Kant’s Grabcapelle in Königsberg

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Titel: Kant’s Grabcapelle in Königsberg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 503–504
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[497]

Die neue Grabcapelle Kant’s in Königsberg.
Originalzeichnung von O. Weinberg in Königsberg.

[503] Kant’s Grabcapelle in Königsberg. (Mit Abbildung S. 497.) „Cineres mortales immortalis Kantii“ (die sterblichen Ueberreste des unsterblichen Kant) – diese vielsagende Inschrift las man am letzten Februar des Jahres 1804 auf einem Sarge, den die Studirenden der Königsberger Hochschule an jenem Tage nach der in den Arcaden an der Nordseite der Domkirche gelegenen Professorengruft trugen. Kant, der unsterbliche Denker, hatte am 12. Februar jenes Jahres das Zeitliche gesegnet.

Fünf Jahre nach diesem Begräbniß ehrte ein Freund des Verstorbenen, Kriegsrath Scheffner, das Andenken Kant’s, indem er die Professorengruft in eine bedeckte Spazierhalle für die im Collegium Albertinum Wohnenden verwandeln ließ. Die Stelle, an welcher die irdische Hülle des großen Philosophen ruht, wurde damals durch einen einfachen Sandstein mit einer lateinischen Inschrift (vergl. unsere Abbildung S. 497) bezeichnet, die in deutscher Uebersetzung also lautet:

„Grabstätte
Immanuel Kant’s,
geboren am 22. April 1724
gestorben am 12. Februar 1804.

Dieses Denkmal widmete ihm sein Freund

Scheffner 1809“.

[504] Von den Königsbergern wurde der Ort nach altgriechischer Sitte Stoa Kantiana benannt, als jedoch die Universität in ihr neues Gebäude auf Königsgarten übersiedelte, verschloß man die Halle mit einfachem Lattenwerk, und erst das hundertjährige Jubiläum der „Kritik der reinen Vernunft“ (vergl. „Gartenlaube“ 1881, Nr. 19) gab Veranlassung zur Begründung einer Grabcapelle, welche am 19. Juni dieses Jahres feierlich eröffnet wurde.

Ehe aber die Gebeine Kant’s in dieser Capelle, welche an dem östlichen Ende der Stoa Kantiana liegt, beigesetzt wurden, entbrannte zunächst unter den Königsberger Gelehrten die Streitfrage über die Identität jener Gebeine. Als nämlich am 22. Juni 1880 das verfallene Grab Kant’s geöffnet wurde, fand man in demselben zerstreut die Theile eines männlichen Skelets und die bekannte Tafel mit der Inschrift: „Cineres mortales immortalis Kantii“, während der Sarg vollständig vermodert war. Unmittelbar unter dieser Tafel stieß man indessen auf ein zweites, ebenfalls männliches Skelet. Nun wußte man aber, daß Professor Knorre aus Königsberg gleich nach dem Tode Kant’s den Kopf des Verstorbenen in Gyps abgeformt hatte, und da die Abgüsse dieser Form bis jetzt noch wohlerhalten sind, so verglich man dieselben mit den beiden ausgegrabenen Schädeln. Die peinliche wissenschaftliche Untersuchung ergab mit Bestimmtheit, daß der zweite der beiden ausgegrabenen Schädel der echte Kant’sche sei, und so wurde denn das zweite Skelet in der Kant-Capelle beigesetzt.

Betreten wir die Ruhestätte des Weisen von Königsberg, so erblicken wir links vom Eingange derselben in dem mit schwarzen und weißen Marmorfließen getäfelten Flur den Scheffner’schen Stein; unter ihm liegt in doppeltem Zinksarge das Skelet Kant’s. Hinter dem Grabsteine erhebt sich auf einem Postamente die Büste des Todten, in weißem carrarischem Marmor von Professor Siemering ausgeführt, während die Hintere Wandfläche der Capelle einen würdigen Abschluß findet durch die von dem Königsberger Künstler Neide grau in grau auf Leinwand gemalte Copie des berühmten Raphael’schen Bildes „Die Schule von Athen“ Die Büste Kant’s ist derart angebracht worden, daß sie zwischen den beiden Hauptfiguren des Gemäldes, zwischen Plato und Aristoteles, sichtbar wird. An der dem Eintretenden gegenüberliegenden Wand grüßen uns die letzten Worte jenes allgemein bekannten Passus aus der „Kritik der praktischen Vernunft“: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.

Königsberg ist durch die Stiftung der Kant-Capelle einer Pflicht der Pietät gegen seinen großen Mitbürger in anerkennenswerther Weise nachgekommen, Deutschland aber schuldet dem edlen Tobten noch immer die Erfüllung einer weit größeren Pflicht: es hat danach zu streben, daß die Resultate der mühevollen geistigen Arbeit Kant’s mehr und mehr zum Eigenthum der breitesten Volksmassen werden. Hoffen wir, daß man an maßgebender Stelle im deutschen Reiche dieser Pflicht sich endlich bewußt werde!