Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Form d. Todesstrafe
Band IV,2 (1901) S. 17281731
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Crux (die Ableitung des Wortes ist unsicher, man hat es mit den Sanskritwurzeln çram = quälen, krunć = krümmen und shark (ver)schränken in Verbindung gebracht, vgl. Ascoli Ztschr. f. vgl. Spr. XII 421ff. Corssen Krit. Nachtr. z. lat. Formenlehre 237. 244. Fick Wörterb. d. indog. Spr. I 813). Die Kreuzigung ist den Römern zu allen Zeiten als eine besonders grausame Todesstrafe erschienen. Cic. Verr. V 165 nennt sie supplicium crudelissimum taeterrimumque; in der Kaiserzeit wird sie unter den summa supplicia genannt (Paul. V 17, 2. Callistr. Dig. XLVIII 19, 28 pr.) und geradezu als summum supplicium κατ’ ἐξοχήν behandelt (Paul. V 21, 4. Ulp. Dig. XLVIII 10, 8; vgl. Pomp. Dig. XII 4, 15); von den übrigen Todesstrafen stehen ihr am nächsten crematio und bestiis obici; sie ist schwerer als die zweite (Ulp. Dig. XLVIII 13, 6 pr. 10, 8), aber wohl nicht so schwer wie die erste (s. Art. Crematio). Die Römer betrachten die Kreuzigung weiter als eine alte Strafe, Callistr. Dig. XLVIII 19, 28 pr. Aurel. Vict. Caes. 41; im Process des Rabirius wird sie von Labienus und Cicero zusammengestellt mit der Strafe des arbori suspendere, wie diese im Process des Horatius (Liv. I 26) und in den zwölf Tafeln (Plin. n. h. XVIII 12) erwähnt wird. Ob dies richtig ist, ob der Kreuzigung wirklich ein sehr hohes Alter zukommt, ob sie gar in republicanischer Zeit im städtischen Gebiet die ‚regelmässige, öffentliche Executionsform‘ für Freie und Unfreie gewesen (Mommsen), all das lässt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Dagegen spricht nicht nur die Behauptung des Livius (I 28) über die grosse Milde des altrömischen Strafensystems und der deutliche Protest des Cicero gegen die Anwendung dieser Strafe auf Bürger, sondern auch die Formel im Process des Horatius; sie weist auf Erhängung hin (arbori infelici reste suspendito); von letzterer unterscheidet sich die [1729] Kreuzigung aber dadurch, dass ihr das Moment des Andauerns der Todesqual wesentlich ist, Senec. ep. 101, 14 perire membratim et … per stillicidia emittere animam; vgl. Isid. orig. V 27. 34. Die zwölf Tafeln scheinen die Strafe noch nicht zu kennen, wenigstens drohen sie dem Sclaven bei furtum manifestum als Todesstrafe nicht die Kreuzigung (servile supplicium, s. u.), sondern den Sturz vom tarpeischen Felsen an, Gell. XI 18, 8, vgl. Gai. III 189. Wahrscheinlich haben die Römer die Kreuzesstrafe nicht erfunden, sondern bei einem andern Volk kennen gelernt und in ihr Strafensystem übernommen; dieses Volk dürfte – so Zestermann und Fulda – das punische sein; Kreuzigung bei den Puniern, Iustin. XXII 7. Polyb. I 24, 6; vor den punischen Kriegen ist die Kreuzigung in Rom nicht nachweisbar, dagegen kennen sie Ennius und Plautus, der ältere Scipio soll sie zur Anwendung gebracht haben (Liv. XXII 33. XXX 43. Val. Max. II 7, 12), und Tertullian bringt ihr Aufkommen geradezu mit der Geschichte des Regulus in Verbindung (ad nat. I 18).

In republicanischer Zeit erscheint die Strafe zunächst allerdings nur als schwere Strafe für Sclaven, wie sie denn auch in der Folge recht eigentlich das servile supplicium (so z. B. Tac. hist. IV 11. Hist. Aug. Avid. Cass. 4, 6) geblieben ist; in dieser Anwendung erwähnen sie z. B. Plaut. mil. glor. 359; Mostell. 55. Liv. XXII 33. Cic. pro Cluent. 187; Verr. V 12; pro Mil. 60. Val. Max. VIII 4, 2. Auch die Anwendung der Strafe auf freie Nichtrömer scheint, namentlich im provincialen Regiment und gegenüber Räubern, nichts Bedenkliches zu haben, Cic. Verr. V 7. 28. 71ff. Val. Max. VI 3. 5. Joseph. bell. Iud. II 271ff. Suet. Caes. 71; dagegen wird die Kreuzigung römischer Bürger als etwas durchaus Unerhörtes bezeichnet, Cic. pro Rabir. 16; Verr. I 7. V 12. 162ff. Suet. Galb. 9; vgl. Val. Max. II 7, 12.

