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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Literaturbriefe an eine Dame
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 386–390
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: über Wilhelm Jensen, Gustav Freytag, Friedrich Spielhagen und Gottschall's eigene Werke
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[386]

Literaturbriefe an eine Dame.

Von Rudolf von Gottschall.

XX.

Aus meinem langen Schweigen, verehre Freundin, mögen Sie nicht schließen, daß auch die Musen auf dem deutschen Parnaß verstummt sind; da geht es so laut und rüstig her wie immer, und für ein Gestirn, das im Niedergange begriffen ist, tauchen immer zehn andere auf mit verheißungsvollem Aufgang, mindestens wenn man den kritischen Sternwarten glauben darf und ihren Beobachtungstabellen.

Gewiß, Sie finden viel Schönes auf dem deutschen Parnaß zur Schau gestellt, aber auch „manche Waldteufel“, wie Fürst Bismarck sagt.

Haben Sie einmal einen Roman oder Gedichte von Wilhelm Jensen gelesen? In vielen derselben weht ein frischer Meereshauch, der Sie am Gestade des Baltische Meeres heimathlich gemahnen wird; vor allem aber gehört Jensen nicht zu den Poeten, von denen zwölf ein Dutzend ausmachen, und das ist ein großes Lob in einer Zeit, in welcher so viel nach der Schablone producirt [387] wird. Er ist ein „aparter“ Dichter und hat eine originelle Physiognomie. Die blaue Blume der Romantik trägt er im Knopfloch, aber wenn ihr Duft auch seine Phantasie anregt, so umnebelt er doch nicht seinen Geist; er entlehnt der Romantik das Colorit, aber nicht die Gedankengänge; er geht gern in der „mondbeglänzten Zaubernacht“ spazieren, aber seine Ritter sind Ritter des Geistes. Gleichwohl besteht seine Eigenthümlichkeit in dieser Vorliebe für die romantische Darstellungsweise bei einem Gedankeninhalt, welcher der Neuzeit angehört; etwas Phantastisches, Verschwommenes oder traumhaft Verworrenes zieht sich durch seine Dichtungen; bisweilen sind sie gespenstig, wie die Erzählungen von Amadeus Hoffmann, oder grotesk schauerlich, wie diejenigen von Clemens Brentano, oder märchenhaft und verträumt, wie die von Achim von Arnim, aber aus diesem Phantasiegespinst flattert ein Falter hervor, der kein Nacht- und Dämmerungsfalter, sondern ein Tagfalter ist und seine Flügel im geistigen Sonnenlicht unseres Jahrhunderts regt.

Wilhelm Jensen hat viel geschaffen; eine reiche Phantasie ist immer schaffensfreudig. Sie fragen mich, verehrte Freundin, welche seiner Dichtungen Sie zuerst lesen sollen?

Sein Hauptwerk bleibt immer die große Revolutionssymphonie: „Nirwana“; hier finden Sie die bedeutendsten Leitmotive des Gedankens, hier die glänzendste Instrumentation. Auch tritt die Eigenart des Dichters hier am meisten hervor. Denken Sie sich ein Gemälde der Schreckensscenen der französischen Revolution, aber getaucht in das traumhaft visionäre Licht der romantischen Dichtung, eine Welt blutiger Gräuel, die sich vor uns entrollt, aber darin aufleuchtend die edle Begeisterung der Menschheitsapostel, bis sie der hochgehende Wogenschlag der Massenbewegung begräbt, und vor allem das Bild schöner Weiblichkeit, welches mit idealer Hoheit mitten in einer Bewegung steht, der sie volle Sympathie entgegenbringt, alles aber beleuchtet wie vom Dämmer einer Mondnacht, durch welche im Ost traumhaft der rothe Schein des Morgens aufzuckt – das ist Jensen’s „Nirwana“.

