden, welche mit großer Sicherheit auf das Vorhandensein eines „Weltäthers“ schließen lassen. Für sich allein betrachtet erscheint er als Träger des elektromagnetischen Feldes. In seiner Körperlichkeit ist die Ursache dafür zu suchen, daß die Fortpflanzung der elektrodynamischen Erregungen allseitig in festgegebenen Schreitungen geschieht. Wegen dieser Körperlichkeit sind die Schreitungen insbesondere unabhängig davon, durch welche Ursachen die Erregung entsteht, welchen Standpunkt der Beobachter inne hat, und welches Zeitsystem er seinen Beobachtungen zugrunde legt. Werden z.B. von zwei sich beliebig schnell relativ zueinander bewegenden materiellen Systemen Lichtblitze in der gleichen Richtung ausgesandt, so erhalten die Wellen der beiden Lichtblitze trotz der Verschiedenheit des Bewegungszustandes der Lichtquellen doch die gleiche Schreitung. Wohl mag die relative Lage und die zeitliche Folge der zwei Wellengruppen der Lichtblitze je nach dem Standpunkt und dem Zeitsystem des Beobachters verschieden erscheinen, aber der Unterschied ist nur genau so groß, wie er dem verschiedenen Ausblick entspricht.
Zeigt sich so der Weltäther selbständig gegenüber der sinnlich wahrnehmbaren Materie und ihren Bewegungen, so erscheint die Materie ihrerseits weitgehend abhängig vom Weltäther, sobald man die Relativitätsgesetze als richtig anerkennt. Die Dimensionen, welche materielle Körper freiwillig annehmen, ändern sich, wenn der Bewegungszustand relativ zum Äther ein anderer wird; ebenso ändert sich die Geschwindigkeit des Ablaufs aller physikalischen, chemischen und Lebens-Vorgänge. Die Schreitungen der Elektrodynamik grenzen dabei das Gebiet ab, in dem die Schreitung der Materie bleiben muß, wenn die Naturvorgänge sich in der uns bekannten Weise abspielen sollen. Rückt die Schreitung an die durch die Elektrodynamik gegebenen Grenzen heran, so erhalten die materiellen Körper in einer Richtung verschwindende Dimensionen und zugleich werden alle Vorgänge in materiellen Systemen in ihrem Ablauf unendlich verzögert.
Man hat wohl die Meinung geäußert, daß der Äther einfach dasselbe sei, wie die sinnlich wahrnehmbare Materie, nur in feinerer Verteilung. Es scheint mir sehr bedenklich, sich die Beziehungen zwischen Äther und Materie so einfach vorzustellen, denn alle die charakteristischen Gegensätze zwischen Äther und Materie werden damit verwischt. Die Materie zeigt überall deutlich molekularen Bau, und wir haben gute Gründe für die Annahme, daß die Verdünnung der Materie nur in einem Auseinanderrücken ihrer sich stets gleichbleibenden Atome und Moleküle besteht. Diese Bausteine aber müssen wir uns nach ihrem Verhalten gegenüber den Licht- und Wärmeschwingungen, bei dem Zeemanphänomen, bei den Umlagerungen zu neuen Molekülen, bei den radioaktiven Zersplitterungen usw. als äußerst komplizierte Körper denken. Vor unseren geistigen Blicken tut sich hier eine neue Welt des Kleinen auf. Alledem gegenüber ließ sich bisher in dem von sinnlich wahrnehmbarer Materie freien Feld, wo der Äther allein anzunehmen ist, keine Spur von Differenzierung entdecken. Sollte also auch der Äther atomistisch gebaut sein, wie man wohl vermutet hat, so müßte seine Struktur jedenfalls sehr viel feiner als die der sinnlich wahrnehmbaren Materie sein. — Bei der Annahme, daß die Materie und der Äther gleichartig seien, kommt auch nicht die doch höchst bemerkenswerte Erfahrung zur Geltung, daß nach dem Fizeauschen Versuch über die Lichtbewegung in strömender Flüssigkeit und überhaupt nach dem ganzen elektrodynamischen Verhalten der Materie auch in ihrem Innern noch ein Gegensatz angenommen werden muß zwischen beweglichen Atomen und Molekülen und einem elektrodynamischen Feld, welches an den Bewegungen dieser Atome und Moleküle nicht teilnimmt. Beachtenswert ist ferner auch, daß gerade die Konstanz der Elektrisierung sich als eine Folge der elektrodynamischen Feldgleichungen ergibt; der Äther scheint hiernach Anteil an der atomistischen Konstitution der Materie zu haben, und es deuten sich so Zusammenhänge an, für welche die Annahme einfacher Dichteunterschiede keineswegs der rechte Ausdruck zu sein scheint. — Auch heute noch möchte ich über das gegenseitige Verhältnis von Äther und Materie die vorsichtigen Worte wiederholen, die ich in einem Vortrage[12]) im Januar 1897 aussprach: „Der ‚ruhende Äther‘ und die ‚bewegliche Materie‘ sind als Bilder aufzufassen, die wir von unserem menschlichen Standpunkt aus in der Natur sehen, und von denen wir nicht wissen, was ihnen in Wirklichkeit entspricht. Sich darüber Gedanken zu machen, ist gewiß interessant, aber für die Beschreibung der Naturerscheinungen vorläufig noch nicht notwendig. Für uns genügt es völlig, festzustellen, daß alles sich so zuträgt, als ob zwei solche Dinge, wie der ruhende Äther und die bewegliche Materie vorhanden wären. Wir können es ganz der zukünftigen Wissenschaft überlassen, uns näher an diese scheinbaren Dinge heranzuführen und unsere Vorstellungen zu vertiefen.“ —
Als Verteidiger des Äthers möchte ich hier noch einige Worte gegen die in § 8 mitgeteilten Ausführungen der Herren Einstein und Campbell anknüpfen.
