Jugendleben und Wanderbilder:Band 1:Kapitel 8

Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder
<<<Vorherige Seite
Kapitel 7
Nächste Seite>>>
Kapitel 9
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Achtes Kapitel.

[54] Bei meinem lieben Topf voll Reiß
Genieß’ ich, Sklav des großen Dei’s,
Sorglose stille Stunden.

Joh. Heinrich Voß.

Vor sechzig bis siebenzig Jahren konnte Danzig noch füglich für einen der nordischen Marksteine der kultivirten Welt gelten; mit Riesenschritten hat seitdem die Kultur die früher ihr gesetzten Grenzen in den Staub getreten, und im Innern wie im Aeußern die bedeutendsten Umwandlungen herbeigeführt. Doch behielt meine Vaterstadt, abgesehen sogar von ihrer vor andern sie auszeichnenden Bauart, noch genug von ihrer früheren Originalität übrig, um noch heut zu Tage dem Fremdling in ihren Mauern ein lebhaftes Interesse einzuflößen, wenn er einigen Sinn für dergleichen mitbringt. Dazu gehört insbesondre die Ankunft der mit Getreide beladenen polnischen Fahrzeuge, die noch immer ein merkwürdiges Schauspiel bietet, wenn gleich nicht mehr ganz in dem Grade, als in einer weit früheren Zeit.

[55] Wenn der Frühling unter dem milderen Himmel des Rheins die ihm gebührende Oberherrschaft schon längst angetreten, und nur noch einzelne, schnell vorübergehende Scharmützel mit seinem überwundenen Feinde zu bestehen hat, der im Fliehen sich zuweilen neckend gegen ihn umwendet, dann erst reißt er in meinem Vaterlande mit einem kühnen Sprunge aus dem kalten weißen Leichentuche sich los, und zerbricht die krystallenen Gewölbe, unter welchen Quellen und Ströme gefesselt liegen.

Unglaublich schnell dringt dann aus Bäumen und Hecken, auf Wiesen und Feldern das frische knospende Leben warm und duftig hervor; es giebt Tage, in denen man wirklich glauben möchte, das Gras wachsen zu hören, die Veilchen sich entwickeln zu sehen. Der Frühling ist da und eilt vorüber, ehe man Zeit gehabt hat, sich seiner recht zu erfreuen. Dann schwellen auch tief in Polen die Gewässer, und die, selbst für die sehr flach gehenden polnischen Fahrzeuge oft zu seichte Weichsel wird gegen Ende des Maimonats kräftig genug, um auf ihrem Rücken die goldnen Gaben der Ceres in meine Vaterstadt zu tragen, die mit vollem Recht in früherer Zeit die Kornkammer von Europa genannt wurde.

Die kleinen, längs der langen Brücke auf der [56] Mottlau vor Anker liegenden Seeschiffe, auf welchen, wie auf den Retourchaisen in Frankfurt, der Ort ihrer nächsten Bestimmung auf schwarzen Tafeln zu lesen ist, »will’s Gott nach Königsberg,« »will’s Gott nach Petersburg,« »will’s Gott nach Memel,« sie alle schließen vor der seltsamen Flotte sich gedrängter an einander, welche nun die Mottlau bedeckt und einen höchst wunderbaren Anblick gewährt.

Schiffe sind die schlecht zusammengezimmerten Fahrzeuge eigentlich nicht, aus welchen jene Flotte besteht, sie scheinen so unbequem und zerbrechlich, daß man kaum begreift, wie sie den weiten Weg glücklich zurücklegen konnten, ohne unterzugehen; auch werden sie am Ende ihrer Laufbahn zerschlagen, das Holz wird verkauft, und die Mannschaft mag zusehen, wie sie durch Moor, Haide und unwegsame Urwälder zu Fuße wieder nach Hause gelangt.

