Neuere Literatur zur Geschichte Englands seit dem 16. Jahrhundert (DZfG Bd. 3)

Textdaten
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Autor: Moritz Brosch
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Titel: Neuere Literatur zur Geschichte Englands seit dem 16. Jahrhundert
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 3 (1890) S. 239–243
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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Quelle: Scans auf Commons
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Neuere Literatur zur Geschichte Englands seit dem 16. Jahrhundert.

Als das wichtigste im Jahreslauf erschienene Buch der neueren historischen Literatur von England ist der 2. Band von Gardiner’s Geschichte des Bürgerkriegs zu betrachten[1]. Der Hauptvorzug derselben besteht wohl darin, dass Verf. den Zusammenhang der Schottischen und Englischen Verhältnisse, der auf den Gang des Krieges so mächtigen Einfluss übte, nun völlig klar herausgearbeitet hat. Der Band schliesst mit Uebergabe des Königs durch die Schotten an die Parlamentskommissäre, einen Act, der zu den heftigsten Vorwürfen an Schottische Adresse benutzt wurde. Unbefangen beurtheilt stellt er sich als Folge der schiefen Stellung dar, die der König und die Schotten einander gegenüber von vornherein angenommen haben. Ueber Zusammensetzung der Armee des „neuen Modells“, über die Truppenzahl, die beiderseits in der Entscheidungsschlacht von Naseby ins Gefecht kam, die militärischen und politischen Vorgänge nach der Schlacht werden uns von Gardiner neue, wohl für immer feststehende Aufschlüsse gegeben. Von Belang ist auch, was Verf. bezüglich des Glamorgan-Vertrages mit den rebellischen Iren in Evidenz bringt: der König hatte ein Recht, Glamorgan zu verleugnen, denn es war dieser über seine Instructionen hinausgegangen; aber die Vollmacht, die ihm königlicherseits ertheilt war, stellt sich doch als eine zu weitgehende dar, und die Wahl eben dieser Persönlichkeit zum Unterhändler als eine geradezu ungeschickte, wie es diejenige Digby’s zum Rathgeber des Königs war. – Die Aufhellung eines der dunkelsten Punkte in der Geschichte der Puritanischen Revolution, der Finanzwirthschaft des langen Parlamentes, hat sich die um Edition [240] der State Papers aus Zeit der Republik und Karl’s II. hochverdiente Mary Anne Everett Green mit einer neuen Regestensammlung zum Ziele gesetzt[2]. Soweit die Arbeit gediehen ist, bietet sie uns freilich keine ausreichende Einsicht in die Finanzpolitik und Verrechnungspraxis des langen Parlamentes, aber kostbare Einzelheiten über die Geldgebarung desselben. Noch während des vorigen Jahres wurde von Everett Green’s Calend. of State Pap. Domest. Ser. ein Schlussband herausgegeben[3]; er reicht bis zur Restauration (1660). Man kann nicht sagen, dass er über die Ursachen, die zum Falle der Republik geführt haben, viel neues Licht verbreitet; es wird darin mehr der Gang der republikanischen Verwaltung ins Auge gefasst und des näheren verfolgt. Doch fehlt es nicht an zum Theil kostbaren Notizen, welche die Pläne des noch exilirten Stuarthofes aufdecken und über den Bruch Monk’s mit dem Rumpf des Parlamentes wesentlich Neues enthalten.

In die Zeit Heinrich’s VIII. und auf einen der vielen empörenden Gewaltschritte dieses Königs führen uns zwei von klerikaler Seite erfolgten Veröffentlichungen[4]. Es schlagen freilich beide in den Bereich der Parteischriften; allein dies benimmt ihnen nichts an historischem Werthe, da sie doch nur für die Partei das Wort nehmen, der von Heinrich in dem Falle schreiendes Unrecht widerfahren ist. Es handelt sich um die im Jahre 1535 vorgekommene Hinrichtung von Karthäusermönchen, die sich geweigert hatten, dem Papste abzuschwören und den König als Haupt der Kirche zu erkennen. Eine Geschichte ihres Klosters bietet die eine dieser Veröffentlichungen, während die andere den Wiederabdruck eines dem Ereignisse gleichzeitigen Pamphlets gibt. – Auf die Regierungszeit Heinrich’s VIII. bezieht sich auch die von E. Bapst verfasste Monographie über die Heirathen König Jacob’s V.[5] Sie enthält die Geschichte der Heirathsabenteuer dieses Fürsten, die in Frankreich spielen, aber auf Englische und Schottische Sitten und Unsitten der Zeit, wie auf das Eingreifen der Diplomatie in den Gang dieser Affairen manch grelles Schlaglicht werfen. Bapst’s Darstellung ist sachlich und mehr als [241] nöthig trocken gehalten; anregend und lebensvoll klingen nur die Stellen, die er aus gleichzeitigen, bisher wenig oder gar nicht benutzten Briefen in den Anmerkungen gibt.

