Eine Heilstätte in den Alpen

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Titel: Eine Heilstätte in den Alpen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, 10, S. 143–145, 164–166
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine Heilstätte in den Alpen.


Als ich jüngst Meran verließ, war mir mehr weh als wohl zu Muthe – nicht, wie wenn ich über Brustweh oder Asthma oder Lungenschwäche zu klagen gehabt hätte: nein, ich hatte, Gott sei’s gedankt, den berühmten Curort im vorigen Herbst lediglich seiner landschaftlichen Schönheit halber aufsuchen können; aber das Herz im Leibe that mir weh, weil ich von dem rebenumkränzten Thale, von den duftigen, stolzen Bergen, von dem sonnigen Städtchen an der Passer scheiden sollte, das ich so liebgewonnen und das [144] Keiner vergißt, der die Herrlichkeiten seiner Umgebung einmal genossen. Und wie pocht Einem gar das Herz, wenn man, über die Berge daherkommend, zum ersten Male die berühmte Stadt vor sich liegen sieht, burgenumschützt und sonnenumflossen; wie munter und jubelnd

Zwischen Weinbergsmauern auf dem Küchelberge.

schwingt der Tourist den Burgen da drüben und den Thürmen da drunten seinen Hut zum Gruße entgegen, indessen der „Unheilbare“, den die Aerzte hierher in das ferne Land geschickt haben und dessen Wagen in Staub wirbelnd dahinrollt, in neuen bangen Zweifeln, in Furcht und Hoffen erbebt, ob er von hier geheilt an den heimathlichen Herd zurückkehren oder, dem mörderischen, heimtückischen, nie rastenden Feind in seiner Brust zum Opfer hinsinken werde, jenseits der Alpen in schönem, aber doch fremdem Lande, auf immer geheilt und für immer erlöst!

Ich war, als ich nach Meran wanderte, in nördlicher Richtung her an dem Dorfe Moos und an St. Leonhard vorübergekommen, in dessen Nähe das berühmte Wirthshaus „Am Sande" liegt, von dem Sande oder vielmehr von dem aus den Bergen mitgenommenen Geröll

Ruine Brunnenburg.

so genannt, welches die Passer, wie vielfach in dem weiten Thale, so auch hier vor dem Hause des Freiheitshelden Andreas Hofer ablagert. Das Gehöft mit dem zweistöckigen hölzernen Vorbau, beschattet von zwei uralten Linden, die ihre Aeste weit über das Dach strecken, wird von seinem jetzigen Besitzer, einem Nachkommen des Andreas Hofer, in der alten, schmucklosen Einfachheit erhalten. In der oberen Stube zeigt man Hofer’s großen, schwarzen Tirolerhut, seinen kurzen Stock, seinen breiten, reich gestickten Ledergürtel, sowie seinen letzten, vier Stunden vor der Erschießung geschriebenen Brief aus Mantua, darinnen die denkwürdigen Worte vorkommen: „Ade, meine schnöde Welt, so leicht schwebt mir das Sterben vor, daß mir nit die Augen naß werden.“ Auf den Bergen gegenüber liegt die Sennhütte, in welcher sich Hofer vor den Franzosen verborgen hielt.

Ueber Salthaus und dessen stolzen Banketsaal, der den bescheidenen Namen „Gaststube" führt und von feinen Erkerfenstern aus einen entzückenden Blick hinunter in das Passeyer Thal gewährt, ließe sich mancherlei Schönes berichten; aber vorbei an wilden tief einschneidenden Schluchten, über primitive Holzbrücken, unter denen kleine Gebirgsbäche dahinbrausen, zur Rechten hoch oben das gewaltige Schloß Auer, begrüßte ich die ersten Weingärten, welche sich in Terrassen die Gehänge der Berge hinaufziehen und zwischen deren Weinmauern ich nun hinschlenderte, bis sich der Weg von den Höhen der Berge hinab senkt nach Meran, das hier durchaus den Eindruck einer mittelalterlichen befestigten Stadt macht. Der alte, feste, mit dem Stadtwappen geschmückte Thurm des Passeyer Thors, durch welchen die Straße hindurchführt, die verwitterten Stadtmauern, die Häuser, welche hoch aus dem Flusse aufsteigen, die Passer, welche wie ein tiefer Festungsgraben diesen Theil Merans umfließt, der alte verfallene Wartthurm auf dem Hügel vor dem Thore halb versteckt zwischen Weingärten – alles dieses erinnert an die Zeiten des Mittelalters, da noch die Stadt mit dem Ritteradel des Etsch-Thales in steter Fehde lag.

