Johann Gottfried Pahl über seine Schriften zum württembergischen Landtag 1797

Textdaten
Autor: Johann Gottfried Pahl
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Titel: [Johann Gottfried Pahl über seine Schriften zum württembergischen Landtag 1797]
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aus: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben und aus meiner Zeit, S. 109-116
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Erscheinungsdatum: 1840
Verlag: Ludwig Friedrich Fues
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Pahl berichtet über seine polemischen Schriften gegen den Adel und zu den württembergischen Verfassungsfragen
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[109] Die Lasten, welche der Krieg auf die Länder gewälzt hatte, führten überall die Nothwendigkeit herbei, über ihre Umlegung und Erhebung das Erforderliche zu verfügen und für das dabei zu beobachtende Verfahren, in dem mit der gewöhnlichen Besteuerungsart nicht auszukommen war, neue Normen zu ermitteln. In dem Herzogthum Württemberg stand es nicht in der Macht der Regierung, diese Aufgabe zu lösen; sie hatte darüber, nach der Verfassung, die Stimme des Landes in seinen Stellvertretern zu vernehmen. Diese entbot der Herzog zu einem allgemeinen [110] Landtage, der am 17. März des folgenden Jahrs eröffnet wurde. Auf ihn waren, nachdem die Stände sich seit sieben und zwanzig Jahren nicht mehr in ihrer Gesammtheit versammelt hatten, die Augen des ganzen Volks gerichtet. So wie überall, waren auch hier die Gesezgebung und die Institutionen hinter den Ansprüchen der Zeit zurückgeblieben; eine Menge in der Verwaltung bestehender, oft drückender Mißbräuche erregten die gerechtesten Beschwerden; die französische Revolution und die durch dieselbe in Umlauf gekommenen Ideen hatten auch hier den lauten Ruf nach Besserung der öffentlichen Verhältnisse erweckt; wie auf allen frühern Landtagen mußten auch auf diesem die Forderungen der Regierung zur Darstellung der Reclamationen führen, die man an sie zu machen hatte. Die Einberufung der Landesversammlung brachte deßhalb eine allgemeine Erregung hervor, wie man sie früher nie bemerkt hatte; jedermann ließ seine Ansprüche, seine Wünsche und seine Hoffnungen laut werden; eine Menge emsig verbreiteter Flugschriften machten die Klagen und Erwartungen des Volkes kund und gaben dem aufgeregten politischen Geiste seine Richtungen. An der Grenze von Württemberg wohnend konnte ich diese Erscheinungen in der Nähe beobachten; ein um so größeres Interesse hatten sie aber für mich, da die Geschichte und die Statistik dieses Nachbarlandes immer Gegenstände meiner Studien gewesen waren, wobei mannigfaltige Verbindungen in demselben mir zu Aufklärungen verhalfen, die die damaligen noch ziemlich dürftigen literarischen Hülfsmittel nicht gewährten. So sah ich mich veranlaßt, obwohl vermöge meiner bürgerlichen Stellung dem Lande fremd, unter der Menge der berufenen und unberufenen öffentlichen Sprecher, auch meine Stimme zu erheben. Der Stoff dazu bot sich mir in den inconsequenten und ungerechten Begünstigungen dar, welche im Civil- und Militärdienst der ausländische Adel in Württemberg genoß, und die längst zu einer lauten, obwohl immer mit Hohn zurückgewiesenen Beschwerde geworden waren. Einige wenige eingebürgerte alte Familien ausgenommen, hatte das Land keinen Adel, indem die in demselben ansäßigen ritterlichen Geschlechter seit dem sechszehnten Jahrhundert ihre frühern Verhältnisse zu den württembergischen Regenten aufgelöst [111] und sich an die reichsunmittelbare Ritterschaft angeschlossen haben. Um deswillen wollten aber die Herzoge des Schimmers nicht entbehren, den, wie ein in Teutschland allgemein herrschendes Vorurteil wähnte, ein zahlreicher Adel den Höfen verleihen sollte. So ward Württemberg eine Laufbahn der Ehre und der Versorgung für eine Menge fremder Edelleute, die nicht nur aus den ritterschaftlichen Kantonen, sondern auch aus allen Gegenden Teutschlands, besonders aus dem Norden, herbeiströmten. Es mochte sie niemand darum beneiden, wenn sie ihr Glück in den mannigfaltigen Chargen des Hofes machten; aber zugleich wurden ihnen in der Regel die ersten Staatsämter zu Theil; man fand sie in allen Stellen des Civil- und Militärdiensts; die Verwaltung der Oberforstämter war ihr ausschließendes Eigenthum; es bestand das Herkommen, daß der Geheime Rath und die Regierung sich in die Mitglieder der adelichen und der gelehrten Bank schieden, von denen jene auf rothen, diese aber auf grünen Sesseln saßen; und diese den Fremdlingen, oft elenden Abentheurern und verächtlichen Ignoranten, gewährte Gunst erhielt sich Jahrhunderte hindurch in einem Lande, das von Candidaten des öffentlichen Dienstes überfüllt war, unter denen sich die tüchtigsten und rechtschaffensten Männer befanden, die überdieß, unter der langen Regierung des Herzogs Karl, nur auf dem schmählichen Wege des Kaufs zu Amt und Brod gelangen konnten.

