Erinnerungen an Bogumil Dawison

Textdaten
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Autor: Rudolf Gottschall
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Titel: Erinnerungen an Bogumil Dawison
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 250–252
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Erinnerungen an Bogumil Dawison.


Von Rudolf Gottschall.


Der erschütternde tragische Ausgang eines an Verheißungen so reichen Künstlerlebens muß Alle, welche sich an den genialen Kunstleistungen eines Dawison erfreut haben, zu tiefer Wehmuth stimmen! Wie ganz anders dachte man sich das Lebensende dieses unermüdlich strebenden Darstellers! Von Triumphen zu Triumphen emporgetragen, am späten Lebensabend von der Bühne scheidend, mit Kränzen und Huldigungen überschüttet, wie sein glücklicher Dresdner Kunstgenosse Emil Devrient – so stand er vor uns in dem Zukunftsbild, das unsere Phantasie sich entwarf. Und jetzt mußten wir ihn dahinsiechen sehen in geistiger Lähmung; dies unverwüstliche nie versagende Gedächtniß, welches den Künstler bei Proben und Aufführungen in den Stand setzte, auf die Hülfe des Souffleurs zu verzichten, ließ ihn jetzt in der Mitte der Sätze grausam im Stich; immer noch träumte er von der Rückkehr zur Bühne, von neuen Erfolgen auf derselben, und diese Träume, die einzige Freude des so hoffnungslos Erkrankten, wurden von den Angehörigen genährt, ja man veranlaßte Zeitungsnotizen, in denen sein baldiges Wiederaufleben angekündigt wurde, und brachte ihm dieselben, und mitten in seiner Hülflosigkeit sah er sich als wiedererstandenen Triumphator der Bühne, begrüßt vom Jubel des Publicums und legte sich die Costüme für seine Rollen zurecht!

Schmerzlich ist es stets, wenn ein tüchtiges Streben durch körperliche Lähmungen unterbrochen wird; am schmerzlichsten, wenn ein genialer Feuerkopf mit allen hinausstrebenden Regungen des Wollens zur Unthätigkeit verurtheilt wird und in lichten Momenten das traurige Schauspiel seiner gebrochenen Kraft selbst mitansehen muß.

Und ein Feuerkopf war der jugendliche Dawison, voll vibrirender Unruhe, aber auch voll unermüdlicher Ausdauer.

Ich hörte seinen Namen zuerst in der Alsterstadt im Jahre 1848, als er bei dem Herbergsvater so vieler junger Talente, bei dem Director des Thaliatheaters, Maurice, ein Engagement gefunden hatte. Hamburg schwärmte alsbald für den genialen Polen; gleichwohl lebte ein Schauspieler von nicht geringerer Genialität in seiner Mitte, Jean Baptiste Baison,[BER. 1] damals Director des Stadttheaters. Immer war es Dawison’s Loos, gegen anerkannte, große Rivalen ankämpfen zu müssen, ein Wetteifer, der viel Anspornendes, aber auch viel Verbitterndes hat.

Wie rasch hervorragende Darsteller der Vergessenheit verfallen, das sehen wir an dem hochbegabten Baison,[BER. 1] der allerdings nicht Muße gefunden hatte als sein eigener Propagandist in zahlreichen Gastspielen aufzutreten, der aber einer der bedeutendsten Künstler war, welche die deutsche Schaubühne aufzuweisen hat. Er war ein scharfer Kopf, auch von dichterischer Erfindungskraft, in hohem Grade anregend für die Schriftsteller, die mit ihm in nähere Beziehung traten. Scharfgeschnittene Züge, ein feuriges Auge, eine schlanke Gestalt machten seine Bühnenerscheinung interessant; seine Kunst stand ungefähr in der Mitte zwischen derjenigen Emil Devrient’s und Dawison’s; er besaß mehr Schärfe als der Erstere, mehr Idealität als der Letztere. Wer seinen Posa gesehen – dem wird namentlich die große Scene mit der Eboli unvergeßlich bleiben. Mit so hinreißendem, elektrisirendem Feuer ist sie wohl nie auf deutschen Bühnen gespielt worden. Es war tragische Gewalt, Sturm der Leidenschaft in diesem Spiel, – und doch war Baison[BER. 1] von jeder Coulissenreiterei sehr weit entfernt. So spielte er zum Beispiel den Tell als schlichten schweizer Bauer, mit höchster Einfachheit, und bewährte hierin eine charakteristische Meisterschaft, welche mit seiner freisinnigen Auffassung der Dichtwerke zusammenhing.

