Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Gegen heilkünstelnde Laien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 158–158
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[158]
Gegen heilkünstelnde Laien.
Herr Arthur Lutze in Cöthen und Frau Graf in Schleiz.

Geheimmittel, populär-medizinische Schriften über gewisse Krankheiten und heilkünstelnde Laien bilden ein Kleeblatt, welches heutzutage zur Schande des Menschenverstandes, üppig wuchert und von Kranken leider nur zu gern gesucht wird. Daß Kranke bei der Behandlung mit Geheimmitteln und von Kurir-Laien, sowie bei Beobachtung der in populär-medicinischen Schriften gegebenen Verordnungen nicht selten gesund werden, ist durchaus kein Grund, jenes Kleeblatt nicht zu verdammen, denn jene Kranken sind nicht durch, sondern trotz dieser Behandlung wieder zur Gesundheit gelangt und konnten dabei recht leicht unverbesserlichen Schaden an ihrer Gesundheit nehmen. Man wolle doch niemals vergessen, daß unser Organismus von Natur so eingerichtet ist, daß Veränderungen in der Ernährung und Beschaffenheit der festen oder flüssigen Körperbestandtheile (d. s. die Krankheiten) solche Processe nach sich ziehen, durch welche jene Veränderungen entweder vollkommen, bald später bald langsamer gehoben werden (d.s. die Naturheilungsprocesse), oder welche wohl auch bleibende, mehr oder weniger beschwerliche Entartungen, ja selbst Absterben des erkrankten Theiles oder des ganzen Körpers veranlassen. Stets sind es die Naturheilungsprocesse, welche Kranken, die irgend eine Charlatanerie gegen ihr Leiden anwendeten, zur Gesundheit verhalfen, niemals jene Charlatanerien.

Fragt man, was mögen wohl Leidende, die mündlich oder schriftlich einen mit oder ohne Erlaubniß kurirenden Laien (wie: einen Magnetiseur, eine junge Somnambüle oder eine alte Bauersfrau, einen Schäfer oder Hufschmied, einen Abdecker und dergl. Leute) um ärztlichen Rath angingen, vorher ehe sie dies thaten, gedacht haben? – wenn sie nämlich wirklich denken – so kann man zur Ehre ihres Verstandes nur antworten: „Nichts!“ Denn hätte nur Einer von ihnen vernünftig gedacht und hätte sich nicht gedankenlos vom Strome abergläubischer Patienten fortreißen lassen, so hätte er doch sicherlich zuerst folgende Fragen an seinen Verstand gestellt und beantwortet: wie kommen wohl solche unwissenschaftliche Heilkünstler und gerade diese zum richtigen Erkennen der Krankheit (nicht selten ohne den Kranken gesehen und untersucht zu haben), welche dich heimsucht? Wie und warum sind sie wohl in den Besitz von Heilmitteln und Kräften gelangt, die sogar der Wissenschaft unbekannt und unzugänglich geblieben sein sollen? Wie ist es nur möglich, daß ein oder einige wenige Heilmittel, deren sich gewöhnlich die Kurir-Laien bedienen und die längst bekannt, sogar als unwirksam erkannt sind, so viele und verschiedenartige Krankheiten zu heben im Stande sind? Ohne alle Ueberlegung, und dies ist eben eine Gewissenlosigkeit, geben die meisten Kranken ihren Körper Charlatanen preis, ja lassen sich sogar lange Zeit von diesen an der Nase herumführen, ohne die Versprechungen und Verordnungen derselben satt zu bekommen, während sie ihrem Arzte doch nach kurzer Zeit schon mißtrauen. Und worauf beruht denn das große Vertrauen, was Charlatanen geschenkt wird? Theils aus der anscheinend glücklichen Behandlung von einigen Leidenden, die aber auch von selbst gesund geworden wären, theils auf erdichteten und erkauften Zeugnissen und Danksagungen Geheilter, welche in die Welt hinausposaunt werden, während die vielen mißglückten Kuren deshalb unbekannt bleiben, weil nichtgeheilte Kranke sich ihrer Charlatankur schämen und darüber schweigen.

