Einige Bemerkungen über die von Dr. Liskovius veröffentlichten Resultate seiner „Untersuchungen über den Einfluß der verschiedenen Weite der Labialpfeifen auf ihre Tonhöhe“

Annalen der Physik und Chemie
Band LXIII, Heft 11, Seite 380–388
Karl Reinhard Müller
Einige Bemerkungen über die von Dr. Liskovius veröffentlichten Resultate seiner „Untersuchungen über den Einfluß der verschiedenen Weite der Labialpfeifen auf ihre Tonhöhe“
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III. Einige Bemerkungen über die von Dr. Liskovius veröffentlichten Resultate seiner „Untersuchungen über den Einfluß der verschiedenen Weite der Labialpfeifen auf ihre Tonhöhe“[1]; von Prof. Müller in Marburg.

Wenn Labialpfeifen einander ähnlich sind, d. h. wenn Länge und Umfang des Querschnitts bei allen in gleichem Verhältnisse stehen, so verhalten sich bekanntlich die Schwingungen der eingeschlossenen Luftsäulen umgekehrt wie die Längen der Pfeifen, so daß man also in dieser Beziehung sagen kann, die Tonhöhe hängt von der Länge ab, d. h. die Länge einer, einem beliebigen Tonverhältnisse entsprechenden Labialpfeife ist entweder irgend ein aliquoter Theil, oder irgend ein Vielfaches der als Einheit angenommenen Länge einer ihr ähnlichen Labialpfeife.

Die Tonhöhe kann aber auch geändert werden, wenn bloß der Umfang geändert wird. Allein man weiß wohl im Allgemeinen, daß durch Vergrößerung desselben der Ton tiefer und durch Verkleinerung höher wird, kennt aber die Verhältnisse noch nicht, nach welchen diese Aenderungen geschehen müssen, um gewissen Tonverhältnissen zu entsprechen. Obgleich nun weder von einem System ähnlicher Pfeifen, noch auch von solchen, welche gleiche Länge, aber verschiedene Weite haben, beim Orgelbau Gebrauch gemacht werden kann, aus Gründen, deren Auseinandersetzung hier zu weit von dem in Rede stehenden Gegenstande ablenken würde, so ist doch eine solche Untersuchung unstreitig von wissenschaftlichem Interesse.

Ueber die in der Ueberschrift angegebenen Untersuchungen hat der Verf. drei verschiedene Versuche angestellt, die aber von der Beschaffenheit waren, daß durch sie nichts entschieden werden konnte.

Durch den Versuch No. 4 wurde zwar ermittelt, nach welchen Verhältnissen die Länge der Labialpfeifen von einerlei Weite geändert werden müsse, um die diatonische Durtonleiter anzugeben; allein die hieraus abgeleiteten, und in dem Schema, S. 99, angegebenen Tonverhältnisse, welche der Hälfte, dem vierten und achten Theil einer gegebenen Pfeifenlänge entsprechen sollen, sind unrichtig, da sie auf irrigen Voraussetzungen beruhen. Ich glaubte daher, daß dieser Gegenstand im Interesse der Wissenschaft einer näheren Prüfung unterzogen zu werden verdiene. Eine kurze Andeutung des Weges, den der Verf. eingeschlagen hat, um zu den von ihm aufgestellten Resultaten zu gelangen, wird dazu beitragen, das Ganze übersehen und beurtheilen zu können. Er ist folgender:

I. Eine hölzerne prismatische Labialpfeife von 6″4‴,25 Länge Par., deren Querschnitt ein Rechteck bildet, von dessen Seiten die eine 2″10‴, die andere 3″, der Umfang also 11″ 8‴ beträgt, dient als Grundlage bei diesem Versuch. Zu dieser Pfeife wurden vierzehn Röhrenaufsätze gemacht, und zwar von der Länge, daß sie, nach der Reihe an einander gefügt, die diatonische Durtonleiter durch zwei Octaven hindurch angaben, und zwar, nach der Stimmhöhe des Instruments, womit dieser Apparat verglichen wurde, von an bis zu in der kleinen Octave. Die Länge aller Röhrenaufsätze zusammengenommen genommen, mit Einschluß der ursprünglichen Pfeife betrug 3′ 7″ 5‴ Par. Maaß. Es würde überflüssig seyn, die Längen der einzelnen Röhrenaufsätze hier anzugeben, da dieß zur Beurtheilung des Ganzen nicht erforderlich ist, einige Längenangaben ausgenommen, von welchen am gehörigen Orte die Rede seyn wird.