A. Einstein äußert die Meinung, die elektromagnetische Feldenergie sei etwas Ähnliches wie die Materie, sie habe insbesondere mit dieser die Eigenschaft der Trägheit gemeinsam. Hierzu ist zunächst zu sagen, daß bei der innigen Verbindung zwischen Äther und Materie sich ganz gewiß Parallelen zwischen dem Verhalten der Materie einerseits und den Erregungen im Äther andererseits ziehen lassen. Aber man wird doch nicht außer acht lassen dürfen, daß auch wesentliche Unterschiede bestehen. Die Materie kann beliebige Schreitungen annehmen und gerade an Änderungen dieser Schreitungen knüpft sich der Begriff der Trägheit. Im Gegensatz dazu sind die elektrodynamischen Erregungen überall da, wo sie sich frei von der Materie bewegen, an ganz bestimmte Schreitungen gebunden. Will man auch sie mit der Trägheit in Beziehung bringen, so muß man sie fesseln. In der Natur kann dieses unseres Wissens allein durch die Kerne geschehen, welche in den materiellen Atomen geboten werden. Für theoretische Untersuchungen hat man wohl auch Käfige mit spiegelnden Wänden erdacht. In beiden Fällen tritt in die Erscheinung ein Element hinein, das den Vorgängen im freien elektromagnetischen Feld völlig fremd ist.
Herr Campbell meint, wir hätten schon deswegen kein Recht, von einem Äther zu sprechen, weil uns auch bei seiner Annahme kein Mittel zu Gebote stände, eine Stelle in ihm von der anderen zu unterscheiden. Als Inhalt für den von der sinnlich wahrnehmbaren Materie freien Raum biete sich allein die Energie dar. Dagegen ist zunächst zu sagen, daß es für die Dinge in der Welt recht gleichgültig ist, wie weit die Blicke des Menschen reichen. Die objektiven Dinge würden selbst dann bestehen, wenn keine Wissenschaft je den Begriff der Energie aufgestellt hätte. Daß es ferner nicht erlaubt ist, die Aufmerksamkeit auf die Energie allein zu beschränken, zeigt sich sofort, wenn man die entsprechenden Überlegungen auf den Schall anwendet. Hier ließe sich leicht ein Stand der Wissenschaft angeben, wo nach dem Gedankengang von Campbell die Schallenergie als das allein Wirkliche übrig bliebe, und die Hypothese einer „Luft“ zurückgewiesen werden müßte. —
Auch den Einwand von N. Campbell, daß die elektromagnetische Energie der Bewegung des Körpers folgt, zu dem sie gehöre, hat keine beweisende Kraft, obgleich hier eine bedeutungsvolle Unterlage insofern vorhanden ist, als in der Tat die elektromagnetischen Erregungen stets als Superposition von Einzelerregungen aufgefaßt werden können, welche auf Rechnung der verschiedenen materiellen Körper kommen. Es steht nämlich dem Einwand der Umstand entscheidend entgegen, daß die Ausbreitung der elektrodynamischen Erregungen in Schreitungen geschieht, die von dem Bewegungszustand der materiellen Körper unabhängig sind.
Der große Reiz, den das unbedingte Relativitätsprinzip besonders auf Vertreter der Mathematik ausübt, liegt in erster Linie wohl in dem Ausblick, die Raum- und Zeit-Anschauungen zu einer höheren Einheit verbinden zu können. Ich wählte in der vorliegenden Arbeit eine Darstellung, bei der die Abhängigkeit der Zeitvorstellung von räumlichen Bedingungen zwar anfangs auch scharf hervortrat, bei der dann aber doch immer mehr Fragen überwogen, die sich an die Existenz des Äthers knüpften. Indem ich jetzt die Untersuchung der Raum-Zeit-Vorstellung gesondert wieder aufnehme, sollen zur Gewinnung einer Schlußübersicht Wiederholungen nicht gescheut werden.
Wir haben erkannt, daß die Schwierigkeiten in der Zeitauffassung für die Physik beginnen, wenn der Verlauf an verschiedenen Orten aufeinander bezogen werden soll. Das Wesentliche wird hier durch die Frage zusammengefaßt: „Was ist Gleichzeitigkeit?“ Es ist äußerst wichtig zu beachten, daß man dieser Frage gegenüber verschiedene Standpunkte einnehmen kann. Um zu sehen, worauf es ankommt, vergleiche man jene frühere Art der Zeitrechnung, bei der in Deutschland jeder Ort die eigene astronomische Ortszeit benutzte, mit der heutigen, wo überall die „Mitteleuropäische Zeit“ eingeführt ist. Die gleiche Zeitangabe, etwa „12 Uhr mittags“, bedeutete damals etwas wesentlich anderes als heute. Man wird sofort erkennen, daß volle Berechtigung dafür vorliegt, in verschiedenen Fällen mit verschiedenen Zeitsystemen zu rechnen. — Dazu kommt ein anderer Umstand, der wohl noch bedeutsamer ist. Die Mathematik hat einst entdeckt, daß sich in Gedanken Räume mit verschiedenem Krümmungsmaß konstruieren lassen, und sie zieht seitdem alle diese Räume in ihre Arbeit ein. Der Physik ist so die Aufgabe erstanden, festzustellen, welcher Art der wirkliche Weltenraum ist. Jetzt ist erkannt worden, daß die Zuordnung von Zeit und Ort nicht so selbstverständlich ist, wie früher stillschweigend angenommen wurde. Es hat sich sogar gezeigt, daß eine mathematische Gruppe von unendlich vielen Zeitsystemen zur Beschreibung einer großen Klasse physikalischer Vorgänge gleichwertig erscheint. Da ist es sicherlich nicht nur ein mathematisches Problem, diese Zeitsysteme zu vergleichen, sondern es ergibt sich für den Physiker die Aufgabe, die Bedeutung dieser Zeitsysteme für die Vorgänge in der Natur festzustellen. —
Bei der Behandlung des Problems der Zeitauffassung für die Physik wollen wir vom Allgemeinen ins Spezielle gehen.
