Jakobine Maurer, die deutsche „Christusin“ in Brasilien

Textdaten
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Autor: Carlos von Koseritz
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Titel: Jakobine Maurer, die deutsche „Christusin“ in Brasilien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 643–645
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Jakobine Maurer, die deutsche „Christusin“ in Brasilien.


Man hat sich gewöhnt, unser Jahrhundert das aufgeklärte zu nennen; aber so enorm die Fortschritte der Wissenschaft auch gewesen sein mögen, und so gerechtfertigt im Allgemeinen diese Bezeichnung sein mag, so treten uns doch in unsern Tagen Erscheinungen entgegen, die uns mit Schmerz erkennen lassen, wie die Aufklärung doch noch lange nicht alle Schichten der Bevölkerung durchdrungen hat und der Aberglaube noch ein ausgedehntes Reich behauptet. Muß es uns nicht mit Erstaunen und Betrübniß erfüllen, in Frankreich und im Elsaß die seltsamsten Wundergeschichten auftauchen zu sehen? Ist nicht selbst die Nothwendigkeit des Kampfes der Staatsregierungen gegen die Anmaßung und die Uebergriffe des katholischen Clerus ein trauriges Zeichen von der noch nicht gebrochenen Macht des Wahnes? Den Rückhalt am Volke, der dem deutschen Clerus zu Theil wird, findet der brasilianische nicht, und ohne jegliche Ruhestörung werden die widerspenstigen Herren Bischöfe in Gewahrsam gebracht.

Um so greller contrastirt mit der Freisinnigkeit und Toleranz in Brasilien der Fanatismus, der eine deutsche Seele ergriffen und sie zu Gräuelthaten hingerissen hat, die uns in die Zeit Knipperdolling’s zurückzuversetzen geeignet sind.

Der Deutsche, der sich in allen Ländern der Erde einzubürgern versteht, hat auch unter dem glücklichen Himmelsstriche der Provinz Rio Grande do Sul in Brasilien sich ein Heim gegründet und den Urwaldsgürtel, der sich von dem Hochplateau der Serra Geral nach den Flußniederungen hinzieht, besiedelt. Wo früher dichter, undurchdringlicher Urwald den Boden deckte, hat der Fleiß der deutschen Colonisten im Laufe von wenig mehr als zwanzig Jahren ausgedehnte Colonien gegründet, deren blühende Orangenhaine, üppige Felder und freundliche Auen mit den an vielen Punkten wohlhäbig ausschauenden Häusern dem Auge des Reisenden ein überraschendes Bild entrollen.

Der neu ankommende Einwanderer muß freilich eine Zeit des Kampfes mit den Schwierigkeiten der ersten Urbarmachung seines Waldgrundstückes bestehen, ehe er sich seines neu erworbenen Besitzes erfreuen kann, der ihn bei Fleiß und Ausdauer später zu einer Wohlhäbigkeit führt, wie sie dem von Hause aus vermögenslosen Arbeiter und Tagelöhner in Deutschland oft unerreichbar ist. In dem ältern Theile der deutschen Colonien, wo die Bauern bereits zu Wohlstand gelangt sind, ihr schuldenfreies Grundstück mit oft mehrstöckigen steinernen Häusern und außerdem nicht [644] selten bedeutende Capitalien besitzen, spielen sich gegenwärtig die betrübenden Scenen ab, die nicht allein in die andern Ansiedelungen, sondern auch in das Städtchen Sao Leopoldo und sogar bis in die Hauptstadt Porto Alegre Furcht und Entsetzen getragen haben.