In der Kaiserzeit ist die Kreuzigung zunächst ebenfalls servile supplicium und trifft den Sclaven mehrmals, wo den Freien leichtere Strafe trifft, Hadr. (Ulp.) Coll. I 6. 4. Paul. V 22, 1. 25, 1 (vgl. Ulp. Dig. XLVIII 19, 1, 1). Ulp. Dig. XLVIII 10, 8. Apul. met. X 12. Petron. 53, 3. 126, 10; namentlich bei schweren Vergehen gegen den Herrn (Nachstellung, Denuntiation), Senec. de clem. I 26, 1. Hist. Aug. Pertin. 9, 10. Herod. V 2. Paul. V 21, 4. Lactant. inst. V 19. Constant. Cod. Theod. IX 5, 1. Sodann wird die Strafe nunmehr auch gegenüber Freien, Nichtbürgern und Bürgern, minder bedenklich angewendet; mehrmals wird sie ohne Rücksicht auf den Stand des Thäters allgemein angedroht, häufiger allerdings auf humiliores (Gegensatz: honestiores) beschränkt; decuriones sollen überhaupt nicht gekreuzigt werden, Ulp. Dig. XLVIII 19, 9, 11; ebensowenig Soldaten, sofern sie nicht transfugae sind, Mod. Dig. XLIX 16, 3, 10. Tarrunt. Pat. Dig. XLIX 16, 7. Paul. Dig. XLVIII 19, 38, 1. Diocl. u. Maxim. Cod. Iust. IX 41, 8. Hist. Aug. Opil. 12, 2; die Strafe gilt als besonders schmachvoll, Arnob. I 36. Lactant. inst. I V26 (infame genus supplicii, quod etiam homine libero qaumvis nocente videatur indignum). Die Verbrechen, für welche Freien Kreuzigung angedroht wird, [1730] sind: Tötung und Raub, Paul. V 23, 1. Callistr. Dig. XLVIII 19, 28, 15. Evang. Marc. 15, 27. Senec. ep. I 7, 5. Iuven. VIII 187. Joseph. bell. Iud. II 253. Petron. 111, 5. Firm. Mat. math. VIII 22; Übergang zum Feind und Hochverrat, Paul. Dig. XLVIII 19, 38, 1; Anstiftung zu Aufruhr (auctor seditionis) Paul. Dig. XLVIII 19, 38, 2. Joseph. ant. Iud. XX 129, hieher auch die Kreuzigung Christi; sacrilegium Ulp. Dig. XLVIII 13, 6 pr.; falsum Paul. V 25, 1. Firm. Mat. math. VI 31 u. a. Häufige Anwendung hat die Kreuzigung in den Christenprocessen gefunden, vgl. z. B. Tertull. apol. 31; ad mart. 4. Constantin hat die Kreuzesstrafe abgeschafft, Cassiod. hist. trip. I 9. Aurel. Vict. Caes. 41. Sozom. hist. eccl. I 8, jedenfalls nicht vor dem J. 314, in welchem er sie selbst noch anordnet, Cod. Theod. IX 5, 1. In den iustinianischen Rechtsbüchern ist das Wort crux aus Pietät vor dem Zeichen des Erlösers regelmässig in furca abgeändert; dies macht wahrscheinlich, dass an Stelle der Kreuzigung eine andere Strafe (furca) in Anwendung kam, jetzt wahrscheinlich eine Strafe des Erhängens, bei der weder die Form des Gerüstes, noch die Stellung des Opfers den Gedanken an das Kreuz Christi aufkommen liess, so wohl das vinctis post tergum manibus suspendere bei Ammian. Marc. XV 7, 4 und das ἀνασκολοπίζειν bei Procop. hist. arc. 17; vgl. Isid. orig. V 27, 34 suspensum et strangulatum exanimat.