Ob bei diesem Apparat, außer der Quantität der Töne, auch ihre Qualität berücksichtigt worden ist, d. h. ob bei der Anfügung eines neuen Röhrenaufsatzes eine, dem hierdurch geänderten Verhältnisse der Länge zum Umfang des Querschnitts entsprechende Schnelligkeit der Luftströmung stattgefunden habe, muß dahin gestellt bleiben, da der Verf. hiervon nichts erwähnt. Es ist aber dieß ein wesentliches Erforderniß für die genaue Bestimmung des Grundtons einer Labialpfeife. Denn nur bei entsprechender Schnelligkeit der Luftströmung wird der Ton rein und voll, aber auch zugleich höher als bei dem Mangel an erforderlichem Luftzuflusse. Wird also bei einer solchen Untersuchung dieser Umstand nicht zugleich mit berücksichtigt, so bleibt es immer zweifelhaft, welcher von den verschiedenen Tönen, die eine Labialpfeife bei vermehrtem Luftzuflusse anzugeben vermag, ohne in den ersten Flageoletton überzugehen, als eigentlicher Grundton angesehen werden müsse. Man weiß nämlich aus Erfahrung, daß, wenn eine Labialpfeife durch einen möglichst schwachen Luftzufluß zur Ansprache gebracht wird, durch eine stetige Vermehrung desselben unzählige Töne, ohne in den ersten Flageoletton überzugehen, erzeugt werden, von welchen der tiefste und höchste um so weiter von einander abstehen, je kürzer bei ungeänderter Weite die Pfeifen werden. Obgleich nun von den Tönen, die zwischen dem tiefsten und höchsten liegen, die zunächst auf einander folgenden, wegen der stetigen Zunahme der Höhe, durch das Gehör nicht wohl von einander unterschieden werden können, so zeichnet sich doch jedesmal einer von ihnen durch Reinheit und Wohlklang vorzüglich aus, und dieser ist als der alleinige Grundton anzusehen. Von den übrigen, zu beiden Seiten desselben liegenden, sind die tieferen mehr oder weniger dumpf und schwach, die höheren rauh und scharf. Die Orgelbauer nennen die genaue Bestimmung des Grundtons einer Labialpfeife die »Intonation.« Es gehört dazu nicht nur ein musikalisch gebildetes Gehör, sondern auch viele Uebung und Erfahrung, und die daraus hervorgehende Möglichkeit, Vergleichungen anstellen zu können.

Man kann sich leicht davon überzeugen, daß Pfeifen von gleicher Weite, aber verschiedener Länge, auch verschiedenen Luftzufluß nöthig haben, um rein und voll anzusprechen, also ihren eigentlichen Grundton anzugeben. Wenn man nämlich einer Pfeife von beliebiger Länge und Weite so viel Luftzufluß giebt, daß sie ihren ersten Flageoletton ohne Beimischung des Grundtons angiebt, und sodann eine nur halb so lange, aber eben so weite Pfeife mit demselben Luftzuflusse zur Ansprache bringt, so giebt letztere, vorausgesetzt, daß die Luftströmung bei beiden einerlei Richtung gegen das Oberlabium hat, bloß ihren Grundton an, hat also zur Hervorbringung ihres ersten Flageolettons einen größeren Luftzufluß nöthig.

II. In Beziehung auf die in I. genannten Röhrenaufsätze bemerkt der Verf. S. 98: »Zwar rechnet man bei den Labialpfeifen, unter den gewöhnlichen Verhältnissen ihrer Weite zur Länge, auf das große 8′, auf das kleine 4′ u. s. w. Welche Fußlänge aber da gemeint sey, finde ich nirgends angegeben, wahrscheinlich ist der rheinländische Fuß gemeint.«

Die Ansicht, welche der Verf. von den bei dem Orgelbau gebräuchlichen Ausdrücken »8füßige, 4füßige u. s. w. Pfeifen« hat, so wie die Meinung, als liege hierbei rheinländisches Maaß zu Grunde, ist irrig, und mußte daher nothwendig, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, unrichtige Folgerungen veranlassen. Daß diese Ausdrücke nicht so zu verstehen seyen, als ob eine Pfeife, welche das große angiebt, wirklich 8′, das kleine wirklich 4′ u. s. w. nach irgend einem Fußmaaße lang seyn müsse, geht aus Folgendem hervor.