Am füglichsten wären diese Fahrzeuge einem kleinen Flosse vergleichbar, nur sind sie weniger breit, laufen an beiden Enden in Form eines Kahns etwas spitz zu, und sind rings um mit einem ziemlich niedrigen Bord versehen. Eine Hütte am Ende derselben bildet die Kajüte für den Oberaufseher; ohne Mast und Segel werden sie durch ein ziemlich unförmliches [57] Steuer regiert, und durch mehr als hundert rüstige Arme dicht hinter einander auf ihren Bänken sitzender und taktmäßig rudernder Schimkys stromabwärts geführt. Den ganzen übrigen Raum nimmt die Ladung von Weitzen oder Rocken ein, so hoch als möglich aufgethürmt liegt sie ganz offen da, ohne den geringsten Schutz gegen Wind, Wetter und Nässe.

In besonders fruchtbaren und wasserreichen Jahren, als vor der ersten Theilung von Polen der Kornhandel noch gleichsam ein Monopol meiner Vaterstadt war, sah man oft den ziemlich breiten Strom mit mühsam aneinander sich fortschiebenden Fahrzeugen über und über bedeckt. Wäre es möglich gewesen, einen auf diesen Anblick ganz unvorbereiteten Fremden plötzlich auf die lange Brücke zu stellen, er hätte glauben müssen, auf eine der damals kaum entdeckten Südsee-Inseln, mitten unter die Kanoes der Wilden gerathen zu sein, so durchaus uneuropäisch sahen die Schimkys und die ganze Flotille noch jetzt aus. Daß dergleichen in einem übrigens civilisirten Lande, so nahe an Deutschland, noch existirt, scheint unglaublich; ein Galeerensklave aus Toulon ist, im Vergleich mit einem Schimky, ein Dandy.

[58] Trotz ihrem wilden Aussehen haben sie doch nichts Unförmliches oder Widerwärtiges, diese starkknochigen, mulattenartig gebräunten hagern Gestalten; ein wohlbeleibter behaglicher Schimky wäre eine Idee außerhalb dem Gebiete der Möglichkeit. Bis auf den nationellen von Regen und Sonne gelb gebleichten Zwickelbart ist der Kopf durchaus kahl geschoren, und mit einem großen selbstfabricirten Strohhut oder einer flachen Pelzmütze bedeckt, Hals, Nacken und Brust sind entblößt. Die übrige Bekleidung besteht in Pantalons und einem mit einem Strick um den Leib gegürteten Kittel, beides vom allergröbsten ungebleichten Leinen. Hölzerne mit starken eisernen Nägeln dicht beschlagene Sohlen, die sie unter den übrigens nackten Fuß binden, müssen oft die Stiefel ersetzen.

Das wirklich gräßliche Getöse, das diese Chaussüre auf den granitenen Pflastersteinen hervorbrachte, wenn eine etwas zahlreiche Gesellschaft von Schimkys die Straße heraufkam, jagte uns Kinder allemal aus dem Beischlag ins Haus, und selbst als ich schon ziemlich erwachsen war, wagte ich mich nur mit bänglichem Herzklopfen in ihre Nähe. Ich fürchtete mich vor den wilden Gestalten, die doch Niemandem etwas zu Leide thaten; nie habe ich vernommen, [59] daß ein Schimky des Diebstahls oder eines ähnlichen Verbrechens beschuldigt worden wäre.

Sie waren Leibeigene, und sind, außerhalb des Preußischen Staates, es wohl größtentheils noch. Ihr Leben wurde kaum so hoch gehalten, wie das eines Hundes oder Pferdes. Der Edelmann, der aus Versehen oder im Zorn einen von ihnen erschlug, zahlte, ohne weitere gerichtliche Prozedur, zehn Thaler Strafe, und damit war die Sache abgethan und vergessen.

Und doch giebt es kein zufriedeneres, ich könnte sagen, kein fröhlicheres Völkchen, als diese Leibeigenen mitten in ihrer tiefen Armuth, sie, die nie vermissen, was sie nie besaßen, ja wohl kaum dem Namen nach kannten. Die Freiheit, mit der sie nichts anzufangen wüßten, wäre gewiß der jetzige Generation ein höchst unbequemes Geschenk, und vielleicht muß noch mehr als Eine dahinschwinden, ehe sie lernen werden es gehörig zu würdigen.

