Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Georgĭen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 7 (1887), Seite 149150
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Georgĭen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 149–150. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Georg%C4%ADen (Version vom 14.04.2021)

[149] Georgĭen (Gurdschistan bei den Iraniern, Iberien bei den Alten, Wrastan bei den Armeniern, Grusien bei den Russen), ehedem (bis 1799) selbständiges Königreich in Transkaukasien, auf der südlichen Abdachung der Wasserscheide zwischen dem Schwarzen und Kaspischen Meer, besonders das obere und mittlere Thal des Kur umfassend, jetzt der Kern der russischen Statthalterschaft Kaukasien (s. d.). G. war stets der Zankapfel zwischen den herrschenden Stämmen in Persien und in Kleinasien und hat in die Geschichte des asiatischen Kontinents niemals in hervorragender Weise eingegriffen. Über den Namen und seine Bedeutung besteht Unklarheit; er wird von Georg, dem Schutzheiligen des Landes, abgeleitet, lautet aber bei den persischen Dichtern Ghartschegan und Ghar für das Volk, was eine Übersetzung von G. in die Landessprache sein kann, aber auch auf eine ältere iranische Form, wie Karka, zurückführen könnte. S. Georgier.

Die älteste Geschichte ist durchaus sagenhaft; daß Alexander d. Gr. das Gebirge überschritten und in G. geherrscht habe, ist unbegründet. Um den Beginn der christlichen Zeitrechnung waren die Großen des Reichs in Fehde begriffen und führten persische wie armenische Hilfstruppen ins Feld. Der Kampf endete mit Teilung des Landes in zwei Reiche, deren Grenze der Kur bildete (erste Teilung Georgiens). Beide Fürstentümer errangen als Bundesgenossen Vorteile über die Armenier; um 113 entzweiten sich die Fürsten, und das südliche Reich konnte nur mit Hilfe persischer Truppen behauptet werden. Im Anfang des 2. Jahrh. wurde G. wieder unter einem Herrscher geeinigt. Etwas später gefährdeten ein Einfall der Osseten und die schlechte Regierung des Fürsten Amsasp den Bestand des Reichs; die Armenier stellten wieder Ordnung her und brachten ihren Schützling Rew (186–213), mit dem Beinamen der Gerechte (Marthili), auf den Thron. Das Christentum soll in G. schon 31 durch die Apostel Andreas und Simon verkündet worden sein, doch erst der genannte Fürst leistete seiner Verbreitung Vorschub. Unter Mirian (265–342), der seine Erhebung wieder den Persern verdankte, faßte das Christentum durch den Bischof Eustathios dauernd im Volk Wurzel. Während der Thronstreitigkeiten unter seinen Nachfolgern rissen die Perser weitere Stücke des Landes an sich, mußten sie aber an den thatkräftigen georgischen König Tirdat (395–405) wieder zurückgeben. In das Jahr 455 fallen die Erbauung von Tiflis und die Stiftung der hohen geistlichen Würde eines Katholikos oder geistlichen Oberhaupts von G.; unter Wachthang-Gurgastan (446–499) war G. nach außen mächtig. Datschi (499–528) verlegte die Residenz von Mzcheth etwas flußabwärts nach Tiflis am Kur. Die Angriffe der Perser stellten aufs neue die Fortdauer des Reichs in Frage; der schwache König Bakur stellte sich unter den Schutz der byzantinischen Kaiser, die hier seit dem 4. Jahrh. Einfluß erhalten hatten, und Justinian setzte in G. 574 Stephan I. als König, in Wirklichkeit aber als Statthalter ein und beseitigte so die alte Chosru-Dynastie, die an 344 Jahre über G. geherrscht hatte. Diesem folgten aus dem Geschlecht Gurams (zuerst Oberbefehlshaber, dann Stephans Nachfolger) die Guramiden als Vasallen des byzantinischen Reichs. Bald darauf fand der erste Einfall der Muselmanen statt, welche das Land mehrfach verwüsteten und 787 nach dem Aussterben der Guramiden der Familie der