Es ist übrigens ein sehr trauriges Zeichen unserer Zeit, daß in der Heilkunst Wundersucht, Aberglaube und Charlatanerie immer mehr zunehmen und ihr blödsinniges Haupt immer kecker erheben, denn es lehrt die Geschichte, daß wenn dies geschah, auch die wahre Bildung den Krebsgang ging. Um so trauriger ist diese Erscheinung aber, wenn medicinischer Aberglaube und Charlatanerie von Hochgestellten begünstigt, ja sogar sanctionirt werden. Denn abgesehen davon, daß dadurch bestehenden Gesetzen entgegen die Aerzte, welche doch viel Zeit und Geld auf die Erlernung ihrer Wissenschaft und auf die Erwerbung der Erlaubniß zum Practiciren verwenden mußten, benachtheiligt werden, so wird auch der Verdummung Thür und Thor geöffnet, sowie mancher arme Kranke unnützer Weise um sein Geld, wenn nicht gar um seine Gesundheit gebracht. So habe ich es auch immer für einen großen Widerspruch angesehen, wenn man auf der einen Seite große Summen Geldes auf die Errichtung und Unterhaltung medicinischer Lehranstalten verwendet, sowie Doctor- und Staatsexamina streng wissenschaftlich einrichtet, während man auf der andern Seite Aerzte duldet, die einer Heilmethode anhängen, welche ganz unwissenschaftlich und von Jedermann ohne alle Vorkenntnisse sehr bald zu erlernen, alle jenen kostspieligen Einrichtungen überflüssig macht, da jene Heilkunst ja nur im Aussuchen von Heilmitteln [159] gegen einige (subjective und functionelle) Krankheitserscheinungen besteht, wozu medicinische Kenntnisse nicht gebraucht werden. Eine solche Heilmethode ist nun aber die Homöopathie, welche sicherlich längst als unwissenschaftlich und gefährlich verboten worden wäre, wenn die Wissenschaft (nicht etwa die Aerzte und Laien) über sie zu Gericht hätte sitzen dürfen und wenn sich dieselbe nicht der Protection einflußreicher Laien zu erfreuen hätte. Entweder – oder! Entweder man gebe allgemeine Kurirfreiheit oder dulde nur solche Heilkünstler, welche auf der Höhe der Wissenschaft stehen. – Beleuchten wir jetzt einige von den absonderlich heilmächtigen Laien, die eben in der Mode sind. Unter ihnen steht oben an

