Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Datūra“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 4 (1886), Seite 574
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Datūra. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 4, Seite 574. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Dat%C5%ABra (Version vom 01.08.2022)

[574] Datūra L. (aus dem Sanskrit; Stechapfel), Gattung aus der Familie der Solanaceen, kahle oder schwach behaarte Kräuter, Sträucher oder Bäume mit zerstreut stehenden, gestielten, großen, ganzrandigen oder grob buchtig gezahnten Blättern, meistens großen, einzeln in den Astachseln und endständigen Blüten und eiförmiger oder runder, stachliger oder unbewehrter Fruchtkapsel mit zahlreichen nierenförmigen Samen. Etwa 12 (21) Arten in den gemäßigten und warmen Klimaten. D. Stramonium L. (Stechapfel, Dornapfel, Rauhapfel, Krötenmelde, Igelskolben, Stachelnuß, Tollkraut, s. Tafel „Giftpflanzen II“), einjährig, bis 1 m hoch, mit wiederholt gabelästigem Stengel, eiförmigen, buchtig gezahnten, spitzen Blättern, großen, weißen, auch bläulichen Blüten und eiförmiger, derb stachliger Kapsel; stammt wahrscheinlich aus den Ländern um das Kaspische oder Schwarze Meer, findet sich durch ganz Mittelasien und Arabien, über Suez bis Senaar und die Abessinischen Alpen, in Europa bis Norwegen, auch in Nordamerika, Westindien, Brasilien und am Kap, überall an Wegen, auf Schutthaufen, in der Nähe der Dörfer und Städte. Die Blätter sind offizinell, sie haben vorzüglich beim Welken einen widrigen, betäubenden, durch Trocknen schwächer werdenden Geruch und einen ekelhaft bittersalzigen Geschmack und gehören, wie die länglich nierenförmigen, fast halbkreisrunden, flach gedrückten, sehr feingrubig punktierten, mattschwärzlichen oder braunen, ölig und scharf bitterlich schmeckenden Samen, zu den narkotisch scharfen Giften. Als wirksamen Stoff enthalten sie Atropin (die Samen 0,1 Proz., die Blätter 0,2–0,3 pro Mille), außerdem kristallisierbares und sublimierbares, nicht basisches Stramonin. Man wandte früher die Blätter und daraus bereitete Präparate wie Belladonna an, am häufigsten bei Geisteskrankheiten und Asthma (hier oft in der Form von Zigarren, Stramoniumzigarren); jetzt sind sie, wie die in ähnlicher Weise benutzten Samen, fast ganz außer Gebrauch gekommen. Landleute geben bisweilen den Schweinen einen Fingerhut voll Stechapfelsamen, um sie recht fett zu machen; Pferdehändler suchen mit Hilfe desselben abgemagerten Pferden ein gutes Ansehen zu verschaffen; in verbrecherischer Absicht ist der Same zur Bereitung einschläfernder Getränke benutzt worden. Vergiftungen kommen am häufigsten mit dem Samen vor, da Kinder mit den klappernden, hübschen Kapseln gern spielen. Man gibt bei Vergiftungen zunächst Brech- und Abführmittel. Der Stechapfel wird schon von Theophrast beschrieben, auch Dioskorides kennt ihn; doch scheint er sich erst im Mittelalter, ursprünglich zum Teil durch Kultur, in Europa verbreitet zu haben; medizinisch benutzte ihn zuerst Störck in Wien 1762. D. Tatula L., ein Sommergewächs aus Mexiko oder Venezuela, größer als die vorige Art, mit bläulichem bis violettem Stengel, sonst ihr sehr ähnlich, bei uns in Gärten, ist auch in seinen Eigenschaften ganz der vorigen Art gleich. D. Metel L., mit herzförmigen, ganzrandigen und flaumigen Blättern und weißen, zarten Blumen, die fast wie Lilien riechen, sich aber nur bei Nacht öffnen, soll noch narkotischer als der gemeine Stechapfel sein, wird in Ostindien, Arabien und andern Ländern als Heilmittel benutzt, doch noch häufiger zur Bereitung der im Orient bei den Mohammedanern gewöhnlichen Berauschungsmittel in Verbindung mit Hanf, Opium, Gewürzen etc. verwendet. D. ceratocaula Ort., mit prächtigen, sehr großen, weißen, auswendig an den Ecken mehr oder minder violetten oder blaßviolett gefärbten, abends sehr wohlriechenden Blumen, dient als Zierpflanze, ebenso D. fastuosa L., mit sehr schönen, großen, weißen, bisweilen auswendig violetten, auch mit gefüllten Blumen, welcher in Indien und China wie der Stechapfel bei uns benutzt wird. D. arborea L. (Brugmansia candida Pers.), in Peru, 3–4 m hoch, mit großen, länglich zugespitzten, ganzrandigen Blättern, sehr großen, hängenden, weißen, besonders gegen Abend wohlriechenden Blumen und glatten Früchten, wird häufig bei uns in Gärten gezogen. In Peru werden die Blätter und eine daraus bereitete Salbe als erweichende, zerteilende und schmerzstillende Mittel häufig gebraucht. D. suaveoleus H. Bonpl., ebenfalls in Peru, hat ebenso große, aber noch köstlicher riechende Blüten. D. sanguinea Ruiz et Pavon (Brugmansia bicolor Pers.), an wüsten Stellen, in hoch gelegenen Gegenden von Peru und Kolumbien einheimisch, strauch- oder baumartig, hat große, hängende Blüten, die von der Basis bis zur Mitte gelb, an der obern Hälfte rot und mit 15 blutroten Streifen durchzogen sind. Aus den Früchten bereiten die Peruaner einen Trank (Tonga), der, wenn er verdünnt ist, Schlaf macht, konzentriert aber leicht Anfälle von Wut erregt, die durch häufig getrunkenes kaltes Wasser gestillt wird. Die Priester des Sonnentempels in der Stadt Sagomozo, dem peruanischen Orakelsitz, kauten, um sich zu inspirieren, Körner dieser Pflanze, und daraus hat man geschlossen, daß die Samen von D. Stramonium einst zu Delphi in gleicher Weise benutzt worden seien.