Bagratiden den Weg zum Thron bahnten, jedoch unter arabischer Oberherrschaft. Um 842 unterwarf sich der Türke Bugha G.; unter Adarnasse (881–925) verwüsteten die Perser das Land. Darauf machten die byzantinischen Kaiser wieder Rechte an G. geltend und setzten zwischen 991 und 1072 Könige ein. Bedeutend darunter war Bagrat IV., der sehr thätig war für die Erhaltung der georgischen Sprache und Litteratur. Seit 1070 bemühten sich wieder persische Könige um die Ausbreitung des Islam in G. und unterwarfen die Christen den ärgsten Bedrückungen. Da entfaltete das Volk unter der Führung des bedeutendsten unter seinen Herrschern, Davids II. (IV.), mit dem Beinamen Aghma Schenebeli („Erneuerer“, 1089–1130), eine noch nie dagewesene Energie. Das Land ward von den Eindringlingen gesäubert und sein Name bei den Persern wie bei den türkisch-tatarischen Horden, die um diese Zeit bis nach G. zu streifen begonnen hatten, gefürchtet gemacht. Unter Georg IV. (1198–1223), der das Christentum unter den Bergvölkern verbreiten ließ, verwüstete Dschengis-Chan das Land, und von da an beginnt der Verfall des Reichs, das sich seitdem nie mehr zu größerer Bedeutung aufschwingen konnte; Georgiens Geschichte bildet seitdem „eine lange Reihe von Verheerungen, Niedermetzelungen, Revolutionen und unheilvollen Invasionen“ (Radde). Schon unter Georgs IV. Sohn ward das Land aufs neue Schauplatz der Kämpfe zwischen kurdischen und persischen Fürsten, welch letztere die Oberhand behielten, was 1241 die zweite Teilung Georgiens zur Folge hatte. Unter Wachthang II. wurden die zwei Reiche wieder vereinigt; ja, durch Georg VI. (1304–60) wurde das Land sogar von den Persern befreit und im Innern so gekräftigt, daß eine neue Zeit der Blüte anzubrechen schien. Da verwüstete unter seinen zwei Nachfolgern Timur wiederholt das Land und zwang die Bewohner zum Übertritt zum Islam. Wiederum erholte sich das Land, und Alexander I. (1414–24) war nach Vertreibung der Mohammedaner eifrig bemüht, das unter ihm wieder vereinigte Reich zu heben; er verteilte aber das Land unter seine drei Söhne, wodurch die drei Reiche Imerethi, Karthli und Kacheti entstanden, die nur vorübergehend unter Wachthang IV. (1639–76) wieder vereinigt waren. Der größte Teil von Imerethi wurde 1801 dauernd von den Russen besetzt. Karthli stand zuerst unter dem Schutz Persiens, fiel aber 1762 an Kacheti, und Fürst Irakli II. stellte, um vor den Versuchen der Perser, die Bewohner zum Islam zu zwingen, gesichert zu sein, Karthli und Kacheti 1783 unter russische Oberhoheit. Iraklis Nachfolger Georg XIII. trat sein Reich ganz an Rußland ab, und Kaiser Alexander I. erklärte G. 1802 zur russischen Provinz. Die Prinzen der königlichen Familie aber, denen eine Pension und russische militärische Grade verliehen wurden, ließ Alexander I. nach Rußland abführen. Nachdem im Frieden von Adrianopel 1829 von der Pforte auch der der türkischen Herrschaft unmittelbar unterworfene Teil von G. mit der Festung Achalzych an Rußland abgetreten worden, steht gegenwärtig ganz G., das 21 Jahrhunderte hindurch eigne Könige gehabt, unter russischer Herrschaft. Das alte Königsgeschlecht erlosch schon mit dem Neffen Georgs XIII., dem Fürsten Heraklius von Grusien, der am 10. Mai 1882 in Tiflis starb. Vgl. außer den Reisebeschreibungen von Klaproth (1812–14), Dubois du Montpereux (1839–1843), Haxthausen u. a.: Brosset, Description géographique de la Géorgie (Petersb. 1842); Derselbe, Histoire de la Géorgie (das. 1850–59, 2 Bde.), [150] beide Werke aus dem Georgischen übertragen; Langlois, La Géorgie. Histoire, géographie, etc. (in der „Revue de l’Orient“ 1860); Villeneuve, La Géorgie (historisch, Par. 1871); Leist, G., Natur, Sitten und Bewohner (Leipz. 1885).