Fünf Festreden der Gesellschaft für innere Mission/Über die Wirksamkeit der Gesellschaft durch Colonisation
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Dein ewge Treu und Gnade,
O Vater, weiß und sieht,
Was gut sei oder schade
Dem sterblichen Geblüt;
Und was Du dann erlesen,
Das treibst Du, starker Held,
Und bringst zum Stand und Wesen,
Was Deinem Rath gefällt.
Indes ist allerdings die gegenwärtige deutsche Wanderung etwas anderes, als jene früheren Wanderungen. Jene waren Völkerwanderungen, Wanderungen von Stämmen, oder man rief die frische Jugend auf, in hellem Hauf sich eine neue Heimat zu suchen, wo sie wachsen und sich ausbreiten konnten. Jetzt ist es anders. Einzelne von verschiedenen Stämmen gehen aus, andere einzelne folgen; Gemeinsinn ist nirgends vorhanden, auch nicht in der Auswanderung. Tropfenweise finden sich in den Hafenstädten Flüße und Ströme der Auswanderung zusammen: die Zahl der Gehenden ist Legion, der Zahl der alten wandernden Stämme vergleichbar. Aber wie sie diesseits im Hafenort zusammenfließen, so fließen sie im Hafen jenseits des Meeres wieder auseinander. Ein jeder wagt die Auswanderung auf eigne Faust – seine persönlichen, keine gemeinsamen, großen Zwecke verfolgt der Auswanderer.
Vielleicht ließe sich eine größere Aehnlichkeit zwischen unsern Auswanderungen und den Kolonien der alten Welt nachweisen, wenigstens insofern, als auch bei jenen Kolonien mehr der freie Wille des Einzelnen in die Betrachtung kam. Jeden Falls aber können auch die Colonien der alten Welt uns einen Beitrag zur Bestätigung des Satzes geben, daß Auswanderung nichts so Abnormes sei, als der spiesbürgerliche Sinn des Binnenländers gerne annimmt. Alle bedeutenderen alten Völker haben| colonisiert, die Phönicier, die Griechen, die Römer, – und nicht das geringste, sondern vielleicht das gesuchteste Colonisationsvolk waren gerade die Juden, deren Colonien ohne Zahl über den ganzen Erdboden verbreitet waren und den Aposteln und Evangelisten die erwünschtesten Anknüpfungspunkte auch für die Mission unter den Heiden boten.Wenn uns nun dergleichen Betrachtungen und Vergleichungen den übermäßigen Schauder vor der Auswanderung nehmen, so müßen wir nur wünschen, daß unsre Auswanderer, namentlich die, welche nach Nordamerika ziehen, von den Colonien und Wanderern der alten Welt etwas lernen, zäh an ihrer Nationalität und allem Guten hangen, was sie aus der deutschen Heimat mitnehmen. Allein das eben ist es, daß sie hier echte Deutsche sind. Unsere Vorfahren drangen in alle europäischen Länder. Aber deutsch gemacht haben sie die Länder und Völker nicht. Ihr Einfluß war mächtig genug, die alten Völker und deren Art zu ändern: aber er war nicht stark genug, um zu verhüten, daß sie nicht selbst umgeändert würden. Allenthalben waren sie ein gutes Ingredienz zur Mischung, – allenthalben entstand durch sie ein Neues, aber eben ein Drittes, was von der deutschen Art eben so abwich, wie von derjenigen, welche die alten Völker hatten. Und so ists auch in Nordamerika. Es ist keine Unmöglichkeit, daß sich in irgend einem günstig gelegenen Winkel Nordamerikas ein kleines Deutschland bilde; aber im Ganzen ist gar nicht anders anzunehmen, als daß in Nordamerika ein Mischvolk entstehen werde – ein anglogermanisches, welches nach der Vorsehung Gottes zu Großem berufen sein kann. Das ist nicht zu vermeiden, – und es fragt sich, ob der Deutsche, der sich hierin so willig finden läßt, seiner Bestimmung mehr entspreche oder mehr widerspreche.
