Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 23

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Am dreiundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Matth. 22, 15–22.
15. Da giengen die Pharisäer hin, und hielten einen Rath, wie sie Ihn fiengen in Seiner Rede; 16. Und sandten zu Ihm ihre Jünger, sammt Herodis Dienern, und sprachen: Meister, wir wißen, daß Du wahrhaftig bist, und lehrest den Weg Gottes recht, und Du fragest nach niemand; denn Du achtest nicht das Ansehen der Menschen. 17. Darum sage uns, was dünket Dich? Ist es recht, daß man dem Kaiser Zins gebe, oder nicht? 18. Da nun JEsus merkte ihre Schalkheit, sprach Er: Ihr Heuchler, was versuchet ihr Mich? 19. Weiset mir die Zinsmünze! Und sie reichten Ihm einen Groschen dar. 20. Und Er sprach zu ihnen: Wes ist das Bild und die Ueberschrift? 21. Sie sprachen zu Ihm: Des Kaisers. Da sprach Er zu ihnen: So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! 22. Da sie das höreten, verwunderten sie sich, und ließen Ihn, und giengen davon.

 UNmittelbar vor unserm heutigen Texte steht JEsu Gleichnis von dem hochzeitlichen Kleide. Die in demselben ausgesprochene Wahrheit hatte getroffen und die zuhörenden Pharisäer giengen mit einem Stachel im Herzen von hinnen. Allein was half es ihnen, da sie JEsu Liebe zu ihnen nicht erkannten, da sie sich nicht schuldig geben, nicht bekehren wollten? Wenn man die Wahrheit annimmt, ist sie heilsam und heiligt die Seele; wenn man aber ihrer Führung widersteht, ist man hernach härter und schlimmer als zuvor. Das bewies sich schnell. Die von den Worten JEsu nicht gedemüthigten Pharisäer versammeln sich. Wozu versammeln sie sich? Es wäre gut gewesen, wenn sie mit sich zu Rathe gegangen wären und ihr Herz geprüft hätten: vielleicht hätte sie das Wort des HErrn in der Erinnerung kräftiger erfaßt, als da sie es aus Seinem Munde hörten; aber daran denken sie nicht. Auch stellen sie keine Untersuchung über das Wort JEsu oder über Seinen Wandel an, keine über Seine Werke. Vielleicht hätte sie eine genaue und eingehende Beschauung eines solchen Mannes und Seines Thuns und Laßens auch ein wenig zur Besinnung gebracht. Das geschieht aber auch nicht. Sie sind voraus über ihre eigene Vortrefflichkeit und über das im Reinen, was sie von JEsu zu denken haben. Ohne Abrede und Verhandlung besteht eine gewiße Einigkeit unter ihnen, daß JEsus fallen und ausgetilgt werden solle. Ihre Versammlung und Verhandlung soll bloß Einleitungen zum Gegenstand haben, Einleitungen zum Verderben des HErrn. Sie wollen Ihm Schlingen legen, man will Fragen stellen, die Er entweder nicht beantworten kann oder die Er nach der Kenntnis seiner Denkungs- und Sinnesart, welche sie besitzen, so beantworten muß, daß Ihm das Volk gram wird. Ist nur einmal das gelungen, ist Ihm nur einmal das Volk abwendig gemacht, dann wird es schon kürzere Wege und geradere Mittel zum Ziele geben; für jetzt hat man mit der Einleitung zu schaffen genug. Die Pharisäer mögen nicht wenig Witz und Klugheit aufgewendet haben, bis sie den Rath fanden, der ihnen dann doch so wenig half und auf welchen doch anzuwenden war, was der Prophet spricht: „Beschließet einen Rath und wird nichts daraus.“