Wie sie im Winter daheim es halten, weiß ich nicht, den Sommer über ist ihr Leben fast ganz das eines Wilden. Tag und Nacht unter freiem Himmel, liegen sie am Ufer des Stromes, neben den ungeheuern, beinahe haushoch aufgeschütteten Weizenhaufen, die zu bewachen und fleißig umzustechen, [60] um sie, bis sie eingespeichert werden, vor dem Verderben zu bewahren, jetzt ihre Beschäftigung ist.

Ein sehr konsistenter Brei von Erbsen oder Buchweizen, den sie in ihrem, an einer quer über zwei Kreuzhölzern gelegten Stange hängenden kolossalen Kessel sich selbst kochen, ist einen Tag wie den andern ihre Nahrung; hat eine solche Tischgesellschaft ein Paar Talglichter erbeutet, um den magern Brei damit zu würzen, so ist das Mahl köstlich. Da sitzen sie dann zur Mittagszeit, dicht aneinander gedrängt, in wirklich malerischen Gruppen, um ihre dampfenden Kessel, handhaben ihre großen hölzernen Löffel, die auch einen ihrer sehr beliebten Handelsartikel ausmachen, und schöpfen, schlucken und schnattern, ohne Maß und Ziel.

Ein wenig naschhaft, ein wenig lecker sind sie, trotz dem besten Gastronomen, das ist wahr, aber ihre Leckerbissen sind eigner Art. Auf einem Gange durch die Speicher bemerkte ich eines Morgens, in einiger Entfernung einen Schimky vor einem offenen Speicher, in welchem allerhand Lebensmittel zum Verkaufe standen, herumschleichen, und sehnsüchtige Blicke hineinwerfen. Jameson, mein Begleiter, und ich, standen einen Augenblick still, um zu sehen, was der wunderliche Gesell eigentlich beabsichtige, da sprang [61] er plötzlich pfeilschnell auf ein in der Thür stehendes Häringsfaß los, nahm aber nicht etwa einen Häring heraus, sondern tauchte nur ein gewaltiges Stück Schwarzbrot, das er bei sich führte, tief in die Häringslaake hinein, und lief davon, ohne sich umzusehen, als hatte er die köstlichste Beute erjagt.

Ein tüchtiger Schluck Kornbranntwein geht freilich noch über Talglicht und Häringslaake, aber wenn dieses Mittelding zwischen Kind und Affe auch etwas benebelt ist, so bleibt es doch gutmüthig; es prügelt sich, verträgt sich wieder und von Mord und Todtschlag ist nie die Rede. Freilich fehlt ihnen die gewöhnliche Veranlassung zu Hader und Zwist, Weiber und Mädchen, deren Begleitung der Edelmann nicht zugiebt.

Zuweilen kommt, in einer durch den Branntweinsgeist etwas exaltirten Stimmung, ein Paar von ihnen auf den Einfall, sich außerordentlich gelant und höflich zu bekomplimentiren; im Bestreben, einander das Knie zu umfassen, berühren sie mit der Stirn fast den Boden, küssen einander die Hände, umarmen sich nach der allgemeinen polnischen Sitte, die selbst unter Damen damals noch gebräuchlich war, indem jeder von ihnen den Kopf so weit als möglich über die Schulter seines Freundes hinüberbeugt, [62] um seinem Nacken einen Kuß aufzudrücken. Ernsthaft dem zuzusehen, ist eben so unmöglich, als nicht dabei an ein Paar Urangutangs zu denken.

In der durchsichtigen Dämmerung einer schönen nordischen Sommernacht gewähren, aus der Ferne gesehen, die vielen kleinen Feuer einen wirklich romantischen Anblick, um welche am Ufer der Weichsel gelagert die Schimkys ihre Nächte zubringen. Einzelne wunderlich schnarrende und klimpernde Töne schallen von dort herüber, von denen es schwer zu entscheiden ist, welche Art von Instrument sie hervorbringt. Die Schimkys sind von Hause aus geborne Paganini’s, sobald man allein die Schwierigkeit in Anschlag bringen will, welche der große Mann zu überwinden hatte, um auf seiner einzigen Violinsaite solchen Zauber zu üben.

