Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Windröschen
Band I,2 (1894) S. 2180 (IA)–2181 (IA)
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Ἀνεμώνη, auch ἀνεμωνίς (z. B. Nonn. Dion. XLIII 223), die Anemone, das Windröschen, eine artenreiche, aus lauter perennierenden Kräutern bestehende, von jeher gern gesehene (vgl. Athen. VI 269 b) Pflanzengattung aus der Familie der Ranunculaceen; vgl. Leunis Synops. II. Teil³ II § 590, 4. Der Name ist sicherlich von ἄνεμος abzuleiten (vgl. Ovid. met. X 739. Plin. XXI 164f. Etym. M.), wie ja auch wir sagen ‚Windblume, Windröschen‘, sei es nun, dass man annimmt, die Bezeichnung komme daher, dass die Blume vom Winde leicht entblättert wird, sei es, dass die Thatsache, dass der leiseste Wind die Blüten auf ihren dürren, langen Stielen bewegt, für die Namengebung ausschlaggebend war. Der blumenkronartig gefärbte Kelch (Perigon) hat fünf bis neun Blätter; alle Arten haben einen einfachen, schaftartigen Stengel, der gewöhnlich nur eine Blüte trägt, zeichnen sich durch schöne Formen aus und blühen schon im ersten Frühlinge, bei uns meist schon im März (Windmonat). Für das Altertum kommen hauptsächlich zwei Arten (vgl. Plin. n. h. XXI 164) in Betracht, die beide in Griechenland und Italien wild wachsen: A. coronaria L., Kranz- oder Kronenanemone, die häufigste Art, ἀ. ἥμερος des Dioskorides (II 207), ἀ. λειμωνία des Theophrast (h. pl. VI 8, 1), und A. hortensis L., die Gartenanemone, ἀ. ἀγρία des Dioskorides. Jene, von den Arabern Anahamen genannt, bei uns übrigens als Gartenzierpflanze in den verschiedensten Farbenspielarten früher mehr wie jetzt kultiviert – sie gedeiht nur in leichtem, trockenem Boden und verträgt weder viel Regen noch heftigen Wind – stammt wohl aus Kleinasien. Ihre mohnartigen Blumen sind meist scharlachrot, doch auch blau oder weiss. Die liebliche, mehr an feuchten Stellen wachsende, durch Mannigfaltigkeit und Glanz (vgl. Nic. frg. 74, 64 Schn. = Athen. XV 684 c) ihrer Farben ausgezeichnete Gartenanemone hat rosa- oder lilafarbene, auch weissliche Blütensterne. In Griechenland heissen sie jetzt beide ἄγρια παπαροῦνα, in Italien, wo sie auch vielfach in Gärten gezogen werden, nennt man sie beide anemone, anemolo, die Garten.-A. auch fiore stella; vgl. Lenz Bot. d. a. Gr. u. R. 603. Billerbeck Fl. cl. 142. Als Blütezeit der coronaria giebt v. Heldreich (Pflanzen d. att. Ebene 488. 567) für Attika die Zeit von Anfang December bis Mitte April an; vgl. Theophr. h. pl. VI 8, 1. VII 7, 3. 10, 2; de c. pl. I 10, 2. Eine von Dioskorides a. O. erwähnte Art mit dunkeler Blattfarbe bezieht Fraas (Synops. pl. fl. cl. 130) auf A. apennina L. Von anderen Arten, die für das Altertum allenfalls noch in Betracht kommen [2181] können, seien der Vollständigkeit halber genannt: A. nemorosa L. (Buschwindröschen), A. silvestris L. (Waldwindröschen) –, ihre Verbreitung bei Fraas 131 –, A. fulgens Gay, A. stellata Lam., von Sprengel für die ἀγρία des Dioskorides gehalten, mit der sie jedenfalls nah verwandt ist (Bastard?), A. blanda Schott und Kotschy. Die meisten A. enthalten einen eigentümlichen scharfen Stoff, das giftige Anemonin, sind daher für das Vieh schlechte Futterpflanzen, denn sie rufen, in grossen Mengen gefressen, Magen- und Darmentzündung hervor. Die Kranz-A. wurde von griechischen Ärzten mit Myrrhe zu Mutterkränzen zur Beförderung der Menstruation gebraucht, der Pflanzensaft als Niesmittel (πρὸς κεφαλῆς κάθαρσιν); vgl. Diosc. a. O. Galen. XI 831. Plin. XXI 164ff. Ihrer Zartheit wegen galt die gleichsam wie ein Hauch vergehende A. (vgl. brevis est … usus in illo = kurz ist der Genuss an ihr, Ovid. met. X 737) bei den Alten als das Symbol der schnell verblühenden, nur zu bald dahinschwindenden Jugend. War sie doch nach dem älteren Mythos aus dem Blute des schönen Adonis (s. d. S. 392) entstanden, als dieser, vom wilden Eber schwer verletzt, sein junges Leben aushauchte; vgl. Schol. Theocr. V 92 = Nic. frg. 65 Schn. Ovid. met. X 735. Serv. Aen. V 72. Roscher Lex. d. Myth. I 72, 19. Murr Die Pflanzenw. i. d. griech. Myth. 265. Nach anderer, wohl jüngerer Version verdankte sie ihren Ursprung den Thränen, die Aphrodite um ihren toten Liebling weinte; vgl. Bion id. I 66. Wie an letzterer Stelle (vgl. auch Mosch. III 5), so werden Rose und A. überhaupt nicht selten zusammen genannt. Bei Nonnos (II 90) beweint Aphrodite das frühe Dahinwelken beider. Das Sprichwort ῥόδον ἀνεμώνῃ συγκρίνεις ‚du vergleichst Geruchvolles mit Geruchlosem‘ findet sein Gegenstück in Stellen wie Theocr. V 92, wo Fritzsche bemerkt: ‚Die niedrige A. ist an sich nicht mit der Rose zu vergleichen, wohl aber kann die Blüte beider Arten, wenn man sie abgepflückt sieht, aus der Entfernung recht wohl für eine Flatterrose gehalten werden‘. Ganz unhaltbar, weil durch nichts zu beweisen, ist die Annahme Dierbachs (Flora myth. 154), die A. sei ein Symbol ‚der leicht trocknenden Weiberthränen‘ gewesen. Dass die A. gelegentlich mit als Kranzblume und zum Schmucke des Haupthaares Verwendung fand, lehrt u. a. die Stelle aus Kratinos bei Athen. XV 685 c. Unter ἀνεμῶναι τῶν λόγων verstand man gezierten, hinfälligen Redeprunk, windige Redeblumen; vgl. Luc. Lexiph. 23 und ἀνεμώλιος bei Homer.