Zur Festlegung des Ortes dienen in der Physik für grundlegende Untersuchungen Koordinatensysteme, die für alle im System ruhenden Punkte die gleiche und sich dauernd gleichbleibende Schreitung ergeben. Wir wählen eine beliebige Schreitung und ein dazu gehöriges rechtwinkeliges Koordinatensystem aus. Von einem Zeitsystem, welches den Anforderungen der Physik entsprechen soll, muß vorausgesetzt werden, daß es jede gleichförmige Schreitung eines Punktes durch eine gleichförmige Geschwindigkeit darstellt. Damit ist festgesetzt, daß alle in Betracht kommenden Zeitsysteme miteinander durch lineare Beziehungen der Form
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verbunden sind. Sie mögen für den Augenblick die „allgemeinen physikalischen Zeitsysteme“ heißen. geben hier die Zeiten in irgend zwei der Systeme für einen bestimmten Punkt mit den Koordinaten an. sind Konstanten, welche die beiden Zeitsysteme miteinander verbinden. wird durch die beiden Zeiteinheiten bestimmt. entsprechen den verschiedenen Zuordnungen von Zeit und Ort, d. h. der verschiedenen Festsetzung der „Gleichzeitigkeit“. .
Unter den physikalischen Zeitsystemen wird nun eine bestimmte Auswahl getroffen. Wesentlich ist dabei, daß jeder Schreitung ein besonderes Zeitsystem zugeordnet wird, so daß Raumbestimmung und Zeitbestimmung miteinander verbunden werden. Es entstehen dabei die „symmetrischen Raum-Zeit-Systeme“, die sich zur „Lorentz-Gruppe“ zusammenschließen lassen. Nach dem bisherigen Gang der Überlegungen in der vorliegenden Arbeit könnte man das etwa folgendermaßen darstellen.
Das zu einer Schreitung gehörige symmetrische System der Gleichzeitigkeit ist durch irgendeine der folgenden, nur ihm eigentümlichen Eigenschaften bestimmt:
a) Die scheinbaren Änderungen der Dimensionen, welche irgendein materieller Körper bei sonst gleichbleibenden physikalischen Bedingungen zeigt, sind in den beiden Fällen formal gleich, in welchen der Körper von relativer Ruhe zum System in irgend zwei entgegengesetzt gleiche Relativgeschwindigkeiten übergeführt wird.
b) Wird irgendein Vorgang benutzt, um ausgehend von relativer Ruhe zum System eine Relativgeschwindigkeit zu erzeugen, so ergibt sich diese Relativgeschwindigkeit der Maßzahl nach gleich groß, wenn derselbe Vorgang in gleicher Stärke unter gleichen Umständen auf zwei entgegengesetzte Richtungen angewandt wird.
c) In jedem homogenen, gegenüber dem System ruhenden materiellen Medium erhält die Fortpflanzungsgeschwindigkeit einer jeden Erregung nach zwei beliebigen entgegengesetzten Richtungen unter sonst gleichen Umständen der Maßzahl nach gleiche Werte. Das gleiche gilt auch für die Ausbreitung der elektrodynamischen Erregungen im Raum frei von Materie.
d) Der Verlauf eines jeden physikalischen, chemischen oder Lebens-Vorganges erscheint unter sonst gleichen Umständen für irgend zwei Schreitungen, die gegenüber dem Koordinatensystem durch entgegengesetzte, der Maßzahl nach gleiche Geschwindigkeiten gekennzeichnet sind, gleich schnell zu erfolgen. —
Die Relativitätsgesetze lehren, daß alle diese Eigenschaften sich für jede Schreitung an ein und dasselbe System der Gleichzeitigkeit knüpfen. — Die weiteren Angaben der Relativitätsgesetze kommen für die Zuordnung der Längen- und Zeiteinheiten zur Geltung. In bezug auf eine einzelne Schreitung wird folgendes ausgesagt: Die Längeneinheiten für die verschiedenen Richtungen lassen sich so feststellen, daß ein jeder materielle Körper, der in bezug auf das Koordinatensystem nacheinander in beliebig verschiedenen Orientierungen zu relativer Ruhe gebracht wird, unter sonst gleichen Umständen die gleichen Dimensionen zeigt. So entsteht das „symmetrische System der Raumkoordinaten“ für die betreffende Schreitung.
Wird ein symmetrisches „Raum-Zeit-Koordinatensystem“ benutzt, d. h. für die Zeit das symmetrische System der Gleichzeitigkeit und für den Raum das symmetrische Koordinatensystem, so gelten nach den Relativitätsgesetzen alle die vorhin als charakteristisch für das symmetrische System der Gleichzeitigkeit angeführten Gesetze nun mit der Erweiterung, daß nicht nur Paare je zweier entgegengesetzter Richtungen, sondern alle Richtungen sich gleich verhalten.
