Im Feldlager König Theodor’s von Abessinien

Textdaten
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Autor: M. Th. v. Heuglin
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Titel: Im Feldlager König Theodor’s von Abessinien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 697–699
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Im Feldlager König Theodor’s von Abessinien.
Von M. Th. v. Heuglin.


Als wenn in der politischen Welt des Zündstoffs aller Orten und Enden nicht schon sattsam angehäuft wäre, als wenn sie nicht genug hätte mit den Explosionen, die in Deutschland, an der Tiber, im Oriente drohen, hat sie sich neuerdings auch in Afrika, im fernen Quellgebiet des Nil, im alten Aethiopien noch eine kleine brennende Frage und Verwirrung hergerichtet. Dort in dem von der Natur mit wunderbaren Reizen ausgestatteten Abessinien oder Habesch herrscht bekanntlich seit dem Jahre 1855 der Negus oder König Theodor der Zweite über ein wenigstens dem Namen und der Form nach christliches Volk. Theodor ist ein vielfach tüchtiger und ausgezeichneter Mann, an Bildung und Cultur der Mehrzahl seiner Landsleute weit überlegen, der, obschon hauptsächlich Soldat und Eroberer, sich die Civilisation seiner Unterthanen ernstlich angelegen sein läßt, aber auch ein echter morgenländischer Despot und Tyrann, welcher keinen andern Willen neben sich duldet als den seinen und in seinen Herrscherlaunen auch vor Gewaltthat und Grausamkeit nicht zurückbebt. In einem solchen Tyrannengelüste ist es gewesen, daß er, im Allgemeinen den Europäern wohlwollend entgegenkommend und ihre Bildung achtend, neuerdings mehrere englische Reisende, darunter den Consul Cameron, gefangen nehmen ließ. Bitten und Vorstellungen, Drohungen und Protestationen, welche die britische Regierung an ihn gerichtet hat, um die Freilassung der Gefangenen zu bewirken, sind bis jetzt vergeblich gewesen, und so rüstet, wie man weiß, England im Augenblick unter dem Obercommando des General Sir Robert Napier eine Kriegsexpedition nach Abessinien aus, um mit Gewalt der Waffen den Negus zur Achtung des Völkerrechts zu zwingen und für seine Willkür gebührend zu züchtigen. Bei den zu überwindenden ungeheueren Terrain-, klimatischen und sonstigen Schwierigkeiten dürfte der Erfolg des Unternehmens freilich ein problematischer sein; umsomehr aber ziehen dasselbe und der kleine afrikanische Tyrann, der es veranlaßt, unsere Blicke auf sich. Auch die Leser der Gartenlaube werden daher gern etwas Weiteres über diesen äthiopischen König erfahren und mich gewiß mit Interesse auf dem Besuche begleiten, welchen ich ihm vor einigen Jahren abzustatten Gelegenheit hatte.

Schon auf meinen früheren Reisen in Afrika hatte ich seine intimere Bekanntschaft gemacht, und sowohl ich selbst wie von mir empfohlene Freunde waren von ihm mit echt morgenländischer Gastfreundschaft aufgenommen und behandelt worden. Mein zweiter Besuch jedoch, der, von dem ich erzählen will, fand unter besonders merkwürdigen Umständen statt; ich traf nämlich den König, seiner Einladung folgend, im Lager, inmitten seiner Armee, die auf einem Feldzuge gegen die südlichen Galaländer begriffen war. Die Reise dahin und ihre Beschwerden übergehe ich, nur bemerkend, daß unser Weg zum Theil durch die erhabensten, zum Theil durch paradiesische Berg- und Alpenlandschaften ging und unter der Führung des uns von Theodor entgegengesandten Officiers Rumha ausgeführt wurde. Nachdem wir uns in der Hauptstadt des äthiopischen Reiches, Gondar, mehrere Wochen aufgehalten hatten, stießen wir, d. h. Dr. H. Steudner, unsere kleine Karawane und ich, auf dem Hochplateau des Wololandes, am Fuße der mächtigen, oft weit herab mit Firn bedeckten Bergriesen des Kolo und Dschimba auf das Gros des königlichen Heeres, das eben Befehl erhalten hatte, sich nach Süden zu dirigiren.