 Als endlich der Rath gefunden war, galt es,| ihn auf eine geschickte Weise an den Mann zu bringen. Sie haben eine Frage gefunden, durch deren Beantwortung es der HErr nach ihrer Berechnung nothwendig mit einer von den im Lande sich streitenden Parteien verderben mußte. Darum sorgen sie, daß Zeugen genug dabei sind, Zeugen von allerlei Art, damit sie hernachmals desto leichteres Spiel haben und den Fall JEsu desto gewißer sehen. Deshalb nehmen sie Herodis Diener mit. Und als sie nun in dieser Begleitung zu JEsu kamen, da folgten sie dem Beispiel ihres Vaters Kain, der auch mit seinem Bruder auf dem Felde freundlich redete, ehe er ihn erschlug. Sie reden freundlich mit dem HErrn, sie loben Seine unbestechliche Wahrheitsliebe, vermöge welcher Er keine Person ansähe, und glauben, nun werde Er unvorsichtig in die Falle gehen und ganz reden, wie sies gerne gehört hätten. Was sie Ihm sagten, war allerdings ganz richtig, Christus war unbestechlich wahrhaftig; es war nur in ihrem eigenen Sinn eine Schmeichelei; aber so ists, hinterlistige Feinde haben oftmals Auge genug, zu erkennen, was am Gegenstande ihres Haßes vortrefflich ist; da sies aber anerkennend und lobend zu sagen zu schlecht sind, so kommts mit einem Zug des Hohns und Spottes aus ihrem Munde, oder sie machens, wie die, von denen wir so eben reden, wie die Pharisäer, sagens wie zur Anerkennung und haben dabei Otterngift unter ihren Lippen. Die Pharisäer hätten sich übrigens die Mühe sparen können; sie stehen vor Dem, der nicht bedarf, daß Ihm jemand etwas von einem Menschen sage, weil Er selbst weiß, was im Menschen ist; sie sind durchschaut, es ist mir, als sähe ich das Auge Deßen, der klug wie die Schlangen war und ohne Falsch wie die Tauben; es ist mir, als sähe ichs, wie elend und erbärmlich sich diese falschen Pharisäer gegen den Hohen und Herrlichen ausnehmen. Ich freue mich schon, diesen Kampf zu sehen, den völlig ungleichen, schnell zu entscheidenden, und wünschte den Unterliegenden, daß ihnen ihr Unterliegen heilsamer geworden wäre, als es ihnen in der That wurde. Laßt den Kampf beginnen und gebet Acht, lieben Brüder, was die Pharisäer sagen. „Sage uns, sprechen sie, was dünket Dich? Ists recht, daß man dem Kaiser Zins gebe oder nicht?“

 Im jüdischen Lande herrschte zur Zeit Christi der römische Kaiser, zum größten Aerger und Ingrimm der Juden, welche den Verlust eines eigenen Herrschers nicht verschmerzen konnten. Keine Frage konnte aufgeworfen werden, welche unter den Juden eine gespanntere Aufmerksamkeit und eine allgemeinere Theilnahme erregt und gefunden hätte, als die: „Ists recht, daß man dem Kaiser Zins gebe oder nicht?“ Gewis herrschte eine Todtenstille, als die Pharisäer die Frage gethan hatten, und man nun auf Christi Antwort wartete. Insonderheit mochten die Pharisäer selbst lauschen und lauern. Sie glaubten, es könne auf die Frage gar keine andere Antwort geben, als Ja oder Nein. Kam ein „Ja, es ist recht, man muß dem Kaiser Zins geben,“ so konnte, das waren wenigstens die Gedanken der Pharisäer, JEsus nicht mehr länger der Mann des Volkes sein, das nichts mehr wünschte, als Freiheit vom römischen Joche. Kam aber ein „Nein, es ist nicht recht,“ so standen Herodis Diener in der Nähe, welche, wie ihr Herr selbst, bei der Abhängigkeit vom Kaiser, in welcher dieser stand, für des Kaisers Herrschaft eifern mußten; dazu konnte die Antwort des angesehenen Lehrers JEsus vor die römischen Behörden kommen. Gabs nun wirklich keine Antwort, als ja oder nein, so hatten die Pharisäer die Schlinge und Falle gut gelegt und JEsus mußte hineingehen. JEsus verlor entweder die Gunst des Volkes oder Er fiel als Majestätsverbrecher in die Gewalt eines finstern Kaisers und seiner Diener, je nachdem Er Ja oder Nein zur Antwort gab. Nach menschlicher Berechnung wäre in beiden Fällen Seine Wirksamkeit, im letztern auch Sein Leben am Ende gewesen. Wie wird Er sich nun retten, wie ringen, vergeblich ringen, wie wird Er den Pharisäern zur Beute werden, wie werden sich diese nun bald freuen! − Nicht wahr, so muß man fürchten? Nichts zu fürchten, liebe Brüder! Ich wiederhole es, es ist mir, als sähe ich JEsu Auge, wie es Seine Feinde trifft; es ist mir, als sähe ich die elende Stellung, welche diese Christo gegenüber einnahmen! Königlich wird Er siegen und heimschicken wird Er sie, das sag ich euch vorher, daß sie für Schaam und Schande nicht sorgen dürfen.