Man erkennt, daß bis auf nebensächliche Festsetzungen über die Wahl der Anfangspunkte von Raum- und Zeitkoordinaten und der Richtung der Achsen ein jedes symmetrisches Raum-Zeit-Koordinatensystem fest bestimmt ist, sobald die Einheit für die Zeit und die Einheit für die Länge parallel irgendeiner Richtung gegeben wird. Um dabei die Raum-Zeit-Systeme aufeinander zu beziehen und sie so zur Lorentz-Gruppe zusammenzufassen, dienten die folgenden beiden Aussagen der Gesetze der Relativität:
a) Die Einheiten der Länge können für die zu den verschiedenen Schreitungen gehörigen Raum-Zeit-Systeme so bestimmt werden, daß ein jeder materieller Körper, der vom Ruhezustand in einem System zum Ruhezustand in einemanderen gebracht wird, unter sonst gleichen Umständen, den Maßzahlen nach die gleichen Dimensionen annimmt.
b) Die Einheiten der Zeit können in den zu den verschiedenen Schreitungen gehörigen Raum-Zeit-Systemen so bestimmt werden, daß alle von den Relativitätsgesetzen beherrschten Vorgänge (also wohl alle uns bekannten Naturvorgänge, abgesehen vielleicht von der Gravitation) den Maßzahlen nach in den verschiedenen Raum-Zeit-Systemen unter sonst gleichen Umständen in gleicher Weise verlaufen.
Die Raum-Zeit-Systeme werden durch diese Festsetzung der Einheiten für die Beschreibung der Vorgänge formal gleichwertig. Hiermit ist die Krönung der Gesetze der Relativität gewonnen. Wir haben erkannt ($ 14), daß die Gleichwertigkeit der Zeitsysteme in dem hier verlangten Sinne nur möglich ist, wenn die Erscheinungen unter der Herrschaft der Funktion stehen. Als ein bedeutungsvolles Endresultat der Untersuchungen ergab sich die Erkenntnis, daß entsprechend der Konstanten ein gewisser Bereich von Schreitungen in der Welt abgegrenzt wird, innerhalb welchem die von den Relativitätsgesetzen umfaßten Schreitungen liegen.
Es soll jetzt das Ganze noch einmal überblickt werden, aber in so verändertem Vorgehen, daß nun die Grenzschreitungen den Ausgangspunkt bilden. So wird ihre fundamentale Bedeutung noch weit schärfer zur Geltung kommen. — Man wird sich vorstellen müssen, die Grenzschreitungen seien durch Beobachtungen bestimmt worden. Am einfachsten könnte dies erreicht werden, wenn dazu die Bewegung des Lichtes im Raum frei von Materie aufgesucht wird. —
Zu jeder Schreitung wird das „symmetrische System der Gleichzeitigkeit“ als dasjenige definiert, in welchem den Grenzschreitungen in je zwei entgegengesetzten Richtungen der Maßzahl nach gleiche Geschwindigkeiten zugeordnet werden. Entsprechend heißt ein Raum-Koordinatensystem dann „symmetrisch“, wenn die Geschwindigkeit der Grenzschreitungen sich für alle Richtungen der Maßzahl nach gleich groß ergibt. Durch Zusammenordnung entstehen für alle Schreitungen die „symmetrischen Raum-Zeit-Systeme“. Um sie gemäß den Relativitätsgesetzen formal gleichwertig zu machen, setzen wir fest, daß Zeit- und Längeneinheiten für die verschiedenen Schreitungen so zu wählen sind, daß die Geschwindigkeit der Grenzschreitungen in allen Systemen den gleichen Zahlenwert erhält. — Diese Abmachungen bringen schon die Funktion zur Geltung, beschränken aber die Raum-Zeit-Systeme noch nicht völlig auf die Lorentz-Gruppe. Um das zu zeigen, sollen Formeln des § 13 verwertet werden.
Irgend zwei Schreitungen und mögen herausgegriffen werden. und seien die Zeiten in den zugehörigen symmetrischen Systemen. Was die Raumkoordinaten anbetrifft, so können wir die Untersuchung auf die -bezüglich die -Koordinaten beschränken, wenn die - und die -Achse einander parallel und beide parallel der Richtung der relativen Bewegung der Schreitungen gelegt werden. Es sei die Geschwindigkeit des Systems , beurteilt im System . — Zur Beziehung der Raum-Zeit-Systeme und aufeinander kann nach § 13 bei passender Wahl der Anfangspunkte geschrieben werden:
. | (98) |
Die Konstanten sind nach (65) mit der Relativgeschwindigkeit verbunden durch die Formel:
. | (99) |
Der relativen Bewegung eines Punktes parallel der Relativbewegung von gegen entsprechen dabei in den Systemen , Relativgeschwindigkeiten und , zwischen welchen nach (64) und (65) die Beziehung
(100) |
besteht. Gemäß den neuen Festsetzungen über die Zeitsysteme und ihre Einheiten muß für , ebenfalls und für , ebenfalls werden, also folgt aus (100):
(101) |
Diese beiden Gleichungen ergeben:
(102) |
Nun gehen (98) über in:
(103) |
Hiernach folgt weiter noch:
(104) |
Diese Formeln zeigen die charakteristischen Nenner der Lorentz-Transformationsformeln, unterscheiden sich aber von ihnen durch das Auftreten der unbestimmten Faktoren , . Die Berechtigung der vorangestellten Behauptung ist damit erwiesen. —
Wird der Zahlenwert der Grenzgeschwindigkeit , welcher nach unseren Festsetzungen allen Raum-Zeit-Systemen gemeinsam sein soll, beliebig, aber fest vorgeschrieben, so bleibt für jedes System noch die Zeiteinheit oder die Längeneinheit für eine Richtung verfügbar. In den Formeln (103), (104) drückt sich dieses durch das Auftreten der Faktoren , aus, und zwar nur durch das Auftreten dieser, denn der Wert von ist durch die Festsetzung des Wertes von mitbestimmt. —
So zeigt sich denn, daß die Zuordnung stets der gleichen Maßzahl zur Grenzgeschwindigkeit, wie es die Relativitätsgesetze verlangen, noch nicht genügt, um das System der für die Relativitätsgesetze gleichwertigen Raum-Zeit-Systeme zu konstruieren. Die Relativitätsgesetze müssen also nochmals eingreifen. Es kann dieses geschehen durch die Vorschrift, daß das zu irgendeiner Schreitung gehörige Raum-Zeit-Koordinatensystem, beurteilt im System irgendeiner anderen Schreitung, sich gerade so darstellen soll, wie das zweite Raum-Zeit-Koordinatensystem im ersten System. Dann ergibt sich für (103), (104) sogleich , und es entsteht die Lorentz-Transformation. — Die Relativitätsgesetze in ihrer Allgemeinheit behaupten die formale Gleichwertigkeit der so verbundenen Raum-Zeit-Systeme für die Beschreibung der Naturvorgänge.