Langsam nur können sich die mächtigen Heersäulen weiter bewegen. Es ist ein buntes Gewirr von eigentlichen Combattanten, von Dienern, Weibern, geistlichen Herren, Trägern, Reit- und Lastthieren, Gefangenen und Viehheerden. Auf flüchtigen Gebirgspferden jagt eine Abtheilung Schoaner Cavalerie an uns vorüber, die Reiter sind in dunkelbraune Wollmäntel gehüllt, an ihrer Seite hängt ein langes Dolchmesser, über die Schulter einige Wurflanzen, der runde Schild am Sattelknopf oder am linken Arm. Das Kopfgeschirr des Pferdes ist mit glänzenden und klingenden Metallplatten gepanzert und nur die große Zehe des kühnen Mannes der Berge ruht im ringförmigen Bügel. Klirrend folgen die Maulthiere einiger höherer Officiere im flüchtigen Paß. Ein fliegender Pelzmantel bedeckt die Schultern und das weiße Unterkleid mit breitem rothem Streif, der lange, krumme Säbel steckt auf der rechten Seite im Leibgurt. Die Herren sind umgeben von zahlreicher Dienerschaft, Waffenträgern, Lanzenmännern und Musketieren, Alle in raschem Tempo mittrabend.

Ein Troß Eunuchen bricht dort Bahn durch die an einer Fuhrt sich stauenden Massen für eine der Königinnen, deren Saumthier mit Silbergeschirr und Glöckchen behangen ist. Die schlanke Figur der Reiterin ist ganz in blauen, mit Gold gestickten Sammet gehüllt, über das Gesicht legt sich ein feiner tscherkessischer Schleier.

Jetzt begegnen wir dem koptischen Bischof, Abuna Salama, der trefflich beritten ist. Er trägt einen schwarzen Turban, eben solchen mit rothem Atlas ausgeschlagenen Burnus und hält sich immer auf Distanz von dem Troß der eingeborenen geistlichen Würdenträger, die in Unzahl vertreten sind. Ihr Oberhaupt ist der Etschege, der Vorstand des Asyls in Gondar und zugleich Beichtvater des Königs. Sein theures Haupt ist mit einem weißen Turban von ganz ungeheurer Größe umgeben und überdies noch geschützt durch einen nicht weniger imposanten bunten, indischen Sonnenschirm; die weiße Schama (Ueberkleid) hat Seine Eminenz bis über die Nase heraufgezogen. Ein obligater Schweif von Gaunergesichtern in Pfaffenkleiden, die übrigens alle einen feldmäßigen Teint angenommen, hat sich dem Etschege angeschlossen, Alegas und Vorstände geistlicher Orden, Schoaner Mönche, ganz in Leder gekleidet, amharische Klosterbrüder mit schwefelgelben, schmutzigen Mützen, Alle mit Fliegenwedel aus Pferdehaaren oder einem Kuhschweif bewaffnet.

Dann kommt ein Mönch zu Fuße, ein Glöcklein läutend, mit [698] einer langen Reihe von Trägern mit Tabot (Gesetztafeln Mosis, die in jeder abessinischen Kirche aufgestellt sind), in bunte Tücher gewickelt und auf vergoldeten indischen Fauteuils, nebst dem Kirchenhahn, bei dessen Morgenkrähen die Gebete zu beginnen haben.

Kranke und Verwundete, in ihre langen, weißen Oberkleider gehüllt, werden auf leichten Bahren aus Bambus getragen, Mütter schleppen ihre nackten Säuglinge auf den Rücken gebunden oder in Körben auf dem Kopfe nach. Eine große Anzahl gefangener Gala, den Hals in die Sclavengabel gezwängt, wird von Reisigen escortirt; dazwischen sieht man politische Verbrecher, gewöhnlich frei von Ketten und häufig sogar beritten; der Stumpf ihres unter Henkershand gefallenen Fußes oder Armes steckt in einem großen Hornbecher.

