Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Klage d. Ehemannes gg. seine Ehefrau
Band IX,2 (1916) S. 24832485
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Iudicium de moribus ist eine Klage des Ehemannes gegen seine Ehefrau, um bei der durch die Frau verschuldeten Ehescheidung die vermögensrechtlichen Folgen bezüglich der dos festzusetzen. Daß eine Formel für diese Klage im Edikt proponiert war, kann mit Lenel als sicher angenommen werden. Die abweichende Meinung Rudorffs Ed. perp. § 121 n. 6, welcher dies für ausgeschlossen hält, weil die Klage mehr ein iudicium publicum als ein iudicium privatum sei, verkennt die rechtliche Natur dieses Rechtsmittels. Wenn auch in den erhaltenen Ediktskommentaren von dieser Klage nichts mehr erwähnt wird, so ist das offenbar den Kompilatoren zuzuschreiben, da ja Iustinian in Cod. V 17, 11, 2 b das I. d. m., quod antea quidem in antiquis legibus positum erat, non autem frequentabatur, vollständig abgeschafft hat. Es läßt sich nun nicht erweisen, daß das I. d. m. durch ein besonderes Gesetz eingeführt worden ist, wie von M. Voigt und Karlowa angenommen wird. Die von Iustinian gebrauchte Wendung antiquae leges ist zu allgemein, als daß sie nach dieser Richtung hin verwertet werden könnte, da doch auch die von den Juristen oder vom Praetor eingeführten Rechtssätze häufig genug als leges bezeichnet werden, Dig. XXXVIII 8, 1, 2. Cod. Iust. I 17, 2, 10. 20. III 28, 33, 1. VI 26, 10 u. a. Gell. X 23 überliefert zwei Fragmente aus einer Rede des M. Porcius Cato de dote, in denen u. a. auseinandergesetzt wird, daß der Ehemann als iudex domesticus die Frau je nach ihren Vergehungen schwerer oder leichter an der dos bestrafen kann. Daß nun diese Rede gerade – wie die genannten Schriftsteller annehmen – von Cato bei Gelegenheit der Verhandlungen über einen das Dotalrecht betreffenden Gesetzentwurf gehalten worden sei, ist eine nach dem Quellenstande unbeweisbare Annahme. Dasselbe gilt von der besonderen Behauptung Voigts, daß dieses Gesetz eine Lex Maenia de dote vom J. 568 a. u. c. gewesen sei. Da sonstige Berichte nicht vorliegen, muß man das I. d. m. als eine Schöpfung des prätorischen Rechts ansehen; und zwar ist die Formel zweifellos schon zur republikanischen Zeit im Edikt erschienen, da sowohl Cn. Domitius Ahenobarbus (cons. 122) wie C. Marius als Iudex in einem derartigen I. d. m. erwähnt werden, Plin. n. h. XIV 13, 90. Val. Max. VIII 2, 3. Plut. Mar. 38. Die im Edikt proponierte Formel ist nicht – wie Keller Inst. 186 annimmt – eine bloße Präjudicialformel gewesen, sondern enthielt eine Condemnatio; war doch im Edikt die ausdrückliche Bestimmung getroffen, daß die Beklagte die cautio iudicatum solvi zu stellen hatte, Gai. IV 102. Die Klage gehörte weiter zu den actiones vindictam spirantes und war daher sowohl auf der aktiven wie auf der passiven Seite unvererblich, Cod. Theod. III 13, 1. Dig. XXIV 3, 15, 1. XLVIII [2484] 5, 11, 3. Sie konnte anfänglich, falls es sich um mores graviores der Frau handelte, zum Verluste der ganzen dos führen, ist aber offenbar später durch eine gesetzliche Bestimmung auf einen festen Betrag (einen bestimmten Teil der dos ?) beschränkt worden, Dig. XXIII 4, 5 pr. – Zweifel