Mit der Zunahme des äußern Wohlstandes hat die geistige Entwickelung der Deutsch-Brasilianer, das heißt der Nachkommen der in Brasilien eingewanderten Deutschen, leider nicht Schritt gehalten. Die brasilianische Regierung hat zwar das Ihrige zur Hebung der Bildung durch Errichtung von Schulen gethan, aber der zäh am Alten klebende Bauer, der sich selten die Sprache seiner neuen Heimath aneignet, schickt seine Kinder wenig in diese brasilianischen Schulen, mag aber ebenso wenig für Gründung deutscher Schulen viel verausgaben. So ist denn der Schulunterricht der deutsch-brasilianischen Jugend ein sehr mangelhafter und hat den Boden vorbereitet, aus dem eine so furchtbare Saat des Aberglaubens und des vor keinem Verbrechen zurückschreckenden Fanatismus emporsprießen konnte. Ein großes Hinderniß für die fortschreitende Hebung der geistigen Interessen liegt ferner in dem Umstande, daß die protestantischen Gemeinden in Brasilien ihre Geistlichen selbstständig wählen dürfen und die Regierung ohne weitere Prüfung die also erkorenen Pfarrer registrirt[WS 1], wodurch es denn vorgekommen ist und noch heutigen Tages vorkommt, daß frühere Schneider und Schuster, in Deutschland weggejagte Dorfschulmeister, verkommene Officiere und Feldwebel etc. als Seelsorger fungiren.

Eine der bestsituirten Ansiedelungen der Excolonie Sao Leopoldo ist der sogenannte Leoner Hof, wo bereits vor Jahren einer der deutschen Bauern, Johann Georg Maurer, eines gewissen Rufes als Wunderdoctor genoß und vielen Zuspruch von den Bauern, zuweilen sogar von Bewohnern Porto Alegres hatte, die hinauspilgerten, um sich durch irgend ein Wundertränkchen curiren zu lassen. Die Einnahmen waren gut und erweckten jedenfalls in den speculativen Köpfen des Maurer’schen Ehepaares die Idee, sie auf bequeme Weise noch reichlicher fließen zu machen. Vor etwa zwei Jahren verlautete es in der Gegend, daß Frau Jakobine Maurer hellsehend geworden und in diesem Zustande höherer Eingebungen theilhaftig sei. Mit einem weißen Gewande angethan, eine Krone von Goldpapier auf dem Haupte, erschien die neue Prophetin und that den staunenden Zuhörern, die sich in ihrem Hause einfanden, in somnambülem Zustande kund, welcher speciellen Erleuchtungen sie von Gott gewürdigt worden sei. Vor Allem behauptete sie, daß ihr allein es gegeben sei, die Bibel, an der sie streng festhalte, richtig zu erklären. In aller Stille gewann sie sich Anhänger und legte sich als „Christusin“, welchen Namen sie sich anmaßte, auch die entsprechenden Apostel zu.

Man lachte und ließ die Leute ihren Hokuspokus treiben, da keines der Landesgesetze dadurch direct verletzt wurde, welche Gesetze, nebenbei bemerkt, ohnehin nicht mit der nöthigen Energie gehandhabt werden. Einer polizeilichen Beachtung wurde die Secte – denn bis zu einer solchen hatten sich die der Prophetin anhängenden Bauern entwickelt – erst für werth gehalten, als größere Versammlungen religiösen Charakters in dem Maurer’schen Hause stattfanden und sich die andern deutschen Colonisten über diesen Unfug bei den Gerichten beschwerten und eifrigen Protest erhoben. Mehrmals verhaftete man Jakobinen, ihren Mann und verschiedene Anhänger; die Verhöre ergaben nicht den nöthigen Anhalt zu einem Criminalverfahren, sondern lieferten, in den Zeitungen veröffentlicht, den Lesern nur Stoff zu höchstem Staunen, wie durch den dort vorgebrachten Blödsinn sich Jemand Anhänger gewinnen könne, und zu herzlichem Lachen über die Art und Weise, wie die Engel, Christus und selbst der liebe Herrgott als zu der Erleuchteten redend eingeführt wurden, wobei sich die Himmlischen einer nichts weniger als erhabenen Sprache bedienten, sondern sich die seltsamsten gemeinen Ausdrücke in höchst unreinem Deutsch entschlüpfen ließen. Auch konnte man unschwer erkennen, daß die Beziehungen der Frau „Christusin“ zu ihren Aposteln keineswegs rein geistige waren, was aber, als in das Gebiet der Moral gehörig, nicht vor das Forum der Justiz zu ziehen war.