Die leichte Feldartillerie ist demontirt und wird durch Maulthiere und Träger weiter befördert.

Große Heerden von Rindvieh und Schafen, dem Feinde abgenommen, werden an den Gehängen zur Seite der Straße hingetrieben und weiden auf zertretenen Gerstenfluren und mageren Wiesengründen. Vier zahme Löwen des Königs folgen ganz frei dem Marstall; sie erfreuen sich reichlicher Kost, aber das Hochlandsklima mit seinen Hagelschauern behagt ihnen keineswegs; mürrisch und mit gesträubter Mähne trollt der König der heißen Tropenwälder seines Weges.

Der Vorhut folgt ein Lagerzelt von rothem Tuch. Das Aufheben oder Aufstellen desselben ist das Signal zum Abmarsch oder zum Lagern, seine Thür ist immer nach der Marschrichtung des folgenden Tages gelegen. In der unmittelbaren Nähe, auf dem rechten und linken Flügel des Centrums, sind die Königinnen, der Abun (Primas der abessinischen Kirche) und der Lagercommandant etablirt, ebenso wurde uns dort ein Ehrenplatz zugewiesen; das Kirchenzelt steht vor dem Lagerzelt. Jede Abtheilung kennt genau ihre Distanz und orientirt sich nach dem letzteren. Um die Lager der einzelnen Befehlshaber rangiren sich die Truppen in großen Reihen und Kreisen in kleine Godscho oder Hütten von Baumzweigen und Hochgras, welche verhältnißmäßig gut gegen Kälte und Regen schützen.

Am Mittag des 4. April 1862 trafen wir mit den Vorposten des königlichen Lagers, zu dem das Gros der Armee stoßen sollte, im District der Dschama-Gala zusammen. Die ziemlich von Baumschlag entblößte Hochebene war meilenweit bedeckt mit Zelten und Hütten, Heerden und Schlachtvieh, Pferden, Maulthieren und Eseln; über die ganze Fläche lagerten dichte Wolken von Rauch und Nebel. Unser Heer theilte sich in lange Colonnen, die nach links und rechts abmarschirten, um ihre festen Stellungen einzunehmen. Ein kleiner Hügel mit einigen Bäumen in der Mitte trug die Zelte des Königs, daneben standen Geschütze und ein weiter Cordon von Leibwachen. Dort weilte Theodor, umgeben von vielen Officieren und Geistlichen, und beobachtete durch das Fernrohr die Ankommenden. Erst gegen Abend hatten alle unsere eigenen Diener und Gepäck sich zusammengefunden und die Zelte wurden aufgeschlagen. Unser Führer Rumha war indeß zum König gegangen, um Rapport über seine Sendung abzustatten und unsere Ankunft anzuzeigen. Der vorgerückten Tageszeit wegen glaubten wir erst am folgenden Tage empfangen zu werden und saßen eben beim frugalen Abendessen, als einige Officiere mit Rumha hereinstürzten und meldeten, Se. Majestät erwarte uns.