Doch Baison[BER. 1] war nervös, wie alle Künstler, und es war ein Unglück für ihn, daß er sich hatte bewegen lassen, die Direction des Hamburger Stadttheaters zu übernehmen. Ein Director muß starke Nerven haben, und wenn auch damals noch eine Blüthezeit des Stadttheaters war, welches später in Verfall gerieth und sich gegenwärtig die Künstler von Hannover borgen muß, um eine Schauspielvorstellung zu ermöglichen, so machte doch die Concurrenz des Thaliatheaters viel Sorge, und die Existenzbedingungen einer großen Bühne waren schon damals schwierig genug. Die verschiedensten Aufregungen warfen Baison[BER. 1] auf das Krankenlager, gerade als er ein patriotisches Stück aus der Hamburger Geschichte, zu welchem er nur den Stoff und den Plan gegeben hatte, für die Aufführung vorbereitete. In seinen Fieberphantasien declamirte er die Verse der Titelrolle. Noch einmal erholte er sich, doch ein Rückfall in die Krankheit hatte seinen Tod zur Folge.

Damals sah ich Dawison zum ersten Male. Baison[BER. 1] hatte öfter von ihm gesprochen; dem bewährten Künstler war der Ruhm des jungen Polen unbequem. Er erkannte das Talent desselben an; doch er fand es unfertig und nach vielen Seiten hin beschränkt durch Naturell und Nationalität. Das Hamburger Stück, Hieronymus Suitger, war nach Baison’s[BER. 1] Tod am Stadttheater mit glänzender Ausstattung und vielem Erfolg in Scene gegangen. Am nächsten Tag kam Dawison zu mir; er hatte in meiner Marseillaise die Rolle des Rouget de Lisle am Thaliatheater zu spielen übernommen. „Sie haben am Stadttheater einen großen Erfolg gehabt,“ sagte er zu mir, „ich verspreche Ihnen einen gleichen an unserer Bühne.“

Der Künstler hatte etwas Resolutes, Siegesgewisses in seinem ganzen Wesen, ganz verschieden von Baison,[BER. 1] der einen skeptischen Zug nicht verleugnen konnte und deshalb auch mit Meisterschaft die Hauptrollen in den Gutzkow’schen Stücken spielte. Die Züge Dawison’s hatten einen scharfen Schnitt, wie diejenigen von Baison;[BER. 1] beide Darsteller waren jüdischer Herkunft; aber bei Dawison war auch das slavische Gepräge der Physiognomie unverkennbar. Seine Nase wurde durch einen tiefen Einschnitt an der Wurzel von der Stirn getrennt; sie war stark hervordringend, aber eher breit und stumpf, als gebogen und spitz; das Kinn [251] kräftig, die Stirn bedeutend; um den Mund schwebte ein sarkastisches Lächeln; die Augen funkelten mit intensivem Glanz; aber sie waren klein und er war sich dieses Mangels wohl bewußt. Die Gestalt war stattlich, aber nicht elegant. Ein Mann von Thatkraft und Energie des Verstandes und des Willens, das war der erste Eindruck, welchen Dawison’s Persönlichkeit machte, während Baison[BER. 1] mehr das Träumerische deutschidealer Künstlernaturen hatte.

