Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Kultisch verehrt auf Aigina
Band II,2 (1896) S. 26162618
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Auxesia (Αὐξησία) genoss mit Damia zusammen Kult in Aigina. Nach dem aus localer Sage stammenden Bericht des Herodot V 82—87 hatten ursprünglich die Epidaurier die Statuen der beiden Göttinnen aus Anlass einer Hungersnot und auf Weisung des delphischen Orakels errichtet, und zwar auf Befehl des Apollon aus attischem Olivenholz, sei es, weil es damals sonst noch keine Oliven gab, oder weil die attischen als die heiligsten galten. Die Athener hätten für die Lieferung des Holzes sich einen regelmässigen Opfertribut an die Athena Polias ausbedungen. Später als die vorher von Epidauros abhängigen Aigineten zur See mächtiger wurden, hätten sie von Epidauros auch die Statuen der beiden Göttinnen nach ihrer Insel überführt und die Epidaurier hätten infolgedessen aufgehört, den Opferzins zu leisten. Die Athener hätten daraufhin ihre missglückte Expedition nach Salamis unternommen und versucht, die Götterbilder zu entführen. Nach athenischer Version seien sie mit einem einzigen Schiffe gelandet, um ihr Eigentum zurückzuholen, als sie aber versuchten, die Götterbilder von ihrer Basis vermittels Seilen herabzuziehen, seien diese in die Kniee gefallen, Erdbeben und Gewitter sei eingetreten, die Mannschaft des Schiffes habe Wahnsinn gepackt, so dass einer die Waffen gegen den andern kehrte. Die aiginetische Version, welche Herodot getreulich berichtet, weicht nur in dem Punkte von der athenischen ab, dass [2617] sie die Athener mit vielen Schiffen kommen und von den mit den Argivern verbündeten Aigineten geschlagen werden lässt. Nur ein Unglücksbote sei aus der Katastrophe entronnen, welcher von den erzürnten athenischen Frauen mit ihren Heftnadeln umgebracht worden sei, weshalb seit jener Zeit in Athen an Stelle der ‚dorischen‘ die ‚ionische‘ Tracht eingeführt worden sei, in welcher die Heftnadel keine Stelle hat. Dass dieser Bericht durchaus sagenhaft ist, ist anerkannt. Seine einzige sichere Grundlage ist, dass sich in Aigina zwei Statuen knieender Göttinnen aus Olivenholz befanden, vielleicht auch ein ehemaliger Kultzusammenhang zwischen Epidauros und Athen, der dann durch das Aufkommen der aiginetischen Seemacht gestört wurde. Die historisch realen Zwistigkeiten zwischen Athen und Aigina dienten dann zur aetiologischen Motivierung der später nicht mehr verstandenen knieenden Darstellung der Göttinnen und des Trachtwechsels, welcher sicherlich auf andere Gründe zurückgeht. Die knieende Stellung der beiden Göttinnen charakterisiert sie im Sinne der älteren griechischen Mythologie als niederkommende, kreisende, d. h. in der rohen Ausdrucksweise der Urzeit als solche, welche hauptsächlich den Wöchnerinnen hülfreich zur Seite stehen. Zu vergleichen ist den aiginetischen Statuen die tegeatische Auge ἐν γόνασιν Paus. VIII 48, 5, welche auch eine Art Eileithya darstellt. Richtig beurteilt sind diese alten Kultbilder bereits von Welcker Kl. Schr. II 203, eine spartanische Statue des 6. Jhdts. aus demselben Ideenkreise hat F. Marx Athen. Mitt. X 176 Taf. VI publiciert und gut besprochen, weiteres Material bringt P. Wolters bei Ἐφημ ἀρχ. 1892, 213ff. Der Widerspruch von J. Morgoulieff Études critiques sur les monuments antiques répresentant des scènes d’accouchement 48ff. ist nur in Nebendingen berechtigt. Schon der legendarische Bericht, dass die Statuen der beiden Göttinnen, welche durch ihre Stellung als Geburtsgöttinnen charakterisiert sind, infolge einer Hungersnot errichtet seien, drängt zu der Annahme, dass sie in universalerem Sinne als Daemonen der Fruchtbarkeit verehrt wurden. Daher ist die längst aufgestellte Vergleichung mit den eleusinischen Göttinnen vollberechtigt, wenn auch die beiden aiginetischen Göttinnen genealogisch und mythologisch nicht verbunden gewesen zu sein scheinen, was wahrscheinlich das ursprünglichere ist. Der Name der A. ist ja durchsichtig, sie ist von der attischen Charis Auxo (Paus. IX 35, 2. Clem. Alex, protr. p. 16 c. Poll. VIII 106) nicht zu trennen, und ebensowenig wird man Δαμία von Demeter trennen dürfen. Der Versuch Bergks Kl. philol. Schriften I 567 in Damia eine uralte graecoitalische schädigende Göttin = ζημία zu erblicken, ist verfehlt. Vielleicht hat man A. mehr auf die Vegetation, Damia mehr auf die Volksvermehrung bezogen, aber es spricht alles dafür, dass sie ursprünglich wesensgleich waren, wie die Dioskuren und andere Götterpaare. Noch einige weitere Nachrichten über die beiden Göttinnen bieten Analogien zum eleusinischen Kult, ohne auf Abhängigkeit schliessen zu lassen. An das ἰαμβίζειν im Demeterkult erinnert die von Herodot. V 83 berichtete Sitte, dass im Kult beider Göttinnen Spottlieder auf die Weiber gesungen wurden, von einem [2618] Chor von je zehn (verkleideten?) Männern. Aetiologisch für einen gleichfalls agrarischen Kultgebrauch ist auch eine Sage, die Pausanias II 32, 2 von dem trozenischen Kult der Damia und A. berichtet, obwohl er sich II 30, 5 auch mit der herodoteischen Erzählung bekannt zeigt. Es seien von Kreta die zwei Jungfrauen Damia und A. nach Trozen gekommen, und da damals gerade Aufruhr gewesen sei, seien sie durch Steinwürfe getötet, weshalb man dann zu ihrer Erinnerung das Fest der λιθοβόλια eingesetzt habe. Diese λιθοβόλια sind ein Scheinkampf um die Aneignung eines agrarischen Heiltums, welcher z. B. der thebanischen Spartensage zu Grunde liegt und auch im homerischen Demeterhymnus v. 265ff. erwähnt wird. Diese Sitte ist gut erläutert von O. Crusius Beiträge zur gr. Mythol. u. Religionsgesch., Leipz. 1886, 20ff. Nach H. Usener Götternamen 130 wäre in den λιθοβόλια vielmehr eine Reinigungscaerimonie zu erblicken. Eine spartanische Weihinschrift Ἀθήναιον I 257. Bull. d. Inst. 1873, 189. Le Bas-Foucart 162 k p. 143 gilt Διὶ Ταλετίτα [καὶ Αὐξη]σία καὶ Δαμοία. Über den etymologischen Zusammenhang des Zeus Ταλετίτας mit θαλλ (vgl. die attische Charis √Θαλλώ) s. Usener a. a. O. Litteratur: O. Müller Aeginetica 170f.; Dorier I 402, 2. II 348. Lobeck Aglaophamus 680. 842. Preller Griech. Mythol. I⁴ 747, 6. H. Usener Götternamen 129ff. Über den herodoteischen Bericht neuerdings: Studniczka Beiträge zur Geschichte der altgriech. Tracht (Wien 1886) 1ff. v. Wilamowitz Aristoteles u. Athen II 280ff.