Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Verband mehrerer Familien, soziale Organisation im Altertum
Band VII,1 (1910) S. 1175 (IA)–1198
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Gens. Ein Verband mehrerer Familien, die denselben Namen haben und ihren Zusammenhang auf die gemeinschaftliche Abstammung gründen. Die G. ist die arische, alles andere zu Wichtigkeit überragende, soziale Organisation im hohen Altertum gewesen; sie bildete den Grundfaktor im Aufbau des Gemeinwesens (Leist Graeco-italische Rechtsgesch. 103). Ihre eigentliche Bedeutung hat sie in der vorgeschichtlichen Zeit gehabt. Schon in der republikanischen Epoche ist ihre ursprüngliche Macht gebrochen. Sie ist jetzt nur noch ein sakraler Verband, der seinen Mitgliedern, den Gentiles, ein beschränktes Erbrecht und gewisse damit verbundene Ansprüche gewährt. Auch diese Lebenszeichen sind im 2. Jhdt. n. Chr. nach dem Zeugnis des Gaius (III 17) und Ulpian (Reg. 26, 1a = Coll. 16, 4, 2) abgestorben. Die Nachrichten der Alten sind daher ebenso dürftig und unzuverlässig, wie die Ansichten der Neueren einander widersprechend. Über die Hauptpunkte herrscht jedoch jetzt im ganzen Einigkeit. Aufgegeben ist fast durchweg die Ansicht von Niebuhr (Röm. Gesch., herausgeg. v. Isler 1873 I 258), daß die G. eine auf politischer Satzung beruhende künstliche Organisation gewesen sei, ebenso die andere, durch die berühmte Definition des Q. Mucius Scaevola (bei Cic. top. 29) veranlaßte, daß der Gentilenverband auf bloßer Namensgemeinschaft beruht habe. Vielmehr nimmt die herrschende Lehre mit Mommsen an, daß die Gentes aus gemeinschaftlicher Abstammung hervorgegangen sind und einen erweiterten Agnatenverband darstellen. Darauf führt schon die Etymologie des Wortes.

Etymologie.

Gens leitet sich ab von Wurzel gen, ga, sanskr. ganus = Geschlecht. Gens appellata propter generationes familiarum, id est a gignendo, sicut natio a nascendo, Isid. orig. IX 2, 1. Es gehören zusammen: sanskr. ģan, ģanâmi und ģaģamni (zeuge), ģájê (nascor), ģanas (Wesen), ģanus (Geschlecht), ģanitâ (St. ģanitar) (genitor), ģanitri (genitrix), ģâtis (Geburt, Stamm); ved. gná, später ģanî (Weib); zd. zan (erzeugen), ghena (Weib); gr. γίγνομαι, γένος, γενετήρ, γενέτειρα, γένεσις, γυνή; lat. gigno, genui, genus, genitor, genetrix, gen(t)s, gnascor, gener, genius, natura usw. Curtius Grundzüge d. griechisch. Etymologie5 1879, 175. Walde Lat.-etymolog. Wörterb. s. v. Bréal-Bailly Dictionnaire étymologique latin, Paris 1891, 116.

Begriff und Definition.

Die G. umfaßt alle diejenigen freien Personen, die von demselben Manne abstammen, und die zu einer Familie gehören, in derselben patria potestas stehen würden, wenn keine Todesfälle vorgekommen wären (Isid. orig. IX 2, 1: gens est multitudo ab uno principio orta. Ulp. Dig. L 16, 195, 2). Sie ist nichts anderes, als ein erweiterter Agnatenverband (Voigt XII Taf. II 391; Ius naturale III § 150). Ihre Mitglieder aber, die gentiles, unterscheiden sich von den Agnaten dadurch, daß bei den letzteren die Verwandtschaft mit dem verstorbenen Stammvater oder die Gradesnähe noch nachweisbar ist, bei den ersteren nicht mehr (vgl. Varro de l. l. VIII 4). Da nun, wo von der Zugehörigkeit zur G. Rechte hergeleitet werden, für die Geschlechtsangehörigkeit ein gerichtlicher Beweis zu erbringen ist (Pap. Dig. XXII 3, 1 quotiens quaereretur, [1177] genus vel gentem quis haberet necne, eum probare oportet), ein solcher Beweis aber oft schwierig oder unmöglich ist, zumal wenn es an authentischen Stammbäumen oder an einem Heroldsamte fehlt, so macht der Gentilname eine Rechtsvermutung für die Geschlechtsangehörigkeit (so sehr treffend Mommsen St.-R. III 11). So erklärt es sich, daß die Führung eines falschen Namens als Versuch, sich falsche Familienbeziehungen zum Zwecke widerrechtlicher Bereicherung zu verschaffen, nach dem Cornelischen Gesetz über Fälschungen bestraft wird (Paul. Sent. V 25, 11: Qui sibi falsum nomen imposuerit, genus parentesve finxerit, quo quid alienum interciperet caperet possideret, poena legis Corneliae de falsis coercetur. Pap. Dig. XLVIII 10, 13 pr.: Falsi nominis rei cognominis adseveratio poena falsi coercetur. Mommsen Strafr. 676). Diese Beziehung des Namens zur Abstammung tritt besonders deutlich hervor in einer bisher übersehenen Stelle aus Ciceros Timaeus. Platon spricht im Timaios von der göttlichen Abstammung des Menschen; dabei läßt er den Weltschöpfer zu den Göttern sagen (c. 13 p. 41 C): καὶ καθ' ὅσον μὲν αὐτῶν ἀθανάτοις ὁμώνυμον εἶναι προσήκει, θεῖον λεγόμενον; das übersetzt Cicero (c. 11): in quibus qui tales creabuntur, ut deorum immortalium quasi gentiles esse debeant, divini generis appellantur. Wenn Cicero hier ὁμώνυμον wiedergibt mit quasi gentiles, so deutet er damit nach dem ganzen Zusammenhang der Stelle nicht nur auf die Namensgleichheit, sondern auch auf die gemeinsame Abstammung hin (vgl. auch de leg. I 23. 25). So erklärt es sich denn auch, daß in den Definitionen der Alten fast immer der Name als das wesentliche Merkmal der G. hervorgehoben wird, vor allem in der Definition des Q. Mucius Scaevola bei Cic. top. 29: gentiles sunt inter se, qui eodem nomine sunt ... qui ab ingenuis oriundi sunt ... quorum maiorum nemo servitutem servivit ... qui capite non sunt deminuti; ferner Cincius bei Fest. ep. p. 94: gentilis dicitur et ex eodem genere ortus et is, qui simili nomine appellatur, ut ait Cincius: gentiles mihi sunt, qui meo nomine appellantur. Die einzelnen Linien im Gegensatz zur gesamten G. heißen familia oder stirps. Sall. Iug. 95, 3. Fest. p. 94. 245 s. publica sacra. Liv. XXXVIII 58, 3. Suet. Nero 1 (Mommsen St.-R. III 16, 2).

Schon zu Ciceros Zeit aber beginnt sich der Unterschied zwischen G. und familia zu verwischen, so daß häufig mißbräuchlich die engere Bezeichnung statt der weiteren gebraucht wird. So sagt Cic. p. Rosc. Amer. 15: cum Metellis, Serviliis, Scipionibus erat ei – hospitium – – quas familias honestatis gratia nomino. Die Meteller und Scipionen waren Familien der Caecilischen, bezw. der Cornelischen G., die Servilier aber eine patrizische G. (nach Mommsen St.-R. III 16, 2 ist das Wort hier gebraucht von den ,faktisch geschlossenen vornehmen Häusern‘). Labeo bei Fest. p. 253 s. popularia: Popularia sacra sunt, quae omnes cives faciunt nec certis familiis adtributa sunt. So finden wir eine familia Iulia erwähnt (Tac. ann. VI 51), eine familia Potitiorum (Liv. I 7, 12. 14. Fest p. 237; dagegen gens Liv. IX 29, 9), eine familia Nautiorum (Serv. Aen. V 704), eine familia Serviliorum [1178] (Plin. n. h. XXXIV 137), eine familia Cornelia (Liv. XXXVIII 59, 11. Isid. orig. IX 5, 11; gens Liv. XXXVIII 58, 3). Bei Macrobius Sat. I 16, 7 heißt es: feriae propriae familiarum, ut familiae Claudiae vel Aemiliae seu Iuliae sive Corneliae et si quas ferias proprias quaeque familia ex usu domesticae celebritatis observat; vgl. ferner Cic. in Pis. 53. Liv. II 41. 10. 49, 1. III 25, 3. VI 40, 6. IX 33, 3. Nep. Att. 18, 2. Val. Max. IV 4, 8. V 6. 4. Tac. ann. XI 25; hist. II 48. Serv. Aen. I 67. V 117. 121 (Marquardt-Wissowa Staatsverw. III2 130, 5. Voigt XII Tafeln II 761, 4. Mommsen St.-R. III 10, 2). Daher sagt Ulpian Dig. L 16, 195, 4: item appellatur familia plurium personarum, quae ab eiusdem ultimi genitoris sanguine proficiscuntur (sicuti dicimus familiam Iuliam), quasi a fonte quodam memoriae, und am Schluß von § 2: communi iure familiam dicimus omnium adgnatorum: nam etsi patre familias mortuo singuli singulas familias habent, tamen omnes, qui sub unius potestate fuerunt, recte eiusdem familiae appellabuntur, qui (quia v. l.) ex eadem domo et gente proditi sunt.

Die Mitglieder der G. heißen gentiles. Sie müssen nach der Definition des Scaevola von freien Eltern abstammen (daß diese die richtige Auslegung ist, zeigt Mommsen St.-R. III 430, 2), und auch unter ihren Vorfahren darf sich kein Sklave befinden. Es werden also streng genommen selbst diejenigen vom Gentilenverband ausgeschlossen, deren Ahne als Freigelassener oder als Sohn eines solchen in die G. adoptiert worden ist (anderer Meinung Genz Altpatrizisches Rom 1. Botsford Political Science Quarterly XXII 1907, 665). Ferner führte jede capitis deminutio (Adoption, Emancipation, Manusehe) Verlust der Mitgliedschaft des Geschlechtes herbei, dem der capite minutus bisher angehört hatte. Das ist begreiflich bei der Manusehe und der Adoption, aber auffallend bei der Emancipation. Denn durch Ehe und Adoption wurde eine neue Gentilität erworben; der Emancipierte dagegen mußte geschlechtlos geworden sein. Nach Mommsen (St.-R. III 61) führte die Emancipation zur Begründung neuer (plebeischer) Geschlechter.