Da ich, vermöge meiner politischen Grundsätze, bei hoher Achtung für die Persönlichkeit einzelner Adelichen, die ich in meinem Kreise kennen zu lernen Gelegenheit hatte, dem Adelsinstitute, das die Auszeichnungen, die nur dem Verdienste gebühren, dem Zufall der Geburt verleiht, von ganzem Herzen unhold war, so erregte die besagte in Württemberg herrschende Ungebühr meinen vollen Widerwillen, und ich vermochte der Versuchung nicht zu widerstehen, ihr, die bei ihrer gänzlichen Nichtigkeit keiner ernsten Gegenrede werth schien, mit den Waffen der Satyre und des Spotts entgegenzutreten. Ich schrieb das Vernunft- und Schriftmäßige Schutz-, Trutz- und Vertheidigungslibell für den Württembergischen Adel, kurz und einfältig gestellt von Sebastian Käsbohrern, Schulmeister [112] in Ganslosen, in dem die Sache der adelichen Einkömmlinge in Württemberg mit keckem, schneidendem Witz und unter Anspielung auf manche scandalöse Einzelnheiten so geführt wurde, daß sie vor aller Welt lächerlich erschien. Die Schrift machte außerordentliches Aufsehen; sie erhielt in wenigen Tagen wiederholte Auflagen; einige elende Widerlegungen, die ich mit neuen Sarkasmen abfertigte, gereichten nicht dazu, die Sache des Adels zu unterstützen. Man forschte, in gutem und bösem Sinne, um den Verfasser zu entdecken; man rieth auf Haug, Petersen, Bernritter, Grüneisen und andere witzige Köpfe; kein Mensch dachte an mich. Während aber die Nachforschungen vergeblich waren, führten sie zu neuen Neckereien, die wieder nicht zum Vortheile der Verspotteten ausfielen. Ein steifer Kammerherr z. B. fragte eines Abends, bei sehr bevölkerter Planie, den Dichter Haug mit vornehmer Impertinenz, ob er glaube, daß unter der Menge der Spatziergänger sich auch der Käsbohrer befinde? Der Befragte erwiederte: Das wisse er nicht; wohl aber sehe er sehr viele Gekäsbohrte! – Mittlerweile sprach sich die öffentliche Meinung gegen die Anmaßungen des Adels immer kräftiger aus; um ihre Stimme zu verstärken, beleuchtete ich die Sache aus historischen und staatsrechtlichen Gründen noch näher in einem Aufsatze, den ich in Häberlin’s Staatsarchiv einrückte, und der dann, ohne mein Hinzuthun, in Stuttgart als eine besondere Schrift erschien; die so laute Klage des Landes stellten die versammelten Stände als eine ihrer Hauptbeschwerden dar. So konnte die Regierung dem langen und argen Mißbrauche ihren Schutz nicht mehr weiter gewähren. Es erfolgte die herzogliche Resolution vom 17. März 1798, worin die Versicherung ertheilt wurde, daß sämmtliche Oberforstmeistersstellen, mit Ausnahme von Vieren, bei vorkommenden Erledigungsfällen, so wie zwei Drittheile der Officiersstellen, mit bürgerlichen Landeseingebornen besezt, die adelichen Beisitzer in den Landescollegien auf die gesezliche Zahl eingeschränkt, die zwischen adelichen und bürgerlichen Räthen, im Widerspruche mit der Kanzleiordnung bestehenden Unterschiede aufgehoben, und die Gelehrten bürgerlichen Standes von den Präsidenten- und Directorsstellen nicht mehr ausgeschlossen werden [113] sollten. Diese Zusagen wurden aber entweder gar nicht, oder nur säumig vollzogen, bis endlich nach Aufhebung der Verfassung der hereinbrechende, die Vorrechte eben so wenig als die Rechte achtende Despotismus dem Adel und dem Bürgerstande dieselbe Dienstlaufbahn eröffnete, sie aber den Fremden eben so wenig als bisher verschloß, während das Land, bei seinem Ueberflusse an tüchtigen Candidaten, in allen Zweigen der Verwaltung ihrer keineswegs bedurfte.

