Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Strom im Pangab
Band IX,1 (1914) S. 3437
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Hydaspes. 1) Der Name H., mit dem die griechische Erdkunde den ersten der großen Panğābströme im Osten des Indus benennt, ist deutlich griechisch-persische Mischform. Marquart (Erān II 248) erklärt sie gut aus ostērānischem widaṭ-aspa ,rosseerlangend‘. Der einheimische Sanskritname, unter dem die vedischen Dichter den Strom besingen, lautet Vitastā. Davon ist die moderne kašmirische Bezeichnung Vyath die direkte laut-gesetzliche Ableitung, über Prākrit Vidastā und Vihath. Nur dieser Name allein wird noch heute in Kašmīr gebraucht. Es ist darum falsch, wenn selbst unsere besten europäischen Karten auch den kašmirischen Oberlauf Ğehlam benennen, wie der Fluß auf seinem Lauf durch das Panğāb heißt, nach der gleichnamigen Stadt, in deren Nachbarschaft Alexander den Poros besiegte, und wahrscheinlich seit der Zeit der islamischen Eroberung, da Albērūnī (im 11. Jhdt.) zuerst die neue Bezeichnung anführt. Der griechischen Erdkunde hat erst Alexander den Strom entdeckt, obwohl schon der ältere Skylax auf seiner Indusfahrt wenigstens die Ausmündung des Akesines-H. gesehen haben muß. Die Makedonier erreichten ihn vom Indus und Kabul her über Taxila (Šādhēri zwischen Rawālpindi und Hasan Abdāl) nach sehr schwierigem Anmarsch durch das äußerst kupierte Mittelgebirge, noch ehe er aus diesem in die Ebene des Panğāb austritt, nahe der Stelle der Stadt Ğehlam. Wenig oberhalb bewerkstelligte Alexander den Übergang und schlug die Inder. Zum Andenken seines Sieges gründete er auf dem Schlachtfeld Nikaia, gegenüber ganz in der Nähe des späteren Ğehlam Bukephala. So nach den unbedingt richtigen Feststellungen des Generals Abbot, die leider durch Cunninghams weitreichende Autorität in allen wissenschaftlichen Kreisen völlig zurückgedrängt waren. Cunningham setzte den Übergang schon außerhalb des Hügellandes bei Ğalālpur; ihm folgte auch noch Tomaschek in dem Art. Bukephala; vgl. den Art. Nikaia. Hier sei vorläufig nur verwiesen auf die bequem zugängliche Karte des H.-Überganges und Schlachtfeldes in V. A. Smith’s Early history of India 60. Nach der Rückkehr vom Hypasis befährt Alexander den H. bis zur Einmündung in den Akesines (Čināb); vgl. Arrian. anab. V 29, 2. VI 4ff. Das geschah um die Sommersonnenwende. Man stellte fest, daß um diese Jahreszeit die Panğābflüsse mit reißender, wirbelreicher Strömung dahingehen und außerordentlich anschwellen, genährt von den starken Regenfällen des Südwestmonsums und dem schmelzenden Schnee des Himālaja (Imaos-Tauros), wo sie alle ihre Quellen haben; daß sie dagegen im Winter klein sind und klar und an manchen Stellen sehr wohl überschreitbar, mit [35] Ausnahme vielleicht nur des Ganges und Indus, und daß jedenfalls das H.-Bett reichliche Furten bietet (Arrian. anab. V 9, 4). Zu dieser vortrefflichen Beschreibung vgl. man z. B. die ganz übereinstimmende bei Réclus (L’Inde 213) nach v. Schlagintweit. Alexander fand den H., soweit er ihn befuhr, nirgends schmäler als 20 Stadien (Arrian. anab. VI 4, 2), welche Schätzung noch heute zutrifft – man mißt für die Panğābflüsse bei hohem Wasserstand zwischen einem und mehreren Kilometern. Der Akesines wurde in seinem Unterlauf sogar 30 Stadien breit gefunden. Wo er noch in die höhere Geländestufe eingeschnitten ist, hat der H. Steilufer (anab. VI 3, 3), am Zusammenfluß mit dem Akesines ist das Bett sehr eng, die Strömung ganz reißend mit starkem Wellengang und rauschender Brandung, durch die die Flotte in arge Not kam und mehrere Schiffe verlor (anab. VI 4, 4). Wir fügen hinzu, weil der H. im größten Teil seines offenen Laufes noch in die hohe Panğābstufe eingeschnitten ist mit steilen Uferrändern, hat er unter den, unaufhörlichen Verschiebungen unterworfenen Bruderflüssen (vgl. darüber die Art. Hyarotis und Hypasis) am meisten seinen alten Lauf bewahrt. Eine einzige bedeutende Veränderung zeigt nur der Unterlauf im Tiefland bis zur Vereinigung mit dem Akesines, man vergleiche die zutreffende Zeichnung auf der Karte des Panğāb in Smith’s India 92, und Raverty The Mihrān of Sind and its Tributaries 318–352.