Fraglich ist, ob zu der G. außer den Gentiles noch andere gehörten, nämlich die Freigelassenen und sonstigen Klienten. Das haben Niebuhr, Mommsen, Voigt u. a. angenommen. Letzterer behauptet sogar, daß für diejenigen, die nicht als gentiles zur G. gehörten, die besondere Bezeichnung gentilicii bestand. Allerdings heißt es Coll. 16, 4, 1: intestatorum gentiliciorum (wofür nach gewöhnlicher Annahme bei Ulp. Reg. 26, 1 interpoliert ist: ingenuorum; vgl. Lachmann Klein. Schr. ed. Vahlen 220. Mommsen Jur. Schr. I 412, 1. Huschke Iurispr. Anteiust. ed. Seckel et Kuebler 484; anderer Ansicht Huschke Ztschr. f. Rechtsgcsch. V 1866, 186) hereditates pertinent primum ad suos heredes, während es in § 2 heißt: si agnatus defuncti non sit, eadem lex duodecim tabularum gentiles ad hereditatem vocat. Und bei Cicero de orat. I 176 wird der Streit der Marceller und der patrizischen Claudier um die Erbschaft eines liberti filius erwähnt, der doch nach der Definition des Scaevola gentilis nicht sein konnte. Allein die Bezeichnung gentilicius [1179] kommt außer an jener Collatiostelle nirgends vor (Lachmann a. a. O.), sodaß man sie kaum für ein allgemein übliches Distinktiv halten kann. Dagegen hat es mit der Geschlechtsangehörigkeit derer, die keinen Anspruch auf die Bezeichnung gentilis haben, seine Richtigkeit trotz des Einspruches, den Botsford (a. a. O. 669ff.) erhebt. Er führt sieben Gründe gegen die herrschende Lehre an:

1) nach der Definition bei Cic. top. 29 seien die Freigelassenen keine Mitglieder der G. gewesen. Aber jene Definition spricht ihnen nur die Eigenschaft der Gentiles, nicht die Zugehörigkeit zur G. ab;
2) die Klienten hätten oft nicht den Namen des Patrons geführt (Salonius Klient des älteren Cato; Gell. XIII 20. 8. Plut. Cat. Mai. 24. Plin. n. h. VII 61. C. Cicereius Klient des Cn. Scipio, Val. Max. IV 5, 3; Mallius Glaucia, Klient des T. Roscius, Cic. pro Rosc. Amer. 19; Mucius Klient des Ti. Gracchus, Plut. Tib. Gracchus 13; Licinius Klient des Catulus, Cic. de orat. III 225; Marius Klient des Herennius, Plut. Mar. 5; Satrius Secundus und Pinarius Natta Klienten des Seianus, Tac. ann. IV 34; Egnatius Klient des Soranus, Tac. ann. XVI 32). Diese Fälle bilden aber nicht die Regel, wie Botsford meint; sie sind vielmehr Ausnahmen, die die Regel, daß der Klient den Namen des Patrons trägt, bestätigen; ihre Erklärung finden sie darin, daß der freie Plebeier, der sich in die Klientel begab, seinen Namen gewöhnlich beibehielt (Mommsen St.-R. III 78);
3) die Klienten hätten an den sacra nicht teilgenommen. Diese Frage ist streitig; Mommsen nimmt das Gegenteil an. Allerdings ist die Stelle, auf die er sich beruft (Ovid. fast. II 527ff., wo für das Curienfest der Fornacalien die Beteiligung der Plebeier bezeugt wird, St.-R. III 78, 1), nicht beweisend. Aber andererseits geht auch aus Dionys. XI 15 keineswegs hervor, daß am gentilen Kult nur die Abkömmlinge des gemeinsamen Stammvaters teilnehmen durften. Da es an entscheidenden Quellenstellen fehlt, so ist der Punkt aus dem Beweismaterial auszuscheiden;
4) Dionys. II 10, 2 (τοὺς δὲ πελάτας ἔδει τοῖς ἑαυτῶν προστάταις ... ἔν τε ἀρχαῖς καὶ γηροφορίαις καὶ ταῖς ἄλλαις ταῖς εἰς τὰ κοινὰ δαπάναις τῶν ἀναλωμάτων ὡς τοὺς γένει προσήκοντας μετέχειν) bezeichne die Klienten nicht als Geschlechtsangehörige. Wolle man aber unter γένος die G. verstanden wissen, so bringe Dionys die Klienten geradezu in Gegensatz zu den Gentilen. Ob diese Auffassung richtig ist, hängt ganz und gar davon ab, wie man das ὡς versteht. Botsford übersetzt: just as do kindsman, nimmt also ὡς = sicut. Es kann aber auch begründend (= quippe) aufgefaßt werden: ,da sie zum Geschlechte gehören‘;
5) am Geschlechts- bezw. Familiengrab hätten die Klienten nicht ipso iure Anteil gehabt. Diese Ansicht ist irrig; vgl. Mommsen Jur. Schr. III 203 und Näheres s. u.;
6) Fecenia Hispala (Liv. XXXIX 9, 7. 19, 5) habe nicht der G. ihres Patrons angehört; von dieser war sie nach der Definition des Scaevola ausgeschlossen. Für ihre Verdienste um die Entdeckung des Bacchanalienunfugs verlieh ihr der Senat die gentis enuptio und tutoris optio, quasi ei vir testamento dedisset; von einer Gewalt der Gentilen über sie ist keine Rede. Wenn eine G. vorausgesetzt wird, aus der ihr die enuptio gestattet [1180] wird, so sei das nicht die G. ihres Patrons, sondern ihre eigene (she had a gens of her own, consisting of whatever kin she may have possessed). Es ist aber unerfindlich, wie die Fecenia nach ihrer Freilassung sofort zu einer eigenen G. kommen sollte;
7) bei Livius III 58, 1 cum gentilibus clientibusque und an anderen ähnlichen Stellen seien die Klienten zu den Gentiles in Gegensatz gebracht. Dies widerspricht durchaus nicht unserer Auffassung, wonach die Klienten zwar nicht gentiles, aber doch Geschlechtsangehörige (τῷ γένει προσήκοντες, wie Dionysios sagt) sind. Bestätigt wird diese Ansicht durch die oben angeführte Stelle aus Ciceros Timaeus (c. 13), in der die Menschen als deorum immortalium quasi gentiles bezeichnet werden. Denn die Menschen sind nach Abstammung und Rang den Göttern nicht ebenbürtig, viel eher stehen sie nach der ganzen Ausführung Platons zu ihnen in einem Verhältnis, das mit der Klientel sehr wohl vergleichbar ist. Werden sie also von Cicero Quasigentilen genannt, so dürfen wir mit Fug die gleiche Benennung und Anschauung auf die Klienten übertragen. Mommsen sagt daher richtig (St.-R. III 66): ,Der Klient steht außerhalb der Geschlechtsgenossenschaft, aber dem Geschlecht selbst gehört er ebenso an wie der Patricier‘, ähnlich schon vor ihm Niebuhr R. G. I 265 und Voigt XII Taf. II 768. s. Art. Clientes o. Bd. IV S. 36f.

Es gab sowohl patrizische wie plebeische Gentes. Von plebeischen finden wir erwähnt eine g. oder familia

Aurelia (Fest. ep. p. 23),
Calpurnia (Cic. de har. resp. 32; in Pis. 53. Tac. ann. XV 48),
Cassia (Suet. Nero 37),
Domitia (Suet. Nero 1. 50),
Fonteia (Cic. de dom. 35. 116),
Licinia (Varro r. r. I 2, 9),
Lutatia (Val. Max. IX 2, 1),
Minucia (Cic. Verr. I 115. Liv. IV 16, 3),
Octavia (Suet. Aug. 2),
Popilia (Cic. de leg. II 55),
Tremellia (Varro r. r. II 4, 1. 2).

Auch gehören nicht selten zu derselben G. sowohl patrizische wie plebeische Linien, so zur g.

Aebutia (Cic. de leg. agr. II 21, s. o. Art. Aebutii),
Atilla, (Liv. V 13, 3. IV 7, 1. Plin. n. h. XIX. 8),
Claudia (Cic. de or. I 176. Suet. Tib. 1),
Cornelia (Sall. Iug. 95, 3),
Genucia (Liv. II 52, 3. 54, 2. III 33, 3. IV 1, 1. V 13, 3),
Manila (Cic. Phil. I 32. Gell. VII 11, 2. IX 2, 11. Fest. ep. 125 s. M. Manlium. Liv. VI 11, 2),
Papiria (Cic. ad fam. IX 21, 2. 3),
Publilia (L. Poplilius Volscus. Patrizier, Liv. V 12, 10; Q. Publilius Philo, Plebeier, Liv. VIII 15, 9; desgleichen Publilius Volero, Liv. V 13, 3),
Servilia.

Von der Befleckung oder der Vermischung der gentes ist des öfteren die Rede, so beim Canuleischen Antrag über das den Plebeiern zu gewährende Conubium, Liv. IV 1, 1: confundi iura gentium rebantur; IV 2, 5: Canuleium ... conluvionem gentium ... adferre; so bei der Wahl von Consulartribunen im J. 356 = 398, Liv. V 14, 4: comitiis, auspicato quae fierent, indignum dis visum honores volgari discriminaque gentium confundi. Ebenso wirft Cicero dem Clodius vor, daß er durch seine Adoption in ein plebeisches Geschlecht sacra und genies in Verwirrung gebracht habe (de dom. 35: perturbatis sacris, contaminatis gentibus). Wenn häufig der Ausdruck g. patricia sich findet (Sall. Iug. 95, 3. Liv. III 27, 1. 33, 10. VI 11, 2. VII 39, 12. VIII [1181] 18, 8. X 15, 9. Gell. IX 2, 11. [Capito] X 20, 5. XVII 21, 27), so weist das auf den Gegensatz der gentes plebeiae hin, die gleichfalls vorkommen (Cic. de leg. II 55. Suet. Nero 50).

Nichtsdestoweniger kann man nicht daran zweifeln, daß die Gentes ursprünglich nur patrizisch waren und daß die plebeischen Gentes nur Nachbildungen der patrizischen sind, deren Entstehung erst möglich war, als einzelne plebeische Familien zu Wohlstand, Ansehen und Einfluß gelangt waren, in einzelnen Fällen vielleicht auch auf Abzweigung plebeischer Linien aus patrizischen Häusern zurückzuführen ist (Mommsen St.-R. III 74; R. F. I 279. Herzog Gesch. u. System 1015). Das gelangt zum deutlichsten Ausdruck in der Rede des P. Decius Mus zu gunsten des Ogulnischen Antrags, nach dem den Plebeiern der Zutritt zu den großen Priestertümern eröffnet werden sollte im J. 454 = 300 (Liv. X 8, 9): semper ista audita sunt eadem, penes vos auspicia esse, vos solos gentem habere, vos solos iustum imperium et auspicium domi militiaeque. Es geht nicht an, mit Botsford (a. a. O. 667) g. hier einfach im Sinne von ,vornehmer Geburt‘ (illustrions birth) aufzufassen; es steht im eigentlichen Wortsinn. Das beweist weniger der Passus der Grabrede (auf die Turia?) CIL VI 1527[1] (Bruns Font. I7 321. Dessau 8393). I 22: neque enim familia[e] gens ulla probari poterat, wo die Lesart und deren Auslegung bestritten ist (Huschke Ztschr. f. Rechtsgesch. V 1866, 185. De Rossi Studie documenti di storia e diritto I 33. Vollmer J. J. Suppl. XVIII 506), als die bereits oben zitierte Stelle des Papinian Dig. XXII 3, 1: quotiens quaereretur, genus vel gentem quis haberet necne usw. ,Gentem habere‘ heißt ,einer G. angehören‘; in diesem Sinn gebraucht Decius Mus die Wendung, und es ist wohl begreiflich, daß die Patrizier sich sträubten, die plebeischen Gentes als ebenbürtig anzuerkennen. Auch der Ausdruck des Horaz (sat. II 5, 15) ,sine gente‘ kann in dem oben erläuterten Sinn verstanden werden, obwohl auf diese Stelle weniger Wert zu legen ist. Jedenfalls hat Mommsen (St.-R. III 15. 66. 74; R. F. I 279; Jur. Schr. I 414. III 540) mit gutem Grunde an der Niebuhrschen Ansicht (Röm. Gesch. I 1873, 264) festgehalten, wonach die Gentes ursprünglich ausschließlich patrizisch waren (ebenso Schwegler Röm. Gesch. I 612. Lange Röm. Altert. I3 214. 216. Voigt XII Taf. II 162. Genz a. a. O. 3 u. a.). Recht hat dagegen Botsford (a. a. O. 668f.), wenn er bestreitet, daß stirps der technische Ausdruck für die plebeische G. oder den Zweig der plebeischen G. gewesen sei (so Mommsen St.-R. III 66, 1. 74). Stirps findet sich vielmehr auch von patrizischen Geschlechtern gebraucht, so in der Grabschrift des Cn. Cornelius Scipio Hispanus, wahrscheinlich Praetor im J. 615 = 139 (CIL I 38.[2] VI 1293.[3] Dessau 6): maiorum optenui laudem, ut sibei me esse creatum laetentur; stirpem nobilitavit honor. Ferner Liv. I 59, 1. IX 29, 10. Isid. orig. IX 5, 11. Vgl. auch Gallus Aelius bei Fest. ep. p. 313 s. stirps. Nicht beweisend ist hiergegen Cic. de or. I 176, wovon weiter unten.