Paganini’s Instrument ist indessen doch eine Violine wie sie sein soll, und die Saite derselben ist ebenfalls eine wirklich brauchbare Saite; aber etwas auch nur einer Melodie Aehnliches auf einer jener kleinen gelb mit rothen Blumen bemalten Nürnberger Spielzeug-Violinen hervorzubringen, wie sie auf der langen Brücke um wenige Groschen verkauft werden, das müßte selbst dem großen Meister schwer [63] fallen, und er greift gewiß lieber nach seiner einzigen Saite.

Solch ein Sarmatischer Orpheus läßt aber durch die Mangelhaftigkeit seines Instruments sich nicht im mindesten irren; er fiddelt herzhaft darauf los, früher gehörte oder selbst erfundene Melodien, im echten Polonaisen-Takt; denn daß bei ihm von Notenlesen nicht die Rede sein kann, versteht sich von selbst.

Auch gelingt es ihm gewöhnlich, seine den wilden Thieren nicht ganz unähnlichen Zuhörer in begeisterte Bewegung zu setzen; sie fassen jauchzend einander bei den Händen und führen, paarweise gereiht, die eleganten Schwenkungen ihres Nationaltanzes, der Polonaise, durch, oder ergötzen sich an den wilden lustigen Sprüngen der nicht minder nationellen Mazurka.

Wenn die Sonne recht hell scheint, besonders wenn man, wie jetzt beinah alle Leute, etwas kurzsichtig ist, glaubt man zuweilen eine seltsame breite, ungemein prachtvolle Gestalt auf sich zukommen zu sehen; etwa einen chinesischen Mandarin, in einem ihn über und über bedeckenden Mantel vom reichsten Goldbrokat; in der Nahe verwandelt sich der Mandarin in einen hinten und vorn, vom Kopf bis zu den Füßen mit breitgeflochtenen Rispen der größten, [64] schönsten, goldig schimmernden Zwiebeln dicht behangenen Schimky, die er zum Verkaufe ausbietet.

Neben diesen Zwiebel-Mandarinen begegnet man auch wandelnden Bergen von Töpferwaaren, und nur das von denselben ausgehende jodelartige Geschrei: Koop-Toopky, Top, Top, koop! verräth den in dieser zerbrechlichen Umgebung hausenden Schimky, dessen über seinem ambulirenden Waarenlager nur eben herausragender Kopf gar leicht für einen Theil desselben gehalten werden kann.

In Polen wird jährlich eine Unzahl Kochtöpfe, Pfannen, Kasserollen, aus einem, jenem Lande eigenthümlichen Thon fabrizirt, ohne welche eine Danziger Köchin gar nicht bestehen zu können glauben würde. Große Quantitäten dieser Waare werden von den Schimky’s zum Verkaufe gebracht, die Speculation rentirt sich gut, die Masse der im Laufe des Jahres zerschlagenen Töpfe hält der der neu eingeführten so ziemlich das Gleichgewicht; das Originellste dabei bleibt immer die Art, wie sie auf der Straße feil geboten werden.

An einem mehrere Ellen langen starken Stricke werden so viele Töpfe und Pfannen von allen Dimensionen, als derselbe nur immer fassen kann, gleich Perlen angereiht; mit diesem Strick umwickelt sich [65] der Schimky von oben bis unten so künstlich, daß die Töpfe, ohne zu zerbrechen, traubenartig über einander liegen. Die größten, die sich nicht wohl anders anbringen lassen, trägt er in der Hand. Daß die Beine nicht so gefesselt werden, daß er nicht bequem ausschreiten könnte, brauche ich wohl nicht zu erwähnen.

Außer mit diesen Töpferwaaren wird auch noch ein Nebenhandel mit feiner vortrefflicher Krakauer Grütze von den Schimky’s betrieben, ebenso mit jenen schon erwähnten hölzernen Löffeln, welche sie in langen Winterabenden selbst schnitzen, und die in unsern Küchen ebenfalls für unentbehrlich gelten.

Ueberselig, jauchzend vor Freude, tritt solch ein armer Tropf den langen beschwerlichen Rückweg zu Fuße an, wenn er im Laufe vieler Monate, im Kampfe mit unsäglicher Mühe und Noth, so viel erübrigen konnte, daß es ihm möglich wurde, sich mit einigen Ellen des gröbsten blauen Tuches zu beladen; kann er vollends ein Paar mit Eisen beschlagener Stiefeln hinzufügen, so kennt sein Glück keine Grenzen.