Bald nach Alexanders Feldzug hat Megasthenes auf friedlicher Gesandtenreise eine Fülle neuer Nachrichten über die hydrographische Verzweigung des Panğāb gesammelt, die von Arrian im vierten Kapitel der Indika verarbeitet sind. Als Nebenfluß des H. erkundet er den Sinaros, an dessen Mündung der Stamm der Arispai sitzt. Ihren Vorort Arispara verzeichnet auch die Ptolemaioskarte als Stadt der Kaspeiraioi, aber entschieden in unrichtiger Lage am mittleren Satleğ (Zadadres). Die Karte ist in diesem Teil heillos verzerrt, weil Marinos nicht unterschieden hat zwischen dem Land Kaspeiria-Kašmīr im engeren Sinn und dem weiteren, kašmirisch-sakischen Reich (Ki-pin bei den Chinesen), wie es um 100 v. Chr. bestand. Dadurch sind eine ganze Reihe Ortschaften ins Unterland des Panğāb verschoben, die in Wahrheit in das Hochtal von Kašmīr gehören. Es ist noch eine Hauptaufgabe der historischen Geographie, diese hier verborgene älteste Landeskunde des berühmten Berglandes aufzuhellen. Sind die Arispen ein kašmirischer Stamm, so gehört auch der Sinaros nach Kašmīr. Kašmīr (s. den Art. Kaspeiria) ist das Hochtal des H., im Innern des westlichen Himālaja. Hier genießen seit Urzeiten der Vitastā und sein bedeutendster Zufluß im Hochland, der allgemein ‚Fluß‘, Sindhu, heißt (was bis in unser Jahrhundert zu kuriosen topographischen Verwechslungen mit dem Oberlauf des Indus verführt hat), die höchste Verehrung der kašmirischen Hindu, sie gelten ihnen ebenso heilig wie Iamunā und Gangā, mit denen sie in der Tradition geradezu gleichgesetzt werden. Wir zweifeln nicht, daß sich unter dem Sinaros der Zwillingsbruder des H. verbirgt; ist etwa ΣΙΝΑΡΟΣ zu ΣΙΝΔ[Ρ]ΟΣ zu verbessern? Man vergleiche die schöne Darstellung [36] der geographischen Geschichte des kašmirischen Vyath, zu der die Tradition des Landes sehr reiches Material liefert, in The Ancient Geography of Kašmīr by M. A. Stein (Journal Asiat. Soc. of Bengal LXVIII = 1899, 96–116).

Nach der von der Expedition Alexanders und der Gesandtschaftsreise des Megasthenes abhängigen Tradition ist der H. Nebenfluß des Akesines-Čināb, der mit einer seiner Hauptquelladern, dem Maru wardwan, das kašmirische Hochland im Osten umfängt; er nimmt nach dem H. von Westen von Osten her den Hyarotis und Hypasis auf. Arrian (s. namentlich anab. VI 14, 5; Ind. 3, 10. 4, 9f.), Curtius, Iustin, Diodor sind darüber unzweideutig. Wir beobachten aber ebenso sicher in der antiken Erdkunde eine Anschauung, nach welcher nicht der Akesines, sondern der H. die sämtlichen Flüsse des Panğāb aufnimmt, um sie vereinigt unter seinem Namen dem Indus zuzuführen (aber auch Alberūnī macht den Bihat oder Ğīhlam zum Hauptfluß des Panğāb). Diese verschiedenen Meinungen haben sich bei Plinius (VI 71) zu einem unglaublich wirren Ganzen geballt. Er behauptet im selben Atemzug, einmal, daß der H. vier andere große Flüsse aufnähme – offenbar Akesines, Hyarotis, Hypasis und Sydros-Zadadres, hier ist also der H. der Hauptfluß; gleich darauf, daß der Cantaba drei Ströme mit sich vereine, das will heißen, da Cantaba = Čandabaghā, Sandabal, Akesines ist, den H., Hyarotis, Hypasis, hier ist also die herkömmliche geographische Theorie vertreten; schließlich werden aber auch noch Akesines und Hypasis namentlich aufgeführt und als selbständige Panğābflüsse von dem Flußsystem des Cantaba und dem des H. unterschieden. Ausdrücklich sagt Lucan III 236, daß der H. in den Indus münde; und ebenso bestimmt erklärt Dionys. Perieg. 1138f., daß der H. den Akesines aufnähme. Auch schon Horaz muß Ähnliches glauben, wenn er in dem berühmten Verse gerade den fabulosus H. unter den indischen Strömen hervorhebt. Bis zu einem gewissen Grade spiegelt sich diese Anschauung auch noch auf der Ptolemaioskarte, wo der Bidaspes den Sandabal und den Ruadis-Hyarotis aufnimmt, dann aber seinerseits in den Zadadres (Satleğ) fließt. Da spielt eine dritte Theorie herein, welche weder dem H. noch dem Akesines, sondern dem vorher wenig beachteten und als Nebenfluß des Hypasis (s. d.) aufgefaßten Sydros-Zadadres den Primat unter den Panğābströmen zuerkennt.