Die obigen Auseinandersetzungen zeigen wiederum offenkundig, daß die Relativitätsgesetze sich durchaus nur auf die Maßzahlen beziehen, die sich ergeben, wenn den verschiedenen Raum-Zeit-Systemen in passender Wahl Raum- und Zeiteinheiten zugeordnet werden. So folgt auch wieder, daß weder aus der Gleichheit zweier der Maßzahlen auf objektive Gleichheit, noch aus der Verschiedenheit zweier Maßzahlen auf objektive Verschiedenheit irgendwie geschlossen werden kann. Das unbedingte Relativprinzip behauptet, daß die den Maßzahlen nach gleichwertigen Lorentzschen Raum-Zeit-Systeme ohne jede Ausnahme für das Weltgeschehen gleichwertig seien, indem die in ihnen zutage tretende Verkettung von Zeit und Schreitung als eine Folge des Wesens von Zeit und Raum erklärt wird. In der vorliegenden Arbeit wurde demgegenüber darauf hingewiesen, daß die Gleichwertigkeit der Lorentzschen Raum-Zeit-Systeme für alles Weltgeschehen schon deswegen nicht ohne Einschränkung behauptet werden darf, weil diese Systeme an einen ganz bestimmt abgegrenzten Bereich von Schreitungen gebunden sind. Es ließ sich ferner nachweisen, daß die verschiedenen Schreitungen und also auch die verschiedenen Raum-Zeit-Systeme für die Geschwindigkeit des Ablaufs der Naturerscheinungen nicht gleichwertig sind. Jetzt wollen wir noch beachten, daß bei der Formulierung der Relativitätsgesetze, also auch bei der Konstruktion der zugehörigen symmetrischen Zeitsysteme, der gewöhnliche physikalische Begriff der Gleichzeitigkeit gar nicht vollständig verwertet wird.
Der Begriff der physikalischen Gleichzeitigkeit knüpft sich an die Vorstellungen von „Ursache“ und „Wirkung“, oder „Auslösung“ und „Folge“. Um das hervortreten zu lassen, sollen insbesondere zwei Stationen und ins Auge gefaßt werden. Erfahrungsgemäß wissen wir, daß in eine Wirkung durch Operation in erzeugt werden kann und umgekehrt. Es kann dies in den mannigfachsten Arten geschehen: durch die Absendung eines lebenden Boten, durch das Abfeuern eines Schusses, durch die Aussendung eines Lichtblitzes usw. Theoretisch wäre als Mittel der Übertragung auch die Gravitation zu verwerten. In allen diesen Fällen wird nun angenommen, daß die „Folge“ in der Empfangsstation „später“ eintritt, als die „Auslösung“ in der Gebestation, und daß umgekehrt die „Auslösung“ „früher“ stattfindet als die „Folge“. Indem nun bald , bald als Gebestation benutzt wird, entsteht eine Beziehung zwischen dem Zeitverlauf in und derart, daß zu jedem Zeitpunkt für eine Station, etwa , ein Zeitintervall für die andere Station, etwa , sich angeben läßt, welches zwischen den als „früher“ und den als „später“ erkennbaren Zeiten liegt. Dieses offene Intervall wird um so kleiner, je schneller die Übertragung ist. Die gewöhnliche physikalische Vorstellung nimmt nun an, daß in der Natur keine obere Grenze für die Geschwindigkeit der Übertragung gegeben sei, wenn man über die Beschränktheit der menschlichen Mittel hinwegsieht, und nimmt weiter an, daß das Intervall bei unendlich wachsender Geschwindigkeit der Übertragung unendlich klein wird, so daß zu jedem Zeitpunkt der einen Station ein bestimmter der anderen zugeordnet wird. Dieser Zeitpunkt trennt dann als ein scharfer Schnitt die „früheren“ von den „späteren“ Zeitpunkten, und heißt „gleichzeitig“. Wir sehen, daß der gewöhnliche physikalische Begriff der Gleichzeitigkeit an die Vorstellung unendlich schneller Übertragung der Wirkung anknüpft. Sobald man demgemäß nur endliche Übertragungsgeschwindigkeit in Rechnung zieht, bleibt für die physikalische Vorstellung eine Unbestimmtheit in der Feststellung der Gleichzeitigkeit bestehen, die nur durch etwas Fremdartiges, etwa durch Hypothesen über die Übertragungsgeschwindigkeiten beseitigt werden kann. Über diese Unbestimmtheit wurde in § 11 gesprochen. Wird zum Beispiel das Licht als Mittel der Übertragung benutzt, das in Sekunde 300 km zurücklegt, so ergibt sich bei einem Abstand der Stationen von 150 km eine Unbestimmtheit von Sekunde. In der Formel (97) äußert sich diese darin, daß für die Konstanten der entsprechende Spielraum offen bleibt. Nun wird bei den Relativitätsgesetzen keine größere Geschwindigkeit als die des Lichtes verwertet, also bleibt diese Unbestimmtheit im ganzen Umfange bestehen. In der Tat wird sie durch die Gruppe der Lorentz-Systeme voll zum Ausdruck gebracht.