Die Reihe der auf populäre Wirkung berechneten, aber zumeist von gewiegten Fachmännern besorgten Einzeldarstellungen zur neueren Geschichte ist jüngsthin vermehrt worden um Ward’s Geschichte der Gegenreformation und Airy’s Geschichte der Englischen Restauration unter Karl II.[6] Was erstere betrifft, ist nicht zu bestreiten, dass sie klar und lichtvoll die Ursachen darlegt, welche der Gegenreformation zu ihren Erfolgen verholfen oder mancher Orten unübersetzbare Schranken gezogen haben; an Airy’s Monographie mag in den Theilen, welche die Politik Ludwig’s XIV. zeichnen, einiges auszusetzen sein; ganz vorzüglich gelungen ist aber die Parthie derselben, die den verlotterten Karl II., wie er England missregiert, verkauft und verräth, nach Gebühr durch die Hechel zieht.

Zwei hervorragende Frauen neuerer Zeit haben jüngsthin in England die eine abermals einen Ankläger, die andere einen Retter gefunden. Henderson will uns die Echtheit der Kassettenbriefe beweisen, womit, wenn es mit dem Beweise seine Richtigkeit hätte, der ohnedies zweifelhafte gute Ruf der Maria Stuart vollends in die Brüche ginge; Jeaffreson gibt uns eine Rettung der Königin Maria Karolina von Neapel[7]. Doch Beweis wie Rettung sind gleichermassen für misslungen anzusehen, da beiderseits mehr denn eines der Glieder in der Kette der Beweisgründe mangelt. Von Jeaffreson’s Buche ist jedoch hervorzuheben, dass es geschickter behandelt und ernster zu nehmen ist, als die in Oesterreich von Helfert in die Hand genommene Ehrenrettung Karolinens; es[WS 1] ist namentlich durch das Detail von Werth, das Verf. über die Beziehungen Nelson’s und der Englischen Regierung zur Neapolitanischen Königin beibringen konnte.

Wem es darum zu thun ist, die Darstellung, welche Lecky im 3. und 4. Bande seines monumentalen Werkes über den Abfall der Amerikanischen Colonien vom Mutterlande gibt, zu controlliren, der kann sich an dem Buche Doniol’s Raths erholen[8]. Er wird finden, [242] dass Lecky’s Standpunkt durch die jetzt gebotene reichliche Actensammlung vielleicht genauer präcisirt, aber doch im Ganzen vollauf gerechtfertigt wird. Die Rolle, die Frankreich im Laufe des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges gespielt hat, die rastlos auf Englands Erniedrigung, auf Zerfleischung der Engländer untereinander gerichtete Politik des Französischen Ministers Vergennes, die zweideutige Art, wie das Versailler Cabinet in den Gang der Friedensverhandlungen eingegriffen hat: alles dieses steht jetzt so fest, dass jeder Versuch, zu den alten Fabeln zurückzukehren, aussichtslos geworden ist. Der Bewunderung, die von Doniol dem Grafen Vergennes gezollt wird, thut das freilich keinen Eintrag: es lag etwas von gesunder nationaler Selbstsucht an dem Verfahren dieses Ministers; krankhaft war daran nur das Bestreben, den ihm nicht an Macht, aber an Schlauheit überlegenen Amerikanern einreden zu wollen, dass sie Frankreich weit mehr verpflichtet seien, als dies wirklich der Fall war. – Einen anderen werthvollen Beitrag zur Englischen Geschichte verdanken wir gleichfalls Französischer Hand[9]: es ist die Depeschensammlung Odet de Selve’s, Botschafters in England am Hofe Heinrich’s VIII. und Eduard’s VI. Sie bringt ausführliches, beinahe erschöpfendes Material zur äusserst wünschenswerthen Klarstellung der Schottisch-Englischen Wirren jener Zeit, aber sehr wenig über die Zustände im Innern von England.