Bald nachher hatte der Director des Thaliatheaters, Maurice, mit dem Tenoristen Wurda zusammen auch das Stadttheater übernommen. Es begann nun jene Droschkenjagd um das Alsterbassin über die Jungfernstiege, um die Künstler rechtzeitig aus einem Theater in das andere zu schaffen, wenn sie hier und dort an einem Abende aufzutreten hatten. Und dies begab sich öfter, als den beiden unter einem Haupte vereinigten Musen Melpomene und Thalia angenehm sein konnte.

Es giebt mehr Dinge zwischen dem Schweinemarkt und dem Stintfang, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt. Zu diesen merkwürdigen Dingen gehört jedenfalls das Verhalten der Hamburger Bürgerschaft ihrem Stadttheater gegenüber, an welches sich doch große Erinnerungen und die Namen eines Schröder und Lessing knüpfen! Man gab damals die Vereinigung der Bühnen zu, wie man jetzt das Stadttheater so wenig unterstützt, daß es keine Schauspiele, keine classischen Stücke zu geben vermag und Hamburg die einzige deutsche Stadt ist, welche ohne den Luxus der theatralischen Classicität existirt, so daß hierin die kleinsten deutschen Nester einen Vorsprung vor ihr haben. Doch wenn man auch die Vereinigung der beiden Bühnen zugegeben hatte – man wollte nicht die Schauspieler des Thaliatheaters in classischen Stücken auf dem Stadttheater sehen, und es machte sich eine lebhafte Opposition gegen dieselben geltend.

Auch Dawison sollte dies empfinden, als er zum ersten Male die classischen Bretter des Stadttheaters betrat! Und in welcher Rolle! Es wird der Phantasie seiner Bewunderer schwer werden, den Darsteller des Franz Moor und Richard sich als „Carlos“ zu denken, und zwar nicht als Carlos im „Clavigo“, eine Rolle, die er bekanntlich vortrefflich spielte, sondern als jenen Schiller’schen Knaben Karl, welcher nicht nur dem Tyrannen des Escurial fürchterlich zu werden anfing, sondern auch den Habitués des Hamburger Stadttheaters. Feuer hatte dieser Knabe Karl, und Dawison spielte einzelne Scenen in einer Weise, wie sie wohl niemals weder vorher noch nachher gespielt worden sind, mit origineller geistreicher Auffassung und hinreißender Gewalt. Doch sein Organ hatte noch einige slavische Eigenthümlichkeiten, welche der idealen Reinheit des Schiller’schen Stils einen schnarrenden Beisatz gaben, und für die Liebhaberscenen fehlte ihm denn doch deutsche Schwärmerei, innige Empfindung und die Grazie der Bewegung. So wurde der Erfolg durch eine merkwürdige Mischung von Applaus und Zischlauten bezeichnet, welche dem in der Thaliabühne verwöhnten Künstler befremdlich in’s Ohr klang.

In diese Zeit fällt ein sehr heiteres Erlebniß, welches den damaligen jugendlichen Uebermuth Dawison’s ganz in’s Licht zu setzen geeignet ist.