Zu gleicher Zeit beschäftigte eine constitutionelle Frage die Aufmerksamkeit der Württemberger, die in Rücksicht auf ihre Bedeutung für das gesammte Staatsleben noch viel wichtiger war, als die eben besprochene materielle. Es war nämlich im Laufe der Zeit zum Herkommen geworden, daß die Städte und Aemter sich in der Wahl ihrer Abgeordneten ausschließend auf die Mitglieder von Rath und Gericht beschränkten, so daß ein Bürger, mochte er auch nach dem Gesetze ein „ehrbarer, tapferer und verständiger Mann“ sein, nicht in der Landschaft erscheinen konnte, wenn er nicht einem jener Collegien in seinem Wahlbezirke angehörte. Dieses Herkommen, indem es das Recht, in den öffentlichen Angelegenheiten mit zu rathen und zu sprechen und die theuersten Interessen des Volks zu vertreten und zu verwahren, in einen kleinen Kreis einschloß, in dem sich nur selten die zur Ausübung desselben erforderliche Tüchtigkeit fand, während es der höhern Intelligenz und dem lebendigen Patriotismus, der außer demselben stand, entzogen blieb, war im auffallendsten Widerspruche mit dem Wesen einer vernunftmäßigen Volksrepräsentation und lähmte oder vernichtete ihre Wirksamkeit; wie denn hauptsächlich aus ihm die Depravation hervorgieng, in welche, durch die Anmaßungen des engern Ausschusses und die von den Consulenten geübte Dictatur, das landständische System in Württemberg in der lezten Periode seines Daseins versank. Auch gegen dieses an dem Leben der Verfassung nagende Uebel erhob sich die Stimme der Freisinnigen im ganzen Lande, und bei dem Glücke, das ich unter der Maske des Schulmeisters von Ganslosen gemacht hatte, glaubte ich in derselben Weise auch die meinige laut werden lassen zu dürfen, was in dem Gutachten [114] über die Wahlfähigkeit eines Württembergischen Landtagsdeputirten geschah. Auch bei diesem seinem zweiten Auftreten fand Käsbohrer allgemein eine freundliche Aufnahme, und die ernsten Leser und die Lacher bezeugten ihm ihren lauten Beifall, so wie die Kundigen einstimmig das ermunternde Urtheil fällten, daß er in Hinsicht auf humoristische Manier und Darstellung nicht hinter seinem ersten Versuche zurück geblieben sei, sondern ihn bei weitem übertroffen habe. In der That wurde auch durch ihn die Frage, die er ridendo zur Sprache gebracht hatte, erst populär, und in dem Kreise des Volks in ihrer Bedeutung anerkannt. Die Stellung, welche die Regierung und die Landstände gegen einander annahmen, gestatteten aber keine Reformen in dem Organismus der Repräsentation, indem beide Theile die Waffen zu ihrer Vertheidigung in dem Bestehenden zu finden meinten. Es mußte erst die Verfassung vernichtet werden, und das Volk durch die Feuerprobe einer drückenden Gewaltherrschaft gehen, ehe es dem leztern gelang, mit der Wiederherstellung seiner constitutionellen Freiheiten, die Bürgschaft für deren Erhaltung in einer auf gesunde Grundsätze gebauten Wahlordnung zu erlangen. – Während aller dieser Bewegungen hatte aber das starre Herkommen in der Gesetzgebung und der Schlendrian in der Verwaltung noch immer seine mächtigen und zahlreichen Beschützer, zumal in der weit verbreiteten und durch eine über das ganze Land sich erstreckende Familienverzweigung unter sich verknüpften Kaste der Schreiber, und es fehlte dem erwachten bürgerlichen Geiste noch viel an Muth und Kraft, um das, was er als rechtlich und zeitgemäß erkannt hatte, gegen die unermüdeten Wächter der Stabilität geltend zu machen. Es konnte zur Belebung und Erkräftigung dieses Geistes