 Der HErr, der Herzenskündiger, greift, ehe Er noch die Antwort gibt, ins Herz Seiner Feinde, kehrt es um und legt es bloß, daß sie merken konnten, wie ganz offenbar sie vor Ihm waren. „Ihr Heuchler, spricht Er, was versuchet ihr Mich?“ Also weiß Er, was sie wollen, und ihr Thun ist ausgelegt, wie es nur immer ihr eigenes Gewißen hätte auslegen können.| Sie haben seine Wahrheitsliebe gelobt, − und wohlan, da ist die Bestätigung ihres Lobes; da ist Wahrheit: sie sind Heuchler und ihre Lobreden sind Heuchelei. Sie haben Ihn gefragt, wie wenn sie Lernens wegen gekommen wären, und haben Ihn doch nur versuchen wollen; dafür sagt Er ihnen laut vor allen Leuten, was ihr Sinn ist: sie sind Versucher Christi. Ich möchte Zeuge gewesen sein, wie den Menschen die angenommene Miene entfiel, wie sie entlarvt da standen, noch ehe die Antwort JEsu kam. Sich so erkannt und dargestellt zu sehen! Kann denn da nur noch ein Gedanke aufgekommen sein, daß die Antwort auf die eigentliche Frage fehlen werde? − So müße es gehen allen Deinen Feinden, o HErr! Deinen Aufrichtigen aber laß es gelingen, und mit den Bußfertigen geh nicht ins Gericht! −

 An die bestrafenden Worte des HErrn schloßen sich alsbald andere an. „Weiset mir die Zinsmünze!“ spricht Er und begehrt damit ein Geldstück, welches bei Zahlung des Zinses oder der Steuer gebraucht werden mußte. Man reicht Ihm die Münze, man begreift nicht, wozu Er sie brauchen kann, wie sie Ihm aus der Verlegenheit helfen kann. Man begreifts nicht, aber bald wird es begriffen sein. Der HErr nimmt die Zinsmünze, Er hält sie den Feinden vors Angesicht und Angesichts der Münze erklingt Seine Frage: „Wes ist das Bild und die Ueberschrift?“ und die kleinlaute Antwort wird vernommen: „Des Kaisers“. Da kommt nun kurz und klar und wahr die Antwort JEsu: „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ − Was ist nun das für eine Antwort? Heißt sie Ja? Heißt sie Nein? Sie heißt nicht Ja und nicht Nein. Die Pharisäer hatten sich verrechnet; es gab außer dem Ja und Nein eine dritte Antwort, an die sie nicht gedacht hatten, − und die, grade die und sonst keine, war die rechte. Einfacher, treffender, schlagender, schärfer, gerechter konnte es in der Welt nichts geben, als diese Antwort. Darum verwunderten sich auch alle, ließen Ihn und giengen davon. „Gebet dem Kaiser was des Kaisers ist,“ sagt Christus − und was denn also? Die Zinsmünze, die der Kaiser hatte prägen laßen, die er den überwundenen Völkern hinausgab, in der er den Zins, die Steuer gezahlt haben wollte. Die Juden waren Unterthanen des Kaisers, davon war die Zinsmünze, in der sie Zins zahlen mußten, ein offenbarer Beweis. Wem man zinsen und Steuern zahlen muß, wer einem die Münze vorschreiben kann, in der man zahlen muß, der hat Gewalt und ist Oberherr, und für den spricht das Wort Gottes: „Jedermann sei unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun wider die Obrigkeit setzet, der widerstrebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urtheil empfahen.“ (Röm. 13.) Das ist die Lehre des HErrn durch seinen eigenen Mund an die Pharisäer, durch den Mund St. Pauli an alle Menschen. Und auf die Juden hat das apostolische Wort noch seine besondere Anwendbarkeit. Gegenüber den Juden hieß es in Beziehung auf den Kaiser ganz treffend: „Es ist keine Obrigkeit ohne von Gott.“ Es war von Gott, daß das Scepter von Juda gewichen und der Kaiser Herr geworden war im jüdischen Lande, daß der Held, dem die Völker anhangen sollten, mitten unter den Juden stand, die Zinsmünze in der Hand, Gehorsam gegen die Obrigkeit predigend, die Gewalt hatte, vor Widerstreben gegen Gottes Ordnung und vor dem Urtheil aller Widerstrebenden warnend! Die Juden konnten in dem „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ eine tiefe Wahrheit finden.