Und so schritt ich denn nun hin durch die meist winkligen und schiefen Straßen der alten Stadt. Schon die Bauart der Häuser zeigte, daß ich jenseits der Alpen sei. Ueberall machten sich meinem nordischen Auge die breiteren Wandflächen, flacheren Dächer, kleinen unregelmäßigen Fenster und weiten Thüröffnungen bemerkbar. Auch das Leben auf den Straßen fand ich schon viel bunter, mannigfaltiger, öffentlicher, als bei uns. In den Laubengassen der Stadt spannen die Weiber und lagen leichtbekleidete Bursche in träger Ruhe [145] auf den Bänken ausgestreckt. An den weiten Fensteröffnungen sah ich Handwerker arbeiten, dann und wann behaglich mit den Vorübergehenden schwatzend, immer das Leben und Treiben auf der Straße im Auge behaltend. Zwischen den Mauerpfeilern der Gassen lagen die herrlichsten Südfrüchte, Wein, Feigen, Pfirsiche, Aprikosen, Melonen in reicher Fülle aufgehäuft, und doch, bei all diesem südländischen, italienischen Anstrich, den das Leben allüberall zeigt und der auf den fremden Besucher schon so reizvoll wirkt, wie durch und durch deutsch fand ich die Bevölkerung! Und Jeder, der denn auch jemals an einem Sonntage in den Straßen Merans die hohen breitschulterigen Gestalten der Landleute aus der Umgegend gesehen hat mit dem blonden, welligen Haar, den blauen

Passeyer Thor von Meran

Augen, der hohen Stirn, in ihrer malerischen Tracht, den kurzen Kniehosen, der kurzen Jacke, um den Leib den breiten rothgestickten Gürtel, auf dem Kopfe den spitzen Tirolerhut, im Munde die nie fehlende kurze deutsche Pfeife – erkennt in ihnen gleich den Deutschen, den Enkel jener Hünengestalten, welche die Römer so oft in Furcht und Schrecken gesetzt haben. Es sind dies auch die Nachkommen der Rugier und Ostgothen, deren Kämpfe im Etschthale wohl die Grundlage jener Sagen bilden, welche die Thaten des großen Ostgothen-Fürsten Dietrich von Bern feiern. Noch am Ende des vorigen Jahrhunderts war Gestalt, Charakter, Gesinnung und Sprache deutsch bis Trient und ist es jetzt noch bis Neumarkt unterhalb Botzen. Denn leider ist die österreichische Regierung dem Vordringen des italienischen Elements im untern Etschthale nicht entgegengetreten.

Das gleichmäßige milde Klima hat bekanntlich Meran vor Allem zu einem Curort von europäischer Berühmtheit für Brustkranke gemacht. Ganz besonders wird der Ort vor den kühlen Luftströmungen aus dem Passeyerthal durch einen Ausläufer der Mutspitze, den Küchelberg, geschützt, an dessen Südabhange sich Meran längs der Passer ausdehnt und hinzieht. Aber der Küchelberg übt nicht allein dieses wohlthätige Schutzamt gegen rauhe stürmische Eindringlinge aus dem Norden; von seiner Höhe gewährt er auch eine herrliche Aussicht auf Meran und das Etschthal, so daß ich schon in den ersten Tagen meines Aufenthaltes von der Pfarrkirche der Stadt aus zwischen den hohen Mauern der Weingärten, welche den Abhang dieses Berges bedecken, auf vielen steilen Stufen zu ihr emporstieg. Hier und da stand in der Mauernische ein Marienbildniß, vor welchem der Tiroler andächtig ein Paternoster betet oder im Vorbeigehen mechanisch ein Kreuz schlägt. Von beiden Seiten wucherten üppig die Reben über die Mauern und oft schritt ich unter einem festen Rebendach, durch welches sich die Sonnenstrahlen nur verstohlen durchdrängten, in geheimnißvollem Halbdunkel hin. Dann wieder bot sich bald nach dieser, bald nach jener Seiten hin plötzlich und unerwartet die reichste Aussicht auf Meran und das Etschthal dar, eingerahmt von dem grauen Felsgestein der Mauern und den saftiggrünen Blättern der Weinreben mit den herabhängenden, vollen dunkeln Trauben.