In aller Eile war die nöthige Toilette gemacht, und unter Fackelbeleuchtung zogen mein Begleiter, Dr. Steudner, und ich, der schon längst in Diensten des Negus befindliche Maler Zander aus Dessau und Missionär Brunckhorst, die sich uns angeschlossen hatten, durch den Kreis der Leibgarden nach den königlichen Zelten. Dasjenige, in welchem wir empfangen wurden, ist wohl sechsunddreißig Schritte lang und besteht aus dickem, doppeltem Wollstoff; das Innere ist durch einen Vorhang in zwei Zimmer geschieden, drapirt mit bunten Stoffen und belegt mit türkischen Teppichen. Alles war mit Wachskerzen erleuchtet und Theodor saß gegenüber dem Haupteingang auf einem niedrigen Ruhebett; vor ihm stand ein kleines Tabouret, roth ausgeschlagen. Der Ceremonienmeister führt uns ein; wir bleiben unter der Thür stehen, bis uns der König grüßt und einladet näher zu treten und zu seiner Rechten Platz zu nehmen. Theodoros ist einfach und ganz nach Landessitte mit dem weißen Umhängtuch mit rother Borde (Schama) bekleidet; zu seiner Linken stehen sein Beichtvater, einige Prinzen, Hofchargen und Officiere. Er ist achtundvierzig Jahre alt, von etwas mehr als mittlerer Größe, schlank und kräftig gebaut; die feinen, scharfen Gesichtszüge zeigen ganz semitischen Typus, die Hautfarbe ist ein ziemlich dunkles Olivenbraun, die Stirn hoch und majestätisch, das Auge schwarz, feurig und doch ernst und würdevoll.

Die erste ceremonielle Unterredung wird geführt durch den „Sprecher“ (Af, d. h. wörtlich der Mund) des Königs in amharischer Sprache und mittels Dolmetscher. Dann reicht ein Mundschenk den Empfangstrunk, ein Krystallglas voll feinen Honigbranntwein, und zwar in Dosen, deren jede hinreicht ihren Mann vollständig zu decken. Darauf kreiste vortrefflicher Tesch (Honigwein), bis die Aufforderung zum Souper kam. Wir befanden uns bereits in der Zeit der Osterfasten und der Ceremonienmeister erkundigte sich, ob wir Fleischspeisen wünschten oder nach Landessitte mit einem Fastengericht vorlieb nehmen wollen. Ich erklärte, daß wir vorzögen, uns an die Landessitte zu halten, und alsbald erschien ein großer Korb mit rothem Tuch behangen und erfüllt mit feinen, weißen Brodkuchen von Tiéfmehl. In der Mitte dieses Meseb (Korb), der zugleich als Tisch dient, dampfte und qualmte eine Sauce von rothem Pfeffer und Erbsen. Ein ähnlicher Korb wurde den Gästen zur Linken des Königs zugeschoben, um den sich sein zweiter Sohn Maschescha, der Prinz Hailu Melekot von Schoa, Ras (Fürst) Engeda und der Lagercommandant Bascha-Negusie rangirten.

Wir waren speciell der Fürsorge eines Indiers, des Chefs der königlichen Artillerie, und Rumha’s empfohlen, rückten, nachdem Handwasser herumgereicht worden, unserem Korb mit unterschlagenen Beinen so nahe als möglich und begannen so das Mahl. Man bricht mit der Rechten ein Stück der Brodkuchen, mit der das ganze Innere des Meseb dick belegt ist, taucht ersteren in das höchst pikante Gemüse und verspeist den Bissen ohne dergleichen Instrumente wie Gabel und Löffel. Die Hofcavaliere haben noch die Obliegenheit, den Gästen tüchtig zuzusprechen und ihnen gehörige Brocken vorzulegen und in den Mund zu stopfen, und der malitiöse Rumha bediente meinen Gefährten, den armen Steudner, so gewandt und zuvorkommend mit Portionen rother Pfeffersauce, daß ihm bald der Schweiß von der Stirn und Thränen aus den Augen rannen.

