Erste Verordnung zur Durchführung der Verordnung über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz
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Auf Grund § 2 Nr. 4e und § 118 der Verordnung über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegsstrafverfahrensordnung – KStVO) vom 17. August 1938 (Reichsgesetzbl. 1939 I S. 1457) wird verordnet:
Nr. 1 Zu § 2 Nr. 4e
Bearbeiten- (1) Militärische Belange, die die Aburteilung durch das Reichskriegsgericht erfordern, können insbesondere vorliegen,
- 1. wenn bei Zuwiderhandlungen gegen die im § 2 Nr. 4e KStVO aufgezählten Strafgesetze mehrere Personen, von denen die eine der allgemeinen, die andere der militärischen Gerichtsbarkeit unterstellt ist, als Täter, Teilnehmer, Begünstiger oder in anderer Weise beteiligt sind;
- 2. wenn der bei der Ausführung der Tat beschrittene Weg oder die dabei angewandten Mittel wegen ihrer Eigentümlichkeit oder wegen der Gefahr der Wiederholung besondere Abwehrmaßnahmen durch Wehrmachtdienststellen erfordern;
- 3. wenn der Gegenstand der Tat für die Schlagfertigkeit der Wehrmacht oder für die Landesverteidigung von besonderer Bedeutung ist;
- 4. wenn die im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung zu erörternden militärischen Vorgänge oder Gegenstände wegen der Gefährdung der Staatssicherheit eine Beschränkung der Beteiligung am Verfahren auf Wehrmachtangehörige unumgänglich notwendig machen;
- 5. wenn die Beurteilung der Tat in besonderem Maße militärische Sachkenntnis erfordert.
- (2) Vor der Entscheidung des Präsidenten des Reichskriegsgerichts soll das Oberkommando der Wehrmacht Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Nr. 2 Zu den §§ 3 und 14 Abs.4
Bearbeiten- Will der Gerichtsherr ein Strafverfahren an den Volksgerichtshof abgeben, so hat er die Akten über den Präsidenten des Reichskriegsgerichts zu leiten.
Nr. 3 Zu den §§ 19 und 90 Abs. 2 Nr. 1
Bearbeiten- (1) Diese Vorschriften können insbesondere Anwendung finden, wenn die Straftat durch eine der im § 2 Nr. 3 KStVO genannten Personen begangen worden ist und die Entfernung des Beschuldigten oder Angeklagten aus dem Gefechtsgebiet militärische Belange nicht berührt.
- (2) Bei der Besetzung des erkennenden Gerichts im rückwärtigen Armeegebiet oder bei dem Ersatztruppenteil soll der Gerichtsherr wenigstens einen Richter berufen, der in der Front gestanden hat.
Nr. 4 Zu den §§ 20 und 90 Abs. 2 Nr. 2
Bearbeiten- (1) Diese Vorschriften können insbesondere An Wendung finden,
- 1. wenn die Beschuldigungen nicht zugleich den Vorwurf unehrenhafter Gesinnung enthalten (z. B. fahrlässige Straftaten) und militärische Belange nicht gefährdet werden;
- 2. wenn die Straftat so weit zurückliegt, daß für ihre Verfolgung während der Dauer des Kriegszustandes kein Bedürfnis besteht.
- (2) Von der Befugnis, das Verfahren auszusetzen, soll kein Gebrauch gemacht werden, wenn das Ermittlungsverfahren im wesentlichen abgeschlossen ist (§ 20) oder weitere Ermittlungen nach der Aufhebung des Urteils nicht erforderlich sind |(§ 90 Abs. 2).
- (3) Die Aussetzung des Verfahrens bis nach Beendigung des Kriegszustandes ist schriftlich zu begründen.
- (4) Wird der Beschuldigte oder Angeklagte von der Aussetzung des Verfahrens in Kenntnis gesetzt, so ist auf die Widerruflichkeit der Entscheidung hinzuweisen
Nr. 5 Zum gerichtlichen Verfahren gegen Kriegsgefangene (§§ 73 bis 75)
Bearbeiten(auf Grund des Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929, ratifiziert am 21. Februar 1934 – Reichsgesetzbl. II S. 227)
I. Unzulässigkeit der Bestrafung
Bearbeiten- Die gerichtliche Strafverfolgung ist bei Kriegsgefangenen ausgeschlossen:
- 1. wegen Unternehmens einer Flucht;
- 2. wegen Anstiftung oder Beihilfe zu einer Flucht;
- 3. wegen unbegründeter Gesuche und Beschwerden;
- 4. wenn wegen einer und derselben Handlung bereits eine Disziplinarstrafe vollstreckt ist.