Am Hamburger Stadttheater befand sich einer jener Schauspieler, die man eine „Utilität“ zu nennen pflegt, weil sie in allen Fächern aushelfen. Er war ein gemüthlicher Oesterreicher und hörte auf den Namen Papa W. Er war nicht nur in allen bürgerlichen Stücken unentbehrlich, sondern auch im Stande, gelegentlich einen Julius Cäsar darzustellen und sich auf dem Capitol mit Anstand verwenden zu lassen. Leider entsprach seine Gage wenig seinen Kunstleistungen und ebenso wenig seinen Ansprüchen an das Leben, die ganz auf den Hamburger Horizont visirt waren und namentlich eine tüchtige materielle Grundlage für die irdische Existenz verlangten. Die aus diesem Mißverhältniß erwachsenden Conflicte fanden indeß in Hamburg eine nicht allzu unbequeme Lösung. Man erklärte sich für bankerott; man wurde an der Börse ausgeläutet; selbst ein Künstler konnte in solcher Weise die Vortheile des kaufmännischen Standes mitgenießen. Dann befand man sich in derselben glücklichen Lage, als ob man aus dem Tetzel’schen Ablaßkasten sich Generalpardon für alle Sünden gelöst hätte. Am Abend nach einer solchen Katastrophe erschien denn Papa W. wieder in seiner Weinstube auf dem Gänsemarkt. Mit einer gewissen Schüchternheit nahm er die Speisekarte zur Hand; doch die Nothwendigkeit, daß der Mensch auch nach den traurigsten Vorgängen existiren, essen und trinken müsse, konnte ja auch für den Kellner und den Wirth kein Geheimniß sein. Mit wachsender Zuversicht begann also der Künstler ein neues Leben und verlangte mit einem möglichst unerschrockenen und treuherzigen Ton das erste Beefsteak, das auf die neue Rechnung gesetzt wurde und das ihm dann so gut schmeckte wie alle die anderen, deren in der Gestalt von Hamburger Marks und Schillings überlebende Geister durch die Börsenglocke kurz vorher zu Grabe geläutet waren.

Doch Papa W. hatte auch noch eine sehr achtungsvolle Seite: er war Vater, guter zärtlicher Vater. Seine Tochter hatte sich ebenfalls der Kunst gewidmet und war die erste Liebhaberin der Lübecker Bühne. Es war rührend, mit welcher Liebe der Künstler an seiner Tochter hing; für seine „Thete“ war ihm kein Opfer zu schwer. Nun sollte Thete’s Benefiz sein und der Vater wandte alle Kunst seiner Beredsamkeit auf, die hervorragenden Künstler der Hamburger Bühnen zur Mitwirkung an diesem Benefizabend zu bewegen. Es gelang ihm auch, die geistreiche Liebhaberin des Stadttheaters, Fräulein Wilhelmi, und Bogumil Dawison dafür zu gewinnen, und ich schloß mich der Fahrt an, um die Stadt Wullenweber’s, das einstige Haupt der deutschen Hansa, kennen zu lernen.

Damals schleppte sich noch die Postschnecke langsam durch die gesegneten Fluren Holsteins nach dem hochgiebeligen Lübeck; man hatte an jeder Station Muße, den Staub des Weges abzuschütteln und die Kirchen und Marktplätze der kleinen Städte in Augenschein zu nehmen. Wir waren indeß noch nicht weit über Wandsbeck hinaus, als Dawison dem Vater der Benefiziantin einen nicht gelinden Schreck einjagte, indem er plötzlich über Unwohlsein zu klagen anfing. Da die Benefizvorstellung der Tochter durch diesen unglücklichen Zwischenfall bedroht schien, so kann man sich die Besorgniß des Vaters denken. Nicht der gewissenhafteste Arzt fragt seine Patienten über ihr Befinden so peinlich aus, wie Papa W. den Künstler über den Sitz seines Uebels examinirte. Dawison spielte seine Rolle vortrefflich; seine Krankheit nahm von Station zu Station zu; die Brille, die er abgenommen hatte, zitterte in seinen Händen; die Krampfanfälle wurden bedenklicher. Papa W. sprang in jedem Städtchen aus der Postchaise, eilte zur Apotheke und kam mit riesigen Medicinflaschen zurück, mit allen Heilmitteln, die wir nach unserer Kenntniß der populären Medicin für nöthig erklären. Doch leider war keine Besserung fühlbar, die Thürme der Travestadt tauchten schon am Horizont auf; der Angstschweiß stand dem Vater der Benefiziantin auf der Stirn; er brachte ihn mit, den Löwen des Tages, den Cassenmagnet, der das etwas spröde hanseatische Publicum zum Vortheil seiner „Thete“ in das Theater locken sollte; aber in welchem Zustande! So nahe dem Hafen drohte das Schiff zu scheitern! Wenn Bogumil Dawison nicht mit auftrat, dann wurden alle die schönen Hoffnungen auf ein glänzendes Benefiz zu Schanden. Hops, Anne Marthe – da lag der Topf! Schon rasselte die Postchaise über das Straßenpflaster, wir Alle halfen Dawison aus dem Wagen und brachten ihn in sein Zimmer. Trübselig war der Empfang bei der Familie W.; der Himmel, der so voller Geigen gehangen hatte, umflorte sich in bedenklicher Weise.