Die Heldin Diana, ein französisches Edelfräulein, erinnert an George Sand’s „Lelia“, und auch eine Pulcheria fehlt in dem Roman nicht, doch im Ganzen treten die Herzensgeschicke zurück hinter der großen Volksbewegung. Nur hin und wieder führt uns der Dichter nach Paris und läßt ein Streiflicht fallen auf die weltbewegenden Ereignisse, deren Echo das Gebirgsthal der obern Loire, den Schauplatz der Haupthandlung, erschüttert. Hier verleben wir den raschen Wechsel der Zeiten: am Anfang herrscht noch die Blüthe der Rococozeit in dem herrschaftlichen Schloß und Park. Diese Bilder sind meisterhaft ausgeführt; die Stimmung der leichtlebigen, frivolen, mit tiefen Gedanken spielenden Zeit und ihrer Lebensgewohnheiten ist vorzüglich getroffen; wir halten das erste Buch der „Nirwana“ für das Beste, was Jensen geschaffen. Schon gährt es in den Tiefen; im Keller des Pfarrhauses wachen die Propheten der Zukunft, der Pfarrer Guéraud, einer jener Alten vom Berge, wie sie Zacharias Werner zu schildern liebt, verkündet hier das Evangelium der Zukunft, der Freiheit, während er auf seiner Kanzel die Lehren des blindesten Gehorsams vorträgt. Die Heldin, Diana von Hautefort, ist seine Schülerin, doch als sie, in Gemeinschaft mit ihrem Bruder, ihre Ideale in’s Leben führen will, dem Volke, das von den Banden der Unterthänigkeit befreit ist, ihre menschenfreundlichste Fürsorge zuwendet, da tritt der furchtbare Rückschlag ein; nur die Rohheit der Menge wird entfesselt; sie wendet sich gegen ihre Wohlthäter, aufgehetzt von abtrünnigen Priestern und verkommenen Adligen. Das Schloß von Hautefort wird gestürmt und in Brand gesteckt; in Le Puy, der Hauptstadt des Velay, herrscht der Schrecken; die Hefe des Volkes gewinnt die Oberhand, Carrier’s Noyaden finden ihr Widerspiel an der obern Loire, Diana und die andern Hauptgestalten des Romans einen gewaltsamen Tod: grelle Bilder von intensiver Farbengluth, wie von Makart’s Pinsel gemalt.

Jensen hat eine gewisse Aehnlichkeit mit Jean Paul: die eigentlich stützenden Motive, die Tragpfeiler der Handlung, sind so überkleidet mit phantastischen Arabesken, daß die Architektur des Ganzen schwer zu überschauen ist. Darum behält auch die Heldin, deren innere Entwickelung nirgends in durchsichtigem Zusammenhang uns vorgeführt wird, etwas Mystisches, Sphinxartiges. Dafür entschädigt Jensen durch eine Fülle von Geist und Phantasie, durch berauschende, hinreißende Naturschilderungen, ebenfalls im Stile Jean Paul’s. Die Begegnung Diana’s und Urbain’s auf dem Felsblock des Hochgebirges ist stimmungsvoll und hochpoetisch. Freilich, das Ende ist „Nirwana“: der Untergang des Edeln und Gemeinen, des Schönen und Häßlichen, der Ideen und ihrer Träger und Trägerinnen, die allgemeine Vernichtung. Kann uns über die Orgien des Saturnus, der seine eigenen Kinder verschlingt, das Alpenglühn der Schweizer Berge trösten, welches der Dichter Salis am Schluß des Romans als die verheißungsvolle Glorie der reinen Freiheit begrüßt?