Herr Arthur Lutze,

ein geborner Berliner mit hervorragendem Organ des Religionssinnes (wie der Biograph Lutze´s, Herr Ebeling, berichtet) und mit der Erlaubniß in Cöthen, auch ohne die gesetzlichen Staatsprüfungen gemacht zu haben, practiciren zu dürfen (trotz der öfteren Vorstellungen der benachtheiligten dasigen Aerzte), übrigens ehemaliger Postsecretär und homöopathischer Heilkünstler (durch Privatstudium im Hering’schen Hausarzte) mit dem Motto: „wie glücklich wären die armen Leidenden, wenn jeder formell geprüfte und approbirte Arzt nur halb so viel heilen könnte, wie ich“; sonst auch noch Dichter, sowie Besitzer eines in Jena gekauften Doctordiploms und Inhaber einer Heilkraft (eine Gottesgabe nennt sie Herr Lutze), welche man, wie er selbst sagt, nicht durch Studiren erlernen und nicht mit der Vernunft begreifen kann.- Diese Gabe beruht auf dem Glauben und Willen und ist der Lebensmagnetismus. Wenn Herr Arthur Lutze den festen Willen hat (dies sind seine eigenen Worte), seinem leidenden Bruder (Schwester?) zu helfen, so mag er (nämlich Herr Arthur) thun was er will d. h. die Hand auflegen oder mit derselben einen Strich machen, oder sie nur ausstrecken, oder hauchen, oder nur ein Wort sprechen – und der Schmerz wird schweigen und das Leiden ein Ende nehmen. Wenn er nicht hilft (was übrigens sehr oft vorkommt), so ist er (nämlich Herr Lutze) schwach im Glauben oder im Willen gewesen, oder er hat empfunden, daß er in diesem Falle nicht helfen durfte, was kräftig magnetische Menschen deutlich wahrnehmen, als würde es ihnen auf unsichtbarem Wege zugeflüstert. – Zu den Erscheinungen der lebensmagnetischen Kraft des Herrn Lutze gehört auch, daß sich dieselbe auf Wasser, Zuckerpulver, homöopathische Streukügelchen u. s. w. übertragen läßt und daher kommt es denn, daß die von Lutze’s Hand durch mindestens 50 Schüttelschläge bereiteten, decillionfach verdünnten homöopathischen Arzneimittel in den von Herrn Lutze verkauften Hausapotheken (mit 135 Mitteln für 2 und mit 60 Mitteln für 1 Louisdor, mit 80 Mitteln für 7 Thaler und 40 Mitteln für 21/2 Thaler) weit wirksamer als die der andern Homöopathen sein sollen. Die Wirksamkeit ist hier so erhöht, daß wo andere Homöopathen 3, 4 und mehr Körnchen nehmen, Herr Lutze aus seiner Apotheke nie mehr als eins auf einmal nimmt und bei chronischen Uebeln (wie Blindheit, Taubheit, Lähmung, Rückgraths- und Knochenverkrümmungen etc.) nie vor 2, oft erst nach 4 und 5 Monaten ein zweites Korn zu geben braucht (nach dem Gesetze „des Nachwirkenlassens“). Darum lerne auch Jeder, der durch Herrn Lutze gesund werden will, vor allen Dingen Geduld; so predigt derselbe Herr Lutze, welcher, – trotzdem daß nach ihm „die Arznei nur den Anstoß zur Heilung gibt, die Naturkraft aber die Heilung vollendet“ – angeblich die ältesten Uebel durch einmaliges Anhauchen oder durch ein einziges Streukügelchen sofort hob. Daß Herrn Lutze´s Hausapotheken nach ihrem Preise eine so verschiedene Anzahl von Arzneimitteln enthalten und nicht alle Apotheken dieselben Mittel nur in verschiedener Quantität, ist sehr auffällig, denn entweder kann man mit den billigen Apotheken nicht alle Krankheitszustände kuriren oder in den theuren Apotheken sind überflüssige Mittel.

