Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
korrigiert  
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Kornreichste Insel in d. Ägäis
Band XII,2 (1925) S. 19281930
Bildergalerie im Original
Register XII,2 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|XII,2|1928|1930|Lemnos|[[REAutor]]|RE:Lemnos}}        

Lemnos (Limnos; italisch einst Stalimeni"), die ebenste, kornreichste Insel im Ägäischen Meer heißt nach der Erdmutter: Steph. Byz. s. v. ἀπὸ τῆς μεγάλης λεγομένης θεοῦ, ἣν Λῆμωόν φασι. Literatur in IG XII 8 p. 6. C. Rhode Res Lemnicae, Diss. Breslau 1829. G. Pantelides Ἱστορία τῆς νήσου Λήμνου, Alexandria 1876 (ohne Wert). Skebelew Klio II 36. Fredrich Athen. Mitt. XXXI 60. 241. Karten (über die älteren: Fredrich 241): de Launay Annales des Mines XIII 199 Taf. III; mit Zusätzen von Fredrich Taf. XIX und IG XII 8 p. 7. Segelhandbuch f. d. Mittelmeer V 1906, 195. Zu den Häfen (ἀμιχθαλόεσσα): Fredrich 252, 1.

L. (454 qkm; 27 000 Einwohner, darunter 2500 Türken) wird durch die tiefeinschneidenden Buchten von Purnia (Norden) und Mudros (Süden) in zwei durch eine nur 4 km breite Landenge zusammenhängende Teile zerrissen. Aus Trachyt ist diese Verbindung wie die Südwestecke und andere Teile gebildet; über 2/3 sind Flysch (de Launay 199. Rev. arch. XXVII 305). Die Skopiá im Nordwesten ist die höchste Erhebung (470 m). Eine flache Höhe auf der Landenge ist der alte Mosychlos, der einst ein früh erloschenes Erdfeuer trug (Naumann-Partsch Phys. Geographie von Griechenland 314. Fredrich 74. 253; Taf. zu [1929] 245); auf ihm wird noch heute die ,Lemnische Erde‘ (Λημνία σφραγίς, Terra sigillata) gegraben (Fredrich 74. 254). Ergiebiger Getreidebau vgl. IG II 5. 834b Col. II 64 = IG XII 8 p. 3 zu 329/8). Weite Stücke im Nordwesten und Süden (Phokas-Halbinsel) bieten nur Weide. Weinbau im Altertum: Rhode 18.

Die Gestalt der Insel bedingte zwei Hauptorte, aber an der ganz trefflichen Bucht von Mudros (Engl. Seekarte 1661) erwächst erst jetzt ein Dorf dieses Namens. Die antiken Orte lagen auf steilem Vorgebirge mit zwei Landeplätzen im Westen: Myrina, und im Norden weniger fest, aber mit geschützter, jetzt versandeter Hafenbucht: Hephaistia oder Hephaistias. Die Bergstadt Myrina ist jetzt als Kastro (3000 Einwohner) Sitz der Behörden (Plan: Fredrich 244; Inschriften IG XII 8 p. 9; Nekropole mit Resten der Tyrsener: Fredrich 60; Mauer der athenischen Kolonie 244 mit Taf.). Auf dem alten Burgberg ragt ein mittelalterliches Kastell, das öfter belagert wurde (Fredrich 247). Hephaistia (s. o.; Plan: Fredrich 248; Inschriften: IG XII 8 p. 12) wurde von A. Conze (Reise [1858] auf den Inseln des thrak. Meeres 116) wiedergefunden. Im Altertum wurde es die bedeutendere Stadt und später Metropolis (Fredrich 249), aber seit der Erstürmung durch die Türken (um 1395) liegt der Platz öde. Dafür entstand weiter im Südwesten das Kastell Kokkino (Fredrich 250. 253; IG XII 8 p. 5). Von den Dörfern seien erwähnt im Osten Komi mit dem Rest eines Heraklesheiligtums (Fredrich 251. IG XII 8, 18-22); im Südosten Kaminia, wo die tyrsenische Inschrift gefunden wurde (Fredrich 252; IG XII 8, 1); im Nordosten das Dörfchen Plaka, von wo man nach dem Pyrgos auf Imbros fährt.