Gleichen Stil, gleiche Vorzüge und Schattenseiten hat Jensen’s kürzerer historischer Roman „Um den Kaiserstuhl“, der im dreißigjährigen Kriege spielt und dessen Held Herzog Bernhard ist. Auf die Katastrophe von Breisach und den Untergang des deutschen Heerführers steuert dieser Roman von Anfang an hin; doch erscheint es uns als ein Fehler im Bau desselben, daß der geschichtliche Hauptheld so spät auf die Bühne tritt, daß unsere Pfade so lange durch romantische Dämmerungen führen, ehe der geschichtliche Tag uns aufleuchtet. Auch ist Bernhard nicht in seiner ganzen geschichtlichen Größe aufgefaßt; es fehlt uns der Einblick in sein inneres Leben und Streben, der imperatorische Zug, er ist nur ein frischer Reiterheld mit Kriegs- und Herzensabenteuern; aber die Zeit des dreißigjährigen Krieges, die Epoche des Simplicius mit ihrer grenzenlosen Verwilderung, das Marodeur- und Brandstiftertreiben, diese Zeit der Auflösung mit ihren tumultuarischen Volks- und Heereszügen ist mit echt poetischer Intuition geschildert. Auch hier fehlen die geistigen Apostel nicht, die Söhne der Zukunft im Kloster von Thennenbach. Der Brand dieses Klosters, die Belagerung der Hochburg, der Hexenproceß bei Beginn des Romans, die Mord- und Schreckensscenen im Verlauf desselben: das sind alles Pracht- und Meisterstücke einer glühenden Phantasie, die oft eine erdrückende Gestaltenfülle vor uns hinzaubert; doch es fehlt die klare Gliederung, der schlank sich emporgipfelnde Bau des Ganzen.

Schon des Contrastes wegen, verehrte Freundin, erinnere ich Sie an den neuesten Band der Gustav Freytag’schen „Ahnen“; ich weiß nicht, ob Sie sich durch die Jahrhunderte deutscher Geschichte bis zu diesem Bande durchgearbeitet haben, doch wird Ihnen diese Arbeit nicht erspart werden; denn Sie müssen im Salon über die „Ahnen“ Rede stehen, und ich weiß, Sie haben ein gutes Gedächtniß und werden Ingo, Immo und Ivo nicht mit einander verwechseln, so groß diese Gefahr auch ist bei der durch den Atavismus erklärbaren Familienähnlichkeit der Helden. In diesem neuesten Bande „Die Geschwister“ hat die Erzählung denselben geschichtlichen Hintergrund wie in Jensen’s „Um den Kaiserstuhl“; sie spielt in der gleichen Epoche des dreißigjährigen Krieges. Herzog Bernhard ist todt; ein Theil seiner Truppen entzieht sich den Fesseln der französischen Allianz, und die Abenteuer dieser herrenlosen Soldateska, die sich in Deutschland einen Kriegsherrn sucht, bilden den Hauptinhalt der Erzählung; auch ein Hexenproceß fehlt nicht. Doch welcher Gegensatz zwischen den beiden Autoren! Jensen erscheint als ein Maler von glühendem Colorit, Freytag als ein feiner, sauberer Kupferstecher; bei Jensen wildbewegte Gruppenbilder à la Tintoretto, bei Freytag Schlacht- und Lagerbilder à la Wouverman. Der Inhalt seiner Erzählung ist kaum bedeutender als derjenige einer beliebigen Geschichte von Tromlitz, deren Stoff der Zeit des dreißigjährigen Krieges entnommen ist; doch Tromlitz ist ein anspruchsloser Erzähler, Freytag spielt sich auf die Classicität hinaus; die knappe Manier seines vielsagenden Stils tastet nach der Lapidarschrift der Unsterblichen. Der poetische Hauch, der einzelne Scenen durchweht, der feine Humor in andern, die saubere Ciselirarbeit der Detailmalerei werden die Leser stets freundlich anmuthen, doch die kühle Haltung bewirkt keine warme Theilnahme, und wo er sich auf das Gebiet des Phantastischen begiebt, wie bei den Abenteuern seiner Sibylle, da wirkt seine Nüchternheit geradezu befremdend. Wenn Jensen einen Hexenproceß darstellt, so fühlt jeder Leser Schauder und Grauen; bei Freytag ruft eine solche Darstellung gar keine Spannung hervor, stört kaum das Behagen, das dieser ganzen Genremalerei eigen ist. Die zweite Erzählung ist ein Rattenkönig von Genrebildern und Anekdoten aus der Zeit Friedrich Wilhelm’s des Ersten; vieles ist recht ergötzlich und charakteristisch; nur fehlt die Einheit der Stimmung, und die tragischen Episoden und Abschlüsse lassen uns durchaus gleichgültig.