Die Aussicht auf das Etschthal lohnte die Anstrengungen, welche der etwas gar steile Weg verursacht hatte, in verschwenderischer Weise. Goldiger Sonnenduft lag ausgebreitet über den grünen Wiesen, durch die sich der Fluß wie ein Silberfaden schlängelte. Ringsum in malerischen Contouren mächtige Berge, nur nach Süden sich öffnend und dem Auge in weiter Ferne die blauen Linien der Tridentiner Berge zeigend.

Wesentlich erhöht wird der malerische Charakter der Landschaft durch die zahlreichen Burgen, deren Trümmer oft fast ganz von dem vollen saftigen Grün uralter Epheustämme umrankt sind und bald aus mächtigen Kastanien- und Nußbaumgruppen hervorschauen, bald wieder kühn auf vorspringenden Felsen thronen oder wie Schwalbennester an den Bergen hangen. Die bedeutendste der Burgen Merans ist das Schloß Tirol, nun ausgebaut und den Lesern der Gartenlaube wohl schon aus irgend einer der vielen Abbildungen, welche von ihm existiren, bekannt. Von der alten Burg ist noch ein verfallener, auf schwindelnder Höhe liegender Thurm vorhanden.

Einige hundert Fuß unterhalb thront die Ruine Brunnenburg auf einem freien, nackten Felsen, aus dem das grau verwitterte Gemäuer gleichsam hervorzuwachsen scheint. Den Fuß des Burgfelsens, wo der Sage nach der mit einem Seidenfaden umzogene und mit goldenen Pforten verschlossene Rosengarten des Zwergkönigs Laurin gewesen sein soll, welchen der ernste, gewaltige Held Dietrich von Bern besiegte, bekleiden Weingärten; bald aber macht das schroffer ansteigende Gestein den Weinbau unmöglich, der nackte Fels tritt zu Tage und nur noch hier und da hat sich auf den Absätzen desselben eine kleine Weinpflanzung eingenistet, in welcher halb versteckt ein Bauernhaus liegt.

[164] Wenige der alten Rittersitze, welche die Umgebung Merans und das nahgelegene Etschthal schmücken, sind noch in bewohnbarem Zustande oder von reichen Privatleuten ausgebaut worden, wie das wundervoll an der Naif gelegene Schloß Trautmannsdorf, welches, in einem Haine der herrlichsten Südgewächse gelegen, sehenswerthe Kunstschätze und eine hervorragende Sammlung antiker Waffen enthält. Die meisten Burgen sind verfallen und oft hat sich in ihr Trümmerwerk

Die Zenoburg.

ein Bauernhaus eingenistet mit weit vorspringendem, steinbeschwertem Schindeldach, die Giebel und Treppengeländer mit Maiskolben behangen. Kein Becherklang ertönt mehr in den Hallen, kein glänzender Jagdzug lenkt mehr hinab zu Thal, der Hofraum ist öde und still und über das verwitterte Gestein schlüpfen die Schaaren zierlicher, klugblickender Eidechsen hinweg.

Bekannt aus den Meraner Novellen Paul Heyse’s ist das romantische, düstere Schloß Planta, mit dessen Abbildung wir gewiß vielen Freunden und Verehrerinnen des genannten Dichters einen Gefallen erweisen. Im Viereck ragt die Schloßruine hoch auf; die runden Thürme sind von Epheu dicht umrankt, der sich in mächtigen Stämmen hoch hinauf bis zur Spitze des Daches gezogen hat. Nußbäume wachsen an den verfallenen Umfassungsmauern und beschatten den öden Schloßhof. Wüst und verwildert liegt die alte Epheuburg melancholisch in dem Düster finsterer Tannen, ein Bild der Vergänglichkeit, ein Asyl der weltvergessenen Einsamkeit. Als ich von dem bei Obermais gelegenen Schloß Planta wieder auf das rechte Ufer der Passer wollte, auf dem ja auch Meran liegt, passirte ich die Römerbrücke, welche sich hier am Fuß der gegenüberliegenden Zenoburg in hohem, kühnem Bogen über den in engem Bette hinbrausenden Fluß spannt. Die Zenoburg, auf einem steil aus der Passeyer Schlucht sich erhebenden Felsen thronend, ist nicht allein ihrer Lage wegen sehenswerth. Sie ist die Geburtsstätte einer Frau, deren Name in der Geschichte fast verrufen genannt werden kann, während er im Volke noch heute nicht ohne neckische Popularität ist. In der Zenoburg ward nämlich die Gräfin von Tirol, Margarethe Maultasch, geboren, die ihren sonderbaren Namen übrigens nicht von ihrem weiten und unförmlichen Munde hatte (von Einigen wird Margarethe Maultasch sogar als schön gepriesen), sondern von ihrem Schloß Maultausch in Tirol. Berüchtigt ist ihre erste Ehe mit dem böhmischen Prinzen Johann, dessen Apathie freilich nicht zu dem stolzen, aufgeweckten, feurigen und drangvollen Geiste Margarethens paßte. Nach dem Tode ihres zweiten Gemahls und ihres eignen Sohnes trat sie bekanntlich die Grafschaft Tirol an die Herzöge von Oesterreich ab und zog sich nach Wien zurück, wo sie schon wenige Jahre später starb.

