Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Stadt in S-Etrurien
Band III,1 (1897) S. 12811283
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Caere (indecl., nur Abl. Caerete bei Prisc. IV 29; griechisch Καῖρε Ptol. III 1, 43 und Steph. Byz. s. Ἄγυλλα; Καιρή Steph. Byz. s. v.; Καιρέα Strab. V 220; Καίρητα Dionys. Halic. III 58; Einw. meist Caeres, -ǐtis, doch auch Abl. Caerēte Vergil. Aen. X 183; Caeretanus Val. Max. I 1, 10. Plin. n. h. III 51. Martial. VI 73, 3. Rutil. Namatian. I 225. CIL XI 3614 [zweimal, woneben auch zweimal Caerites]; Ceretanus CIL XI 3367; die Griechen Καιρητανός oder Καιρετανός Dionys. Halic. I 20. III 58. IV 27. Strab. V 220. 226. Steph. Byz. s. Ἄγυλλα und Καιρή), Stadt im südlichen Etrurien, nahe der Küste des tyrrhenischen Meeres an dem Flüsschen Vaccina (Caeretanus amnis Plin. n. h. III 51, Caeritis amnis Verg. Aen. VIII 59). Als ursprünglicher Stadtname wird Agylla angegeben, ein ‚pelasgisches‘ Wort nach den Alten, während Neuere es aus dem Phoinikischen ableiten (s. Bd. I S. 913). Dass dieser Name noch in späterer Zeit gebräuchlich war, beweisen Herodot. I 167 (Sühnefest der Ἀγυλλαῖοι in Delphi). Strab. V 220 (Schatzhaus der A. ebendaselbst). Diodor. XV 14, 3. 4 (Pyrgos als Ἀγυλλης ἐπίνειον bezeichnet). Gründungssagen und absurde Etymologie von griechisch Χαῖρε bei Strab. V 220 (daraus Steph. Byz.) und Serv. Aen. VIII 597 (nach Hygin.); fabulose Kriegsgeschichten zwischen C. und den flüchtigen Trojanern unter Aeneas bei Liv. I 2. Verg. Aen. III 480 (s. auch Mezentius). Wann C. in die Hand der Etrusker gekommen ist, bleibt dunkel; jedenfalls darf man daraus, dass Herodot. I 167 zum J. 535 v. Chr. es noch Agylla nennt, nicht schliessen, dass es noch bis Ende des 6. Jhdts. eine unabhängige ‚pelasgische‘ Stadt gewesen sei. Während die meisten Schriftsteller mit diesem Wechsel der Herrschaft den Wechsel des Namens (C. statt Agylla) verknüpfen, behauptet allein Probus zu Aen. X 183, C. sei der älteste Name, den die Etrusker in Cisra geändert hätten. C. wird unter die Zwölfstädte Etruriens gerechnet und war durch Seehandel blühend und mächtig; rühmend wird hervorgehoben, dass die Einwohner nicht Seeraub trieben (Strab. a. a. O.). In der Geschichte der römischen Könige spielt C. eine bedeutende Rolle (s. Dionys. Halic. III 58: Krieg unter Tarquinius Priscus; IV 27 unter Servius Tullius); als Zufluchtsort der vertriebenen Tarquinier nennt es Liv. I 60, 2. Vgl. noch Liv. IV 61 und V 16, 5. Nach der Gallierinvasion 390 wurden die Vestalen und die sacra nach C. in Sicherheit gebracht (CIL I² p. 191 elog. VI = CIL VI 1272. Liv. V 40, 10. Val. Max. I 1, 10. Strab. V 220; daher Ableitung der caerimoniae von C. Val. Max. a. a. O. Paul. epit. 44): deshalb ward nach Liv. V 50, 3 im gleichen Jahre ein Freundschaftsvertrag zwischen Rom und C. geschlossen. Im J. 353 ergriffen die C. aus Freundschaft für die Tarquinienser die Waffen gegen Rom, wurden aber überwunden [1282] und um die Hälfte ihres Gebietes gestraft (Cass. Dio frg. 33 p. 138 Boiss.), wogegen nach Liv. VII 20 ihnen, ohne Gebietsverringerung, ein hundertjähriger Waffenstillstand bewilligt wurde. In diese Zeit fällt vermutlich die Umwandlung von C. in eine Halbbürgergemeinde zweiter Klasse (Mommsen St.