Bedauerlicher ist eine andere Mischung und Aenderung der auswandernden Deutschen, worin sie auch wieder den alten deutschen Wandervölkern gleichen. Die Deutschen verloren gerne, wohin sie kamen, ihre Bildung und Religion, und nahmen die| Religion der von ihnen überwundenen Völker an. Das ist nun allerdings in den Zeiten der Völkerwanderung nicht zu bedauern gewesen; was sie verloren, war das Heidenthum, was sie annahmen, war das Christenthum. Gott schickte unsere deutschen Väter so gerne nach Italien in die Schule und Christenlehre – und sie kehrten belehrt zurück; der römische Bischof wurde ein geistlicher Vater und Pabst für viele unter ihnen. Mehr zu bedauern ist es, daß unsere Auswanderer in Nordamerika so gerne und leicht ihre väterliche Religion vergeßen. Gehen auch viele von den hiesigen Kirchen wenig befriedigt hinüber; man sollte doch denken, das Heimweh sollte sich auch auf die heimatliche Kirche erstrecken, und im Schmerz der Entbehrung sollten sie über die deutsch-kirchlichen jammervollen Zustände wegsehen und mehr das erkennen, was die Kirche – die lutherische nemlich – ihrer Anlage nach sein soll und kann. Aber sie sind ihrer Kirchen satt, der allgemein christliche Geist des amerikanischen Volkes sticht gegen den gegenwärtigen deutschen, immer allgemeiner werdenden Indifferentismus gewaltig ab; die allgemeine Duldung macht sie leichtsinnig in Betreff der Kirchen- und Sectenunterschiede; sie geben sich der nächst besten Secte hin – sind sie doch alle protestantisch und evangelisch! – und wißen nicht, was sie thun, nicht, daß sie sich damit ergeben, ihre ganze deutsche Grundrichtung zu verlieren.So wars. Hunderttausende von Beweisen begegnen dem, der Nordamerika durchreist. So ists – so wirds sein. Geh nach Bremen, nach Hamburg, in die Wirthshäuser, auf die Auswandererschiffe: sieh die Leute, höre sie reden und sag, ob du Hoffnung von vielen hast, daß es anders werden wird. Schrecklich rächt sich die Bekenntnislosigkeit, die Lehruneinigkeit und Zuchtlosigkeit der deutschen Kirche: ihre auswandernden Kinder wenden ihr den Rücken – und die, durch welche sie Macht und Einfluß zum Heile vieler Tausende üben könnte, kennen sie kaum, verachten sie und sind leicht durch jede Secte über den Verlust der Mutterkirche getröstet.
| Da erwacht denn der Geist der innern Mission, und man wünscht, dies Uebel zu verhüten[.] Die Auswanderung ist im Leben des Auswanderers eine Epoche, die ihn mächtig und im Innersten aufregt. Menschen, die früher weder zu denken, noch zu fühlen schienen, erweisen sich auf einmal ganz anders; es ist mit ihnen etwas zu machen und zu reden – und wenn ihnen nur jetzt wenigstens die Kirche mit liebender Barmherzigkeit in den Weg träte, wer weiß, wie vielen die Zeit des Abschieds, der Seefahrt, der ersten schweren Ansiedlungszeit eine Zeit geistlicher Heimsuchung und Bekehrung würde. Bestätigende Beispiele fehlen uns nicht. Sich selbst überlaßen geht der träumende Deutsche sorglos oder sorgenvoll seinen Weg; jenseits thut er, wies kommt. Geleitet geht der Auswanderer ganz anders. Sinn und Verstand erwacht. Unsere Colonien in Michigan, die bereits ein Augenpunkt des Neides und des Wohlgefallens vieler in Nordamerika geworden sind, beweisen, daß man Deutsche zusammenhalten kann, daß sie ein Ferment für die Bevölkerung ihrer Umgegend und Träger eines die Welt strafenden und überwindenden Glaubens werden können.Schon deshalb haben wir eine Abtheilung unserer Gesellschaft für innere Mission der Fürsorge für Auswanderer gewidmet. Diese Abtheilung III. sucht die Seelsorger und andere Christen in den verschiedensten Gegenden des Vaterlands zur Seelsorge und Berathung der Auswanderungslustigen zu erwecken. Sie lockt niemand zur Auswanderung, sie wird viele davon abhalten, die sich aber nicht wollen abhalten laßen, wird sie leiten, ihnen Weg und Ziel angeben und sie entweder nach Michigan, Saginaw Co. oder an andere empfehlenswerthe Orte weisen. Sie wird von Abtheilung I. Seelsorger, von Abtheilung II. Schriften für Auswanderer empfangen; sie wird, wie eine besondere Unterabtheilung von I. und II., die Auswandernden hier, zur See und jenseits mit dem Worte Gottes zu versorgen suchen.