Organisation.

Es ist eine weitverbreitete und aus inneren Gründen wohlgerechtfertigte Annahme, [1182] daß in den ältesten Zeiten bei den Römern nur das bewegliche Gut, die Fahrhabe (familia pecuniaque) im Privateigentum stand, der Grundbesitz aber ungeteilt war. Denn einerseits ist noch nach dem Zwölftafelgesetz V 4. 5 das Erbrecht der Agnaten und Gentilen auf die familia beschränkt und besteht nach V 3 Testierfreiheit nur bezüglich der pecunia tutelave, und selbst beim Mancipationstestament wird dem familiae emptor nur familia pecuniaque übereignet; ja auch das alte Übereignungsgeschäft, die Mancipation, paßt eigentlich nur auf Mobilien. Andrerseits wird überliefert, daß Romulus jedem Bürger ein Stück Land, das zwei Iugera groß war und heredium hieß, erb- und eigentümlich (quod heredem sequeretur) anwies (Varro r. r. I 10, 2. Plin. n. h. XIII 7; vgl. Liv. VI 36, 11. Iuven. 14, 163. Sicul. Flacc. Gromat. p. 153, 27. Fest. ep. p. 53 s. centuriatus ager); Lose ungleicher Größe erhielten die einzelnen Claudier bei ihrer Einwanderung (Plut. Popl. 21). Dieses heredium aber kam auch auf den XII Tafeln vor (VII 3 a), wo es nach Plinius (n. h. XIX 50) hortus bedeutete; es ist nicht das Landlos der einzelnen Familie, sondern der Hausgarten, da von einem zwei Morgen großen Grundstück keine Familie leben kann (Mommsen R. G. I9 182f. Ed. Meyer Gesch. d. Altert. II 519. 522. Verfehlt Voigt Rh. Mus. XXIV 1869, 52–71). Mithin war die eigentliche Feldmark ungeteilt. Fragt man aber, ob sie dem gesamten Populus, der Curie oder der G. angehörte, so ist das letzte das wahrscheinlichste. Es sprechen dafür sowohl innere Gründe, wie die leichtere Möglichkeit der Bewirtschaftung durch den kleineren Verband, als auch die Rechtsvergleichung (Inder, Germanen, Slaven; Leist Graeco-italische Rechtsgesch. 103f.; Alt-arisches ius gentium 37f.). Darauf führt auch das gentilizische Erbrecht, das ursprünglich nichts anderes als ein Heimfallsrecht ist. Demnach bildete die G. eine Markgenossenschaft; im vicus oder pagus wohnten die Geschlechtsgenossen beisammen (Mommsen R. G. I9 35. 65. 182f.; St.-R. III 22–27. Jhering Geist d. röm. Rechts I4 200. Lange Röm. Altert. I3 213ff. Kritik dieser Ansicht bei Meyer Gesch. d. Altert. II 518. Pöhlmann Gesch. d. Kommunismus I 14; Altertum und Gegenwart 109; vgl. M. Weber Röm. Agrargeschichte 50f.). In welcher Weise die gemeinsame Feldmark bewirtschaftet wurde, ob sie in einzelnen Losen den einzelnen Genossen angewiesen oder verpachtet wurde, oder ob sie im ganzen bebaut wurde, steht dahin. Im Unsichern sind wir auch über die Art des Miteigentums der Gentilen. Jhering (Geist d. röm. Rechts I4 202) meint, daß es nicht als Eigentum einer juristischen Person aufzufassen sei, die den Personen des einzelnen Gentilen, als etwas von ihr Verschiedenes gegenüberstand, sondern daß die Genossen ein jeder das Eigentum an der gemeinsamen Feldmark ganz und ungeteilt (zur gesamten Hand) hatten, und daß dieses Eigentum nicht veräußerlich, sondern untrennbar mit der Eigenschaft als Verbandsglied verknüpft war. Auch Mommsen (St.-R. III 28) lehnt ausdrücklich die Anschauung ab, als sei das Erbrecht der G. analog dem der Gemeinde, an dem der Bürger individuell keinen Anteil hat; ,die Gentilen erbten, nicht das Geschlecht‘. Ebenso [1183] erkennt Voigt zwar die G. als Korporation an, spricht ihr aber die juristische Persönlichkeit ab (XII Taf. II 672–771. 392). Bei dieser Auffassung werden die ältesten römischen Verhältnisse den germanischen stark angenähert, wodurch die Wahrscheinlichkeit jener Ansicht nicht wenig erhöht wird. Auch spricht alles dafür, daß die starre römische Lehre von der den einzelnen Genossen fremden, in sich abgeschlossenen Person der Korporation erst ein Produkt der römischen Jurisprudenz ist. Sie ist, wie Jhering treffend sagt, ,eine Abstraktion, deren erst der entwickelte juristische Verstand fähig ist, die wir also nicht in die Kindheitszeit des Rechts verlegen dürfen‘ (a. a. O. 202 n. 98). Aber freilich ist die Auffassung vom ungeteilten Gesamteigentum der einzelnen Genossen ganz ebenso eine juristische Denkform, die Leben und Anschaulichkeit erst durch die Gegenüberstellung der römischen Lehre gewinnt. Die naive Denkweise der alten Gentilen wird von der einen so wenig gewußt haben wie von der andern (vgl. auch M. Weber Röm. Agrargesch. 81. 125).

Die G. hatte kein natürliches Haupt, wie die Familie (Mommsen St.-R. III 17. Marquardt-Wissowa Staatsverw. III2 133). Der princeps gentis (Cic. ad fam. IX 21, 2. Suet. Tib. 1), dux et princeps generis (Fest. ep. p. 86 s. familia), ὁ ἡγεμών τoῦ γένους (Dionys. VI 69, 1) ist der Gründer der G., und der magister gentis, von dem Voigt (XII Tafeln II 771) spricht, verdankt seine Existenz nur der Einbildungskraft dieses erfindungsreichen Schriftstellers. Aber eine Organisation muß die G. gehabt haben. Denn wir hören wiederholt von decreta gentis, und diese Nachrichten werden dadurch nicht in ihrem Wert herabgemindert, daß sich jene Beschlüsse lediglich auf das Verbot gewisser Vornamen beziehen (Cic. Phil. I 32: decreto gentis Manliae neminem patricium Manlium ⟨Marcum⟩ vocari licet; vgl. Fest. ep. p. 125 s. M. Manlium; p. 151 s. Manliae gentis. Liv. VI 20, 14. Plut. quaest. Rom. 91. Gell. IX 2, 11), oder daß einmal dafür das Wort consensus gebraucht wird (Suet. Tib. 1: patricia gens Claudia ... Luci praenomen consensu repudiavit). Denn sollte wirklich, wie Mommsen behauptet (St.-R. III 18, 3) consensus die ,technische Form für die rechtlich unverbindliche Meinung‘ sein, so ist es doch gerade das eigentliche Wort, womit die Willensäußerung einer Gesamtheit bezeichnet wird (vgl. Ulp. Dig. XXXVIII 3, 1, 1. Paul. Dig. XLI 2. 1, 22 universi consentire non possunt). Diejenige Einrichtung nun, durch welche die G. ihre Beschlüsse faßte, kann nur der Familienrat, d. h. die Vereinigung der Gentiles gewesen sein (so richtig Voigt a. a. O. II 420. 725. 771; Röm. Rechtsgesch. II 64). Eine solche Einrichtung war ganz unentbehrlich, beispielsweise für den Fall, daß die G. eine Vormundschaft zu übernehmen und über den Träger derselben Beschluß zu fassen hatte. Für diesen Fall hat ihr selbst Mommsen, der ihr die Handlungsfähigkeit im ganzen abspricht (St.-R. III 17), eine beschränkte Handlungsfähigkeit zuerkannt (St.-R. III 28). Wie sollte aber eine Korporation ohne Organ handeln können? Es kann auch nicht ,jede Möglichkeit gefehlt haben, den Beschlüssen der G. bindende Kraft zu verschaffen‘ [1184] (so Mommsen St.-R. III 18). Man wird den Zuwiderhandelnden aus der G. ausgestoßen, ihm die Teilnahme an den Sacra versagt (vgl. Liv. X 23, 4: Verginiam A. f. patriciam plebeio nuptam ... matronae, quod e patribus enupsisset, sacris arcuerant), ihn von der gemeinsamen Grabstätte ausgeschlossen haben (Cic. de off. I 55: magnum est ... eisdem uti sacris, sepulcra habere communia). Jhering Geist d. röm. Rechts I4 191. Diese Macht der G. über ihre Mitglieder war nicht gesetzlich begründet, aber sie beruhte auf einem nicht minder festen Fundament, dem Gewohnheitsrecht. Gewohnheitsrechtlich waren auch in manchen Gentes Observanzen eingeführt, so, daß bei den Atilii Serrani die Frauen keine linnenen Gewänder trugen (Plin. n. h. XIX 8: M. Varro tradit in Serranorum familia gentilicium esse feminas lintea veste non uti), daß in dem Cornelischen Geschlecht bis auf Sulla die Toten bestattet, nicht verbrannt wurden (Cic. de leg. II 56. Plin. n. h. VII 187), daß bei den Quinctiern die Frauen kein Gold hatten (Plin. n. h. XXXIII 21), daß die Cornelii Cethegi keine Tunica trugen (Porph. ad Hor. art. poet. 50. Lucan. bell. civ. II 543. VI 794 mit den Schol. Bern. Marquardt-Mau Privatleben II2 551, 2). Weiteres bei Voigt XII Tafeln II 770, 31. Auch der ἀρχαῖος νόμος der Fabier (Dionys. IX 22), daß alle mannbaren Gentilen heiraten sollten, ist wohl eher auf Gewohnheitsrechte, als auf ein Familienstatut (so Voigt a. a. O. 768, 23) zubeziehen.