Diese religiösen Versammlungen wurden verboten, fanden aber nach wie vor statt. Erst nachdem ein Colonist, Namens Lehn, der mit dem Amte eines sogenannten Viertelsinspectors betraut war, sich wegen seines völlig gesetzlichen Einschreitens gegen eine solche verbotene Versammlung die Feindschaft der „Mucker“, wie sie nun allgemein in der Gegend genannt wurden, zugezogen hatte, begann das Treiben derselben einen verbrecherischen Anstrich zu nehmen. Der Viertelsinspector Lehn wurde eines Abends durch Klopfen an sein Haus aus seiner Wohnung gelockt und, als er an der Thür erschien, durch mehrere Schüsse verwundet. Der Verdacht fiel natürlich auf die Maurer’schen Anhänger, obgleich die erfolgte Untersuchung keine hinreichenden Beweise ergab. Doch mußten Maurer und Genossen einen sogenannten termo de bem viver unterzeichnen, einen gerichtlichen Act, in dem man sich verpflichtet, sich Nichts zu Schulden kommen zu lassen, und andernfalls einer Gefängnißstrafe von dreißig Tagen und einer Geldbuße von dreißig Milreis sich zu unterwerfen.

Die Polizei hielt indeß doch für nöthig, ein wachsames Auge auf die Sectirer zu haben, konnte aber des Reformgesetzes halber ein energisches, Verbrechen vorbeugendes Verfahren nicht einschlagen. Es mögen früher von Seiten der Polizeibeamten hier und da Uebergriffe und Amtsbefugnißüberschreitungen stattgefunden haben, weshalb die Staatsregierung vor mehreren Jahren dieses Reformgesetz erließ, das die Gewalt der Polizei in einer Weise einschränkt, die natürlich dem Verbrecher zu Gute kommt; so sind z. B. die Untergerichte nicht befugt, einen irgend eines Verbrechens fast bis zur Gewißheit verdächtigen Menschen gefangen zu nehmen, wenn sie ihn nicht auf frischer That erwischen; daß dies in den wenigsten Fällen stattfinden kann, ist klar, und selbst den Obergerichten sind daher die Hände sehr gebunden.

So konnten denn die Sectirer, man möchte sagen unter den Augen der Polizei, ein ganz ungewöhnliches Gebäude errichten, das durch seine Bauart den Verdacht wenig friedlicher Zwecke erregen mußte: einen gewölbten Bau, ohne Thür und Fenster, mit drei bis vier Fuß starken Sandsteinmauern und vielen Schießscharten versehen, dessen Eingang durch unterirdische Gänge vermittelt wird.

Das seltsame Tabernakel beherbergt die Prophetin mit Familie und dient zugleich als Kirche für den wundersamen Cultus. Ueber die specielleren Glaubenslehren der neuen Secte, die sich sowohl aus Protestanten wie aus Katholiken rekrutirt hat, ist man im Publicum wenig unterrichtet; doch haben Gefangene ausgesagt, daß man der Lehre von dem gemeinsamen Besitze der Frauen huldige. Gedenkt man außerdem des in’s Leben greifenden Bibelwortes: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen,“ so mag man seine Schlüsse über die Dogmen dieser Mucker ziehen. Als geheime Triebfeder des Ganzen wird mit Bestimmtheit der Expastor Klein genannt, der, nachdem er in Deutschland eine ziemlich gute Gymnasialbildung genossen, nach Nordamerika ging, wo er sich durch mehrere Excesse unmöglich machte, dann die Provinz Rio Grande mit seiner Gegenwart beglückte und auf die oben erwähnte Weise zum Pfarrer der „Achtundvierziger Colonie“ erwählt wurde. Frühere Artikel aus seiner Feder in amerikanischen Zeitungen ließen viele Begabung erkennen, die er freilich schändlich gemißbraucht hat. Ihre Lehre geheim zu halten, gehört auch zum Bestreben der Mucker, und um einen früheren Bekenner für seinen Abfall zu züchtigen und ungelegene Bekenntnisse zu verhindern, wurde das nächste Verbrechen, dem noch viele folgen sollten, begangen.