Halten wir nun eine Blumenlese in Herrn Arthur Lutze’s Schriften, welche sehr zahlreich und bei Herrn Lutze selbst zu kaufen sind, übrigens so ziemlich alle ganz dieselben paar Merkwürdigkeiten und Geschichten von Wunderkuren enthalten. – Am interessantesten erschien mir, daß einige der Lutze´schen homöopathischen Mittel vorzugsweise auf die rechte, andere auf die linke Körperhälfte wirken, und daß Herr Lutze „Denjenigen, welche ihren Kindern durch das Pockeneinimpfen nicht schädliche Stoffe (Skrofeln, Flechten, Schärfen aller Art) einimpfen lassen wollen“, den Rath ertheilt, dem Kinde das in seiner Hausapotheke vorräthige „Variolin“ (welches nicht blos das Impfen ersetzt, sondern auch den Verlauf der Pockenkrankheit überraschend schnell und günstig macht) innerlich zu geben, obschon er selbst ganz zu derselben Zeit, wo er diesen Rath ertheilt, in der Anhalt-Cöthenschen Zeitung (November 1851) durch eine großgedruckte Anzeige Arme zur unentgeltlichen Schutzpockenimpfung zu sich einladet. Warum will wohl Herr Lutze Armen, die seine Hausapotheke mit dem Variolin nicht kaufen können, Schärfen aller Art einimpfen? – Bewunderungswürdig war die Wirkung des Arthur-Lutze´schen Lebensmagnetisinus in folgenden Fällen: Einem 41jährigen Webermeister, welcher noch nie im Stande gewesen war, die Farben zu unterscheiden, hauchte Herr Lutze in beide Augen und sogleich konnte der erstaunte Mann die Farbenpracht der vor dem Hause blühenden Georginen erkennen, sowie Roth, Blau und Grün unterscheiden. – Eine 28jährige Frau mit großer Schwäche, die sich vor 4 Jahren dermaßen verhoben hatte, daß sie nur völlig zusammen gekrümmt gehen und liegen konnte, machte Herr Dr. Lutze durch wenige Striche mit seiner Hand über Rücken und Brust nach wenigen Minuten nicht blos ganz gerade, sondern auch kräftig. – Einen Mann, der sich auf der Straße eben den Fuß verrenkt hatte und nicht gehen konnte, heilte Herr Dr. Lutze durch bloßen Zuruf. – Ein Geistlicher, der an Taubheit litt, wurde bei 40 Meilen Entfernung in der Stunde, hörend, als Herr Dr. Lutze die Kraft seines Willens dahin sandte. – Nicht weniger heilkräftig und erstaunenswerth sind die Wirkungen der Lutze´schen magnetisirten homöopathischen Hochpotenzen (der 30fachen d. i. decillionfachen Verdünnungen) über die sich die meisten andern Homöopathen, aber ganz mit Unrecht lustig machen. Durch sie heilte Lutze frische und alte, von allopathischen Aerzten nicht zu heilende oder früher „allopathisch-verschmierte“ Uebel in weit kürzerer Zeit, als irgend ein anderer homöopathischer Heilkünstler, und man braucht sich deshalb nicht darüber aufzuhalten, wenn sich Herr Lutze mit Herrn Dr. Hahnemann, dem Entdecker des Alkali Pneum und Wiederauferwerker der von Descartes vor etwa 250 Jahren entdeckten Homöopathie[1] vergleicht und schreibt: „weil wir Beide (nämlich Herr Lutze und Herr Hahnemann) eine neue Heilmethode, respective entdeckt, vervollkommt und mit Erfolg ausgeübt haben, über welche Aerzte alter Schule als Nicht-Sachverständige nicht urtheilen, geschweige denn richten können, u. s. f.“