Sacra.

Die G. hatte wie die Familie, die Curia, der Staat ihre sacra (sacra gentilicia erwähnt bei Liv. V 52, 4. Plin. Panegyr. 37. Calp. Declam. 24. Dionys. II 65; sacrificia gentilicia Cic. de harusp. resp. 32). Diese sacra waren, wie ausdrücklich bezeugt ist, privata. Fest. p. 245: publica sacra, quae publico sumptu pro populo fiunt, quaeque pro montibus pagis curis sacellis; at privata, quae pro singulis hominibus familiis et gentibus fiunt. Liv. V 52, 4: an gentilicia sacra ne in bello quidem intermitti, publica sacra et Romanos deos etiam in pace deseri placet? Dionys. II 65: διαιρούμενοί τε διχῇ τὰ ἱερὰ καὶ μὲν αὐτῶν κοινὰ ποιοῦντες καὶ πολιτικά, τὰ δὲ ἴδια καὶ συγγενικά (vgl. Savigny Verm. Schr. I 179. Woeniger Sacralsystem u. Provocationsverfahren der Römer, Leipzig 1843. Mommsen De coll. et sodal. 9ff.; Jur. Schr. III 540). Doch wurden einzelnen Familien oder Gentes gewisse Kulte vom Staate übertragen (adtribuiert) Labeo bei Fest. p. 253: popularia sacra sunt, ut ait Labeo, quae omnes cives faciunt, nec certis familiis adtributa sunt. Arnob. III 38: solere Romanos religiones urbium superatarum partim privatim per familias spargere partim publice consecrare. Erwähnt finden wir sacra folgender Gentes:

Aurelia, Kult des Sol (Fest. ep. p. 23 s. Aureliam familiam. Varro l. l. V 68);
Calpurnia, Kult der Diana (Cic. de harusp. resp. 32);
Claudia, gewisse piamenta (Ateius Capito bei Fest. p. 238 s. propudianus. Dionys. XI 14. Cic. de dom. 34. 116. Macrob. Sat. I 16, 7);
Horatia, Kult des Tigillum sororium der Iuno Sororia und des Ianus Curiatius (Fest. p. 297; ep. p. 307 s. sororium. Liv. I 26, 13. Dionys. III 22. Wissowa Religion der Römer 92);
Iulia, Kult [1185] des Apollo (Serv. Aen. X 316. Macrob. Sat. I 16, 7), der Venus (Symmach. p. 330, 10 ed. Seeck) und des Veiovis (CIL I 807 = XIV 2387 = Dessau 2988. Wissowa Religion d. Römer 241);
Nautia, Kult der Minerva (Varro bei Serv. Aen. II 166. III 407. V 704. Dionys. VI 69. Fest. p. 166; ep. 167 s. Nautiorum);
Pinaria, Potitia, Kult des Hercules an der Ara maxima (Liv. I 7, 14. IX 29. Verg. Aen. VIII 269f. Dionys. I 40. Fest. p. 237 s. Potitium. Macrob. Sat. III 6, 10. Symmach. p. 330, 9 ed. Seeck. CIL VI 313[4] = Dessau 3402. Wissowa a. a. O. 221).

Welche dieser Kulte privat, welche öffentlich waren, ist schwer zu sagen. Nach Wissowa (Religion d. Römer 340) waren die Sacra der Iulier und Nautier privat, die übrigen publica. Von den Potitiern wird erzählt (Liv. IX 29. Fest. p. 237 s. Potitium), daß ihr Geschlecht im J. 242 = 312 ausstarb, weil sie die servi publici in die Geheimnisse ihres Gottesdienstes einweihten. Diese Legende deutet auf die Übernahme des Herculeskultes an der Ara maxima durch den Staat, der nunmehr die betreffenden Opfer durch den Praetor urbanus darbringen ließ. Somit wären diese Sacra bis dahin privat gewesen. Marquardt-Wissowa (Staatsverw. III2 131, 5) zieht aus der Legende den umgekehrten Schluß; er meint, daß die Sacra der Potitii, wenn sie privat gewesen wären, mit dem Aussterben des Geschlechts geendigt hätten. Wahrscheinlich haben an den Sacra auch die Klienten Anteil gehabt (s. o. S. 1179). Welcher Art diese alten Geschlechterkulte waren, davon gibt eine Vorstellung die Nachricht des Messalla Corvinus bei Plin. n. h. XXXIV 137: Serviliorum familia habet trientem sacrum, cui summa cum cura magnificentiaque sacra quotannis faciunt: quem ferunt alias crevisse, alias decrevisse videri et ex eo aut honorem aut deminutionem familiae significari. Die Sacra wurden an bestimmten Tagen (sacrificia stata, anniversaria Liv. V 46, 2. 52, 2. Val. Max. I 1, 11. Cincius bei Gell. XVI 4, 4) und an bestimmten Orten (stato loco Cic. de harusp. resp. 32) vollzogen. Wenn sie stattfanden, waren feriae gentiliciae (Macrob. Sat I 16, 7). Von Örtlichkeiten, an welche die Sacra geknüpft waren, werden erwähnt: das sacrarium der G. Iulia mit der Ara des Vediovis in Bovillae (CIL I 807[5] = XIV 2387 = Dessau 2988: Vediovei patrei genteiles Iuliei. Vedi[ovei] aara leege Albana dicata', vgl. Tac. ann. II 41. XV 23. Suet. Aug. 100); die Kultstätte der Claudier und Domitier in Antium (Tac. ann. XV 23), die Opferstätte der Fabier auf dem Quirinalischen Hügel (Liv. V 46, 2. 52, 3. Val. Max. I 1, 11; vgl. Dionys. IX 19).

Von den oben aufgezählten Geschlechtern sind die Calpurnii und die Aurelii plebeisch. Mommsen (Jur. Schr. I 413) hebt es ausdrücklich hervor, daß ,von Geschlechtsgottesdiensten in Beziehung auf plebeische Familien nur selten die Rede‘ ist. Aber gefehlt haben sie nicht, und Marquardts Annahme (Staatsverw. III2 131, 8), daß die Aurelier, denen der Kult des Sol anvertraut war, eine alte patrizische G. gewesen sei, entbehrt jedes Haltes. Gerade deshalb, weil es sowohl patrizische als plebeische Gentilsacra gab, wird wiederholt eine perturbatio sacrorum befürchtet (s. o. S. 1180 und Mommsen St.-R. III 20, 1). [1186] Wer durch Adrogation aus einem Geschlecht in ein anderes überging, trat aus seinem bisherigen Sacralverband aus durch sacrorum detestatio (s. Bd. III S. 1331), die in Comitia calata stattfand. Laelius Felix bei Gell. XV 27, 2 (Iurisprud. Anteiustiniana ed. Seckel et Kuebler 94): iisdem comitiis, quae calata appellari diximus, et sacrorum detestatio et testamenta fieri solebant. Serv. Aen. II 156: consuetudo apud antiquos fuit, ut qui in familiam vel gentem transiret prius se abdicaret ab ea, in qua fuerat, et sic ab alia reciperetur. Die Detestatio bestand vermutlich in einer feierlichen Erklärung der Ausscheidenden (Gai. libro VI ad legem XII tab. Dig. L 16. 288, 1 detestatum est testatione denuntiatum. Ulp. Dig. L 16, 40 pr. detestatio est denuntiatio facta cum testatione; vgl. ἐξόμvυσθai Cass. Dio XXXVII 51, 1; sacrorum alienatio Cic. or. 144), nach vorheriger Ermächtigung oder nachfolgender Genehmigung der Pontifices, wenn diesen der Nachweis erbracht war oder Sicherheit dafür geleistet war, daß durch das Ausscheiden des zu Adrogierenden aus der G. das Fortbestehen der Sacra nicht gefährdet sei (Cic. de leg. II 22: sacra privata perpetuo manento; pro Mur. 27: sacra interire (maiores) noluerunt; de domo 34: quae deinde causa cuique sit adoptionis, quae ratio generum ac dignitatis, quae sacrorum, quaeri a pontificum collegio solet. 36: ita adoptet, ut ne quid aut de dignitate generum aut de sacrorum religione minuatur. 34: quid? sacra Clodiae gentis cur intereunt, quod in te est? quae omnis notio pontificum, cum adoptavere, esse debuit. Mommsen St.-R. III 39, 1. Voigt Röm. Rechtsgesch. I 812; XII Tafeln II 309, 13. Marquardt-Wissowa Staatsverw. III2 306. Servius Sulpicius hatte ein eigenes Werk in mindestens zwei Büchern de sacris detestandis geschrieben (Gell. VII 12, 1. 2. Abweichend von der obigen Darstellung Karlowa Röm. Rechtsgesch. II 97f.). Aus demselben Grunde bedurfte es auch, wenn eine gewaltfreie Frau aus der G. herausheiraten wollte, eines Beschlusses der Curien oder des Senates, um solche gentis enuptio zu gestatten (Liv. XXXIX 19, 5 senatus consultum factum est, uti ... Feceniae Hispalae datio deminutio gentis enuptio tutoris optio esset; vgl. IV 4, 7. X 23, 4 XXVI 34, 3. Curienbeschluß fordert außerdem Mommsen St.-R. III 21, 1. 319. Beschluß der Gentilen R. F. I 9. Ein Curienbeschluß konnte aber auch durch das Testament, das in ältester Zeit in comitia calata errichtet wurde, herbeigeführt werden, und dies war wohl das übliche). Vgl. noch Savigny Verm. Schr. I 194ff. Marquardt-Mau Privatleben 30, 3; s. o. Bd. III S. 1331.

Grabrecht.

Mit der Gemeinschaft der Sacra steht in engstem Zusammenhang die Gemeinschaft des Grabes. Auch sie gilt zunächst nur für die patrizischen Geschlechter. ,Die gentilizische Grabgemeinschaft im strengen Sinne ist meines Wissens nur nachweisbar für das eine Plebeiergeschlecht der Popillier‘, sagt Mommsen Jur. Schr. I 414 (Cic. de leg. II 55 tanta religio est sepulcrorum, ut extra sacra et gentem inferri fas negent esse, idque apud maiores nostros A. Torquatus in gente Popillia iudicavit). Das gemeinsame Grab der Meteller und ähnliche brauchen ,keineswegs [1187] auf Geschlechtsrecht zu beruhen‘, sondern ,können gefaßt werden als Grabstätten für die Deszendenz eines einzelnen namhaften Mannes‘. Gilt das wohl von den Gräbern der Cincii (Fest. ep. p. 57 s. Cincia; p. 262 s. Romanum portum), und erst recht von den Apulei (CIL XI 1362[6] = Dessau 935: Appuleis Sex. f. Gal. Sex. n. Sex. pron ... ultimo gentis suae), so sind doch Gentilgräber der plebeischen Domitii (Suet. Nero 50: gentile Domitiorum monumentum) und Lutatii (Val. Max. IX 2, 1: sepulcrum Lutatiae gentis) ausdrücklich bezeugt (vgl. auch tumulus Octaviorum, Tac. ann. IV 44). Von patrizischen Gentilgräbern werden erwähnt das

der Claudier am Capitol (Suet. Tib. 1),
der Cornelier (Cic. de leg. II 56; über das Grab der Scipionen, das später auf die Lentuli überging, s. CIL I2 p. 376),[7]
der Furier in Tusculum (CIL I 65–72[8] = Dessau 7818. Ritschl Opusc. IV 257),
der Iulier (Cass. Dio XLIV 51: τὸ πατρῷον μνημεῖον),
der Quintilier (Vell. II 119, 5: gentilicii tumuli sepultura),
der Servilier (Cic. Tusc. I 7, 13),
der Valerier auf dem Velischen Hügel (Plut. Popl. 23).