Einem fünfzehnjährigen Burschen, Namens Haubert, wurde, da sein Vormund der Secte angehörte und ihn in das Treiben mit hineinzog, von Gerichtswegen ein anderer Vormund in der Person eines ehrsamen Schneidermeisters in Sao Leopoldo bestellt, der ihn zu sich in die Lehre nahm. Der junge Mensch saß eines Abends noch am Schneidertische in einer Stube des Erdgeschosses, als durch das Fenster eine Kugel schlug und ihn mitten durch das Herz traf, so daß sein Tod augenblicklich erfolgte. Mehrere Individuen, der Secte angehörend, hatte man sich in der Nähe herumtreiben sehen; sie wurden auch verfolgt, entkamen aber unter dem Schutze der Dunkelheit in die Wälder, nachdem sie noch verschiedene Personen durch Schüsse verwundet.

Mehrere Wochen verstrichen, bis endlich die Schandthaten eine Ausdehnung annahmen, die Angst und Schrecken in den sonst so friedlichen Colonien verbreiteten, den Verkehr ganz unterbrachen und die Colonisten bewogen, selbst die nöthigsten Feldarbeiten einzustellen. Ein Colonist in Lomba Grande, Namens [645] Kassel, hatte sich von der Secte losgesagt oder war im Begriffe es zu thun, als am 12. Juni 1874 des Nachts seine Hunde heftig anzuschlagen begannen und er ein verdächtiges Umschleichen des Hauses wahrnahm. Von Furcht ergriffen, eilte er am folgenden Tage, den 13. Juni, nach Sao Leopoldo, um bei der Behörde um Schutz zu bitten, der ihm indeß nicht rechtzeitig werden konnte, denn schon in der Nacht auf den 14. Juni, als er sein Heim noch nicht wieder erreicht hatte, brach die entsetzliche Katastrophe über seine unglückliche Familie herein. Das Haus wurde angezündet und Alle, Frau und Kinder, wurden theils niedergemacht, theils lebendig in die Flammen geworfen; nur ein halberwachsener Knabe, obgleich auch durch mehrere Schüsse verwundet, entkam in das Dickicht und konnte einige der Mörder bezeichnen, unter ihnen seinen leiblichen Onkel.

Die Anhänger Jakobinens erklären frei und offen, daß sie jedem Befehle ihrer „Christusin“ blindlings folgen, auch wenn sie Blut fordert – und sie fordert es. Wie ein ungebildetes Weib von lockerem Lebenswandel – Jakobine kann kein Geschriebenes und nothdürftig Gedrucktes lesen – solchen Einfluß auf eine so große Anzahl von Männern, die sich auf die Zahl von etwa einhundertfünfzig beläuft, gewinnen konnte, ist ein psychologisches Räthsel, um so mehr, als ihre Anhänger fast durchgängig sehr wohlhabenden Familien angehören und früher allgemein als rechtschaffene fleißige Leute bekannt waren. Man fühlt sich dieser Thatsache gegenüber versucht, an eine Art von Wahnsinn zu glauben, wie er uns in den Blättern der Geschichte zuweilen entgegentritt, z. B. in den Mittheilungen aus der Zeit der furchtbaren Hexenprocesse.

Nach der Ermordung der Kassel’schen Familie eilte der Polizei-Chef, von Militär begleitet, nach den Colonien, wo es ihnen gelang, verschiedene Häupter der Secte gefangen zu nehmen, unter ihnen den oben erwähnten Expastor Klein, sowie den „Apostel Judas“, den Mörder des armen Schneiderlehrlings. Die Erbitterung der Bewohner war so groß, daß die Polizei die Uebelthäter vor der Wut des Volkes, das keine gelinde Justiz geübt haben würde, schützen mußte.