Indem das unbedingte Relativitätsprinzip von uns die Anerkennung der Hypothese verlangt, daß die Unbestimmtheit, welche von der Lichtübertragung noch offen gelassen wird, definitiv sei, gegeben durch eine uns verborgene Verkettung von Raum und Zeit, verwirft sie die alte physikalische Vorstellung von der Bestimmtheit der Gleichzeitigkeit. Es wird behauptet, daß die Verkettung von Raum und Zeit Übertragungen mit größerer Geschwindigkeit als der des Lichtes in der Natur ausschließe, so daß die alte Vorstellung eines unbegrenzten Zusammenschrumpfens des Zeitintervalls zwischen „früher“ und „später“ unerlaubt sei. Dieses Intervall habe endliche Größe, und jede Zuordnung der Zeiten in ihm als „gleichzeitig“ sei gleichberechtigt. Wir müßten demgemäß zum Beispiel zugestehen, daß je nach dem Standpunkt des Beobachters die Zeit des Lichtüberganges von einer Station zur anderen gegenüber derjenigen des umgekehrten Überganges klein, und zwar beliebig klein, oder auch groß und zwar beliebig groß, heißen dürfe.
Die in der vorliegenden Arbeit vertretene Auffassung ist eine andere. Die Lichtgeschwindigkeit bietet danach keine natürliche Grenze, die durch die Verkettung von Raum und Zeit gegeben ist, sondern nur eine Grenze, welche ihre Erklärung in den Eigenschaften des Äthers findet, und die daher den mit den elektrodynamischen Eigenschaften des Äthers verknüpften Naturerscheinungen eigentümlich ist. Die Unbestimmtheit in der Feststellung der Gleichzeitigkeit wird so nur in praktischer Hinsicht anerkannt, gilt aber nicht als fundamental für das Weltgeschehen im allgemeinen. Nach dieser Ansicht scheint es unnatürlich, eine Abgrenzung des „früher“ oder „später“ zwar vorzunehmen, aber diese Abgrenzung für die Weltanschauung nur so weit zu erlauben, als das einer bestimmten, wenn auch noch nicht so wichtigen Klasse von Naturerscheinungen entspricht. Absolut genommen wird dem Lichte ein Vorrecht, zum Beispiel gegenüber dem Schall, nicht zugestanden.
Wird die Ätherhypothese anerkannt, so stellt sich die Sachlage in bezug auf die „Gleichzeitigkeit“ so dar:
Ohne weitere Hypothesen wäre eine Verschärfung der Feststellung der Gleichzeitigkeit nur möglich, wenn für die Übertragung Schreitungen benutzt werden könnten, die außerhalb des Bereiches der elektrodynamischen Schreitungen liegen. Wegen der Abhängigkeit der sinnlich wahrnehmbaren Materie von dem Äther ist für diese an „Überlichtgeschwindigkeit“ kaum zu denken. So bleibt für die Theorie wohl nur der Hinblick auf die Gravitation, wenn sich zeigen ließe, daß diese sich in Schreitungen jenseits des Gebietes der Elektrodynamik ausbreitet. Aber auch hier ist für die Beobachtung bei der Schwierigkeit der Aufgabe[13]) nur wenig Hoffnung für ernstliche Erfolge vorhanden. —
So sehen wir uns für die Verschärfung der Feststellung der Gleichzeitigkeit über die Einengung durch die Elektrodynamik hinaus ( Sekunde auf 150 km Abstand) auf Hypothesen angewiesen. Es scheint mir ein großes Verdienst der durch A. Einstein angeregten Erörterungen über die Relativität, daß dieser Umstand heute klar zutage tritt.
Wird vom Äther angenommen, daß er in dem unseren Sinnen zugänglichen Teil der Welt überall gleiche Eigenschaften habe und isotrop sei, so bietet sich sogleich die Annahme, daß eine Erregung, die von irgendeinem Punkte im Äther ausgeht, alle Punkte, die auf irgendeiner um diesen Punkt beschriebenen Kugel liegen, zu gleicher Zeit erreicht. Damit wäre dann die Gleichzeitigkeit für die Physik eindeutig definiert ; diese Gleichzeitigkeit entspricht der Zeitrechnung desjenigen Lorentz-Systemes, das zur relativen Ruhe im Äther gehört. — Hier sind nun aber sogleich, sowohl in theoretischer als auch in praktischer Hinsicht, bedeutungsvolle Zusätze anzuknüpfen.
Zunächst ist zu bedenken, daß die Materie und der Äther vielleicht noch nicht die letzten physikalischen Dinge in der Welt sind; Wesen anderer Organisation wie wir Menschen könnten hinter ihnen vielleicht einen noch weiter von unserer Sinnenwelt abliegenden Untergrund erkennen. Dann würde sich die kugelförmige Ausbreitung des Lichtes auch nur als eine Annäherung erweisen. Möglich scheint es auch, daß im Äther Strömungen vor sich gehen, welche die Lichtwellen verzerren. Man wird eben immer wieder bedenken müssen, daß es keineswegs möglich ist, die Welt in so kurze Formeln zu fassen, wie die menschliche Eitelkeit es wünscht. —
Weiter aber ist klar, daß jede Anwendung der Definition der Gleichzeitigkeit ein Urteil über die Lage jener Schreitung verlangt, welche die relative Ruhe gegen den Äther bedeutet. Praktisch gesprochen handelt es sich dabei um die Feststellung der relativen Bewegung der Erde gegen den Äther. Da erscheint nun nach dem Ausfall des Michelsonschen Experimentes und nach den sich anschließenden Folgerungen über die Relativität der Erscheinungen zunächst jede beliebige Annahme über die Richtung und jede beliebige Annahme über die Geschwindigkeit bis hinauf zur Lichtgeschwindigkeit als gleichberechtigt. Das wäre für die menschliche Anschauung ein recht großer Spielraum, es wäre aber eben auch nur ein Spielraum; völlige Freiheit würde uns nicht geboten. Über die Grenzschreitungen des Lichtes dürften wir nicht hinausgehen: das wird niemand vergessen dürfen, der physikalische oder philosophische Folgerungen anzuknüpfen gedenkt.