 Indes, wenn Christus nur diese Worte gesagt hätte, würde Er freilich den Pharisäern ins Gericht gefallen sein. Aber Er spricht ja auch: „Gebt Gott, was Gottes ist.“ Der HErr behauptet also, daß die Juden Gott dienen können, obschon sie dem Kaiser zinsen müßen. Was Gottes ist, die Seele, auf welche Sein Bild geprägt sein soll, den heiligen Dienst, den man Ihm schuldig ist, die Tempelsteuer, ohne welche der heilige Dienst nicht bestehen kann, den heiligen Gehorsam, welchen Sein Wort befiehlt, kann man Ihm geben, auch wenn man ein römischer Unterthan ist. Beides soll zusammen gehen und zusammen bestehen, und eben darin besteht die große Weisheit der Antwort JEsu, daß Er beides nebeneinander bestehen läßt.

 Die Antwort war übrigens, so schlagend sie war, doch überraschend und ganz neutestamentlich. Auf dem Standpunkt der Pharisäer freilich würde sie nie gegeben worden sein; da würde es zwischen Ja und Nein keinen Ausweg, geschweige den königlichen Weg gegeben haben, der Ja und Nein vereinte. Im alten Testamente war ja allerdings Israel gesondert von| allen Völkern und unter andern Königen stand es nur zur Strafe, nicht nach Gottes eigentlichem Willen. Aber eben das war die Blindheit der Pharisäer, daß sie die Wendung der Zeiten nicht erkannten, nicht einsahen, daß von nun an Israel nicht mehr gesondert sein, sondern Zions Licht und Fülle auf alle Völker sich ergießen, daß alle Völker zu den Hütten Sems eingehen sollten. Und gerade das war das Große in der Antwort JEsu, daß durch sie alle Herrschaft geheiligt, Gottes heiliger Dienst aber von der Herrschaft unabhängig gemacht werden sollte. Im alten Testamente sehen wir ein königliches Priestertum und priesterliches Königreich bei einem Volke; in der Ewigkeit sehen wir alle Völker vereinigt zu einem priesterlichen Königreich und königlichen Priestertum; in der letzten Stunde, die zwischen dem alten Testamente und der Ewigkeit verrinnt, heißt es: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, − und Gott, was Gottes ist“ und die Reiche dieser Welt sind − von dem Reiche Gottes nicht ausgeschloßen, aber unter dem Segen des HErrn auf ihre eigenen Zwecke angewiesen und auf ihre besonderen Wege gestellt. Es spricht heute noch, der nicht leugt noch trüglich mit den Seinen umgeht, wie Er einst zu Pilato gesprochen hat: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ − und was Er in der Nacht, da Er verrathen war, zu Seinen Jüngern gesprochen hat, das gilt noch jetzt: „Die weltlichen Könige herrschen, und die Gewaltigen heißt man gnädige Herren; ihr aber nicht also, sondern der Größte unter euch soll sein, wie der Jüngste, und der Fürnehmste wie ein Diener. − Ich will euch das Reich bescheiden, wie mirs mein Vater beschieden hat.“ (Luc. 22.)