1) In den Lehrbüchern der Physik und Akustik wird zwar behauptet, daß eine offene prismatische oder cylinderförmige Pfeife, welche den tiefsten Ton von 32 (einfachen) Schwingungen in einer Secunde, den man genannt hat, angiebt, 32 Par. Fuß lang seyn müsse, und daß diese Größe gefunden werde, wenn man die Länge der Bahn, welche der Schall in einer Secunde zurücklegt, durch die Zahl der Schwingungen, welche jenen Ton hervorbringen, dividire. Allein dieser Behauptung kann aus dem Grunde keine allgemeine Gültigkeit zugestanden werden, weil wegen des Einflusses der Weite auf die Tonhöhe auch eine Pfeife, welche größer oder kleiner als 32 Fuß ist, denselben Ton angeben kann. Dasselbe gilt aus gleichem Grunde von den Pfeifen, welche die Töne von 64, 128, 256 u. s. w. Schwingungen, d. h. die Töne der zunächst aufeinanderfolgenden Octaven, also , , u. s.  w. angeben, und die, wenn sie einander ähnlich sind, beziehungsweise , , u. s. w. seyn können. Daß dieß von allen Schwingungszahlen ohne Ausnahme gelten müsse, liegt in der Natur der Sache.

2) Die Stimmhöhe ist nicht zu allen Zeiten dieselbe geblieben, und ist auch gegenwärtig noch an verschiedenen Orten verschieden. So gehören z. B. bei der Stimmhöhe, wie sie in Berlin beim Theater herrscht, zu 1048,8 Schwingungen in einer Secunde. Nimmt man nun an, daß zu dem tiefsten vernehmbaren Ton oder 32 Schwingungen gehören, also zu 1024, so ergiebt sich daraus die Größe der veränderten Stimmhöhe. Daß nun die Pfeife, welche den Ton von 1048,8 Schwingungen angiebt, kürzer seyn müsse als die, welche den Ton von 1024 Schwingungen angiebt, vorausgesetzt, daß sie ähnlich sind, geht hieraus von selbst hervor. Dasselbe gilt von den höheren und tieferen Octaven. Bequemlichkeitshalber hat man indessen beim Orgelbau die Ausdrücke 32füßige, 16füßige, 8füßige u. s. w. Pfeifen beibehalten, und versteht z. B. unter einer 8füßigen Pfeife eine solche, welche das in der großen Octave angiebt, obgleich sie kleiner als 8 Par. Fuß ist. Um jedoch die wahre Größe dieser Pfeifen mit irgend einem Maaße, wo nicht in völlige, doch in nähere Uebereinstimmung zu bringen, hat man das Leipziger gewählt, welches daher auch das Orgelbaumaaß genannt zu werden pflegt.

III. Der Verf. reducirt sodann die aus sämmtlichen Röhrenaufsätzen bestehende Pfeife, welche, wie bereits erwähnt, 3′ 7″ 5‴ lang ist, und das kleine angiebt, auf rheinl. Maaß, und bemerkt dabei: »das kleine soll 4′ Kanallänge haben. Das trifft mit 3′ 9″ (als dem reducirten Maaße) nahe überein.«

Abgesehen davon, daß bei einer Untersuchung, wie die vorliegende, wobei es auf genaue Bestimmung der Tonverhältnisse ankommt, 3′ 9″ keineswegs als nahe übereintreffend mit 4′ angesehen werden können, indem die Töne, welche von diesen Längen abhängen, bedeutend verschieden sind, so kommt hierbei hauptsächlich das in Betracht, daß der Verf. mit dem Ton, den diese Pfeife angiebt, den der 2füßigen vergleicht, dabei aber den Fehler begeht, daß er:

1) diesen Ton nicht genau bestimmt, indem er sagt: »das eingestrichene soll 2′ Kanallänge haben; es hat aber nur (nach dem Apparat) 1′ 5″ 10‴,5 und die Kanallänge von 2′ fällt hier zwischen und , also ungefähr auf .« Bei dieser Bestimmung ist es aber zweifelhaft, ob sie zwischen und oder zwischen und fällt.

Sodann betrachtet 2) der Verf. 2 Par. Fuß als die Hälfte von 3′ 7″ 5‴ Par., indem er sagt: »der Umfang des Querschnitts 11″ 8‴, also nahe an 1′, verhält sich zu der Kanallänge von 3′ 7″ 5‴ des kleinen ungefähr wie 1 : 4″.