Der augenblickliche Stand der Irischen Frage macht es erklärlich, dass die geschichtlichen Voraussetzungen, aus denen sie sich entwickelt hat, zu einem Gegenstande theils gründlicher Untersuchung, theils oberflächlicher Betrachtung geworden sind. Als Frucht solcher ergibt sich dann eine Geschichtsdarstellung, die zumeist parteiisch angehaucht und selten objectiv gehalten ist. Ein Muster tendenziöser Auffassung liegt in den zwei Capiteln Irischer Geschichte vor, die von Ingram erzählt werden[10]. Sie beziehen sich auf das von Jacob II. im Jahre 1689 einberufene Irische Parlament, an dem auch nicht ein gutes Haar gelassen wird, und auf den Bruch der Capitulation von Limerick, den Verf. zu rechtfertigen sucht. Kann man ihm, was das Parlament von 1689 betrifft, einigermassen und sehr bedingt zustimmen, so muss man doch gegen die förmliche Glorificirung des Vertragsbruchs, zu welcher er im Punkte der Limerick-Capitulation sich aufschwingt, Verwahrung einlegen.

Das Leben eines gefeierten Irischen Patrioten des vorigen Jahrhunderts, Henry Grattan’s, bringt uns Rob. Dunlop so rein objectiv [243] zur Anschauung, dass man dieses sein Buch in der That einem kostbaren Beitrag zur Geschichte von Irland wie England gleichsetzen wird[11]. Dunlop ist es gelungen, die Rückwirkung der Englischen Parteiverhältnisse der Whigs und Torries auf die irische Politik im Einzelnen nachzuweisen, der Haltung von Pitt und Fox gleichermassen gerecht zu werden, wobei freilich der letztgenannte nicht zum besten wegkommt, und die Stellung seines Helden Grattan in dem Parteigewirre vom richtigen Augenpunkte aus zu zeichnen. Dabei verfällt er nie in den panegyrischen Ton: die schweren Irrthümer, die auch Grattan nicht abzusprechen sind, werden nicht beschönigt, die hohen Verdienste, die er sich um Land und Volk von Irland erworben hat, nicht verkleinert.

Nachträglich wäre zu erwähnen, dass ein Band der bei Fisher Unwin illustrirt erscheinenden Geschichte der Nationen die der Irischen umfasst[12]. Derselbe empfiehlt sich nach Inhalt und Ausstattung als lebendig gehaltene, sehr lesbare Compilation, deren Verfasserin uns eine zur Orientirung taugliche Rundsicht über das Schicksal Irlands vom Beginne historischer Kenntniss bis auf die Gegenwart bietet.

Venedig, im October 1889.

M. Brosch.     



Anmerkungen

  1. Gardiner, The History of the Great Civil War. Vol. II: 1644–47. Lond. 1889.
  2. M. A. Everett Green, Calendar of the Procedings of the Commitee for Advance of Money, 1642–56. Lond. 1889.
  3. Calendar of State Papers. Dom. Ser., 1659–60; ed. by Mrs. M. A. Everett Green. Lond., Stationery Office. 1888.
  4. Dom Lawrence Hendricks, The London Charterhouse, its Monks and its Martyrs. Lond. 1889. – Historia aliquot Martyrum Anglorum, maxime 18 Cartusianorum sub Rege Henrico interemptorum; a Patre Maurittio Chauncy conscripta, nunc ad exemplar primæ editionis Moguntinæ 1550 excusæ denuo edita. Lond. 1889.
  5. E. Bapst, Les Mariages de Jacques V. Paris 1889. [Vgl. p. 169 Note 4.]
  6. A. W. Ward, The Counter-Reformation (unter den „Epochs of Church History“) Lond. 1889. – O. Airy, The English Restoration and Louis XIV (unter den „Epochs of Modern Hist.“). Lond. 1889.
  7. T. F. Henderson, The Casket Letters and Mary Queen of Scots. Edinburgh 1889. – J. Cordy Jeaffreson, The Queen of Naples and Lord Nelson. Lond. 1889.
  8. Henri Doniol, Histoire de la Participation de la France à l’Établissement des États-Unis d’Amérique. Paris 1888, 2 Bde.
  9. Odet de Selve, Correspond. polit. (1546–49) publiée par Germ. Lefèvre-Pontalis. Paris 1888. [Vgl. Bibliogr. ’89, 3048.]
  10. T. Dunbar Ingram, Two Chapters of Irish History. Lond. 1889.
  11. Rob. Dunlop, Life of Henry Grattan. Lond. 1889. (Unter der Allen’schen Statesmen Series.)
  12. Emily Lawless, Ireland. Lond. 1887.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage:est