Die Zenoburg liegt vor dem Passeyer Thor, durch welches zuerst ich die Straßen Merans betrat. Wenn ich übrigens am Anfange meiner Mittheilungen die Häuser der Stadt alt und alterthümlich nannte, so ist damit nicht anzunehmen, daß moderne Bauten vollständig fehlten. Im Gegentheil befinden sich zahlreiche neuerbaute Hôtels und Pensionen in nächster Nähe, theilweise sogar innerhalb der Stadt, während wahrhaft luxuriöse Gebäude, Schlösser und Villen wie über Nacht entstehen, die umliegenden Höhenzüge und Bergzüge.zu schmücken. Trotz der mannigfachen Neubauten fand ich jedoch an einfachen und einzelnen Zimmern immer noch einen großen Mangel. Während meiner Anwesenheit forderte man für solche fünfzehn bis vierzig Gulden per Monat. Letzterer Preis – [165] das Leben in Meran kann sonst nicht gerade theuer genannt werden – mußte ich doch etwas übertrieben finden; denkbar und möglich ist er nur, weil eben dem außerordentlichen Andrang der Fremden und meist reicher Fremden eine Stadt mit nur etwa dreihundert Häusern und vielleicht dreitausend Einwohnern gegenüber steht.

Schloß Trautmannsdorf.

Selbstverständlich bietet die Zimmervermiethung und überhaupt Alles, was mit einem in Mode gekommenen Curort in Verbindung steht, eine Haupteinnahme für die Einwohner Merans. Daneben wird aber die Pflege jener köstlichen Gaben, welche in wahrhaft verschwenderischer Weise über das südliche Tirol ausgeschüttet worden sind, nicht vernachlässigt. Obst und Edelfrüchte Tirols sind fast weltbekannt und wandern jetzt sogar bis in’s russische Reich. Von dem herrlichen Weine Terlans hat schon Jedermann gehört, wenn auch nicht getrunken, und ganz gewiß gereicht er den Einwohnern des kleinen Ortes mehr zum Ruhme, als jene Sage, die sich an dessen schief geneigten Thurm knüpft und die sich nicht einmal gut hier erzählen läßt. Die Rebe Tramin’s aber hat ihren Weg schon längst zu den Hügeln des Rheins und des Mains gefunden, und die wahrhaft paradiesische Lage Eppan’s in einer Ueberfülle von Weingärten ist jedem Besucher Bozens bekannt.

Schloß Planta.

So beschäftigt man sich denn auch überall um Meran mit dem Weinbau und betrachtet den Wein, der übrigens nicht wie bei uns an Stöcken, sondern an einem etwa sechs Fuß hohen und eine Art Laubgänge bildenden Geländer gezogen wird, als das wichtigste Erzeugniß der Ebene und der Gebirgsabhänge. Derselbe ist jedoch nur an einigen wenigen Plätzen, wie etwa auf den Anhöhen von St. Valentin in Mais, wirklich vorzüglich zu nennen. Der Wein der Ebene und anderer Orte ist gewöhnlich sauer und von geringer Art. Immerhin bleiben aber schon jene blattreichen, dunklen, sonneabwehrenden Laubgänge, in denen der Wein gezogen wird und von denen ich eben erst gesprochen habe, von ganz besonderem geheimnißvollen Reiz für den Fremden, der sich gerne in diesen Lauben ergehen möchte, wenn nicht das Gesetz in Person der sogenannten Saltner oder Weinbergshüter ein immer bedauertes, aber unerbittliches Machtwort sprechen würde.