[388] „Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!“ rufen wir aus, wenn wir einen Roman von Friedrich Spielhagen in die Hand nehmen: da ist doch keine trockene Pastellmalerei, da ist frische Farbengebung; freilich, wie bei Jensen, oft ein Zuviel der sich überstürzenden Ereignisse, ein übersprudelnder Phantasiereichthum. Im Vergleich mit Freytag kann man jedem dieser beiden Dichter zurufen, was Schiller in seinem Distichon Jean Paul zuruft:

„Hieltest du deinen Reichthum nur halb so zu Rathe, wie Jener
    Seine Armuth, du wärst uns’rer Bewunderung werth!“

In die meisten Romane Spielhagen’s rauscht ja das baltische Meer herein, auf dessen sturmbewegte Wogen wie auf den friedlichen Spiegel der geglätteten Fluth die Fenster Ihres Schlosses schauen. Das Localcolorit dieser Romane muß für Sie etwas durchaus Anheimelndes haben; es ist in der That von großer Treue und intensiver Färbung. Wenn die Schöpfungen eines Dichters so mit dem heimathlichen Boden verwachsen sind, so liegen in der That darin die starken Wurzeln seiner Kraft. „Die Sturmfluth“ freilich, die über die pommersche Insel dahinbraust, war zugleich ein Sinnbild der gesellschaftlichen „Sturmfluth“, welche zur Zeit der Gründungen über alle Dämme des wirthschaftlichen Lebens brach. Sie kennen das geniale Zeitgemälde, welches diese geistreiche Parallele zwischen den elementarischen Gewalten der Natur und der Gesellschaft zieht und in den beiden großen Katastrophen der Handlung auslaufen läßt … schade, daß diesem Romane der eigentliche Held fehlt, daß an seine Stelle gesellschaftliche Gruppen treten.

Dies ist anders in dem Romane „Plattland“, den man eigentlich einen biographischen Roman nennen könnte; es passirt in demselben alles nur in Gegenwart des Helden oder wird ihm erzählt. Der ganze Roman könnte als Schilderung des Selbsterlebten von ihm vorgetragen werden, hätte sich der Autor entschlossen, ihn in der ersten Person sprechen zu lassen. Das würde der Darstellung große Lebendigkeit geben, aber es hat auch seine Schattenseiten. Wir werden nicht so in das innere Leben der anderen Charaktere eingeführt, wir sehen alles nur mit den Augen des Helden. Und diese Charaktere des Romans haben zum Theil etwas Räthselhaftes, wie die kleine Sphinx Maggie, deren Motive man sich mühsam zusammenbuchstabiren muß, statt sie vom Blatt zu lesen, und dabei bleibt immer am Schluß noch etwas Unerklärliches übrig.

Außer dem Helden stehen im Vordergrunde des Romans zwei urwüchsige pommersche Gutsbesitzer, Hünengestalten von eigenthümlicher Romantik. Die beiden Zempins, der Eine ein Vogelsteller mit Anwandlungen des Irrsinns, der Andere ein burschenschaftlicher Romantiker, aber zerfahren, wüst, Freund des Trunkes und Don Juan, in zerrütteten Vermögensverhältnissen lebend. Die Töchter des Ersteren, die edle Edith und die zaubermächtige, intriguante Maggie, sowie die Frau des Letzteren, die kokette Julie, welche dem Helden gegenüber die Rolle der Potiphar spielt, bilden die Gruppe der weiblichen Charaktere, welcher sich noch die urwüchsige Gräfin von Basselitz mit ihrer schlechten Grammatik und ihrem guten Herzen, und die unglückliche verführte Försterstochter anschließt, die als Selbstmörderin endet.