Der Vollziehung der Kreuzigung geht die Geisselung des Verurteilten voraus, Cic. Verr. V 162ff. Jos. bell. Iud. II 308. Er wird entkleidet, Artemid. oneirocrit. II 61 und die Evangelien. Die für den Act der Kreuzigung selbst gebräuchlichen Wendungen sind in crucem agere, tollere, ἀνασταυροῦν, cruci affigere, suffigere; damit ist gegeben, dass der Gekreuzigte in die Höhe gehoben wird, und, irgendwie befestigt, in der Höhe hängt; wesentlich ist weiter ein Aufhängen zu langsamem Tod. Im übrigen scheint die Strafe zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten und je nach der Laune des Schergen verschiedene Formen angenommen zu haben, Senec. ad Marc. de cons. 20, 3. Jos. bell. Iud. V 449ff. Ursprünglich wurde wohl einfach ein Baum oder ein ad hoc in die Erde gerammter Balken oder Pfahl (crucem figere bei Verr. V 12. 169, crucem statuere bei Suet. Galb. 9 u. a.) benutzt, wie denn auch mit crux die Bezeichnungen palus (Cic. Verr. V 11) und stipes (Senec. de vit. beat. 19, 3) abwechseln; darauf führt auch der griechische Name des Kreuzes, σταυρός = aufrecht stehender Pfahl, Eustath. zu Hom. Od. XIV 11. Hesych. s. σταυροί (σταυροί – πάντα τὰ ἑστῶτα ξύλα), vgl. Curtius Grundzüge der griech. Etym.³ 200. Jedenfalls ist nicht erwiesen und höchst unwahrscheinlich, dass das Kreuz notwendig, immer und überall, die uns heute geläufige und bei den Kirchenvätern beschriebene Form oder gehabt habe. Das Aufkommen dieser Form, d. h. das Hinzukommen des horizontalen Querbalkens hängt vielmehr wahrscheinlich (so namentlich Fulda, s. u.) zusammen mit der Sclavenstrafe des patibulum. Dieses wird dem Sclaven über den Nacken gelegt, die seitwärts ausgespannten Arme daran befestigt (bracchia patibulo [1731] explicare, Senec. ad. Marc. de cons. 20, 3, vgl. Dion. Hal. VII 69. Plaut. mil. glor. 359); mit diesem patibulum wird der Sclave an das Kreuz (Hauptbalken) hinaufgezogen (patibulo suffixus in crucem erigitur, Firm. Mat. math. VI 31), vielleicht (so Fulda) derart, dass ein die Enden des patibulum (Querbalken) verbindender Strick oben an dem in der Erde stehenden Hauptbalken befestigt wird, so dass die ganze Erscheinung des Gerüstes an Mast und Segelstange erinnert (Tertull. ad nat. I 12). So wird auch häufig patibulum geradezu für crux gebraucht, namentlich bei der Hinrichtung von Sclaven, Senec. de vit. beat. 19, 3; ep. 101, 12. Tac. hist. IV 3. Apul. met. X 12. Tertull. de pudic. 22. Paul. Nol. ep. 31, 5. Constantin. Cod. Theod. IX 5, 1. Aurel. Vict. Caes. 41. Üblich ist ein Annageln des Körpers am Kreuz (cruci affigere, suffigere), namentlich der Hände am Querbalken (patibulo suffigere); Nägel am Kreuz erwähnen u. a. Senec. de vit. beat. 19, 3. Plin. n. h. XXVIII 4, 11. Artemid. oneirocr. II 61; ein von Blut triefendes Kreuz, Cic. Verr. IV 26. Dass der Hinzurichtende sein Kreuz selbst zur Richtstätte trägt, wird nicht nur in der Passionsgeschichte, sondern gelegentlich auch anderwärts erwähnt, s. Plut. de ser. num. vind. 9. Artemid. oneirocr. II 61. Charit. IV 2, 7. 3, 10; in der Regel scheint aber das Kreuz an der Richtstätte den Verurteilten zu erwarten, Cic. Verr. V 162ff.; das sog. Kreuztragen ist wahrscheinlich (Cobet, Fulda) nur ein Tragen des Querbalkens (patibulum, vgl. Plaut. bei Non. p. 221: patibulum ferat per urbem, deinde affigatur cruci). Ständige, inventarische Kreuze gab es kaum; das Kreuz wurde vielmehr von Fall zu Fall errichtet und nach einmaligem Gebrauch wieder vernichtet (cruces succidere, Quint. declam. VI 9). Erwähnt wird ferner die Möglichkeit des crura frangere, durch welche Operation die Schmerzen vermehrt, aber auch die Todesqualen verkürzt werden, Cic. Phil. XIII 27. Ev. Joh. 19, 31. Firm. Mat. math. VIII 6, vgl. Euseb. hist. eccl. VIII 12, 6. Crurifragium kommt aber auch als selbständige Strafe (Todesstrafe?), besonders gegen Sclaven, zur Anwendung, Suet. Aug. 67; Tib. 44. Senec. de ir. III 32, 1. Euseb. hist. eccl. VIII 12, 6. Amm. Marc. XIV 9, 8. Der Gekreuzigte wird militärisch bewacht, Petron. sat. 111. 112. Auslieferung des Leichnams an Verwandte Philo Iud. in Flacc. p. 756 D. Ulp. Dig. XLVIII 24, 1. Eine besondere Art der Kreuzigung ist die sog. Pfählung oder Spiessung, acuta crux, σκόλοψ, Senec. ad Marc. de cons. 20, 3 (per obscoena stipitem agere); ep. 101, 10. Hesych. s. σκόλοψ.

Litteratur. Cobet Adnot. crit. ad Charit., Mnemosyne VIII (1859) 275–279. Wächter De crim. incend. (1833) 13–17; Beil. z. Vorlesg. üb. deutsch. Strafr. I 66. 67. Geib Lehrb. d. deutsch. Strafr. I 62, 113. Zestermann Bildl. Darstellg. d. Kreuzes u. d. Kreuzigung, Progr. d. Thomasschule in Leipzig 1867. 1868. Stockbauer Kunstgesch. des Kreuzes, 1870, 17–51. Daude De cap. poen. iur. Iust. (1871) 56–61. Fulda Kreuz und Kreuzigung (1878). Mommsen Geschichte der Todesstrafe im röm. Staat, Cosmopolis I (1896) 135ff.