Später wurde das Geschlechtsgrab zum Familiengrab, von dem der heres extraneus, soweit er nicht zu den Agnaten und Gentilen gehörte, ausgeschlossen war, und das daher dem sepulcrum hereditarium gegenübergestellt wurde (Gai. Dig. XI 7, 5: familiaria sepulchra dicuntur, quae quis sibi familiaeque suae constituit, hereditaria autem, quae quis sibi heredibusque suis constituit, Mommsen Jur. Schr. III 207). Am Geschlechtsgrabe haben auch die Freigelassenen und Klienten teilgenommen; zwar wurde ihnen dies Recht von den späteren Juristen und den von deren Doktrin beeinflußten Kaisern bestritten (Ulp. Dig. XI 7, 6 pr. liberti nec sepeliri nec alios inferre poterunt nisi heredes extiterint patrono, quamvis quidam inscripserint monumento sibi libertisque suis fecisse: et ita Papinianus respondit et saepissime idem constitutum est. Caracalla Cod. III 44. 6: sacramentorum inscriptiones neque sepulchrorum iura neque dominium loci puri ad libertos transferunt: praescriptio autem longi temporis, si iustam causam initii habuit, vobis proficiat. Vgl. dazu J. Partsch Die longi temporis praescriptio im klassischen römischen Rechte, Leipzig 1906, 94f.); aber im Widerspruch zu der Ansicht der Pontifices (CIL VI 29909[9] = Dessau 8282 = Bruns Fontes I6 p. 335 nr. 144, 7: nec de nomine exire liceat secundum sententias pontificum cc. vv. s(upra) s(criptas): leider sind diese Sententiae nicht vorhanden). Das Recht des Freigelassenen auf Bestattung im Familiengrabe begegnet sehr häufig auf Inschriften (vgl. Dessau 8268ff.) und ergibt sich auch aus dem Umstande, daß undankbare Freigelassene ausdrücklich ausgeschlossen werden (Testament des Dasumius CIL VI 10229[10] = Bruns Fontes I6 270, 1. 92. 109; vgl. CIL XIV 1271.[11] X 2649.[12] VI 11027.[13] 7470 = Dessau 8283–8286. Vgl. Marquardt-Μau Privataltertümer. Dagegen freilich Pernice S.-Ber. Akad. Berl. 1886, 1202. Auch nach Mommsen Jur. Schr. III 206 hat sich der Brauch, die Freigelassenen zum Geschlechtsgrab zuzulassen, erst in der Kaiserzeit eingebürgert). Auch unwürdige Familienglieder [1188] konnten sicherlich ebensogut wie von der Erbschaft, so auch vom Familiengrab ausgeschlossen werden. Wenn Augustus verbot, daß seine Tochter Iulia in seinem Grabe beigesetzt werde (Suet. Oct. 101 vetuit sepulcro suo inferri. Cass. Dio LVI 32, 4 ταφῆναι ἐν τῷ αὑτοῦ μνημείῳ ἀπηγόρευσε), so gehört, streng genommen, allerdings dieser Fall nicht hierher, denn das Grab des Augustus war kein Gentilgrab (vgl. darüber Hirschfeld S.-Ber. Akad. Berl. 1886, 50f.). Immerhin darf man daraus einen Schluß ziehen auf die Zulässigkeit des Ausschlusses vom Geschlechtsgrab. Vgl. Mommsen Jur. Schr. III 204f.

Erbrecht.

Auch das Erbrecht der Gentilen hängt mit den Sacra zusammen. Die enge Verbindung der Sacra mit der Erbschaft ist vielfach bezeugt (Cic. de leg. II 49f.; pro Mur. 27. Gai. II 55 voluerunt veteres maturius hereditates adiri, ut essent, qui sacra facerent, quorum illis temporibus summa observatio fuit). Daher das Sprichwort sine sacris hereditas (Fest. p. 290: [sine sacris hereditas] in proverbio dici solet, [cum aliquid obvenerit] sine ulla incommodi appendice, quod olim sacra non solum publica curiosissime administrabant, sed etiam privata, relictusque heres sic pecuniae [ut] etiam sacrorum erat, ut ea diligentissime administrare esset necessarium. Plaut. Capt. 4, 1, 7 = 775; Trin. 2, 4, 83 = 484). Mit dem Vermögen hatten die Sacra an und für sich nichts zu tun, sie hafteten am Geschlecht (Cato Orig. 1. II frg. 61 Peter: si quis mortuus est Arpinatis, eius heredem sacra non sequuntur); erst die Pontifices haben sie vom Agnaten- und Gentilenverbande gelöst und mit dem Nachlaß verknüpft (Cic. de leg. II 48: haec iura pontificum autoritate consecuta sunt, ut, ne morte patris familias sacrorum memoria occideret, iis essent ea adiuncta, ad quos eiusdem morte pecunia venerit. 50: pontifices cum pecunia sacra coniungi volunt isdemque ⟨quibus rem, add. Mommsenferias et caerimonias adscribendas putant. 52: sacra cum pecunia pontificum auctoritate, nulla lege coniuncta sunt). Aber diese Frage konnte erst aufgeworfen werden, als durch Einführung des Privattestamentes die Möglichkeit getroffen war, das Vermögen ohne Befragung und Genehmigung der Quiriten in Comitia calata aus der G. herauszubringen. Bis dahin verblieben die Sacra bei der G., ebenso wie der Nachlaß dessen, der ohne Deszendenz oder agnatische Verwandte verstorben war. Diese Auffassung spiegelt sich noch in den Worten des jüngeren Plinius paneg. 37 (s. u.). Das sicherlich uralte Erbrecht der Gentilen ist von den XII Tafeln bestätigt worden: V 5 si agnatus nec escit, gentiles familiam habento (Ulp. Reg. Coll. 16, 4, 2. Gai. III 17. Paul. Coll. 16, 3, 3. Rhet. Her. I 21. Cic. de inv. II 148. Vgl. das Gesetz von Gortyn V 25). Bei Ulpian Reg. 26, 1 ist im Vaticanus überliefert: intestatorum ingenuorum hereditates pertinent primum usw., dagegen in der Coll. 16, 4, 1: intestatorum gentiliciorum hereditates. Daß dies die echte Lesart ist und vom Epitomator, dem wir den Liber singul. der vatikanischen Handschrift verdanken, willkürlich geändert ist, haben Hugo, Lachmann (Kl. Schr. 220) und Mommsen (Jur. Schr. II 472. 52) gegen Huschke u. a. mit Recht angenommen. [1189] Wegen der gewohnheitsrechtlichen Beseitigung des ius gentilicium tilgte der Epitomator auch den folgenden Paragraphen, der in der Collectio erhalten ist (vgl. Seckel und Kübler Iurisprud. Anteiustiniana I 438). Bereits im 2. Jhdt. n. Chr. war das gentilizische Erbrecht antiquiert (Gai. III 17 totum gentilicium ius in desuetudinem abiisse. Ulp. Coll. 16, 4, 2 nunc ... nec gentilicia iura in usu sunt. Paul. Coll. 16, 3, 3: intestatorum hereditas ... aliquando quoque gentilibus deferebatur). Aber noch zur Zeit des Ausganges der Republik finden sich reichliche Spuren davon (Catull. 68, 123 inpia derisi gentilis gaudia tollens. Suet. Caes. 1; über Cic. in Verr. II 115 und de orat. I 176, sowie über die sogenannte Laudatio Turiae s. u.), und noch der jüngere Plinius erwähnt es im Panegyricus auf Traian (37: bonis quae sanguine, gentilitate, sacrorum denique societate meruissent). Nach richtiger Auffassung erbten die Gentilen hinter den Agnaten, auch wenn der proximus agnatus die Erbschaft ausgeschlagen hatte; das heißt, es fand hier eine successio statt, während sie in der Klasse der Agnaten bekanntlich nach der Interpretatio der XII Tafeln ausgeschlossen war (Gai. III 12. 22. 28. Ulp. Reg. 26, 5. Paul. Sent. IV 8, 21 [23]. Inst. III 2, 7. Wie hier Karlowa Röm. Rechtsgesch. II 882; die herrschende Lehre dehnt den Satz nec in eo iure successio est auch auf die Gentilen aus. So auch Mommsen St.-R. III 27). Es erbten, wie im Anschluß an den überlieferten Wortlaut der XII Tafeln gentiles familiam habento fast allgemein angenommen wird, die Gentiles, nicht die G. (Mommsen St.-R. III 28. Karlowa a. a. O. 884. Voigt XII Taf. II 391f.). Freilich sagt Cicero in Verr. II 1, 115 lege hereditas ad gentem Minuciam veniebat, und Paul. Coll. 16, 3, 3: gentibus deferebatur. Aber an der letzteren Stelle schreiben fast alle Herausgeber nach einer Konjektur des Pithoeus: gentilibus, und die untechnische Ausdrucksweise Ciceros hat geringes Gewicht gegenüber den Aussprüchen der Juristen. Bereits oben ist entwickelt worden, daß die G. eine juristische Person nach Art der römischen Gemeinden nicht war; mithin konnte ihr auch ein Erbrecht als solcher nicht zustehen. Andererseits können aber auch die Gentilen nicht etwa Quotenansprüche gehabt haben nach Analogie der Agnaten, die in gleicher Gradesnähe zum Erblasser standen und gleichzeitig berufen wurden. Sie erbten vielmehr alle insgesamt und ungeteilt. Obwohl wir über die juristische Konstruktion wie über die tatsächliche Ausübung dieses Erbrechts nicht über Vermutungen hinauskommen können, so liegt doch die Annahme am nächsten, daß die G. selbst Bestimmung traf über Verteilung der Erbschaft oder Übernahme derselben in das Gesamteigentum. ,Es muß für dieses Gebiet dem Geschlecht als solchem die Handlungsfähigkeit gegeben worden sein‘, sagt selbst Mommsen (St.-R. III 28; ähnlich Voigt XII Taf. II 392).