Aber nun sollte in der Nacht des 25. Juni 1874 erst der Hauptact der Tragödie sich abspielen. Die blutgierige Megäre Jakobine hatte alle ihr mißliebigen Personen, besonders auch solche, die der Secte abtrünnig oder eines Abfalls auch nur verdächtig waren, bezeichnet und den Auftrag gegeben, dieselben zu tödten. In der erwähnten Nacht machten sich mehrere Abtheilungen der Mucker auf, um in den verschiedenen Ansiedelungen den Mordbefehl zu vollziehen.

In einem der mit der Ausführung Betrauten mochte sich aber das von Fanatismus und Wahn übertäubte Gewissen doch geregt haben, wenigstens verfügte er sich nach Sao Leopoldo, wo er, Bekenntnisse ablegend, sich unter den Schutz der Polizei stellte, um nicht das Opfer seines Abfalls zu werden.

Diese Gewissensregung rettete Vieler Leben; denn so rasch wie möglich wurden nun die verschiedenen besiedelten Linien alarmirt, sodaß die Sectirer die Pässe von den Colonisten besetzt und sich in ihrem fürchterlichen Thun gehemmt fanden. Dennoch forderte jene Mordnacht noch zahlreiche Opfer. Brandraketen, vom würdigen Expastor Klein erfunden, wurden im „Leonerhof“ in dreizehn Gehöfte geschleudert, deren Bewohner größtentheils ihren Tod in den Flammen oder durch die verruchten Mörderhände fanden. Greisinnen, Säuglinge, Niemand ward verschont; selbst die Stimme der Natur schien durch den Fanatismus gänzlich erstickt, waren doch zwei Brüder Maurer’s mit ihren Familien unter den Gemordeten, und wurden doch auch ein Onkel und zwei Neffen Jakobinens, die auch nicht an die höhere Sendung ihrer Verwandten geglaubt, ebenfalls niedergemacht. Eine Frau Hofmeister starb in Sao Leopoldo an den Verletzungen, die ihr ihr Neffe beigebracht; ihre Tochter und zwei Enkel, von derselben ruchlosen Hand verwundet, schweben noch in Lebensgefahr. Ein gewisser Johann Sehn wählte seinen eigenen Bruder zum Opfer, indem er ihm den Leib aufschnitt, tödtete auch dessen achtzigjährige Schwiegermutter, dessen Frau und viele Kinder und äscherte schließlich das Haus ein. In Sapyranga wohnte in seinem Häuschen ein siebenzigjähriger Colonist mit seinem Sohne und einer erwachsenen Tochter, die Alle ein furchtbares Schicksal traf. Das Haus wurde angezündet und der alte Mann lebendig in seinem Bette verbrannt, während der Sohn, der oben schlief und sich durch einen Sprung durch’s Fenster nach einem Sumpfe rettete, von dort aus sah, wie die Ungeheuer seine Schwester ergriffen und ihr die Brüste abschnitten.

Auch in entfernteren Anstellungen wurden mehrere Personen ermordet, und in allen fühlten sich verschiedene bedroht, da die Mucker in unerhörter Frechheit mitunter ihre Opfer vor der ihnen nahenden Gefahr benachrichtigten. Die Stadt Sao Leopoldo fand für gerathen, die ganzen Nächte hindurch Patrouillen auszuschicken, und in Porto Alegre, wo die Mucker Feuer anzulegen versuchten, hielten die angesehensten Bewohner Nachts in den Straßen Wache, besonders vor dem Gefängniß, und die Beamten thaten in den Staatsgebäuden und Bureaux ein Gleiches.