Nach aufgehobener Tafel mußten wir uns unmittelbar neben den König placiren. Er unterhielt sich jetzt direct mit uns und zwar in arabischer Sprache, die er ziemlich fertig spricht, befragte mich nach den neuesten politischen Affairen in Europa, nach dem Suezcanal, nach meinen Erlebnissen in den neun Jahren, die wir uns nicht gesehen, bedauerte, daß ich ihm so selten geschrieben, und erinnerte sich noch lebhaft meines ersten Besuches bei ihm, im Feldlager in Djenda und am Tana-See, sowie meiner Aeußerung, daß ich ihn, den damaligen ziemlich unbedeutenden Fürsten Kasa, für den Mann halte, dem es beschieden sein werde ein großes Reich aus Aethiopien zu machen und alle seine Fürsten wieder unter seinen Scepter zu vereinigen. Wirklich theilnehmend erkundigte sich Theodor dann nach meinem treuen Diener und Gefährten Kaspar, der längere Zeit bei ihm zugebracht und später dem höllischen Klima des Sudan unterlegen war. Er machte mich endlich darauf aufmerksam, daß wir einst Brüderschaft getrunken und er dies nicht vergessen habe, obgleich das Schicksal ihm jetzt die Krone von Habesch aufgesetzt; Alles, was er Sein nenne, gehöre seinen Freunden und er wünsche, daß wir in allen Fällen und so lange wir im Lande, dergestalt seine Gäste bleiben und uns immer nur an ihn wenden möchten.

Ich fand das Aussehen des Königs allerdings frisch und kräftig, wie früher, aber das rast- und ruhelose Leben im Feldlager hat schon manche Falte in seine Stirn gegraben, nicht weniger als die bittern Erfahrungen, die der Mann im politischen und häuslichen Leben gemacht hat. Er ist Soldat mit Leib und Seele und kennt eigentlich von Jugend auf keinen festen Wohnsitz; in der Feldschlacht steht er immer an der Spitze seiner Truppen und excellirt als Reiter wie als ein trefflicher Schütze.

Ueber die staatlichen Einrichtungen und Verbesserungen, welche Theodor in Habesch eingeführt, kann ich wenig berichten, sie mögen auch nicht gerade belangreich sein, denn seit seiner Krönung zum Negus von Aethiopien im Jahr 1855 ist er beständig auf Eroberungszügen, welche den Zweck hatten, alle ehemaligen Theile des Reichs wieder zu gewinnen, namentlich Schoa und die von den Gala eroberten südlichen und östlichen Provinzen. Aber auch im Innern des Landes, wie in Tigrié und Godscham, tauchten [699] Rebellenhäuptlinge auf, theils auf eigene Faust, theils aufgehetzt durch die unzufriedene clericale Partei, Missionäre und anderen fremden Einfluß.

Der König hat indeß den Sclavenhandel abgeschafft, neue Gesetze erlassen, eine Heerstraße zwischen Gondar und Schoa anzulegen versucht und europäische Arbeiter zu sich berufen, um nützliche Einrichtungen, Gewerbe und Cultur einzuführen. Als Regent und Richter ist er äußerst consequent, gerecht, aber von unerbittlicher Strenge. Alle Regierungsgeschäfte gehen direct durch seine Hand. Alltäglich erscheinen schon lange vor Sonnenaufgang Bittsteller und Kläger vor dem Cordon der Garden, die seine Zelte umgeben, mit dem Rufe „Abet Abet“ und „Dschan-hoi Dschan-hoi“ (Höre uns, unser Herr!). Vom Lager aus antwortet der König, erhebt sich, leiht jedem Begehren sein Ohr, urtheilt und theilt Strafen, Gnaden und Gaben aus.[1] Er besitzt wenig, vertheilt vielmehr alle Beute und Revenuen an seine Freunde und Soldaten.

Ob die Geistlichkeit, die ihn in Schaaren umgiebt, einen großen Einfluß auf Theodoros ausübt, vermag ich nicht zu beurtheilen. Aeußerlich hält er streng an den Satzungen der Kirche, aus deren Mitte seine meisten politischen Gegner hervorgegangen sind, aber der Negus würde offenbar einen Fehlgriff thun, wenn er jetzt schon offen gegen das faule Pfaffenthum zu Felde ziehen wollte, gegen diesen Krebsschaden seines Reichs (ganz wie anderwärts auch. D. Red.), der jede nationale und geistige Entwickelung hemmt und nur Sittenlosigkeit und Obscurantismus befördert.