-R. III 585f.), deren Einrichtungen für eine ganze Reihe solcher Gemeinwesen vorbildlich wurden (Strab. V 220. Gell. XVI 3, 7. Fest. 127 s. municipium und 233 s. praefecturae. Horat. epist. I 6, 62 m. d. Scholien; vgl. Caeritum tabulae). Ein Zeugnis für den Verkehr zwischen C. und Rom im 4. Jhdt. ist die Stelle bei Liv. IX 36, 3 (zum J. 310) consulis frater M. Fabius Caere educatus apud hospites Etruscis inde litteris eruditus erat linguamque Etruscam probe noverat. Im hannibalischen Kriege lieferten die Caeretaner der römischen Flotte Getreide und sonstigen Proviant (Liv. XXVIII 45, 15; vgl. Sil. Ital. VIII 474). Sonst wird aus republicanischer Zeit nur noch von nach Rom gemeldeten Prodigien berichtet (Liv. XXI 62, 5. 8. XXVII 23, 3. XXVIII 11, 3. XLI 21, 13). Die Stadt muss in augustischer Zeit völlig verfallen gewesen sein, so dass Strabon angiebt, sie habe an Bevölkerungszahl hinter den nahen Aquae Caeretanae (s. Bd. II S. 297) zurückgestanden. Doch unter Augustus oder spätestens unter Tiberius wurde die Stadt erneuert und scheint wieder zu einer gewissen Blüte gekommen zu sein. Sie hatte zum obersten Magistrat einen dictator, daneben eine aedilis iure dicundo (der zugleich praefectus aerari sein konnte) und einen aedilis annonae (CIL XI 3614). Auch ein quaestor (CIL XI 3615), ein censor perpetuus (CIL XI 3616. 3617), ein curator Pyrgensium et Ceretanorum (CIL XI 3367, 3. Jhdt.) werden genannt. Die Decurionenversammlung heisst senatus (CIL XI 3595. 3596. 3601. 3604. 3608. 3610. 3619). C. wird in früherer Kaiserzeit noch gelegentlich erwähnt wegen seines (mittelmässigen) Weines (Martial. XIII 124. Colum. r. r. III 3), von den Geographen Ptolemaios (III 1, 43) und Plinius (III 51), ferner bei Martial. VI 73, 3. Gemälde in C., welche älter sein sollten als Rom, erwähnt Plin. XXXV 18. Dass im 5. Jhdt. n. Chr. C. Bischofssitz gewesen sei, schloss man aus der Subscription der römischen Synode von 499; aber dort ist Cerrensis episcopus nur Schreibfehler für Lorenis. S. Mommsen im Index zu Cassiodor p. 503. 513. Im Mittelalter sank die Stadt immer mehr; anfangs des 13. Jhdts. verliess ein Teil der Bewohnerschaft C. und gründete östlich davon im Thale des Fosso Sanguinara den Ort Caere novum, jetzt Ceri, im Gegensatz zu welchem die antike Stadt nun den Namen Cervetri erhielt.

Die Stadt C. lag auf einem ca. 100 m. ü. M. sich erhebenden, von Nordost nach Südwest streichenden Tuffhügel, der nach drei Seiten schroff abfällt und nur von Nordost her zugänglich war. Der Lauf der ca. 6 km. langen Mauer ist noch erkennbar, ebenso die Stellen von acht Thoren. Im Innern der Stadt finden sich, abgesehen von dem 1846 ausgegrabenen Theater, das zahlreiche Inschriften und Kaiserstatuen geliefert hat (Benndorf-Schoene Lateran 121ff.), keine nennenswerten Ruinen; dagegen ist die Nekropole auf dem nordwestlich gelegenen Hügel (la Banditaccia) [1283] sehr bedeutend. Unter den Gräbern, meistens in den Felsen gehauenen Kammern von oberirdischen Tumuli überragt, ist das bedeutendste die 1836 ausgegrabene tomba Regulini-Galassi, deren reicher Inhalt an Goldschmuck, Waffen etc. jetzt im Museo Gregoriano des Vaticans ist (Mus. Gregor. A I tav. 1–33); ferner das Familiengrab der Tarcna-Tarquinii (CIL XI 3626–3634), die 1850 von Campana aufgedeckte Grotta dei Rilievi und ein 1874 ausgegrabenes mit bemalten Terracottaplatten (Brizio Bull. d. Inst. 1874, 128–136). Neuere Ausgrabungen Not. d. scavi 1876, 37. 1877, 155. 1881, 166. 1886, 38. 39 (Borsari). Lateinische Inschriften aus C. CIL XI 3592–3709. S. Canina Etruria Maritima I 135–203 und Taf. 41–73. Nibby Dintorni di Roma I 335–352. Dennis Cities and cemeteries of Etruria² 226–284.