Uralt ist der Kult der Erde (s. o.) und des Feuers, das im Mosychlos (s. o.) zutage trat und den Hephaistos hier heimatsberechtigt machte; sehr alt auch der Kult der Kabiren, Fredrich 72ff.; alte Kultgebräuche spiegeln sich in der Argonautensage wieder (75). Später kommen die attischen Kulte dazu.

Geschichte von Lemnos und Imbros: IG XII 8 p. 2. Die ältesten Bewohner, denen die Insel den Namen verdankt (,Karer‘), werden von dem thrakischen Stamm der Sintier (Hom. Il. I 594; Od. VIII 294) abgelöst. Von etwa 800 bis nach 700 scheint sie im Besitz von Griechen (darunter Samier? IG XII 8 p. 2) gewesen zu sein (Hom. Il. VII 467. IG XII 8 p. 2); darauf weist auch die Argonautensage. Die Griechen werden im Λήμνιον κακόν (Herod. VI 138. Aischyl. Choeph. 631. v. Wilamowitz S.-Ber. Akad. Berl. 1906, 76) durch die Tyrsener (Hora. hymn. VII 6) vernichtet, die von etwa 700 bis nach 550 L. besitzen. Trotz der Inschrift (IG XII 8, 1) und der Reste ihres Kultes (Fredrich 60. 85. 252. IG XII 8 p. 2) sind sie noch rätselhaft, kamen aber wohl aus Asien und sind vielleicht Verwandte der Etrusker. Über die Zeit der Eroberung der Insel durch Miltiades s. Imbros. Hephaistia ergab sich sofort, während das feste Myrina länger widerstand (Herod. VI 140. Diodor. X 19, 6. Charax Pergam. frg. 30 = FHG III 642 = Steph. Byz. s. Ἡφαιστιάς. Suid. s. v.). Um 512 durch Otanes erobert (Herod. V 26) waren die Inseln bis 480 [1930] persisch, aber während des ionischen Aufstandes vielleicht in der Hand des Miltiades (Diodor. X 19, 6). Im delischen Seebund zahlt L. neun Talente und erhält (447?) attische Kleruchen; von da ab ist Hephaistia mit drei Talenten, Myrina mit 11/2 Talenten veranlagt (IG I p. 233; nr. 227ff. Suppl. p. 72, 239. Busolt Griech. Gesch. III 1, 414). Weihung der Athena Lemnia: Paus. I 18, 2. Die in Attika gefundenen Inschriften der Kleruchen s. IG XII 8 p. 3ff. Ἴμβριοι καὶ Λήμνιοι (Λημνία oder Ἴμβριοσ δίκη) = οἱ φυγοδικοῦντες Suid. und Hesych. s. v. Phot. 107, 22. Macar. prov. IV 76-77. Ael. Dion. bei Eustath. zu Hom. Il. XXI 43. Isaios VI 13. 404/3-394/3 den Athenern entfremdet, bleiben die Inseln ihnen 387/6 und bilden bis auf kürzere Unterbrechungen 318-307. 295/4-281. 266-263. 202-166; vgl. IG XII 8 p. 3) den Kern des attischen Kolonialbesitzes, bis Septimius Severus (193-211) auch sie ihnen nimmt. Aus der Zeit der Freiheit stammen: IG XII 8, 27f.; der jüngere Philostratos nennt sich Lemnios (IG XII 8 p. 5).

Die mittelalterliche und moderne Geschichte bei Fredrich IG XII 8 p. 5. Athen. Mitt. XXXI 255. Aus dem byzantinischen Reich kam L. an die Navigajozi (1207-1278); später gehörte es zeitweise den Venezianern (1296-1303) und den Gattilusi (1414/9-1456). 1419 besucht es Buondelmonti (liber Insularum 66f.) und 1444 Cyriacus von Ancona (Athen. Mitt. XXXIII 90. Ziebarth Athen. Mitt. XXXI 406). Seit 1456, endgültig seit 1479, ist L. türkisch. Vgl. Sealy Annual Brit. School Athens XXIII 148.