Von der enormen Wirkung der Lutze’schen Hochpotenzen mögen folgende Fälle Zeugniß ablegen: Einen 44jährigen Strumpfwirkermeister, welcher seit 14 Jahren an Knochenfraß des linken Beines so litt, daß dieses Bein 11/2 Zoll kürzer als das rechte geworden war und Patient stark hinkte, machte Lutze im Wege der Correspondenz (durch Schwefel und China X) in wenig Wochen vollständig gesund und beide Beine gleich lang, nachdem sich dieselben auffallend gereckt und gestreckt hatten. – Einem 4tägigen Kinde mit heftigen Krämpfen und Blutbrechen drückte Lutze ein Streukügelchen mit China zwischen die Lippen und sogleich hörten die Krämpfe auf und kamen nie wieder. – Ein sehr schmerzhafter seit 1 Stunde eingeklemmter Bruch bei einem 76jährigen Mann, der seinen Geist aufzugeben drohte, ging nach 35 Minuten dadurch zurück, daß Lutze einige Körnchen in ein Glas Wasser that und alle halbe Stunden einen Theelöffel voll davon nehmen ließ. –– Eine Frau, welche 17 Jahre den Wein- und Lachkrampf und seit 7 Jahren das Zittern aller Glieder hatte, wurde durch Riechen an die homöopathische Arznei vollständig geheilt, nachdem der Krampf die ersten 3 Tage nochmals sehr stark aufgetreten war. – Wie epileptische Krämpfe nach der ersten homöopathischen Gabe wegblieben; Krebsgeschwüre in wenig Wochen zuheilten; seit Jahren Taube (selbst Taubstumme) und Blinde in kurzer Zeit ihre Sinne wieder ganz gut gebrauchen konnten; wie ausgerenkte Hüften, hohe Schultern, Rückgrathskrümmungen und krumme Beine, Wassersuchten, Lähmungen nach Schlagfluß, Geschwülste u. s. w. [160] durch eine oder einige Gaben von Lutze’schen Hochpotenzen wie weggeblasen wurden, mag Jeder selbst in Lutze’s Schriften nachlesen. Auch wird man hier ganz naiv und ernsthaft erzählt finden, wie unarzneiliche Zuckerpulver Wunder verrichteten, allerdings nachdem viele Monate vorher ein Korn Sulphur X oder ein anderes Nichts mit Milchzucker gereicht worden war. – Nur die beiden im Leipziger Hospitale behandelten und von Herrn Arthur Lutze sattsam ausposaunten Fälle, wo Kranke, denen die Amputation ihres Fußes wegen eines Knochenleidens vorgeschlagen worden war, während (aber nicht in Folge) der Lutze’schen Behandlung allmälig gesundeten, mögen noch kurz beleuchtet werden. Wie früher (Gartenlaube 1855 Nr. 46) erwähnt wurde, werden gewisse Knochenleiden, auch wenn sie in den allermeisten Fällen durch Abzehrung und Eitervergiftung des Blutes zum Tode führen, doch bisweilen von der Natur geheilt. Da nun aber früher auf derartig Geheilte eine große Menge solcher Gestorbener kamen, bei denen man die Naturheilung erzielen wollte, da ferner durch die Amputation den meisten Kranken das Leben erhalten wurde, so ist es doch wahrlich die Pflicht jedes gewissenhaften und wissenschaftlich gebildeten Arztes bei derartigen Knochenleiden dem Patienten die Amputation vorzuschlagen; läßt sich dann Patient nicht amputiren und wird später doch noch und zwar unter der Hand irgend eines Heilkünstlers gesund (nämlich durch den Naturheilungsproceß), so wird darüber in der Regel ein großes Geschrei erhoben, welches in der That nur die Unwissenheit der Schreier, nicht aber die Heilmacht des Heilkünstlers bekundet. Und so verhält es sich überhaupt mit jeder andern scheinbaren Heilung durch einen kurirenden Laien.

Schließlich wollen wir noch berichten, daß die Königliche Polizei-Direktion in Potsdam in einem Berichte an den Magistrat zu Cöthen (vom 18. Aug. 1846) und an die herzogl. Anhalt. Medicinal-Commission (vom 8. Juli 1850) über Herrn Arthur Lutze schrieb: „daß wo derselbe in einzelnen Fällen sich der Heilung bedeutender Uebel öffentlich gerühmt habe und in seinen Schriften noch rühme, das Gegentheil davon bekannt worden sei.“ Aus dem Gesagten und fast wörtlich aus den Lutze’schen Werken entnommenen mögen sich die Leser nun selbst ihr Urtheil über Herrn Arthur Lutze bilden. — An Herrn Lutze reiht sich