Aber allerdings, auch die Pflichten der Barmherzigkeit und die Werke der Diakonie wird sie üben. Sie wird dem Auswanderer| den besten Hafen zur Abfahrt, das beste Schiff, den besten Weg zum Hafen, die besten Ruheorte auf der Reise sagen – und den mühevollen Pilgern allenthalben Stecken und Stab sein. Sie wird den Weges- und Landes-Unkundigen vor Betrug der Einwohner in den Hafenstädten, der Wirthe und Händler schützen. Sie wird ihm sein Verhalten auf der See und im jenseitigen Hafen vorzeichnen, so weit er nemlich Rath annehmen mag. Sie wird ihm in der neuen Heimat treue Freunde und Rathgeber, Arzt und Arzenei, Ruhe und Arbeit verschaffen. Und ohne Zweifel wird sie auf diese Weise wie eine Unterabtheilung von Abtheilung IV. handeln und verfahren.Wir reizen niemand zur Auswanderung; aber wir finden es nach gemachten achtjährigen Erfahrungen ganz unbegreiflich, warum Staatsbehörden und Gemeinden nicht öfter und aufmerksamer die Auswanderung der Armen überlegen. Während keine Macht der Welt den Pauperismus und das Proletariat aufhalten oder austilgen kann, während Millionen ins löcherige Faß der Armut ohne allen Erfolg geschüttet und gegoßen werden, reichten verhältnismäßig viel kleinere Mittel hin, um heimatlichen Gemeinden große Lasten abzunehmen und viele Arme zu glücklichen und zufriedenen Menschen zu machen. Es ist hier nicht auszuführen, aber wir äußern es als unsere bestimmte Ueberzeugung, daß man das beste Hilfsmittel gegen die Armut, nemlich das beste irdische Hilfsmittel, mit Füßen tritt, wenn man die Armcncolonisation verachtet. Und es wird jeden Falls ein Gedanke sein, welchen wir nirgends verleugnen werden, daß Armencolonien, versteht sich wohlorganisierte, die besten Rettungsanstalten für Leib und Seele der Armen sind.
Nach diesem allen erinnere ich an unsere fränkischen Colonien im Staate Michigan, Grafschaft Saginaw. Nicht ferne von dem betriebsamen, am Saginawfluße trefflich gelegenen Städtchen Saginaw, in welchem selbst ein deutsch-lutherisches Gemeindlein von Pastor Clöter geleitet wird, liegt Frankenmuth, welches der Senator Thomson in Newyork eine der blühendsten deutschen Kolonien nennt, und Frankentrost, wo viele Arme einem fröhlichen Glücke entgegenringen. Nahe an dem Städtchen Unter-Saginaw, nahe am Saginawbusen ist das glückliche Frankenlust. Eine Zahl von circa 35 Seelen, welche in der Nähe von Frankenmuth und Frankenlust eine Armencolonie zu gründen unter Pastor Herm. Kühn am 22. April von Bremerhaven abgefahren sind, ist am 19. Mai glücklich in Newyork angelangt. Ein Häuflein lutherisch gewordener Indianer, 30 Seelen, fleißige, treue Leute, die einen Pastor berufen und eine Kirche gebaut haben, wünschen| deutsche Brüder in ihrer Mitte. Acht englische Meilen südlich von diesem Gemeinlein in Sibewaiing wohnen Deutsche bereits bei Indianern und bitten um Verstärkung. Am Pine River, fünf englische Meilen von der Missionsstation Bethanien, feiert ein schönes, wohlfeiles Landstück und begehrt deutsche Hände, um zum Besten der Mission angebaut und von einer Missionscolonie bewohnt zu werden. In der Mitte aller Orte wird ein Pilgerhaus zu einer Colonie Pilgerhaus einladen. Aller dieser Punkte wegen verweisen wir auf die nordamerikanischen Mittheilungen. Jeden Falls sind in jener Gegend die deutsch-lutherischen Colonien bereits eine Macht für die äußere und innere Mission geworden. Alle Umstände sind zu empfehlen – und es ist nur zu wünschen, daß, was unter Gottes Segen geworden, zum Heile vieler und zum Preis der Kirche ferner gedeihen und groß, namentlich, daß es zur Zuflucht armer Glaubensgenoßen werden möge.
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