und Schwierigkeiten sind noch entstanden bei den Erörterungen über den legislatorischen Zweck dieser Klage. Man hat darauf hingewiesen, daß der Mann eines Angriffsmittels gegen die schuldige Frau regelmäßig nicht bedurft haben wird, da er doch als Inhaber der dos in der Lage war, durch Retention gegenüber der actio rei uxoriae den erforderlichen Abzug von der dos wegen der Verfehlungen der klagenden Ehefrau geltend zu machen. In Rücksicht hierauf haben einzelne Autoren dieser Klage noch besondere Zwecke und Wirkungen zugeschrieben. Nach Hasse Güterr. 182 und Dernburg Kompens. 146 soll sie dazu bestimmt gewesen sein, die beklagte Frau nicht bloß mit dem Verluste der dos, sondern auch noch mit einer vom Iudex arbiträr festzusetzenden Geldsumme an ihrem Sondervermögen zu strafen. Gegen diese Ansicht ist in ausschlaggebender Weise anzuführen, daß alle vorhandenen Quellenstellen das I. d. m. immer nur in Verbindung mit der dos erwähnen oder nur so zu verstehen sind. Karlowa vertritt die Meinung, daß mit Hilfe dieses Rechtsmittels nicht bloß Vermögensnachteile bezüglich der dos, sondern auch Ehrenfolgen gegen die Frau festgesetzt wurden, weil nur so dem beleidigten Gefühle des Mannes Genüge geschehen konnte. Aber Karlowa ist weder imstande anzugeben, welche Ehrenstrafen die Frau getroffen hätten, noch entscheidende Belegstellen für seine Ansicht beizubringen; weder die Stellen bei Gell. X 23. Val. Max. VIII 2, 3, noch Dig. XXIII 4, 5 pr. können in diesem Sinne gedeutet werden. Wenn in der letztzitierten Stelle die durch das I. d. m. auszusprechende Strafe als publica coercitio bezeichnet wird, so läßt sich dieser Ausdruck ungezwungen auf die durch gesetzliche Vorschrift (lex publica) festgesetzte Quote der dos, durch deren Verlust die Frau bestraft werden sollte, beziehen.

So bleibt nichts übrig, als die Klage für diejenigen Fälle zu reservieren, in welchen der Mann gegenüber der actio rei uxoriae seine Retentionsrechte nicht geltend gemacht hatte (Tigerström II 244. Bechmann I 89. Lenel 300. Czyhlarz 338), oder in denen nur eine promissio dotis, keine datio erfolgt war (Keller Inst. 187. Lex. Maen. 45). Möglich ist auch, daß hier historische Zufälligkeiten eine Rolle gespielt haben, und das I. d. m. schon in Übung war, bevor die actio rei uxoriae eingeführt worden war. Jedenfalls scheint das I. d. m. in der Kaiserzeit nicht mehr besonders praktisch gewesen zu sein, worauf die oben wiedergegebene Bemerkung Iustinians non autem frequentabatur deutet. Einmal war offenbar der Weg der Retention als Verteidigung gegenüber der rei uxoriae bequemer; ferner tritt neben das I. d. m. als Privatklage seit der Lex Iulia de adulteriis im Falle eines Ehebruchs der Frau alternativ die accusatio adulterii im öffentlichen Strafverfahren, Dig. XLVIII 5, 11, 3.

Literatur: ältere bei M. Voigt Lex Maen. [2485] 42 A. 76. Tigerström Röm. Dotalr. II 244f. Bechmann Dotalr. I 86f. Czyhlarz Dotalr. 337 § 98. Brini Matrim. e divorz. III 31 1f. Karlowa Röm. Rechtsgesch. II 215f. M. Voigt Röm. Rechtsgesch. I 789f. § 69 und Lex Maenia in Festschr. f. Hänel, als Sonderdr., Weimar 1866. Lenel Ed. perp. 300. Girard-Mayr 1048. Esmein in N. R. H. XVII 152f. S. auch den Art. Dos o. Bd. V S. 1580.