Abgesehen von der Verschiedenheit dieser Verhältnisse, so kommt hier wieder hauptsächlich das in Betracht, daß der Verf. unter dem Verhältnisse 1 : 4 das Verhältniß des Umfangs zur ganzen Pfeifenlänge versteht, woraus von selbst folgt, daß in gleicher Beziehung unter dem Verhältnisse 1 : 2 nichts anderes verstanden werden könne, als das Verhältniß des Umfangs zur halben Pfeifenlänge. Nun heißt es in dem oben erwähnten Schema: »Wenn das Verhältniß des Umfangs zur Länge wie 1 : 4 ist, so ist der Ton der Länge gemäß (hier klein ), und bei dem Verhältnisse 1 : 2 eine große Terz tiefer als der Länge gemäß« (also klein oder , was hier ohne merklichen Fehler als gleich bedeutend gelten kann). Nach III. 1) aber ist die Pfeife, welche diesen Ton angiebt, 2′ lang, die Bestimmung des Tons also, welcher dem Verhältnisse 1 : 2 entspricht, unrichtig, denn die Hälfte von 3′ 7″ 5‴ ist 1′ 9″ 8‴,5. Vergleicht man diese Größe mit dem Apparat, so ergiebt sich, daß sie zwischen 1′ 10″ 6‴,75 und 1′ 7″ 8‴ fällt, und um 10‴,25 kleiner als , und um 2″ 0‴,5 größer als ist, also näher an als an , folglich zwischen und liegt. Wenn demnach eine Pfeife von den genannten Dimensionen in ihrer Mitte parallel mit der Grundfläche durchschnitten wird, so giebt die dadurch entstandene Pfeife einen Ton an, welcher nicht völlig eine kleine Terz tiefer ist, als er seyn würde, wenn die Weite in demselben Verhältnisse geändert worden wäre, d. h. wenn die Pfeifen einander ähnlich wären. Aus gleichem Grunde sind die den Verhältnissen 1 : 1 und 1 : entsprechenden Töne unrichtig angegeben.

Um hierüber genaueren Außchluß zu erhalten, so wie hauptsächlich auch darüber, ob bei fortgesetztem Halbiren einer Labialpfeife die Töne je zweier zunächst aufeinanderfolgenden einerlei Verhältniß zu einander haben, ließ ich zwei Apparate, jeden von vier Pfeifen, anfertigen. Die längste Pfeife des einen ist 4 Casselsche Fuß lang, und der Querschnitt bildet einen Quadrat, dessen Seite 3″ beträgt. Von den übrigen Pfeifen ist jede folgende halb so groß als die vorhergehende. Bei dem andern Apparat hat die längste Pfeife genau die Dimensionen, wie sie bei des Verf. Apparat angegeben sind. Die längste Pfeife des ersten Apparats giebt einen Ton an, der, nach der Stimmhöhe des Instruments, womit er verglichen wurde, zwischen und in der Mitte liegt. Der Ton der zweiten ist genau ; der der dritten etwas höher als , dem Einklang nahe; der der vierten etwas höher als , deren Einklang näher als der Ton der zweiten. Die Töne des zweiten Apparats sind etwas tiefer als die des ersten, da die Pfeifen länger sind. Da aber der Aufschnitt höher und der Umfang kleiner als beim ersten ist, so ist die Verschiedenheit der Stimmhöhe geringer, als sie bei einerlei Aufschnitt und Umfang seyn würde.

Wären die Pfeifen einander ähnlich, so würden sie der Reihe nach die Töne der zunächst auf einander folgenden Octaven angeben. Bezeichnet man demnach den Ton der größten Pfeife, da er tiefer als ist, mit , und die Octaven auf die herkömmliche Weise, vergleicht sie mit den Tönen, welche die Pfeifen bei ungeänderter Weite angeben, und stellt sie, der bequemeren Uebersicht wegen, so zusammen:

so ist hieraus ersichtlich, daß die Verhältnisse der Töne je zweier zunächst auf einander folgender Pfeifen ungleich sind, da größer als eine große Sexte ist, sich einer großen Sexte mehr nähert, indem dem Einklang nahe ist, kleiner als eine kleine Sexte ist, indem sich dem Einklang mehr nähert als . Zugleich stellt sich hierbei der Unterschied heraus, um welchen die Töne der drei letzten Pfeifen tiefer sind, als sie seyn würden, wenn diese Pfeifen der ersten ähnlich wären, und es geht aus dem Ganzen hervor, daß der Einfluß der Weite auf die Tonhöhe um so größer ist, je kleiner das Verhältniß des Umfangs zur Länge wird, und umgekehrt. Daß dieser Einfluß stetig sey, d. h. daß er bei zwei verschiedenen Verhältnissen, die zwischen den genannten liegen, nicht

einerlei seyn könne, liegt in der Natur der Sache, und eben so auch, daß er, wenn die Verhältnisse des Umfangs zur Länge größer werden, nicht werden könne.

  1. S. Annalen, Bd. LVIII S. 95.[WS 1]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Karl Friedr. Sal. Liskovius: Ueber den Einfluß der verschiedenen Weite der Labialpfeifen auf ihre Tonhöhe. Eine akustische Untersuchung. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 134, Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1843, S. 95 Quellen