beitragen, wenn er auf die Geschichte des Landes hingewiesen und aus ihr in klarer und warmer Rede dargethan wurde, wie wenig in alter und neuer Zeit das constitutionelle Gesetz und die nach demselben gebildete Repräsentation Schutz gegen willkührliches und eigenmächtiges Herrscherthum gewährt habe, und wie kein Eingriff in die heiligsten Volksrechte, keine Art von Bedrückung und kein Mißbrauch der Gewalt zu erdenken sei, der nicht auf diesem Gebiete oft auf die empörendste Art zum [115] Vorschein gekommen. Dieser Beweis ließ sich besonders aus der Erinnerung an die beinahe das ganze achtzehnte Jahrhundert erfüllenden Regierungen der Herzoge Eberhard Ludwig, Alexander und Karl Eugen führen, die ein düsteres Gemälde der Passionsgeschichte eines über alle Maaßen gemißhandelten Volks darstellten, in welchem despotische Verhöhnung der beschworenen Verfassung, schmähliche Mätressenherrschaft, unerschwingliche Abgaben, gemeine Geldprellereien, grausame Jagdbedrückungen, kostbares Soldatenspiel, Königliche Pracht des Hofes, Diensthandel, Monopole, Juden, Plusmacher, und in den Collegien und auf den Aemtern ein Heer serviler Organe der landesherrlichen Laune und Eigenmacht – als die Hauptfiguren hervortraten. Diese Betrachtungen veranlaßten mich zu dem Versuche, jene Erinnerung selbst zu erneuern, und durch den Anblick des Bildes seiner frühern Leiden, den Sinn des Volks für seine verfassungsmäßige Rechte und für die Herrschaft des Gesetzes, im Gegensatze gegen Willkühr und Gewalt, zu beleben und zu stärken, und so kamen die Blicke auf die neuere Geschichte Württembergs, von einem kürzlich verstorbenen Württembergischen Geschäftsmanne, zu Stande, die aber der speculative Verleger eigenmächtig unter dem Titel Geheimnisse eines mehr als fünfzigjährigen Württembergischen Staatsmanns erscheinen ließ. Geheimnisse waren nun zwar in dem Buche nicht zu finden; wohl aber sehr viele Notizen aus der Geschichte des Herzogs Karl, die früher durch den Druck nicht bekannt geworden waren, und die mir ein benachbarter Beamter, dessen Jugendleben in die frühere Periode des besagten Regenten fiel, aus seinen eigenen Beobachtungen und aus der schriftlichen Hinterlassenschaft seines Vaters mitgetheilt hatte, die ich überdieß durch anderweitige bewährte Zeugnisse aus dem Munde von Zeitgenossen zu vermehren im Stande war. Es waren, bei einem sehr freimüthigen Tone, vorzüglich diese Notizen, durch welche die Schrift in einem großen Lesekreise nicht gewöhnliches Interesse fand, und ihrem ungenannten Verfasser konnte es nur schmeichelhaft sein, wenn noch mehrere Jahre nach ihrer Erscheinung von einem Württembergischen Geschichtschreiber zwei durch geistige [116] Bildung und Patriotismus sehr ehrenwerthe Männer, der Regierungsrath Huber und der Präsident Georgii, als diejenigen genannt wurden, deren Einem dieselbe zu verdanken sein dürfte.

Anmerkungen (Wikisource)

Pahl nennt ausdrücklich die folgenden drei Schriften:

Implizit bezieht er sich aber auch auf seine Repliken auf Gegenschriften:

Bibliographisch wurden die Schriften zur Debatte 1797 in der Bibliographie der Württembergischen Geschichte Bd. 3, Stuttgart 1907, S. 57-61 Internet Archive erfasst; der Katalog der Ständischen Bibliothek in Stuttgart, Stuttgart 1907, S. 282 Google-USA* nennt zusätzlich als weiteren Autor von (ebenfalls anonymen) Schriften den Apotheker Friedrich Streim zu Nagold.

Zum Reformlandtag von 1797 siehe Walter Grube, Der Stuttgarter Landtag 1457-1957, Stuttgart 1957, S. 450-468.