Die Verfassung des Landes ist eine unbeschränkt monarchische. Es besteht ein höchster Gerichtshof unter Vorsitz des Regenten. Die Richter sind angesehene Bürger, welche den Fila Negest, d. h. das Gesetzbuch, studirt haben. Es ist dies ein angeblich auf dem Concil zu Nicäa verfaßtes Werk, das in zwei Abschnitte, in das kanonische und in das bürgerliche Recht, zerfällt.

Die Dynastie Aethiopiens, wohl des ältesten aller christlichen Reiche, leitet ihren Ursprung vom König Salomo her. Die Negesta Asiab, (d. h. Königin des Ostens) Maketa, oder Königin von Saba, und der Sohn beider, Ebn Hakem, gelten als directe Vorfahren der erstern. Wir besitzen alte äthiopische Codices mit den Stammlisten der Familie. –

Nach Beendigung des oben geschilderten Besuchs zogen wir in später Nacht nach unseren Zelten zurück. Kaum waren wir dort angelangt, so überreichten einige Hofbeamte Namens des Negus ein großes Horn mit Honigbranntwein (Tesch) in Menge und eine Partie feiner in Schoa gefertigter Stoffe, zum Schutz gegen die rauhe Witterung. Am 6. April ertheilte uns seine Majestät eine förmliche Audienz. Auf dem erhabensten Punkt des Lagers war auf großen Teppichen ein mit Goldbrokat und Kaschmiren belegtes Ruhebett aufgeschlagen; dort saß der König, unbedeckten Hauptes, in einen mit Seidenstickerei bordirten Margef (Ueberkleid) gehüllt. Hinter ihm standen zwei Officiere mit großen Sonnenschirmen. Wir wurden eingeladen, Platz zu nehmen, und ich bat Seine Majestät einige Geschenke überreichen zu dürfen, welche durch unsere Diener getragen wurden. Diese bestanden hauptsächlich in Waffen und Teppichen, und der König sprach sich sehr anerkennend über die Auswahl derselben aus. Auf seine Frage, ob ich noch specielle Wünsche vorzutragen habe, erwiderte ich, daß ich mich nur verpflichtet fühle, Seiner Majestät meinen aufrichtigen Dank für das königliche Geleite und alle bei ihm genossene Gastfreundschaft zu sagen, und bitte, er möchte, da die Regenzeit mit Riesenschritten herannahe, uns in Gnaden entlassen und die Bewilligung zum Austritt aus Habesch ertheilen. Der König antwortete, daß dies bald geschehen werde; wir möchten, bis es Gelegenheit gebe, uns auf vom Feinde nicht mehr beunruhigtes Gebiet zu bringen, seine Gäste bleiben.

Am 10. April trat die ganze Armee den Rückmarsch aus Dschama-Gala an; das koptische Osterfest wurde in Woro Heimano gefeiert und wir am 25. April entlassen, reichlich mit Pferden und Maulthieren beschenkt, sowie mit Staatssattel, silbernem Schild und Handschuh belehnt. Ein anderer Officier nahm jetzt Rumha’s Stelle ein und geleitete uns bis zur Grenze von Galabat. Auf jeder Station hatte derselbe Futter für die vielen Reit- und Lastthiere und Schafe, Butter, Brode und Honigwein für uns in Empfang zu nehmen. Am 9. Juni erreichten wir Metemeh, den Hauptort von Galabat, wenige Tage später das ägyptische Gebiet der Provinz Gedaref und näherten uns somit wieder unserer europäischen Heimath.[2]




  1. Ueber die Rechtspflege des Königs erzählt man sich verschiedene pikante Geschichten. Als er das eroberte Reich wieder in den Friedenszustand versetzte, erließ er ein Edict, durch welches er Allen, die mitgekämpft hatten, gebot, die Waffen niederzulegen und wieder zu dem Gewerbe ihrer Väter zurückzukehren. Kurz nach Veröffentlichung des Edicts meldete sich eine Bande unverbesserlicher Straßenräuber aus Chasba bei ihm, welche ebenfalls auf Grund dieses Erlasses das Recht, zu dem Gewerbe ihrer Väter zurückzukehren, reclamirte.