Ich möchte nun aber doch meinen, daß Anzeichen vorhanden seien, nach denen für die Größe der Relativgeschwindigkeit der Bereich mit viel Wahrscheinlichkeit weitgehend eingeschränkt werden kann. Ich denke an die für mein Empfinden sehr auffällige Erscheinung, daß im ganzen Sternenraum, so weit man ihn auch spektrometrisch untersucht hat, sich nirgends erhebliche Relativgeschwindigkeiten gegen unser Sonnensystem gezeigt haben. So möchte ich vermuten, daß Kräfte wirksam sind, die nach der Art der Reibung die Bewegung gegen den Äther beschränken. Danach wäre zu erwarten, daß die relative Geschwindigkeit der Erde gegen den Äther nur von der Größenordnung 100 Kilometer/Sekunde ist. Die Abweichung unserer Zeitrechnung von derjenigen der physikalischen Gleichzeitigkeit im höheren Sinn wäre so für Entfernungen von 1000 Kilometer der Größenordnung nach auf milliontel Sekunde zu schätzen.
Wir sind zum Schluß gelangt. Da sollen die letzten Überlegungen der Raum-Zeit-Vorstellung des Beobachters gelten. Was bis hierher über die räumlichen und zeitlichen Verhältnisse und über den Zusammenschluß von Raum und Zeit gesagt wurde, war an die objektiven Erscheinungen in der Natur gebunden. Für den Geist des Menschen blieb nur die Aufsuchung der Ordnung. Wie steht es nun um das subjektive Element der Vorstellung?
Da wir voraussetzen, daß auch der Beobachter mit seinem Körper und seinen Lebensvorgängen dem Relativitätsgesetz unterworfen ist, ist die Antwort sogleich gegeben: Sie kann auch bei unserem Standpunkt, der den Äther annimmt, nicht anders lauten, als daß das Urteil des Beobachters über Raum und Zeit in eben der Weise von seiner Schreitung abhängt, wie es H. Minkowski in lebhaften Farben schildert. — Es sei mir gestattet, hier einige Beispiele vorzuführen, denn diese Methode ist wohl am besten geeignet, der Phantasie die erlaubten Bahnen zu zeigen. Mehr als einmal hatte ich Gelegenheit zu bemerken, wie durchaus verkehrt die Folgerungen waren, welche an das Relativitätsprinzip geknüpft wurden. —
Über die Variation in der Auffassung der Gleichzeitigkeit ist in der vorliegenden Arbeit schon oft gesprochen worden. Diese Variation stellt sich bei Änderung der Schreitung ein, wenn der Beobachter nur seine sinnlich wahrnehmbare Umgebung, die an seiner Schreitung teilnimmt, beachtet, und wenn er auf die Gleichzeitigkeit schließt, ohne mit der Möglichkeit zu rechnen, daß durch seine Bewegung gegen die übrige Welt (insbesondere gegen den Äther) die Beobachtungen einseitig beeinflußt werden könnten. – Es wird genügen, wenn hier von neuem auf die Kleinheit des Spielraums in der Auffassung der Gleichzeitigkeit hingewiesen wird. Befinden sich zwei Beobachter auf zwei Weltkörpern, die sich mit 100 km/sec. Geschwindigkeit relativ gegeneinander bewegen, so wird der Unterschied in der Auffassung der Gleichzeitigkeit nur +1 milliontel Sekunde auf 1000 Kilometer betragen! Selbst im Maximum, wenn die Relativgeschwindigkeit an die Lichtgeschwindigkeit herangeht, steigt der Unterschied auf nicht mehr als + Sekunde bei 300 Kilometer Abstand. -—
Bei Änderung seiner Schreitung wird der Beobachter eine Änderung der Dimensionen aller übrigen körperlichen Gebilde der Welt zu sehen vermeinen. Entspricht die Änderung einer Relativgeschwindigkeit von 100 km/sec, so wird ein Körper, der sich vorher als Kugel darstellte, um den 20millionten Teil des Radius abgeplattet erscheinen. Um erheblichere scheinbare Formveränderungen zu erhalten, muß bis in die Nähe der Lichtgeschwindigkeit heraufgegangen werden. Nehmen wir an, daß die Änderung der Schreitung einer Relativgeschwindigkeit entspricht, die bis auf 3 Proz. der Lichtgeschwindigkeit nahekommt, so wird . Stellen wir uns also vor, daß ein Beobachter mit solcher Geschwindigkeit an unserem Sonnensystem vorüberfährt, so wird er Bahnen von Planeten und Trabanten, parallel deren Ebenen er sich bewegt, als Ellipsen mit dem Achsenverhältnis 4:1 sehen, wenn sie uns nahe kreisförmig erscheinen.