 Meine lieben Brüder! der heutige Text sollte wohl reich genug sein, um ein ganzes Jahr hindurch darüber zu predigen. Wie nöthig wäre es auch, namentlich in unsern Tagen, die Menge von Fragen zu beantworten, welche aus diesem Texte entspringen! Zwei falsche Fragen: „Herrengebot über Gottes Gebot?“ und „Gottes Gebot über Herrengebot?“ und die Aussöhnung der beiden in dem Satze: „Herrengebot, in Gottes Gebot gefaßt; Gottes Gebot, in Herrengebot gefaßt“ − wie nöthig wären sie zu betrachten und zu beherzigen! Dennoch will ich mich beschränken, mich nahe an meinen Text noch einmal hindrängen und einige Sätze euch vortragen, die mir sehr wichtig scheinen.

 Christus, der HErr, hat die Frage der Pharisäer gewis für die ganze Zeit entschieden, welche zwischen Ihm und dem Ende verrinnen würde. Die heutige klare Antwort sollte, mein ich, allen Hader beschloßen haben. Und doch hat sich fast in allen Zeiten der Kirche ein großes Gelüste kund gegeben, die Frage der Pharisäer einseitig zu bescheiden, das weltliche Regiment des Kaisers durch die Kirche und ihre heilige Ordnung, oder umgekehrt das Regiment der Kirche und die Kirche selbst durch das weltliche Regiment und den weltlichen Staat aufzuheben. − Oder wißet ihrs nicht mehr? Erinnert ihr euch nicht mehr an das, was ihr in der Reformationsgeschichte gelernt habt? So will ich euch das Vergeßene ins Gedächtnis zurückrufen. Es ist eine unleugbare Sache, daß die Päpste als Vorstände der Kirche vor der Reformation Anspruch auf das weltliche Schwert des Kaisers und der Könige erhoben, weil sie sich als Statthalter Gottes in seiner Kirche, ja überhaupt auf Erden ansehen, und behaupten zu müßen glaubten, daß die kaiserliche Gewalt ein Ausfluß der päpstlichen sei. Abgesehen von der ungeheuern Anmaßung, Statthalter Christi auf Erden sein zu wollen, verwechselten sie Staat und Kirche und deren beiderseitige Aufgabe. Gottes ist freilich alles, Staat und Kirche, das ist wahr. Aber der Staat gehört nicht der Kirche, so wenig als die Kirche dem Staate. Nach unserm Texte ist Gottes die Kirche und des Kaisers der Staat. Die Kirche läßt sich an ihrem Gotte, der Kaiser an seinem Schwert genügen. Das vergaß, das warf man hinter sich, als man zu Rom den Satz aufstellte, daß alle Reiche der Welt Lehen der Kirche und ihres obersten Bischofs seien. Ach wie viel Streit und Haß und Krieg hat diese Behauptung geboren, und wie viele Ströme Blutes wären nicht gefloßen, wenn man die heilige, unmisverständliche Antwort Christi: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ nie aus Aug und Sinn verloren hätte!