Etwas wird Ihnen in dem Romane auffallen, verehrte Freundin: das ist die unglaubliche Schnelligkeit, womit der Held, Baron Gerhard, Frauenherzen erobert. Am Abend seiner Ankunft hat er es bereits allen drei Frauen, die ihm begegnen, angethan, und zwei von ihnen lassen ihn darüber auch keinen Augenblick in Zweifel. Diese pommerschen Ladies sind jedenfalls sehr abenteuerlustig, die Spielhagen’schen Helden aber haben alle etwas Unwiderstehliches. Kann der Dichter ihre Liebenswürdigkeit besser schildern, als durch die Wirkungen, die sie ausübt? Das ist ja eine Art und Weise der Schilderung, die schon Lessing empfohlen hat.

Spielhagen weiß spannend zu erzählen; das bewährt er auch in diesem Roman. Man ist im Leben oft der Langenweile ausgesetzt, aber niemals ist diese empfindlicher als dann, wenn man die Absicht und das Recht hat, sich zu amüsiren. Das ist in vielen Salons und in vielen Romanen der Fall: man kann geistreich sein und doch langweilige Romane schreiben, wenn ihnen die Spannung fehlt. Wie viele berühmte Classiker von heute habe ich oft verzweifelt in die Sopha-Ecke geworfen! In „Plattland“ wird die Spannung nach allen Regeln der Romandichtung durch ein dunkles Ereigniß der Vergangenheit hervorgerufen, das immer mehr in den Brennpunkt unserer Theilnahme rückt, auf das immer mehr erhellende Strahlen von allen Seiten fallen. Das geheimnißvolle Romangesicht des schweigsamen Vadder Deep, die Melancholie des Försters weisen auf diese dunkle That hin: der Vater der beiden Zempin’s hat sie in Gemeinschaft mit ihnen vollführt; sie haben zwei Officiere in französischen Diensten, darunter einen Deutschen, getödtet und sich ihrer Kriegscasse bemächtigt: daher stammt das Vermögen der Zempin’s. Der deutsche Officier war Gerhard’s Großvater. Mit den Enthüllungen überstürzen sich indeß die Ereignisse am Schluß: Entführung, Mord und Brand, wenn auch gerade keine politische oder baltische Sturmfluth zu den beliebten Massenkatastrophen anderer Spielhagen’scher Romane führt. „Plattland“ ist eine Idylle mit criminalistischem Hintergrund und hat keine tiefgreifende sociale Tendenz, sondern nur die moralische: „Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher.“

Nur noch wenige Worte, verehrte Freundin, über meine eigenen beiden Romane. Sie haben dieselben gelesen, schon aus dem Pflichtgefühl der Freundschaft; ich kenne Ihr Urtheil nicht, und doch weiß ich, wenn Sie mein einziges Publicum wären, dürfte ich meinen Proceß vor dem kritischen Tribunal für gewonnen halten. Mein Roman „Welke Blätter“ spielt auch an den Gestaden des baltischen Meeres, doch weiter nordöstlich, wo es sich an den samländischen Küsten bricht. Es sind ostpreußische Lebensbilder aus meiner Jugendzeit, aus der Zeit jener liberalen Bewegung, welche für ganz Deutschland die politische Sturm- und Drangperiode war. Einige Persönlichkeiten haben mir Modell gesessen, aber nur zu freier poetischer Behandlung, alle Ereignisse des Romans aber sind selbsterfunden, auch der träumerische Held desselben, dem so oft Mangel an Energie vorgeworfen wurde; doch kann man nicht auch Hamletnaturen zu Helden wählen? Die Tendenz des Romans war, nachzuweisen, wie die „welken Blätter“ der Vergangenheit oft die Blumen der Gegenwart verschütten. Die Betheiligung des Helden an der pietistischen Gemeinde Königsbergs und ihren sittlichen Licenzen ist ein Hemmniß für die politische Laufbahn, die er geläuterten Sinns sich erwählt, und eine voreilige Ehe mit einem Unwürdigen, welche die Heldin, die gefeierte Sängerin, geschlossen, treibt sie zu bedenklichen Schritten. Auf dem Felde der That finden sich die Getrennten wieder, und im fernen Asien suchen sie eine neue Heimath. Die humoristischen Strandbilder, die Sittenschilderungen aus dem Kreise des ostpreußischen Gutsbesitzerlebens dürfen auf Wahrheit und Treue Anspruch erheben, mindestens im Punkt des Zeitcolorits. So war das Leben in jener Epoche.