Dieses Erbrecht stand auch plebeischen Gentilen zu, falls sie nur wirklich gentem habebant (s. o.). Zwei solcher Fälle werden bei Cicero berichtet; sie betreffen die Minucier und Claudischen Marcelli (Cic. in Verr. II 1, 115; de orat. I 176). Über den ersten Fall ist nichts [1190] Besonderes zu sagen; aber der zweite macht mehrfache Schwierigkeiten. Die Centumvirn entschieden einen Rechtstreit zwischen den Marcelli und den patrizischen Claudii über die Erbschaft des Sohnes eines Freigelassenen, cum Marcelli ab liberti filio stirpe, Claudii patricii eiusdem hominis hereditatem gente ad se redisse dicerent. Es ist, obwohl es an gegenseitigen Behauptungen nicht fehlt (Botsford a. a. O. 668), doch kaum eine andere Auslegung möglich, als daß der Verstorbene ein Marcellus war und daher die Marcelli die Erbschaft nach dem Rechte ihrer Linie (stirps) in Anspruch nahmen, dagegen die patrizische G. Claudia die Gentilität der Marcelli bestritt, nicht etwa bloß an der Erbschaft partizipieren wollte (wie hier Mommsen St.-R. III 27, 2. 66, 1. 74, 2. Roby Roman private law, Cambridge 1902, I 221, 1. Lange Röm. Altert. I3 218. Voigt De causa hereditaria inter Claudios et Marcellos acta, Leipzig 1853. Leist in der Fortsetzung des Glückschen Kommentars zu den Pandekten, Serie der Bücher 37 und 38, IV 357f.).

Wie die eben betrachtete Stelle zeigt, umfaßte das Erbrecht der Gentilen auch die patronatischen Erbansprüche, obwohl die überlieferten Fragmente der Zwölf Tafeln nicht ausdrücklich davon sprechen. Zwar handelt es sich in unserem Fall um den Nachlaß des Sohnes eines Freigelassenen, der also nach einer wohl schon am Ende der republikanischen Zeit herrschenden Auffassung ingenuus war. Indessen hat sich das patronatische Erbrecht auch auf den Nachlaß der Deszendenten der Freigelassenen erstreckt, falls diese keine Erben hatten. Als eigentlicher Gentile kann der liberti filius nicht beerbt worden sein, da er als Sohn eines geborenen Sklaven nach der Definition des Mucius Scaevola von der Gentilität ausgeschlossen war. Aber nach dem Rechte der fingierten Blutsverwandtschaft (Consanguinität), die zwischen dem Patron und seiner Agnation einerseits und dem Freigelassenen (und seiner Deszendenz) andererseits angenommen wurde (συγγενικῷ δικαῖῳ κληρονομοῦνται οἱ ἀπελεύθεροι Cod. Iust. VI 4, 4, 22. Leist a. a. O. 347, 32), galt der Grundsatz, daß im Falle des erbenlosen Ablebens des Sohnes eines Freigelassenen dessen Vermögen zur patronatischen Familie ,im Sinne eines Heimfalls (eines redire)‘ zurückkehrte. Das muß in dem bei Ulp. Dig. L 16, 195, 1 aufbewahrten XII Tafel-Fragment (V 8): ex ea familia ⟨qui liberatus erit, eius bona⟩ in eam familiam ⟨revertuntor⟩ (Ergänzungen von Mommsen) ausgedrückt gewesen sein, oder ist aus ihm herausinterpretiert worden (Leist a. a. O. 339f. 348. 355. 357. 359. Mommsen St.-R. III 22, 5).

Vormundschaft.

Nach der Auffassung der alten römischen Rechtsgelehrten war das Recht auf die Vormundschaft eng mit dem Erbrecht verbunden (Gai. I 165: eo ipso, quod hereditates libertorum libertarumque, si intestati decessissent, iusserat lex ad patronos liberosve eorum pertinere, crediderunt veteres voluisse legem etiam tutelas ad eos pertinere). Schon aus diesem Grunde, wie auch deshalb, weil die Pflegschaft über die Wahnsinnigen nach ausdrücklichem Zeugnis durch die XII Tafeln beim Wegfall von Näherberechtigten den Gentilen verliehen war, mußte man annehmen, daß ihnen auch die Vormundschaft [1191] über Frauen und Unmündige nach dem römischem Grundgesetz zustand. In diesem Sinne äußerten sich auch ältere Forscher, wie Zimmern Gesch. d. röm. Privatrechts, Heidelberg 1826, I 872, 22. Rudorff Recht der Vormundschaft, Berlin 1832, I 210. Savigny Verm. Schr. I 267. Walter Gesch. d. röm. Rechts II3 163. Doch fehlte es auch nicht an Widerspruch (Dirksen XII Tafeln 368. Danz Rechtsgesch. § 113). Die Frage wurde entschieden durch die sog. Laudatio Turiae (CIL VI 1527[1] Suppl. 31670. Bruns Font. I7 321. Dessau 8393. Mommsen Jur. Schr. I 395f.). Hier ist das Vormundschaftsrecht der Gentilen gegenüber der Frau bezeugt (I 21f.): nec sub condicionem tutelae legitumae venturam, quoiius per [legem in te ius non] esset, neque enim familia[e] gens ulla probari poterat, quae te id facere [cogeret]: nam etsi patris testamentum ruptum esset, tamen iis qui intenderen[t non esse id] ius, quia gentis eiusdem non essent. Die von den Gentilen beanspruchte Vormundschaft über die Frauen wird abgewiesen, weil sie nicht derselben G. angehören. Aber wir sehen, daß noch zur Zeit des Kaisers Augustus das Ius gentilicium in voller Geltung war. Bestand die tutela mulieris als tutela legitima, so gilt dasselbe auch von der tutela impuberis. Auch Cicero (de domo 35) weist darauf hin: iure Quiritium legitimo tutelarum et hereditarium relicto. Gaius handelte davon wahrscheinlich in der Lücke nach I 164. Beseitigt wurde die legitima tutela feminarum durch Lex Claudia (Ulp. Reg. 11, 3. Gai. I 157. 171). Mommsen Jur. Schr. I 411. Die tutela legitima impuberum wird bald danach gewohnheitsrechtlich beseitigt worden sein.

Auch die Pflegschaft (cura) über den Wahnsinnigen hat nach dem Gesetze der XII Tafeln den Gentilen zugestanden. V 7: si furiosus escit, ast ei custos nec escit, adgnatum gentiliumque in eo pecuniaque eius potestas esto (Rhet. ad Her. I 23. Cic. de invent. II 148. Paul. Dig. L 16, 53 pr. cum dicitur apud veteres: adgnatorum gentiliumque). Paulus bezeugt ausdrücklich, daß das que distributiv (= ve) zu fassen ist (s. über diesen Sprachgebrauch meine Bemerkungen Zeitschr. d. Savigny-Stiftung Rom. Abteilung XXV 1904, 269). Danach ist der Satz so zu interpretieren, daß die Cura zunächst den Agnaten, d. h. dem proximus agnatus, zukommt und in Ermangelung eines solchen den Gentilen, nicht, wie Voigt meint (XII Tafeln II 725, 10): ,entweder den Agnaten, oder aber, dafern eine G. vorhanden ist, den Gentilen‘. Die Rechtsanalogie verlangt hier trotz des kürzeren Ausdrucks dieselbe Anordnung, wie bezüglich der Erbfolge, und nach diesem Auslegungsprinzip sind auch die Sabinianer verfahren bei der Anwendung des Aquilischen Gesetzes, in dessen drittes Kapitel sie das fehlende Wort plurimi aus dem ersten Kapitel hineininterpretierten (Gai. III 218). Dem Furiosus wurde der Verschwender (prodigus) gleich gestellt, und auch über ihn haben die Pflegschaft nach den Agnaten die Gentilen gehabt. Wenn Varro (r. r. I 2, 8, vgl. Colum. I 3, 1) sagt: derjenige, der einen unfruchtbaren oder ungesunden Acker bebaut, mente est captus atque ad agnatos et gentiles [1192] est deducendus, so spricht er allerdings zunächst von einem, der seiner geistigen Kräfte beraubt ist, denkt aber doch wohl nach dem Zusammenhange der Stelle mehr an den Verschwender, den man eben als unzurechnungsfähig wegen geistigen Defekts unter Kuratel stellt (vgl. Dig. XXV 15, 12, 2). Bei Ulpian Reg. 12, 2: lex duodecim tabularum furiosum itemque prodigum, cui bonis interdictum est, in curatione iubet esse agnatorum hat vielleicht der Epitomator gentiliumque fortgestrichen, wenn es nicht bereits Ulpian selbst ausgelassen hat wegen der Veraltung des Ius gentilicium. Die Frage, ob die Cura Prodigi durch die XII Tafeln (so Ulp. Reg. 12, 2. Dig. XXVII 10, 1 pr.) oder gewohnheitsrechtlich vor oder nach den zwölf Tafeln eingeführt ist, kann hier unerörtert bleiben. S. Karlowa Röm. Rechtsgesch. II 301f. Dernburg Pandekten I7 128, 5. Steiniger Voraussetzungen und Rechtswirkungen der Entmündigung des Verschwenders nach gemeinem Recht, 1890, 11f. Pernice Labeo I 234f.

Verbindung mit dem Staate. Zahl. Gentes minores. Geschichte.