Der kranke Künstler ließ sich indeß bestimmen, zu Tisch zu kommen. Alles hing fragend an seinen Mienen. Bei dem zweiten Teller Suppe, den er verlangte, flog über das Gesicht von Papa W. ein heller Sonnenschein. Dawison nahm einmal Braten, er nahm zwei Mal, er nahm das dritte Mal davon – dem glücklichen Vater standen die Freudenthränen im Gesicht. Der gastirende Künstler war genesen, das Benefiz gerettet! Die Genesung machte unglaublich rasche Fortschritte; Dawison trank ein Glas Wein nach dem andern und entwickelte einen Humor, der das dankbarste Publicum fand. Freilich konnte das Geständniß der kleinen Komödie im Postwagen nicht ausbleiben, dieses dramatischen Intermezzos, welches für alle Eingeweihten so ergötzlich gewesen war. Der Vater war im Rausch der Freude gern bereit, den Scherz zu vergeben. Nur „Thete“ trug es dem Künstler nach, daß er ihrem Vater zum Besten gehabt hatte – und das rechne ich ihr heute noch zur Ehre an.

Der Benefizabend zeigte ein ausverkauftes Haus mit geräumtem Orchester – und der Don Carlos Dawison’s sowie die [252] dämonische Eboli des Fräulein Wilhelmi rissen das Lübecker Publicum zu begeisterten Beifallsäußerungen hin.

Von Hamburg wurde Dawison an das Wiener Burgtheater berufen; doch sollte ihm die Alsterstadt noch einmal verhängnißvoll werden. Bei einem späteren Gastspiel am Stadttheater gerieth er in Conflict mit dem Kritiker der „Hamburger Nachrichten“, Robert Heller, welcher die Leistungen des Künstlers einer sehr scharfen Kritik unterworfen hatte. Der Künstler ließ sich zu einer scharfen Entgegnung verleiten; die Folge davon war eine Forderung auf Pistolen, welche Heller an Dawison richtete. Auch Robert Heller gehört nicht mehr zu den Lebenden; es wird uns schwer, das Bild des jovialen Lebemannes mit jener geladenen Pistole in Einklang zu bringen, mit welcher er als radicaler Kritiker dem Künstler auf Schritt und Tritt bis nach Schwerin folgte, um ihn „todt zu machen“ und zwar nicht blos in der übertragenen Bedeutung des Wortes, nicht blos mit Druckerschwärze und Zeitungsblättern, nicht mit Hülfe der Erfindung Gutenberg’s, sondern mit derjenigen eines Berthold Schwarz. Robert Heller, heimisch in allen Austerkellern Hamburgs und bei jedem Mittagessen das geistige Gewürz bietend, hatte ein Erzählungstalent, das wie moussirender Champagner war, und wenn er eben so gut geschrieben hätte, wie er sprach, wäre er einer unserer ersten Schriftsteller gewesen. Doch auf dem weiten Wege vom Gehirn zu den Fingerspitzen ging ihm zu viel geistiges Fluidum verloren. Auch war seine Stimmung inspirirter, wenn er das Glas, als wenn er die Feder in der Hand hatte. Bei der Erinnerung an die unerschöpflich sprudelnden Tafelgespräche Heller’s und seine unverwüstliche Bonhomie wird es uns schwer, uns den Kritiker als einen Rachedämon zu denken, welcher dem in Schlangenwindungen ihm entfliehenden Künstler auf dem Fuße folgt. Dawison hatte indeß keine Lust sich zu schlagen, und so kam die deutsche Theatergeschichte, welche an harmlosen Knalleffecten reich ist, um eine blutigere Episode. Heller legte sein Pistol wieder in den Kasten und widmete sich von neuem seiner Mission, die lucullischen Mahlzeiten der Hamburger mit etwas attischem Salz zu versehen.