II. Absehen von Strafverfolgung
Bearbeiten- (1) Bei Beurteilung der Frage, ob eine von einem Kriegsgefangenen begangene Handlung überhaupt verfolgt werden soll, ist größte Nachsicht zu üben.
- (2) Ist durch die Handlung keine oder nur eine geringe Gefährdung der Zucht und Ordnung eingetreten, ist insbesondere die Tat gegen einen Mitgefangenen [1478] begangen und sind ihre Folgen unerheblich, so kann von der Verfolgung abgesehen werden.
III. Untersuchungshaft
Bearbeiten- (1) Vorläufige Festnahme und Untersuchungshaft sind auf das Mindestmaß zu beschränken.
- (2) Die erlittene Untersuchungshaft muß stets in voller Höhe auf die erkannte Strafe angerechnet werden. Dies hat der Vertreter der Anklage bei seinem Antrage und der Bestätigungsbefehlshaber bei der Bestätigung zu berücksichtigen.
IV. Strafzumessung
Bearbeiten- Ein Fluchtversuch darf selbst im Wiederholungsfall nicht als strafschärfend angesehen werden, wenn der Kriegsgefangene für Verbrechen oder Vergehen gegen Personen oder das Eigentum, die im Verlauf dieses Fluchtversuchs begangen worden sind, vor Gericht gestellt wird.
V. Strafvollstreckung
Bearbeiten- (1) An Kriegsgefangenen werden Freiheitsstrafen grundsätzlich ebenso vollzogen wie an deutschen Wehrmachtangehörigen.
- (2) Offiziere und Gleichgestellte, die Freiheitsstrafen verbüßen, dürfen nicht in denselben Räumen wie bestrafte Unteroffiziere und Mannschaften untergebracht werden.
- (3) Verboten ist jede Einsperrung in nicht von Tageslicht erhellte Räume.
Nr. 6 Zum Gnadenrecht (VI. Abschnitt)
BearbeitenI. Geltungsbereich
Bearbeiten- Die Vorschriften des VI. Abschnitts gelten auch für Strafen, für die vor dem Inkrafttreten der KStVO Wehrmachtbehörden zur Entscheidung oder zur Vorbereitung der Entscheidung zuständig waren.
II. Das Verfahren bei den Oberbefehlshabern der Wehrmachtteile
Bearbeiten- (1) Die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile legen die Sachen, in denen sich der Führer und Reichskanzler die Ausübung des Gnadenrechts vorbehalten hat (§ 114 Abs. 2 KStVO), dem Führer und Reichskanzler über den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht mit einem begründeten Vorschlag vor.
- (2) Gehört der Verurteilte einem anderen Wehrmachtteil an als der Gerichtsherr, dem nach § 116 Abs. 1 Satz 1 KStVO das Gnadengesuch vorzulegen ist, so wird in den Fällen, in denen der Führer und Reichskanzler oder der Oberbefehlshaber eines Wehrmachtteils selbst entscheidet, die Stellungnahme des Oberbefehlshabers herbeigeführt, dessen Wehrmachtteil der Verurteilte angehört.
III. Verfahren bei Todesurteilen
Bearbeiten- Die bei einem Todesurteil mitwirkenden Richter nehmen im Anschluß an die Urteilsberatung zur Frage der Begnadigung schriftlich Stellung. Die Stellungnahmen werden in verschlossenem Umschlag bei den Akten verwahrt. Der Umschlag darf nur von den zur Entscheidung über das Gnadengesuch zuständigen Dienststellen geöffnet werden.
IV. Gnadenverfahren bei den Wehrmachtteilen
Bearbeiten- Im übrigen regeln die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile das Gnadenverfahren für ihren Befehlsbereich.
Nr. 7 Inkrafttreten
Bearbeiten- Diese Durchführungsverordnung tritt mit der Kriegsstrafverfahrensordnung in Kraft.
- Berlin, den 19. September 1938.