Niebuhr (Röm. Gesch., herausg. v. Isler, Berlin 1873, I 261) nahm an, daß die Gentes identisch seien mit den δεκάδες (decuriae), die Dionys. II 7, 4 erwähnt (διῄρηντο δὲ καὶ εἰς δεκάδας αἱ φρᾶτραι πρὸς αὐτoῦ (scil. Ῥωμύλου), καὶ ἡγεμὼν ἑκάστην ἐκόσμει δεκάδαρχος κατὰ τὴν ἐπιχώριον γλῶτταν προσαγορευόμενος). Es wären demnach 300 Gentes oder decuriae gewesen, da auf jede der 30 Curien 10 Gentes kamen. Indessen ist jetzt diese Ansicht fast allgemein aufgegeben (dafür noch Bernhöft Staat u. Recht d. röm. Königszeit 125; dagegen statt aller Mommsen St.-R. III 12, 3). Wohl aber halten die meisten Forscher (so auch Mommsen R. F. I 278; St.-R. III 867f. und Bernhöft a. a. O. 127) daran fest, daß in der Königszeit jede G. durch ein Mitglied im Senate vertreten war. Danach müßte ursprünglich die Zahl der Geschlechter der der Senatoren gleich gewesen sein, und die ohnehin wahrscheinlich lediglich auf falscher Kombination beruhende Angabe des Varro (auctor de nominibus 3, im Val. Max. ed. Kempf2 p. 589, 5), es habe ursprünglich 1000 gentilicia nomina gegeben, kann als historisch wertlos unbeachtet bleiben. Über die Senatorenzahl aber herrscht in der Überlieferung gerade solche Verwirrung, wie bezüglich der Vermehrung der Reiter (s. Art. Equites Romani Bd. V S. 274). Übereinstimmend wird angegeben, daß sie bei der Gründung des Staates durch Romulus 100 betragen habe (Belege bei Mommsen St.-R. III 844, 1). Weiter wird überliefert, daß Tarquinius Priscus durch Aufnahme neuer Geschlechter die Zahl der Senatoren auf 300 gebracht habe und daß die neuen Senatoren patres minorum gentium im Unterschiede zu den älteren patres maiorum gentium genannt worden seien (Cic. de rep. II 35; ad fam. IX 21, 2. Liv. I 35, 6. Auct. de vir. ill. 6, 6. Suet. Aug. 2. Dionys. III 67). Dabei läßt Cicero (de rep. II 35) den Tarquinius die bisherige Senatorenzahl verdoppeln (duplicavit illum pristinum patrum numerum), nach Livius dagegen, dem Auctor der Schrift de vir. ill. und Dionys fügte er der früheren Zahl 100 hinzu. Nun ist es fast sicher, daß alle jene Schriftsteller als selbstverständlich [1193] voraussetzen, es sei durch die von ihnen berichtete Vermehrung die Zahl der Senatoren auf 300 gebracht worden. Denn diese Zahl ergibt sich nach der Vereinigung der drei Tribus der Ramnes, Tities, Luceres, wenn man, wie auch aus der Analogie der Decurionenzahl für die römischen Kolonien und Municipien geschlossen werden kann (s. o. Art. Decurio), für jeden Stamm 100 Ratsmitglieder annimmt, und sie ist auch an den unten zu erörternden Stellen als Normalzahl für die Königszeit überliefert. Demnach müßte vor der Aufnahme der gentes minores die Zahl der Senatoren, wenn man Cicero folgt, irgend einmal auf 150, oder wenn man die übrige Überlieferung berücksichtigt, auf 200 gebracht worden sein, falls man nicht etwa annehmen will, daß bereits Romulus die Zahl der Senatoren auf 300 gebracht habe, daß aber bis zur Regierung des Tarquinius 150 oder 100 Geschlechter ausgestorben seien. Wirklich berichtet Dionysius (II 47), daß nach der Vereinigung der Römer mit den Sabinern der Senat auf 200 Mitglieder gebracht worden sei, und behauptet, daß dies die Ansicht fast aller Geschichtschreiber sei (ὀλίγου δεῖν πάντες οἱ συγγράψαντες τὰς Ῥωμαικὰς ἱστορίας συμπεφωνήκασιν); aber er fügt hinzu, einige wenige (ὀλίγοι τινές) behaupteten, es seien damals nur 50 neue Mitglieder hinzugekommen (Plut. Num. 2. Zonar. 7, 5). Livius hingegen schweigt gänzlich über eine solche Vermehrung; vielmehr gibt er beim ersten Interregnum nach dem Tode des Romulus die Zahl der Senatoren auf 100 an (I 17, 5; vgl. Hist. aug. Tac. 1. Arnob. I 41), während hier Dionys konsequent 200 nennt (II 57). Wenn Livius aber dann durch Tarquinius Priscus die Senatorenzahl verdoppelt werden läßt, so führt das nicht auf eine Zahl von 300, sondern nur von 200. Trotzdem setzt er II 1, 10 beim Sturz der Könige einen Senat von 300 Mitgliedern voraus, ohne den Leser über diese Differenz irgendwie aufzuklären. Cicero dagegen nennt zwar ,vorsichtigerweise‘ den pristinus numerus nicht; aber die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß seine Quelle zu den ὀλίγου δεῖν πάντες οἱ συγγράψαντες τὴν Ῥωμαικὴν ἱστορίαν gehörte und eine Vermehrung der Senatoren unter Romulus um 50 angenommen hatte. Nach Cassius Dio (Zonar. VII 8, 6) wurden durch Tarquinius Priscus 200 neue Senatoren hinzugefügt.

Nach Tacitus (ann. XI 25) erfolgte die Aufnahme der gentes minores erst unter dem ersten Consulat. Das ist eine Verwechslung mit der damals vorgenommenen Senatsvermehrung durch Vertreter plebeischer Familien (Dionys. V 13. Fest. ep. p. 154 s. qui patres). Aber auch Sueton (Aug. 2) und Dionys (II 67) lassen die unter Tarquinius Priscus aufgenommenen gentes minores aus der Plebs hervorgehen, während Cicero (ad fam. IX 21, 2) sehr energisch betont, daß sie patrizisch gewesen sind. Die letztere Auffassung herrscht in der Überlieferung vor und entspricht wohl auch den Anschauungen des römischen Adels selbst. Nach Mommsen (St.-R. III 31, 3) erinnerte daran noch in der Kaiserzeit die Troia, das Wettreiten der patrizischen Knaben (s. darüber Marquardt-Wissowa Staatsverw. III2 525f. Wissowa Religion der Römer 382f.). Hierbei war eine turma duplex maiorum minorumque [1194] puerorum (Suet. Caes. 39) beteiligt, die Marquardt auf Altersunterschiede, Mommsen aber auf die gentes maiores und minores bezieht. Allerdings waren Knaben plebeischer Familien nicht ausgeschlossen. Bei der ersten Erwähnung dieser Spiele unter Sulla standen für die Führung der einen Turma Sex. Pompeius und Cato Uticensis, die beide der Plebs angehörten, zur Wahl (Plut. Cat. min. 3); aber Cassius Dio hebt so oft den adligen Charakter der beteiligten Knaben hervor (εὐπατρίδαι XLIII 23, 5. LI 22, 4. LIV 26, 1; εὐγενεῖς XLVIII 20, 2. LIII 1, 4. LIX 7, 4. 11, 2; τῶν βουλευτῶν παῖδες XLIX 43, 3; οἱ πρῶτοι LV 10, 6), daß die Annahme, diese Spiele seien eigentlich patrizisch, die Plebeier der vornehmsten Häuser dabei nur geduldet gewesen, einer gewissen Berechtigung nicht entbehrt. Möglich ist indessen auch, daß die Plebeier erst in der Kaiserzeit ausgeschlossen worden sind. Denn auch Plutarch, nach dessen Erzählung doch Plebeier zugelassen waren, nennt die Knaben εὐγενεῖς (a. a. O.).

Soweit man von den vorstehend aufgeführten Nachrichten überhaupt für eine historische Darstellung Gebrauch machen darf, läßt sich als Kern vielleicht herausschälen, daß die ursprüngliche Mitgliedszahl des Senats 100 betrug, und daß die Zahl durch Hinzufügung neuer Stämme und neuer Geschlechter auf den Bestand von 300 gebracht wurde. Schon Tullus Hostilius soll neuen Geschlechtern aus Alba einen Sitz im Senate verliehen haben (Liv. I 30, 2. Dionys. III 29), und es macht nichts aus, daß nur sechs oder sieben solcher Gentes, die Iulii, Servilii, Quinctii, Geganii, Curiatii, Cloelii, bei Dionys noch die Metilii, genannt werden. Die albanische Herkunft der Iulier wird durch CIL I 807[5] = XIV 2387 = Dessau 2988 (o. S. 1184f.) bestätigt, was jener Nachricht sicherlich zur Empfehlung dient. Die Vermehrung der Gentes und Senatorenstellen durch Tarquinius Priscus bringt man mit Recht in Zusammenhang damit, daß er die Zahl der Vestalinnen von vier auf sechs erhöhte und auch eine Verdoppelung der Reitergeschwader beabsichtigt hatte (Art. Equites Romani o. S. 274). Nach Lange (Röm. Altert. I3 97. 442) bildeten die unter Tullus Hostilius aufgenommenen albanischen Geschlechter die Tribus der Luceres, während Tarquinius Priscus die Zahl der plebeischen Geschlechter durch Kooptation plebeischer Familien verdoppelte. Sicherlich kann man dieser Hypothese nicht jede Berechtigung absprechen. Aber es wäre ein fruchtloses Beginnen, in diesen Fragen auch nur eine annähernde Sicherheit erreichen zu wollen oder alle aufgestellten Vermutungen aufzuzählen und zu kritisieren. Nach dem Berichte des Cicero (de rep. II 35) hat König Tarquinius Priscus bei der Umfrage im Senat die patres minorum gentium erst nach denen der maiorum gentium zur Meinungsäußerung aufgefordert. Ob dieser Brauch, wie Mommsen zu wiederholten Malen (R. F. I 259; R. G. I9 84; St.-R. II 868. 966) behauptet hat, in historischer Zeit in Geltung geblieben ist, ob wirklich der Princeps senatus nur aus den gentes maiores genommen wurde, das wird besser in anderem Zusammenhange erörtert (s. den Art. Senatus). Jedenfalls scheint es uns sehr gewagt, aus den überlieferten Namen der Principes senatus [1195] die Gentes maiores ermitteln zu wollen (Mommsen R. F. I 259; St.-R. III 868, 4 rechnet dahin die Aemilier, Claudier, Cornelier, Fabier, Manlier und Valerier).

Nach der Vertreibung der Könige war, wie überliefert wird, die Zahl der Senatoren wieder so durch Kriege und sonstiges Aussterben dezimiert, daß eine neue Ergänzung notwendig wurde. Sie erfolgte diesmal aus den Plebeiern, und zwar sollen 164 neue Männer in den Senat gewählt worden sein (Dionys. V 13 ἐκ τῶν δημοτικῶν τοὺς κρατίστους ἐπιλέξαντες πατρικίους ἐποίησαν, καὶ συνεπλήρωσαν ἐξ αὐτῶν τῆς βουλῆς τοὺς τριακοσίους. Fest. p. 254, 24 ,qui patres, qui conscripti‘ vocati sunt in curiam, quo tempore regibus urbe expulsis P. Valerius consul propter inopiam patriciorum ex plebe allegit in numerum senatorum C et LX et IIII, ut expleret numerum senatorum trecentorum. Plut. Poplic. 11 ἀνεπλήρωσε τὴν βουλὴν ὀλιγανδροῦοαν · ἐτεθνήκεσαν γὰρ οἱ μὲν ὑπὸ Ταρκυνίου πρότερον, οἱ δὲ ἐνάγχος ἐν τῇ μάχῃ · τοὺς δ' ἐγγραφέντας ὑπ' αὐτοῦ λέγουσιν ἑκατὸν καὶ ἑξήκοντα τέσσαρας γενέσθαι). Mommsen (R. F. I 121; St.-R. III 12, 1) knüpft an diese Nachricht die Vermutung, daß vielleicht ,die Analyse der vollständigen Magistratstafel 136 in republikanischer Zeit existierende Patriziergeschlechter ergab‘. Das ist die sinnreichste und beste Erklärung der Zahl 164, die bisher vorgebracht worden ist. Auf irgend einer Kombination muß diese Zahl doch beruhen. Sei dem aber, wie ihm wolle, jedenfalls zeigt die Überlieferung, nach welcher bei Einführung der Republik die vakanten Senatorenstellen mit Plebeiern besetzt wurden (so auch Liv. II 1, 10. 11), daß die Zahl der patrizischen Geschlechter nunmehr geschlossen war und neue Kooptationen nicht mehr erfolgten, abgesehen vielleicht von der der Claudier, die von den meisten in das sechste Jahr der Republik (Suet. Tib. 1 post reges exactos sexto fere anno; vgl. Liv. II 16, 4. Dionys. V 40. Plut. Poplic. 21) gesetzt wird, nach einer andern Überlieferung bereits unter Romulus stattfand (Suet. Tib. 1). Vgl. Mommsen R. F. I 72; St.-R. III 26, 1. Bernhöft a. a. O. 129f.; s. o. Art. Claudius). Mommsen hat in einer meisterhaften Untersuchung selbst eine Analyse der überlieferten Fasten auf patrizische Geschlechter hin vorgenommen (R. F. I 69f.); er findet nach dem J. 387 p. St. (= 367 v. Chr.) nur noch 22 patrizische Gentes mit 81 Familien, für ,das letzte Menschenalter der Republik‘ nur vierzehn patrizische Geschlechter mit etwa dreißig Familien:

Aemilii (Lepidi, Scauri),
Claudii (Nerones, Pulchri),
Cornelii (Cethegi, Dolabellae, Lentuli, Merulae, Sullae, Scipiones, Scipiones Nasicae),
Fabii (Maximi, vielleicht auch Buteones, Labeones, Pictores),
Iulii (Caesares),
Manlii (Torquati),
Pinarii (Nattae),
Postumii (Albini),
Quinctii (Crispini),
Quinctilii (Vari),
Sergii (Catilinae),
Servilii (Caepiones),
Suilpicii (Galbae, Gali, Rufi),
Valerii (Flacci, Messalae).