Tatsächlich ist der Satleğ der wasserreichste der Fünfströme. Marinos hat eine entsprechende neue Beobachtung verwerten können und aus ihr das richtige geographische Fazit gezogen. Aber er behält auch den anderen Lehrsatz der antiken Länderkunde bei, er kombiniert beide. Wir wissen nicht, wem Marinos die neuen Erkundungen über das Fünfstromland verdankt, aber sie erscheinen ebenso bedeutsam wie die Entdeckungen des Alexanderzuges und der Gesandtenreise des Megasthenes, sie sind nach diesen überhaupt die einzige wichtige Bereicherung der Chorographie des Panğāb. Sie verraten sich vor allem in dem Versuche, die einheimischen Namen der Ströme lautlich zutreffender zu umschreiben; die ērānische Vermittlung bleibt freilich auch diesmal nicht ausgeschaltet. Der H. heißt jetzt Bidaspes, der [37] Hypasis-Vipās sehr gut Bibasis, der Hyarotis Ruadis, der Akesines erhält seinen gebräuchlicheren Namen Sandabal. Auch das kartographische Bild zeigt wichtige Verbesserungen, besonders in der richtigen Zeichnung des Flüssepaars Satleğ-Bijās (s. den Art. Hypasis). Da sie in der übrigen geographischen Literatur keinen Widerhall gefunden haben, mögen die neuen Erkundungen wahrscheinlich erst dem Ende des 1. Jhdts. n. Chr. angehören; sie werden mit der auf der Ptolemaioskarte erkennbaren chorographischen Erforschung Kašmīrs in Zusammenhang stehen, während allerdings die Darstellung des weiteren kašmirischen Reiches (Kaspeiraioi) eine wesentlich ältere Periode (ca. 100 v. Chr.) widerspiegelt. Dagegen beruht die Theorie, welche die ältere richtige Anschauung über das Verhältnis von H. und Akesines umkehrt und jenen zum Hauptfluß macht, natürlich auf keiner tatsächlichen Beobachtung. Wir führen sie auf die römische Erdkarte der Porticus Vipsania zurück, weil das geographische Gedicht des Dionys gerade in Indien unzweifelhaft von dieser abhängig ist (vgl. den Art. Hypasis), und weil Honorius (ed. Riese 29) von seiner, sei es unmittelbar, sei es mittelbar auch durch die berühmte römische Karte beeinflußten (vgl. z. B. den Art. Hypanis Nr. 1 und 2) Mappamundi wie folgt abliest: fluvius H. Indiae provinciae nascitur in campis Indorum tribus crinibus (nämlich dem Vyath, dem Akesines und Hyarotis bezw. Hypasis). hic se ex omnibus adunans unus efficitur … infundens se in oceanum orientalem. qui currit milia 814. Ihn auch noch vom Indus zu lösen und zum direkten Zufluß des Ozeans zu machen, hat wahrscheinlich die Verwechslung mit dem gadrosischen H. (s. H. Nr. 2) bewirkt. Ganz sicher ist einer solchen Verwechslung Lucan zum Opfer gefallen, wenn er (VIII 227) den H. neben dem Ganges mit selbständiger Mündung unmittelbar in den Ozean auslaufen läßt. In einer anderen Partie seines Gedichtes hatte er weniger verkehrt von der römischen Erdkarte abgesehen, daß der H. in den Indus mündet (s. o.). Daß eine jüngere Erdkarte zeichnete, wie Lucan beschreibt, beweist außer Honorius auch der Geogr. Rav. 48; auch er läßt die Panğābflüsse nicht in den Indus, sondern in den Ozean münden. Wenn er die Hauptmündung nach dem Akesines, nicht nach dem H. benennt, so kann das sehr leicht bloßer Zufall des Ablesens sein, und die Karte muß nicht notwendig jenen als Hauptfluß angegeben haben. Der Ravennate zählt nebeneinander auf Ganges, Torgoris, Acesines; in der Liste ist Torgoris der Ottorogorrasfluß der Orosiuskarte, den die Beatuskarte von 776 in ganz ähnlicher Entstellung Togorre schreibt. Wie den H. und Akesines, so hat die antike Kartographie schließlich auch noch einen dritten der Panğābströme, den Hypasis, vom Indussystem losgelöst und mit selbständiger Ausmündung in den Ozean beschenkt. Diese Irrtümer sind durchaus gleichartig. Auch der Hypasis oder Hypanis ist mit einem iranischen Küstenfluß ähnlichen Namens verwechselt worden; s. darüber die Art. Hyktanis und Hypasis.

Anmerkungen (Wikisource)

Siehe auch den Artikel Bidaspes, der denselben Fluss behandelt.