Frau Graf in Schleiz,

oder um sogleich mit wenig Worten auch die geniale Heilmethode dieser Heilkünstlerin anzudeuten „die Frau Purgirheilkünstlerin Graf“; denn fast in jedem Recepte, von denen der Verfasser einen Haufen vor sich liegen hat, finden sich neben Sassaparille und Sassafraß abführende Stoffe (besonders Rhabarber, Sennesblätter und Manna). Diese Heilkünstlerin, eine wohlhäbige Müllerin aus Weberstädt gebürtig und von den preußischen Behörden ihrer Wunderkurirerei wegen nicht geduldet, scheint wie Herr Lutze ein mit übernatürlichen Kräften begabtes Wesen zu sein, denn wie sie schon durch das bloße Betrachten des übersendeten Urins der Patienten, die sie weder zu sehen noch zu untersuchen braucht, das Alter, Geschlecht, körperliche und geistige Verhalten derselben erräth, so erräth sie als Clairvointe die jedem Kranken dienlichen Heilmittel, welche nicht wie bei Herrn Lutze in homöopathischen Nichtsen, sondern bald in stark laxirenden Abkochungen von ganz gemeinen Kräutern und Wurzeln (die man jetzt von einem wirklichen Schleizer Doctor, der Assistentenstelle bei Frau Graf vertritt, auch in’s Lateinische übersetzt erhalten kann), bald in Bädern von Schafgarbe, Heusaamen u. dergl. bestehen. Die ganz einseitigen Vorschriften dazu stammen ohne Zweifel aus einem alten Receptbuche oder Rathgeber bei Krankheiten von Pferden und Rindvieh. Zum Beweise möge folgendes Recept dienen, welches Frau Graf einer zarten, brustkranken Frau in folgender Weise verschrieb: „1 Flasche alten Rheinwein, 1 Loth Carachen, 1 Loth Myrrhen, 1 Loth Sassaparille, 1 Loth Sassafraß, 1 Loth geschnittenes Süßholz, ½ Loth Rhabarber, ½ Loth Bittersüß, ½ Loth getrockneten Waldmeister (oder ein Händchen frischen dergl.), ½ Loth Tausendgüldenkraut, 1 Loth Stahlpulver und 1 Quentchen Safran. Vorstehende Species werden in dem Weine 24 Stunden lang, nicht zu warm ziehen gelassen und dann abgegossen, um davon stündlich einen Löffel zu nehmen. Dazu wird Morgens und Abends 1 Tasse Holzthee getrunken, wovon man 1 Loth in einem Nösel Wasser bis zu 2 Tassen einkocht.“ Derselben Patientin sendete Frau Graf, nach Besichtigung des Urins und gegen Entnahme von 1 Thlr. 15 Ngr., per Post folgendes Recept: „Sennesblätter, Rhabarber, Manna, Sassafraß jedes 1 Loth mit 3 Nösel bis zu 2 und ½ eingekocht; stündlich 1 Eßlöffel.“

Wir könnten spaßhafte und belehrende Geschichten aus dem Heilkünstlerleben der Frau Graf eine Menge erzählen, aber die Feder sträubt sich dagegen, denn es stimmt uns zu traurig und ärgerlich, wenn wir sogar gebildete Patienten, die sonst wirklich tüchtigen Menschenverstand zu besitzen schienen, zu einer ungebildeten Frau wallfahrten sehen, deren ganze Heilkunst blos im Abführen- und Badenlassen besteht und welche alle Uebel ganz über denselben Leisten und aus einem Topfe behandelt, höchstens mit diesem oder jenem Kraute wechselnd. — Darüber, daß die verehlichte Graf aus Weberstädt bei Langensalza, trotz der Protestationen der Aerzte und der Wissenschaft auf Lebenszeit die Concession erhalten hat, im ganzen reußischen Lande Kranke zu behandeln und einen Handel zu treiben mit selbstbereiteten Geheimmitteln (Choleratropfen, Flußtropfen, Augentinctur), kurz Rechte auszuüben, die keinem geprüften Arzte zustehen, darüber behalten wir unsere Gedanken für uns. Aber für eine gewissenlose und gefährliche Person erklärt, trotz dieser Concession, der Unterzeichnete die Frau Graf doch, und zwar hauptsächlich in Bezug auf ihre Behandlung der Augenleiden, die vorzugsweise im Einblasen von Alaunpulver in das Auge besteht. Mehrere mir bekannte Augenkranke, die durch eine Operation später wieder sehend hätten werden können, sind durch diese Behandlung der im reußischen Lande privilegirten Frau Graf unheilbar

erblindet.
Bock.

  1. In der den Werken des französischen Schriftstellers de Saint Evremont vorstehenden Lebensbeschreibung desselben von des Maizeaux, Ausgabe vom Jahre 1753 S. 60., erzählt Letzterer, daß der französische Philosoph Descartes, gestorben 1650, gelehrt habe „man solle bei Krankheiten Mittel anwenden, die ähnliche Krankheiten zu erzeugen vermöchten (les semblables se guérissent par les semblabes).“ Descartes starb auch gewissermaßen als Märtyrer dieser seiner Ansicht, indem er bei seinem Aufenthalt in Schweden ein heftiges Fieber, von welchem er befallen war, mit Branntwein kuriren wollte.