Dionys von Halikarnaß sagt, es beständen zu seiner Zeit noch einige Geschlechter troischer Abstammung, ungefähr 50 Häuser (I 85: ἱκανὸν δὲ καὶ τὸ ἀπὸ τοῦ κρατίστου γνώριμον (γένος), ἐκ δὲ τοῦ Τρωικoῦ τὸ εὐγενέστατον δὴ νομιζόμενον, ἐξ οὗ καὶ γενεαί τινες ἔτι καὶ περιῆσαν εἰς ἐμέ, πεντήκοντα μάλιστα οἶκοι). Diese Nachrieht steht keineswegs [1196] im Widerspruch mit dem Mommsenschen Ergebnis; denn sicherlich hatte Dionysios ein viel reichhaltigeres Material, als uns noch zu Gebote steht. Auch darf seine Behauptung Anspruch auf Glaubwürdigkeit machen, da er sich vermutlich auf die Untersuchungen gelehrter Zeitgenossen stützt. Hatte doch kein geringerer als Varro über familiae Troianae geschrieben (Serv. Aen. V 704), außer ihm Hygin (Serv. Aen. V 389), vielleicht auch Messalla Corvinus (Plin. n. h. XXXV 8). Wunderbar ist aber ein solches Zusammenschmelzen der patrizischen Häuser keineswegs; denn es ist eine bekannte Tatsache, daß adlige Familien verhältnismäßig rasch aussterben, selbst wenn sie sich gegen Zuführung frischen Blutes weniger ablehnend verhalten, wie es die römischen Patrizier getan haben. Dazu nehme man die Opfer, welche die politischen Kämpfe des letzten Jahrhunderts der Republik grade unter den vornehmsten Geschlechtern forderten (Seeck Untergang der alten Welt I 286f.), und die moralische Entartung, die Abneigung gegen Ebe und Kinderzeugung in den vornehmen Familien, die dem Kaiser Augustus soviel Sorgen bereitete und schließlich zu seiner wohlgemeinten aber verfehlten Ehegesetzgebung führte. So könnte man sich eher darüber verwundern, daß von den alten Geschlechtern noch so viele den Untergang, der Republik überdauert haben.

Keineswegs aber darf man aus der Tatsache, daß die alten patrizischen Gentes zur Zeit des Augustus auf ein kleines Häuflein zusammengeschmolzen waren, ein Argument gegen die Richtigkeit der hier vorgetragenen, im wesentlichen auf Mommsens Forschungen beruhenden Auffassung entnehmen, wie dies soeben Botsford tut, der sich bemüht, Ed. Meyers Anschauung gegen die Mommsensche zur Geltung zu bringen. Aus dem raschen Aussterben der Geschlechter sowie aus einigen andern Tatsachen, z. B. der geringen Zahl von Vornamen, schließt er auf eine geringe Geschlechterzahl und auf einen schwachen Durchschnittsbestand von Gentilen. Er rechnet sich für den Anfang der republikanischen Zeit 100 Geschlechter heraus mit höchstens 900 männlichen, mündigen Geschlechtsgenossen. Daraus folgert er weiter, daß eine so geringe Zahl wohl einen Adel bilden konnte, aber nicht eine Bürgerschaft. Die Patrizier hätten ursprünglich gar keine Vorrechte gehabt; sie hätten sich solche erst allmählich verschafft, indem eine Anzahl von Familien sich die Senatorenstellen, Ämter und Priestertümer sicherte und sich dann zu einem Ring gegen alle Außenstehenden zusammenschloß. Wo derselben G. plebeische und patrizische Zweige angehören, sei nicht der plebeische Zweig aus dem patrizischen Geschlechte durch Emanzipation, Mißheirat oder sonstwie hervorgegangen, sondern es sei vielmehr bei Bildung des Kartells der patrizischen Gentes die eine Familie aufgenommen worden, die andere nicht. Die G. gehöre überhaupt nicht in die arische Gliederung der Stämme und Völker, sondern sie sei italischen Ursprungs. Auf diese Ansichten soll hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Aber selbst wenn man der Rechnung von Botsford in allen Punkten zustimmt und beim Sturz der Könige 100 patrizische Geschlechter statt 136 annimmt, so hat das wenig zu bedeuten. [1197] Auch Mommsen nimmt eine Gemeinde, die sich lediglich aus patrizischen Geschlechtern mit ihren Klienten zusammensetzt, nur für die vorhistorische Zeit an. Im 3. Jhdt. der Stadt besteht auch nach ihm bereits neben dem durch eine verhältnismäßig kleine Zahl von Gentes vertretenen Patriziat die selbständige Plebs, die vielleicht sogar schon nach patrizischem Vorbilde gestaltete Gentes hat. Von einer Durchschnittszahl der Mitglieder der Geschlechter (average membership) kann man gar nicht sprechen, da es eine solche nicht gibt. Manche Gentes hatten überhaupt nur eine Familie, andere, wie die Cornelische hatten in historischer Zeit 10 stirpes. Die Geschichte von den 306 Fabiern, die am Cremeraflusse fielen, kann man getrost der Mythe überweisen, sie hat auf die Beurteilung der historischen Verhältnisse der römischen Geschlechterverfassung gar keinen Einfluß. Die Annahme aber, daß aus der Masse des Volkes sich einige Familien ausgesondert, sich Macht und Einfluß gesichert und schließlich einen Adelsring gebildet hätten, steht nicht nur im Widerspruch zu den Ergebnissen der rechtshistorischen und rechtsvergleichenden Forschung, sie versagt auch, wenn es sich darum handelt, die Genesis der sakralen und rechtlichen Organisation der Gentes zu erklären. Auch die beschränkte Zahl von Vornamen, die man noch jetzt in vielen Fürsten- und Adelshäusern findet, beweist für die Zahl, Stärke oder Geschichte der römischen Gentes nichts. Die tiefdurchdachten, auf das vollständig gesammelte Tatsachenmaterial gegründeten Untersuchungen, die Mommsen in seinen Römischen Forschungen und im Staatsrechte vorgelegt hat, haben Ergebnisse geliefert, die wohl in Einzelheiten anfechtbar sein mögen, die aber im ganzen einen so meisterhaft aufgeführten, wohlgefügten Bau darstellen, daß er bis jetzt noch allem Rütteln und Stürmen Widerstand leistet und sein Sturz so leicht nicht gelingen möchte.

Literatur. Mommsen R. St.-R. III 9f.; R. G. I9 36. 62. 64f.; Juristische Schriften II 411f. III 540; De collegiis et sodaliciis, Kiel 1843, 9f.; Römische Forschungen I 69f. 269f. Niebuhr Röm. Gesch., herausg. von Isler, Berlin 1873, I 257f. Ed. Meyer Geschichte des Altertums, Stuttgart 1893, II 87. 516f. Niese Grundriß der römischen Geschichte³, München 1906, 36f. Göttling Gesch. d. röm. St.-V., Halle 1840, 62f. Lange Römische Altertümer I3 1876, 211f. 412. Herzog Geschichte und System der römischen Staatsverfassung 1874, 10–13. Madvig Verfassung und Verwaltung d. röm. Staates, Leipzig 1881, I 82f. Marquardt R. St.-V. III2 (besorgt von Wissowa) 1885, 129f.; Privatleben der Römer2 (besorgt von Mau) 1886, 10. 24. 30. 364. Wissowa Religion und Kultus der Römer, München 1902, 340. 411. Schrader Sprachvergleichung und Urgeschichte³, Jena 1907. 385f. Leist Graeco-italische Rechtsgeschichte, Jena 1884, 103–174; Altarisches Ius gentium, Jena 1889, 385f. – Zimmern Geschichte des römischen Privatrechts, Heidelberg 1826, I 872. Walter Geschichte des römischen Rechts3, Bonn 1860, I 19. 22. 44. 75. 77. Voigt Die XII Tafeln, Leipzig 1883, II 758–777. Danz Lehrbuch der Gesch. d. röm. Rechts2, Leipzig 1871, I 10. 117. II 126. Schulin Lehrbuch d. Gesch. [1198] d. röm. Rechts, Stuttgart 1889, 181f. Böcking Pandekten d. röm. Privatrechts2, Bonn 1853. Karlowa Röm. Rechtsgeschichte I 1885, 32f. II 1901, 881f. Puchta Kursus der Institutionen10, bes. von P. Krüger, Leipzig 1893, I 75. II 14. 18f. Pernice M. Antistius Labeo, das römische Privatrecht im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit I, Halle 1873, 93f. v. Jhering Geist des römischen Rechts4, Leipzig 1881, I 183f. Bruns-Pernice-Lenel Geschichte und Quellen d. röm. Rechts in Holtzendorff-Kohlers Encyclopädie d. Rechtswissenschaft, Leipzig-Berlin 1904, I 85. Girard Manuel de droit Romain4, Paris 1906, 144–145 (deutsche Übersetzung von v. Mayr, Berlin 1907, 161–163). Leist Fortsetzung von Glücks Pandektenkommentar, Serie der Bücher 37. 38 (= das römische Patronatsrecht), IV 338–360. – Genz Das patrizische Rom, Berlin 1878, 1–31. Bernhöft Staat und Recht der römischen Königszeit im Verhältnis zu verwandten Rechten, Stuttgart 1882, 69f. 138f. Ph. E. Huschke Die Verfassung des Königs Servius Tullius, Heidelberg 1838, 26. 70f. 116. M. Weber Römische Agrargeschichte, Stuttgart 1891, 80f. Pernice S.-Ber. Akad. Berl. 1886, 1197–1203. – E. M. Chladenius De gentilit. vet. Rom., Lips. 1742. C. F. Mühlenbruch De veterum Rom. gentibus et familiis, Rostock 1807. v. Savigny Vermischte Schriften, Berlin 1850 I, 262f. Ettore de Ruggiero La gens in Roma avanti la formazione del commune, Napoli 1872. J. J. Müller Dionysius II 7 oder das Verhältnis der Gentes und Curien im alten Rom. Philologus XXXIV 1874, 96f. Lécrivain in Daremberg et Saglio, Dictionnaire des Antiquités grecques et romaines II 2, 1504–1516. G. W. Botsford Some problems connected with the roman Gens, Political Science Quarterly Vol. XXII 1907, 663–692.

Anmerkungen (Wikisource) Bearbeiten

  1. a b Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 1527.
  2. Corpus Inscriptionum Latinarum I, 38.
  3. Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 1293.
  4. Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 313.
  5. a b Corpus Inscriptionum Latinarum I, 807.
  6. Corpus Inscriptionum Latinarum XI, 1362.
  7. Corpus Inscriptionum Latinarum I, 376.
  8. Corpus Inscriptionum Latinarum I, 65.
  9. Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 29909.
  10. Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 10229.
  11. Corpus Inscriptionum Latinarum XIV, 1271.
  12. Corpus Inscriptionum Latinarum X, 2649.
  13. Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 11027.