 Aber auch umgekehrt hat es schon zur Zeit, da die Kaiser und Könige der Welt christlich wurden, nicht an mehr oder minder erfolgreichen Bemühungen gefehlt, die Kirche dem weltlichen Regimente und seinen Gewaltigen, dem Staate und seinen Fürsten zu unterwerfen! Und in der Folge der Jahrhunderte ist dieser| Anspruch der weltlichen Herren an die Kirche und die Gewaltthaten, welche daraus hervorgiengen, nicht minder bemerklich und beschwerlich geworden, als die Uebergriffe des Papstes in Kirche und weltliches Regiment. Wer kann hier ohne Jammer und Thränen nur z. B. an das Schicksal unserer lutherischen Kirche denken! Wer ohne tiefen Schmerz inne werden, wie selbst unser lutherisches Volk von dem Gedanken, daß die Kirche des Kaisers sei, ganz und gar durchdrungen ist! Ja, ja, es ist in Fleisch und Blut der Mehrzahl eingedrungen, die Kirche sei Staatsanstalt; so eingedrungen ist es, daß viele aus dem Volke selbst es für eine Art von Gelüsten nach Priesterherrschaft erklären, wenn man, seis auch mit der ruhigsten Gemeßenheit, gegen den unheiligen und unseligen Satz protestirt. Weil es im Verlauf der Zeit dahin gekommen ist, daß die Aeltesten der Gemeinen einige weltliche Geschäfte zur Erleichterung weltlicher Amtleute übernehmen mußten, so hat man gute Lust, ihr gesammtes heiliges Amt als den weltlichen Amtleuten unterworfen anzusehen. Wenn irgend etwas in der Amtsführung des Geistlichen misfällig ist, glaubt man, das Einschreiten der weltlichen Macht ganz in aller Ordnung anrufen zu können. Und was alles für Beweise könnte man geben, daß die Kirche als des Kaisers Erbtheil angesehen wird. Es kommen ja Fälle vor, die sich nur aus der Annahme erklären laßen, daß der Kaiser über die Kirche Herr sei, die doch Gottes ist. In Wahrheit, die Reformation mit ihren reichen Schätzen würde gewis eine ganz andere Bedeutung gewonnen und einen ganz andern Segen für die Welt gestiftet haben, wenn sie nicht den Reichen der Welt unterthänig geworden wäre und in den Grenzen all der Länder und Ländchen, in welche ihr heiliger Leib zerrißen ist, die Grenzen ihrer Segnungen, in dem Elend und Unglück der ihr übergeordneten Staaten Feßel und Tod ihres Lebens gefunden hätte. „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist“, das ist eine heilige Wahrheit. „Gebet Gott, was Gottes ist“, das ist nicht minder göttlicher Befehl. Eines wie das andere soll unangetastet stehen. Gelobt sei der HErr, welcher heilige Gerechtigkeit lehrt, beiden Gottesordnungen, der Kirche und dem Staate, Gottes Schutz und Frieden zueignet, beide friedlich nebeneinander stellt, ohne daß eines in das andere aufgehen soll. So wie eine von beiden Stiftungen des HErrn die andere verschlingen will, kommt ein Widerstreben des andern Theils, aus welchem Streit und Krieg hervorgeht, oder es kommt eine ungöttliche Unterordnung, aus welcher Elend kommt. Festhalten von Gott gesetzter Grenzen bringt Frieden, Uebergriffe in fremdes Gebiet bricht Gottes Frieden. Was Gott zusammengefügt hat in Eins, soll der Mensch nicht scheiden; was Er aber nebeneinander gestellt hat, soll sich nicht allzu nah vereinen, daß nicht Gottes Wille zum Unheil verletzt werde.

 Es ist ja ohnehin nicht von einem feindlichen Gegenüberstehen, sondern von einem friedlichen Nebeneinanderstehen die Rede, woraus gegenseitiger Beistand und Hilfe kommen kann. Die Kirche gibt dem Staate ihre Kinder und lehrt sie heiligen Gehorsam gegen alle Obrigkeit. Der Staat wehrt schirmend äußere Gefahren von dem Haufen der göttlichen Gemeinde ab. Die Kirche ist eine Erzieherin der Völker, zu aller, auch zu aller irdischen Ordnung; der Staat krönt sie dafür mit allerlei irdischem Segen. Eines kommt dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Eines dient dem andern. Unter dem Dienste beider gelangt das Volk des HErrn zu seinem ewigen Ziele. Bei weitem weniger würde erreicht, wenn beide ineinander aufgiengen. Mit zwei milden Händen, mit Staat und Kirche segnet Gott Seine Heerde. Und so, grade so ists recht und wohl gethan.

 Das überleget, lieben Brüder, und zum Schluße nehmt ein allbekanntes Wort mit von hinnen, denn es ist wahr und werth gesagt zu werden. Das frömmste Kirchkind ist auch der frömmste Unterthan. Umgekehrt ist der gewis kein Christ, der nicht gehorsam die Befehle des weltlichen Regiments vollzieht, so lange sie mit dem Worte Gottes stimmen. Es ist der Fürst der Kirche, welcher die heilige Regel gibt: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist!“ und es sind die Aeltesten der Gemeinden, die Diener JEsu, welche auf Grund des heiligen Gebotes ihres Königs JEsus von allen Gliedern der Gemeinden Gehorsam dem weltlichen Regimente fordern!

 Der HErr sei gnädig Seiner Kirche und segne sie und gebe ihr die Fülle Seiner Kräfte, die Er ihr verheißen hat, zum Segen der Völker und Staaten! Amen.




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