Die eben so malerische als prächtige Nationaltracht der reichen Polen wird jetzt selten, oder vielleicht gar nicht mehr gesehen; in der Zeit, von welcher ich spreche, begegnete man ihr in allen Straßen. [66] Den kahl geschorenen Kopf ausgenommen, den aber schon in den achtziger Jahren nur alte Herren noch so trugen, giebt es wohl keine, die eine schöne Gestalt vortheilhafter und zugleich anständiger bezeichnete. Solch ein Starost! die hohe viereckige Mütze von Sammt oder Seide, ein wenig seitwärts gerückt, eine Hand am reichen Gefäß des klirrenden Säbels, mit der andern den zierlichen Schnurrbart streichelnd, den reichen seidnen Leibrock mit einer golddurchwirkten breiten Schärpe vielfach umwunden, und darüber das den Wuchs vortheilhaft bezeichnende Oberkleid mit den über dem Rücken tief herabhängenden Aermeln! trat ein solcher so stolz einher, als ob Gottes Erdboden zu geringe wäre, um seine Stiefeln von gelben Saffian zu küssen!

Und nun als Gegenstück der nur über stumpfsinnige Thierheit eben erhobene halbnackte Wilde, der dem nämlichen Lande entsprossene Leibeigne jenes Sohns des Glücks! Der Kontrast wäre herzzerschneidend, wenn die Armen ihr Elend empfänden; doch dafür bewahrt sie für jetzt noch jede Entbehrung, jedes Unglück mildernde Gewöhnung.

Ein Paar Monate vor der Erntezeit kamen auch die armen polnischen Weiber schaarenweise gezogen, um für Kost und ein Tagelohn von drei Düttgen [67] damaliges Danziger Geld, ungefähr achtzehn sächsische Pfennige, die Kornfelder in der Umgegend auszujäten. Auch die Erscheinung dieser armen Maruschka’s, wie sie durchgängig genannt wurden, hatte viel Fremdartiges. Ein weißes Tuch, oft recht graziös um den Kopf gewunden, ein langes blaues, um den Leib fest gegürtetes Gewand vom gröbsten Wollenzeug, war ihre ganze Bekleidung, Schuhe und Strümpfe kannten sie gar nicht.

Hager, von der Sonne verbrannt, dürftig im höchsten Grade wie sie es sind, verleugnet sich doch nicht bei allen unter ihnen die den Polinnen eigenthümliche Anmuth der Formen und der Bewegung. Ich habe zuweilen jugendliche, vom Leben noch nicht zu hart behandelte Gestalten unter ihnen bemerkt, die jedem Künstler zum Modell hätten dienen können, und denen ich, neben dem innigsten Mitleid, meine Bewunderung nicht versagen konnte.

Einer meiner Freundinnen, die in der überschwenglich fruchtbaren Gegend des Danziger Werders wohnte, wurde eines Tages die ganz unerwartete Niederkunft auf freiem Felde einer ihrer Maruschka’s gemeldet; das arme blutjunge Weib wurde sogleich unter Dach gebracht und für deren Verpflegung gesorgt, was ihr sehr wunderbar vorzukommen[1] schien. Am andern [68] Morgen stand sie mit Sonnenaufgang fix und fertig da, das Kind in ein Tuch gebunden auf dem Rücken, und wollte durchaus auf’s Feld an ihre Arbeit. Nur unter heißen Thränen und durch die Versicherung, daß sie dennoch ihre drei Düttgen täglich erhalten solle, ließ sie sich bewegen, einige Tage Ruhe sich gefallen zu lassen. Doch hielt sie es nicht lange aus; ehe man es sich versah, war sie draußen und konnte nicht begreifen, was man eigentlich mit ihr gewollt habe.

So sucht die immer gütige Natur selbst diejenigen ihrer Kinder, die sie am stiefmütterlichsten behandelt, für diese anscheinende Härte auf eine oder die andere Weise zu entschädigen!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. korrigiert, im Druck vorzukommmen