Am Fuße eines steilen hohen Berges, des Ferrabraz, gedeckt durch diesen, sowie durch Sümpfe und schwer zu durchdringende Urwälder und nur zugänglich durch zwei schmale Waldwege, liegt das früher beschriebene festungsartige Gebäude, die Wohnung Maurer’s, in die sich die Sectirer nach der Mordnacht vom 25. Juni zurückgezogen haben, entschlossen und gerüstet, wie es scheint, einer Belagerung zu trotzen, da ungeheure Vorräthe von Lebensmitteln und Munition dort aufgehäuft liegen sollen. Etwa fünfzig Mucker sind in den Händen der Polizei, während verschiedene Frauen, die sich nicht mehr mit ihren Männern in der Muckerfeste vereinigen konnten, wieder ruhig im Besitze ihrer Häuser sind, nachdem sie einige Zeit von den andern Colonisten gefangen gehalten worden, wobei sich die Thatsache nicht verschweigen läßt, daß leider – auf wessen Anstiften, ist noch nicht hinreichend bekannt – von Seiten der anderen Colonisten Wiedervergeltung geübt und verschiedene den Anhängern Jakobinens gehörige Häuser in Brand gesteckt wurden.

Nach dem Eintreffen der Kunde von den furchtbaren Vorgängen eilte der Präsident der Provinz nach Sao Leopoldo, begleitet von so vielem Militair, wie gerade zur Verfügung stand, was freilich nicht viel war, etwa hundertzwanzig Mann Infanterie und siebenzehn Mann, um die zwei Kanonen zu bedienen, die man mitführte. Oberst Genuino, der sich im Paraguaykriege sehr ausgezeichnet, erhielt die Führung der Truppe, die sich am 28. Juni in Marsch setzte. Unbekannt mit dem sehr schwierigen Terrain, mußte sich der tapfere Oberst der Leitung mehrerer Bauern anvertrauen, die, obgleich des Weges kundig und dienstbereit, doch von der Gefahr, in die sie die braven Truppen brachten, indem sie dieselben in ein eingeschlossenes Terrain führten, nicht die entfernteste Ahnung hatten. So sahen sich denn die armen Soldaten in stockfinsterer Nacht in einem engen Waldwege plötzlich von vorne, in der rechten Flanke und im Rücken angegriffen und von einem Kugelregen überschüttet, den sie nicht mit Erfolg erwidern konnten, weil sie einestheils gar nicht wußten, wo der Feind verborgen war, anderntheils dieser aber von vorne durch das befestigte Gebäude und von der Seite durch das Dickicht des Urwaldes gedeckt wurde. In Kurzem waren ein Major, zwei Hauptleute und zweiunddreißig Mann todt oder schwer verwundet. Mit den größten Schwierigkeiten wurde der Rückzug begonnen und bis nach Campo Bom durchgeführt, wo die Truppen Posto faßten, um Verstärkung zu erwarten, die nach dem maßgebenden Urtheile Genuino’s, wenigstens fünfhundert bis sechshundert Mann mit sechs Stück Geschütz betragen muß, wenn der Sturm auf das Festungstabernakel erfolgreich begonnen werden soll. Die zwei Kanonen mußte man im Stiche lassen, da die von Sao Leopoldo mitgenommenen Pferde untauglich geworden waren und die Soldaten bei den wirklich grundlosen Urwaldswegen die Geschütze nicht selbst ziehen konnten.

Traurig ist es, daß die Provinz völlig außer Stand war, den Muckeraufstand augenblicklich niederzuschlagen; es fehlte nämlich im Arsenal an Munition, sowie an passenden Kanonen, so daß der Präsident sich veranlaßt sah, nach Rio de Janeiro zu telegraphiren und um Truppen und Geschütz mit passender Munition zu bitten. Soeben ist die Verstärkung in Porto Alegre gelandet, und mit höchster Spannung sieht man der Entwicklung des blutigen Dramas entgegen.

Ich beschränke mich für diesmal auf den vorstehenden Bericht, um später den Abschluß der Ereignisse, die noch manche interessante Enthüllungen verheißen, kurz zu schildern.

Valle do Paraiso, 10. Juli 1874.
C. S.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: registirt