Kleine Bilder aus der Gegenwart/Der Hafenbrand in Hamburg am 31. Mai

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Titel: Der Hafenbrand in Hamburg am 31. Mai
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 157
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Kleine Bilder aus der Gegenwart.

Seit dem großen Brande von 1842, welcher halb Hamburg in Asche legte, hat die alte Hansestadt keine Feuersbrunst von der Ausdehnung und Gefährlichkeit derjenigen am Tage nach Pfingsten 1887 erlebt. Nach mehreren Millionen Mark beziffert sich der Verlust, und doch dürfen die Hamburger von „Glück im Unglück“ reden in so fern, als die herrschende Windrichtung den Gluthstrom nach der verhältnißmäßig günstigsten Seite, nach Nordwest trieb. Der „Hübener Quai“, dessen Schuppen 18 A zuerst aufflammte, hat bedenkliche Nachbarschaften: die städtische Gasfabrik mit kolossalen Kohlenlagern (einen ihrer Gasometer erblickt man im Hintergrunde unseres Bildes), den Petroleumhafen, den Holzhafen, den Segelschiffhafen, endlich die übrigen Quais (Sandthor-, Kaiser-, Dalmann-, Strandquai) nebst einer Reihe neuer Freihafenspeicher, bereits mit Waaren bis zum Giebel gefüllt; jeder nicht aus Südosten kommende scharfe Luftzug hätte unermeßlichen Schaden anrichten können.

Um 91/4 Uhr Abends entstand das Feuer wahrscheinlich durch Selbstentzündung von Baumwolle in Ballen, die aus dem englischen Dampfer „Annie“ entladen worden waren. Mit fast unglaublicher Schnelligkeit brausten die Flammen den Schuppen entlang, sie überholten sogar die Wächter, welche nach der Feuermeldestelle am andern Ende desselben liefen, und ehe die Dampfspritzen anlangen konnten, standen auch die Schuppen 18 B und 19 in voller Gluth. Ganz Hamburg war von dem rothen Wiederschein erhellt; zu vielen Tausenden strömte man nach der Brandstelle. Die gesammte Feuerwehr, Land- und Hafenspritzen, erschien schnell und arbeitete mit größter Anstrengung; doch konnte eine weitere Ausbreitung des Brandes nicht verhindert werden; eine Reihe der am Quai liegenden Fahrzeuge ward von den Flammen ergriffen und gänzlich oder theilweise zerstört. Diesen Moment hat der Zeichner unseres Bildes aufgefaßt. Etwa in der Mitte des Bildes brennen die größeren Dampfer „Gladiator“ aus Liverpool, „City of Dortmund“ aus Dublin, „Progreß“ aus Goole und „Federacion“ aus Südamerika; „Professor Woermann“ aus Hamburg (rechts im Vordergrunde) brannte nur in der Takelage und erlitt nur geringe Beschädigung am Deck. Außerdem hat die Gluth bereits einen Oberländer Kahn und noch mehrere kleinere Fahrzeuge entzündet, desgleichen eine Anzahl beladener Eisenbahnwaggons, die an der Landseite des Quais auf Entladung harrten. Aber schon eilen die kleinen Schleppdampfer herbei, deren Maschinen durch einfache Ausschaltung die Umwandlung des Fahrzeugs in eine Hafenspritze ermöglichen. Diese gewandten Zwerge, deren schnelles Hin- und Herschießen zwischen den Seekolossen wohl schon von manchem Besucher des Hamburger Hafens mit Interesse beobachtet worden ist, machen sich hier in doppelter Beziehung nützlich; ein Theil derselben bekämpft das entfesselte Element direkt, ein anderer Theil spannt sich vor die brennenden „Schuten“ (lange flache Fahrzeuge für den Waarenverkehr in Hamburgs Kanälen) und bugsirt dieselben auf den offenen Strom hinaus; dort läßt man sie treiben und bohrt sie dann durch Anrennen seitlings in den Grund. Auf diese Weise hat unter Anderem der Schlepper „Jan“ eine mit Genever in Kisten beladene Schute, aus der die blauen Flammen mächtig emporschlugen, förmlich mitten durchgeschnitten, so daß sie in zwei Hälften getheilt in die Tiefe sank.

Der Hafenbrand in Hamburg am 31. Mai.
Originalzeichnung von P. Duyffcke.

Zu furchtbarer Breite von Hunderten von Metern wächst die Gluth; es brennen außer der Baumwolle noch Oelkuchen, Reisabfall, Stabholz, 500 Fässer edlen spanischen Weines, ferner Kaufmannsgut aller Art. Flugfeuer entzündet das Tauwerk zahlreicher Schiffe im ganzen Hafen. Doch schon sind die Seeleute überall in emsigster Thätigkeit; alle Pumpen und Spritzen arbeiten mit Macht, Wasserströme dahin lenkend, wo es zu glimmen beginnt.

Die ungeheure Menschenmenge, welche am User und auf den Dächern dem grausig schönen Schauspiel zusieht, erblickt auch noch ein Kunstfeuerwerk: das Gebäude an der Quaispitze, ungefähr in der Mitte unseres Bildes, ein Lootsen-Diensthas, enthielt auf dem Boden einen Vorrath von Leuchtkugeln und dergleichen zu Lootsensignalen, welche beim Explodiren eine bunte Feuergarbe hoch in die Luft sprühen ließen.

Bis 5 Uhr Morgens dauerte der Kampf, dann erst war der Sieg sicher. Leider ist nicht nur der Verlust an Werthen zu beklagen. Eine oberelbische Schute der österreichischen Nordwestgesellschaft loderte so schnell auf, daß der Schiffer Sperling nebst Haushälterin und einem neunjährigen Knaben über Bord springen mußten; der Mann ward gerettet, aber erst am Morgen trieb die Fluth die Leichen der Frau und des Kindes in den Hafen zurück. Aus einem der brennenden Dampfer mußten 16 Matrosen halbnackt, wie sie aus den Kojen kamen, über Bord springen; man fischte sie rechtzeitig auf, desgleichen den Ingenieur Mc Lagh von der „City of Dortmund“, dessen Kleider bereits brannten und der schwere Brandwunden am ganzen Körper erlitt, ganz eben so einen oberelbischen Schiffer Meyer. Bei der sehr gefährlichen Löscharbeit erfolgten noch zahlreiche mehr oder minder bedeutende Verletzungen, da die Feuerwehrmänner mit den Seeleuten in aufopferndem Heldenmuth wetteiferten.

Der Schaden an Gebäuden, Schiffen und Waaren beziffert sich, wie erwähnt, nach manchen Millionen Mark. Es dürften noch zahlreiche Processe hierüber geführt werden, da die Frage, ob und welche Feuer-, Transport- oder Seeversicherungsgesellschaften in Mitleidenschaft zu ziehen sind, zu Meinungsverschiedenheiten mancherlei Anlaß bietet.