    „Und was waren denn Eure Väter?“ frug der König arglos.

    „Straßenräuber,“ entgegneten frech die Bittsteller.

    Theodor sagte ihnen, sie würden besser thun, Ackerbau und Viehzucht zu treiben, wie die meisten ihrer Landsleute, er wolle ihnen dazu Pflüge und Ochsen geben; die Banditen pochten jedoch auf das Edict und gingen nicht davon ab.

    „Nun gut, so thut, was Ihr nicht lassen könnt, bleibt bei dem Gewerbe Eurer Väter,“ sprach der König und verabschiedete die Leute.

    Diese kehrten triumphirend in ihre Heimath zurück und freuten sich, daß sie ihrer Meinung nach den Negus eingeschüchtert hätten; sie waren aber noch nicht weit gekommen, als sie von einem Trupp Reiterei eingeholt und niedergesäbelt wurden, während der Anführer des Trupps ihnen zurief: „Da Ihr bei dem Gewerbe Eurer Väter bleiben wollt, so wollen auch wir dies thun, denn unsere Väter waren schon von König Lalibela dazu angestellt, das Land von Räubern zu befreien.“ –

    Die Familie eines Ermordeten hat in Abessinien das Recht, den Mörder wieder umzubringen, begnügt sich indessen gewöhnlich mit einer Entschädigung in Geld; kann der Schuldige diese nicht bezahlen, so sammelt er öffentlich, von dem Oberhaupt der Familie des Ermordeten begleitet, so lange, bis er die zur Erkaufung seines Lebens nothwendige Summe beisammen hat.

    Eines Tages wurde ein Soldat vor den König Theodor geführt, welcher zwei reisende Kaufleute ermordet hatte.

    „Warum hast Du diese Leute getödtet?“ frug der Negus.

    „Ich hatte Hunger.“

    „Konntest Du ihnen denn nicht blos das zur Stillung Deines Hungers Erforderliche wegnehmen und sie weiterziehen lassen?“

    „Wenn ich sie nicht getödtet hätte,“ entgegnete naiv der Soldat, „so würden sie ihr Hab und Gut vertheidigt haben.“

    Der über diesen Cynismus empörte König ließ dem Missethäter sofort beide Hände abhauen und auf einer Schüssel vorsetzen, indem er rief: „Du hattest ja Hunger, so iß jetzt!“ –

    Als eines Curiosums sei noch eines Zuges gedacht. Nach dem Tode des Prinzgemahls von England benahm sich König Theodor ganz eigenthümlich naiv, indem er eine Gesandtschaft an die verwittwete Königin Victoria schickte und um deren Hand anhalten ließ. Wer weiß, ob sein jetziges Benehmen gegen die Engländer, die Ursache des gegenwärtigen Krieges, nicht zum Theil wenigstens eine Folge des damals erhaltenen Korbes gewesen ist! Wäre die Königin nicht so tief in ihren Schmerz versenkt gewesen, sie hätte sicherlich herzlich über diesen Antrag lachen müssen; ihre Unterthanen haben sich desto mehr darüber amüsirt.
    … r.
  2. Wir sind dem Verfasser für seinen interessanten Artikel zu besonderem Danke verpflichtet; im Uebrigen verweisen wir auf sein binnen Kurzem (bei H. Costenoble in Jena) erscheinendes Werk: „Reise nach Abessinien, den Gala-Ländern, Ost-Sudan und Chartum in den Jahren 1861 und 1862“, das, mit zehn Illustrationen in Farbendruck und Holzschnitten nach J. M. Bernatz geschmückt, die Erlebnisse und die wissenschaftlichen Resultate seiner Reise in Ostafrika behandelt und allen Freunden ethnologischen Wissens angelegentlich empfohlen sei.
    D. Red.