Ich selbst sah Dawison später noch mehrmals in Dresden, Breslau und Leipzig. In Dresden befand er sich auf der Höhe seines Ruhmes, und nur ein Schatten trübte denselben, der Schatten des idealen Frauenlieblings Emil Devrient, eines Künstlers, dessen Vorzüge für Dawison unerreichbar blieben. Hier in Dresden spielte der Künstler den Fox in meinem Lustspiel „Pitt und Fox“ mit sarkastischer Schärfe in eigenartiger Darstellung, später den „Mazeppa“ in meinem gleichnamigen Trauerspiele. Als ich ihn vor der Aufführung des Stückes besuchte, fand ich ihn in einer eleganten Villa mit freundlicher Gartenumgebung; er zeigte mir mit Stolz die geschmackvolle Einrichtung seines selbsterworbenen Besitzthums. Glänzende Erfolge bei Publicum und Kritik namentlich in Berlin hatten seine Ansprüche an das Leben gesteigert; aber sein rastloser Ehrgeiz gönnte ihm kein ruhiges Behagen. Auch war seine Gesundheit schon damals erschüttert. Bei einem Gastspiel in Breslau war er schwer und lebensgefährlich erkrankt. Noch schwebt mir das Bild des Halbgenesenen vor, den ich in die Schattengänge und unter die Blumen der seinem Hotel benachbarten prächtigen Villa Eichborn einführte. Damals war seine Gattin, jene frühere polnische Schauspielerin, die er erst heimführen konnte, nachdem er sich mühsam strebend eine sichere Stellung erworben hatte, von Dresden herübergekommen, um ihn zu pflegen, doch sie trug selbst den Keim des Todes in sich und erlag nicht lange darauf einem Herzleiden. Das letzte Band, das den Künstler an seine polnische Heimath fesselte, war durch diesen Tod zerrissen.

Zum letzten Male sah ich Dawison im Leipziger Rosenthale; er gastirte am Stadttheater, er hatte zu seinem Unglück sein festes Engagement in Dresden gelöst und war einem rastlosen Umherreisen und Gastiren verfallen; die vornehme Sicherheit der Existenz war ihm verloren gegangen. Noch sehe ich neben ihm seine zweite deutsche Gattin und das treue Hündchen, das vorauslaufend in den Gängen des Rosenthales stets die Nähe des gefeierten Künstlers ankündigte. Wie bald sollte diese heitere Familienidylle zertrümmert werden! Noch ist es mir lebhaft in der Erinnerung, wie mir Dawison unter einem schattigen Baume des Bonorand’schen Kaffeegartens zuerst den Plan seiner amerikanischen Reise mittheilte; finanzielle Verluste beschleunigten, wie er mir später schrieb, seinen Entschluß.

Jenseits des Oceans hat er seine letzten glänzenden Erfolge davon getragen. Bald nach seiner Rückkehr stellte sich das unheilbare Leiden ein, das ihn im kräftigsten Mannesalter dahinraffte. Deutschland verlor in ihm einen genialen Künstler von einer markig durchgreifenden Energie und Schärfe der Darstellung, von charakteristischer Originalität in der Tragödie wie im dramatischen Genrebild, unersetzlich in seiner Eigenart, von welcher sich die Nachgeborenen aus keiner Schilderung ein vollentsprechendes Bild werden entwerfen können.




[Berichtigung]

  1. a b c d e f g h i j Vorlage: Baccon, siehe Berichtigung in Heft 18