Besonders auffällig erscheint der Einfluß der Schreitung auf die Auffassung der Geschwindigkeit des Ablaufs der Naturerscheinungen, sobald wir annehmen, daß der Gedankenfluß des Beobachters und seine Empfindung für „schnell“ und „langsam“ dem Gang seiner körperlichen Lebenserscheinungen entspricht. — Freilich, wenn für zwei Beobachter nur eine Relativgeschwindigkeit von 100 km/sec vorausgesetzt wird, ist der Unterschied ihrer Zeitauffassung äußerst gering. Was dem einen wie einer unserer Tage erscheint, wird für die Empfindung des anderen zu einem Tag, verändert um Sekunde. Nehmen wir aber wieder eine Relativgeschwindigkeit an, die bis auf 3 Proz. der Lichtgeschwindigkeit nahekommt, dann wird das Verhältnis der empfundenen Zeitlängen wie 4:1. Das Bild mag etwas weiter noch ausgemalt werden. Denken wir uns, daß ein Beobachter durch den Raum unseres Sternhimmels mit dieser Geschwindigkeit in einer Kreisbahn mit einem Radius von 16 Lichtjahren fährt, dann wird er nach unserer Zeitrechnung nach je 100 Jahren wieder an unserem Sonnensystem vorüberkommen. In seinem Gefährt wird dabei die Zentrifugalkraft so auf ihn einwirken, daß sie gemäß den Relativitätsgesetzen der Einwirkung der Schwerkraft auf uns Erdenbewohner gleich erscheint[14]). Es sind also die wirkenden Kräfte nur so groß, daß der Phantasie die Möglichkeit geboten wird, den Reisenden als menschliches Wesen zu denken. Da hier dauernd ist, fließt die Eigenzeit für den Reisenden viermal langsamer dahin, als für die Bewohner der Gestirne. Wenn er also nach 100 unserer Jahre wieder zu unserem Sonnensystem zurückkehrt, wird er sich selbst nur um 25 Jahre gealtert fühlen. Erreicht er nach der Entwicklung seines Körpers und nach seiner Zeitempfindung ein Alter von 75 Jahren, so entspricht dies doch einer dreimaligen Wiederkehr zu unserem Sonnensystem, also 300 unserer Erdenjahre. — Dies Beispiel ist wohl auch geeignet, den Einfluß der Schreitung auf die Geschwindigkeit des Ablaufs der Naturvorgänge deutlich zu machen, —
Die Fortpflanzung des Lichtes (d. h. der elektrodynamischen Erregungen) im Raum frei von sinnlich wahrnehmbarer Materie erfolgt in einem System von Schreitungen, welches unseres Wissens unabhängig ist von der Materie und ihren Bewegungen.
Wird die Gültigkeit der Relativitätsgesetze angenommen, so müssen in den elektrodynamischen Schreitungen zugleich Grenzschreitungen für das Verhalten der Materie gesehen werden. Bei allen uns bekannten Naturerscheinungen scheint die Materie gebunden an den Verbleib innerhalb des Gebietes, welches durch die elektrodynamischen Schreitungen abgegrenzt wird. Es muß angenommen werden, daß beim Herangehen der Schreitung eines Körpers an die Grenzen dieses Gebietes die Teile des Körpers immer mehr flächenhaft zusammenrücken, und alle physikalischen Vorgänge in ihm ohne Grenzen verzögert werden. Für die Beurteilung dessen, was mit der Materie geschieht, wenn die Grenzen des Gebiets überschritten werden, fehlt heute noch jeder Anhalt. —
Das System der genannten Schreitungen erscheint in Raum und Zeit absolut gegeben. Zur Erklärung dafür muß etwas Gegenständliches angenommen werden, was von der sinnlich wahrnehmbaren Materie unterschieden werden kann: der „Äther“. Gelten die Relativitätsgesetze, so folgt, daß die sinnlich wahrnehmbare Materie mit diesem Äther noch inniger verkettet ist, als dieses schon aus den elektrodynamischen Wechselbeziehungen gefolgert werden kann.
- ↑ Mündliche Berichte über einzelne Teile der vorliegenden Arbeit wurden in Göttingen gegeben: in der Kgl. Ges. d. Wiss. am 25. März d. J., in der Physik. Ges. am 17. Mai, in der Math. Ges. am 23. Mai.
- ↑ N. Campbell, Phil. Mag. Lond. 19, 181—191, 1910; Zitat von S. 190 in Übersetzung.
- ↑ A. Einstein, Ann. d. Phys, 17, 891, 1905; Jahrb. d. Radioaktivität u. d. Elektronik 4, 411-462, 1908
- ↑ H. Minkowski, Nachr. v. d. Kgl. Ges. d. Wiss, zu Göttingen aus dem Jahre 1908, S. 53—111.
- ↑ H. Minkowski, diese Zeitschr. 10, 104—111, 1909; Zitat von S. 104.
- ↑ H. A. Lorentz, diese Zeitschr. 11, 1234, 191O.
- ↑ Der Name „Lorentz-Transformation“ rührt von H. Poincaré her. Indem ich hier zwischen Lorentz-Transformationen für „Raum und Zeit“ und für „Vorgänge“ unterscheide, soll die für die Relativitätstheorie wichtige doppelte Anwendung der Transformationsgleichungen hervorgehoben werden.
- ↑ Alle die Ausdrücke „Version“, „Rotation“, „curl" rühren von Maxwell her. — curl empfiehlt sich wenig als internationalen Ausdruck; ich kann mich auch nicht dazu entschließen, den Ausdruck „Rotation“ zu gebrauchen, da er den mathematisch und physikalisch sehr wesentlichen Unterschied von rotationalen und polaren Vektoren verwischt.
- ↑ A. Einstein, diese Zeitschr. 10, 819, 1909.
- ↑ Diese Zeitschr. 12, 689, 1911.
- ↑ H. Poincaré, Rend. Circ. Matem. Palermo 21, 129—175, 1906.
- ↑ E. Wiechert, Über das Wesen der Elektrizität, Schriften d, Phys.-ökonomischen Ges. zu Königsberg i. Pr. 38 [3], 1897; auch: Naturw. Rundschau, Mai 1897.
- ↑ Vgl. H. A. Lorentz, diese Zeitschr. 11, 1234, 1910.
- ↑ Bei einem Kreis mit einem Radius von Lichtjahren ist die Zentrifugalkraft , wobei . Die Beschleunigung , welche im Lorentz-System der jeweiligen Schreitung beobachtet wird, ist nach (28) mal größer. Setzt man also der Schwerkraft = ca. 980, so wird , also und . Dabei ist die Umlaufszeit Erdenjahre und die zugehörige Eigenzeit für den Mitreisenden Erdenjahre.