Nach dem Weinbau sind die Wiesen zu nennen, die den freundlichsten Anblick bieten, wohl gepflegt werden und daher auch zu einem Viehstand Anlaß geben, der alles Lob verdient und dessen Vertreter wegen ihres stattlichen Aussehens mit Recht zu den gesuchten und besten ihres Stammes gezählt werden.

Nicht geringes Interesse bot mir während meines langen Aufenthaltes der Verkehr mit den Angehörigen der verschiedensten Nationen, der verschiedensten Stände, der verschiedensten Parteien. Man kann wohl sagen, daß an den Ufern der Passer sich alle Nationen der Welt, soweit sie civilisirt sind, Stelldichein geben, und daß sich darum hier die verschiedensten und entgegengesetztesten Ansichten einander begegnen müssen, liegt auf der Hand. Von welch heftigen Erörterungen, von wie lebhaften Auseinandersetzungen war ich Zeuge, und leider spielte dabei gerade die Religion und hier wieder vor Allem die päpstliche Frage und das Unfehlbarkeitsdogma meist die Hauptrolle. Man befindet sich in Meran auf einem stockkatholischen Boden; das Licht, das sich hier so göttlich und hell auf Berg und Thal ergießt, ist noch nicht in die Herzen, noch nicht in die Köpfe gedrungen, und wie überall in Tirol nimmt die Mehrzahl der Bevölkerung der Stadt Partei für den Papst, für seine weltliche Macht, für seine Unfehlbarkeit. Die meisten Fremden aber, die hier verkehren, die meisten Curgäste gehören Norddeutschland, England, Rußland an. Viele derselben, anderer Meinung als die Eingeborenen des Landes, meinen deren Irrglauben mit Spott [166] und Ernst, mit Wissenschaft und Satire bekämpfen zu müssen – lauter Dinge, gegen die der Tiroler entweder äußerst empfindlich oder äußerst gleichgültig ist. Im letzteren Falle ärgert sich der Fremde über den Eingeborenen, im ersteren der Eingeborene über den Fremden – in beiden Fällen aber bleiben selbst die nachhaltigsten Expectorationen fruchtlos und endigen meist mit noch nachhaltigerer Verstimmung.

Die Einigkeit ist also in dieser Beziehung nicht besonders groß, was schon der Umstand beweist, daß von siebzehn Vereinen, deren sich einst Meran zu erfreuen hatte, nur noch drei am Leben sind, unter welchen – natürlicher Weise – der katholische Gesellenverein der größte und blühendste ist. Selbst der constitutionelle Verein, der doch, wie man uns versichert hat, aus Vertretern der höheren Intelligenz besteht, ist dem Erlöschen nahe, da sogar in diesem Vereine die Ansichten sehr disharmonisch auseinandergehen sollen.

Und, da denn doch einmal von der „höheren Intelligenz“ die Rede war, so mag zum Schlusse des mächtigsten Bildungsmittels unserer Zeit gedacht werden, der Presse, welche in Meran durch ein vor fünf Jahren gegründetes und wöchentlich zweimal erscheinendes Journal vertreten ist: „Die Meraner Zeitung“. Ihre Gründung verhalf auch der Stadt Meran zu einer Druckerei, nachdem bisher Gutenberg’s schwarze Kunst an den Ufern der Passer keinen Jünger gefunden und Alles in dem benachbarten Bozen hatte gedruckt werden müssen. Der Drucker der „Meraner Zeitung“ ist ein Preuße, ein Kölner Kind, und geht selbstverständlich mit den Liberalen Hand in Hand. Das hat aber in Meran seine Schwierigkeiten, und so hat es denn die „Meraner Zeitung“ noch nicht über ein paar hundert Abonnenten gebracht. Ja, es will sich nicht einmal recht ein Redacteur mehr dazu finden; denn alle an diesem Blatte beschäftigten Schriftsteller verließen dasselbe schon nach wenigen Wochen wieder, die Unmöglichkeit eines Erfolges einsehend. Trotzdem aber ist die Druckerei, da sie keine Concurrenz zu bestehen hat, eine wahre Goldgrube; denn sie liefert eine Menge anderer Drucksachen, in deren Wahl sie so wenig schwierig ist, daß sie neben liberalen die unbefleckte Empfängniß bestreitenden Broschüren ebenso gut gottselige Heiligenbilder druckt – aber das geht eben nicht anders in dem priesterbegnadeten Lande der katholischen Glaubenseinheit.