Was meinen geschichtlichen Roman „Im Banne des schwarzen Adlers“ betrifft, so spielt die Handlung desselben zur Zeit des ersten schlesischen Kriegs und kurz vor demselben. Der Held ist ein Adliger, der bei einem Besuche in Rheinsberg, wo er den jungen Kronprinzen Friedrich und seinen geistreichen Kreis kennen lernt, zu den Fahnen des schwarzen Adlers schwört, hingerissen von dem Zauber der Musen und Grazien, welche dort heimisch sind, und von dem freien Geist des Denkens und Wollens, der mit dem dumpfen, auf seinem heimathlichen Schlesien lastenden Drucke in so auffallendem Widerspruche steht. Durch Zufälligkeiten, deren Beweiskraft er nicht zu entkräften vermag, in den Verdacht gerathen, ein österreichischer Spion zu sein, scheidet er von Rheinsberg mit der Ungnade des Prinzen. Später hat Friedrich den Thron bestiegen und rückt in Schlesien ein; die Verhandlungen mit Breslau, das sich nach altem Rechte für neutral erklärt, die Agitation in der Stadt zu Gunsten der Preußen, die Schlacht bei Mollwitz, die gewaltthätige Besetzung der schlesischen Hauptstadt, die Verschwörung der Frauen und Geistlichen zu Gunsten der Oesterreicher: das sind die geschichtlich überlieferten Thatsachen, welche für die frei erfundenen Erlebnisse den Hintergrund bilden. Arthur’s Unschuld wird nachgewiesen; er tritt in preußische Kriegsdienste, kämpft tapfer bei Mollwitz mit und steigt in der Gunst des Königs. In Rheinsberg hat er die anmuthige, geistig bewegliche Agnes von Walmoden kennen gelernt, welche für Friedrich und Preußens Sendung begeistert ist; er sagt sich von der schönen, bigotten Isabelle von Poparell los, welche für Maria Theresia und Oesterreich schwärmt und jetzt in den Händen der Jesuiten ist, denen sie auch zum Opfer fällt. Die Tragödie des verfolgten Schwenckfelder Predigers [389] und seiner spät und erst bei ihrem Tode wiedergefundenen Tochter Marie zieht sich durch den ganzen Roman als eine unheimliche Illustration der damaligen schlesischen Zustände, für welche erst mit Friedrich’s Regierung die Sonne der Toleranz aufgeht. Freude hat es mir selbst gemacht, mit dem Machtspruche des Dichters das alte Breslau mit seinen Thoren und Thürmen, seinem Dom und Rathhaus, seinen Zünften, Rathsherren und Bürgergarden wieder in’s Leben zu rufen und zugleich die landschaftlichen Reize des schlesischen Gebirges im sommerlichen und winterlichen Gewande mit warmer Hingebung zu schildern.

[390] Das Eine hoffe ich, verehrte Freundin: Sie werden diese Romane nicht zum genre ennuyeux zählen. Wenn für Sie der „Bann des schwarzen Adlers“ zugleich ein Bann der Langeweile ist, so lösen Sie diesen Bann, machen das Buch bei Zeiten zu und gedenken ohne Groll des Verfassers, welcher für die Todsünde, Ihnen köstliche Stunden nutzlos gestohlen zu haben, jede Buße thun will, die seine liebenswürdige Freundin ihm auferlegt.

WS-Anmerkung:

Dieser Beitrag erschien als Nr. XX in der Serie Literaturbriefe an eine Dame