Ein letztes Zusammentreffen mit Gustav Nachtigal
Ein letztes Zusammentreffen mit Gustav Nachtigal.
Die Walfischbai, das einzige brauchbare Eingangsthor zu dem Hererolande in Südwestafrika, ist eine trostlose Gegend. Wer sie besucht, wird genügend vorbereitet auf das, was er in den periodisch verschmachtenden Hinterländern zu erwarten hat und lernt es im Voraus, die endlosen lockeren Gras- und Dornbuschbestände der Weideländer des Inneren, wenigstens um seiner armen unentbehrlichen Zugochsen willen, mit Befriedigung zu betrachten. Nichts ist in Sicht als Sand, Wasser, Himmel. Hinter einem von unserer rheinischen Mission errichteten Kirchlein liegt hart am Strande die Ansiedelung. Sie besteht aus einem Dutzend größtentheils eng an einander gedrängter, aus eingeführtem Holz und gewellten Blechen errichteter Baulichkeiten. Ihr Fundament ist künstlich erhöht, weil bei Springfluthen das Seewasser sie rings umfließt. An recht hellen Tagen erblickt man im Osten, jenseit der das Bett des periodischen Kuisibflusses abschließenden Dünen die gefürchtete Namib, die allmählich ansteigende Wüste, deren weite Ebenen hier und da von einem gerundeten Bergkopf durchbrochen werden.
Wenn die grauen Morgennebel verfliegen und die Sonne heiß niederzubrennen beginnt, treibt über dem fahlen Sande der in der Gluth zitternden Baifläche die Fata Morgana ihr wundersames Spiel und verwirrt die Sinne, indem sie Wasserspiegel hervorzaubert und den Gegenständen phantastische Formen verleiht. Dann aber erhebt sich der oft zu sturmähnlicher Stärke anschwellende Wind und füllt die Atmosphäre mit gespenstisch entlang ziehenden Staubmassen. Die schwereren Sandtheilchen fegt er in langen Streifen über die glatte Fläche, läßt sie in Haufen liegen, schüttet sie zu Dünen auf und lagert sie an den Gebäuden ab, sodaß die Bewohner sich wie bei Schneetreiben zeitweilig Bahn schaufeln müssen. Angenehm sind nur die frühesten Morgenstunden, während deren man sich bei Ebbe auf dem festen Strandboden ergehen kann; und manche Abende gewinnen einen hohen Reiz durch farbenprächtige Sonnenuntergänge.
So vergeht Tag um Tag, Jahr um Jahr an der Walfischbai. Der vorherrschend aus südlicher Richtung wehende kühle Wind kommt zur Abwechselung auch manchmal heiß und trocken aus Osten, seltener von Norden; zuweilen weichen die grauen Nebelschwaden tagelang nicht den Strahlen der Sonne, und vielleicht einmal im Jahre fallen Regentropfen.
Einförmig wie die Gegend ist das Thierleben. Ungeheure Flüge von Taucherenten ziehen über der Bai hin und wieder; vereinzelte Möven stoßen auf unvorsichtige Fische; gravitätische Flamingos waten in Reihen an flachen Stellen umher und erfüllen die Luft mit ihrem Geschrei, daß man glaubt, eine heimathliche Gänseherde sei in der Nähe.
Anfangs November des vergangenen Jahres waren wir, meine Frau, unser landeskundiger Reisebegleiter Herr Kleinschmidt und ich, nach monatelanger Fahrt durch die großartigen Einöden des Hererolandes wieder an unserem Ausgangspunkte, der Walfischbai, angelangt. Müde, ausgehungert und verschmachtet standen und lagen unsere bedauernswerthen Ochsen hinter der Häusergruppe und ließen sich als erfahrene Zugthiere nicht mehr, wie so oft die Neulinge aus dem Innern, durch die glitzernde Fluth verlocken, ihren Durst mit Seewasser löschen zu wollen. Siebzehn Stunden lang auf Tod und Leben mechanisch vorwärts schreitend, hatten sie die schweren Wagen über die letzte schlimmste Strecke des wüsten Küstenstriches bis zum Meere geschleppt. Nun stand ihnen die größere Aufgabe bevor, nach kurzer Rast abermals denselben Weg bergauf und dann mindestens noch eine Tagereise zurückzulegen, ehe sie sich wieder einmal annähernd sättigen konnten. Aber nicht alle sollten diese schwere Prüfung überstehen. Bereits an der Bai erlagen die stattlichen Leitochsen von dem Vierzehngespann des Wagens meiner Frau dem letzten Gewaltmarsch; nachdem sie ihre Aufgabe gelöst, uns wieder zum Atlantischen Ocean gebracht hatten, verendeten sie an Entkräftung. Ihre Schädel mit den schön geschweiften Gehörnen nahmen wir zum Andenken mit uns.
Zwei Schiffe, ein in diesem verlassenen Erdenwinkel überaus seltener Anblik, lagen in der Bai und boten uns Gelegenheit, sogleich nach Kapstadt weiterzusegeln. Da wir jedoch mit Kapitän Jensen, dem Führer der vornehmlich den Verkehr unterhaltenden und wiederum fälligen kleinen Brigantine „Louis Alfred“, die Heimreise bereits während der Herfahrt vereinbart hatten, blieben wir zurück. In den uns freundlich überlassenen Nebenräumen des Kirchleins, wo wir oft den wirklich anerkennenswerthen Gesangsleistungen der Zöglinge des Herrn Missionärs Böhm lauschten, richteten wir uns behaglich ein und verlebten unsere Tage in angenehmem Verkehr mit den deutschen, englischen und schwedischen Einsiedlern an der Bai. Nach zwei Wochen tauchten endlich die wohlbekannten Segel des „Louis Alfred“ am westlichen Horizonte auf, und bald begrüßte uns wieder Kapitän Jensen und seine vielsprachige junge Gattin. Die Abfahrt des Schiffes war in Kapstadt verzögert worden, weil es den Regierungs-Kommissar Mr. W. C. Palgrave, der in besonderer Mission zu Maharero, dem Oberhäuptling der Herero, entsendet wurde, aufzunehmen hatte.
Unsere Freude über die Befreiung aus einer, wenn auch angenehmen, so doch unvorhergesehenen Gefangenschaft sollte noch in anderer Weise vergrößert werden: wir sollten noch den Generalkonsul und Kommissar des Deutschen Reiches, Dr. Gustav Nachtigal, an der Walfischbai mit frohem Händedruck bewillkommnen.
[379] Während wir die Abreise vorbereiteten, die Sammlungen an Bord unterbrachten, tauchte ein neues Segel auf. Die Takelage ließ ein Kriegsschiff erkennen. Von Süden kommend umfuhr es Pelekan-Point, die Spitze der die Bai abgrenzenden Nehrung und stand auf die Ansiedelung zu. Bald wurden die Segel eingezogen, und nun erkannten wir deutlich die deutsche Kriegsflagge. Das Kanonenboot „Möwe“ ankerte in der Bai, wo bisher erst ein einziges deutsches Kriegsschiff und zwar Anfangs August das Kanonenboot „Wolf“ eingelaufen war.
Eine Dampfbarkasse löste sich von der „Möwe“ und schleppte ein Boot zum Strande; schon von Weitem erkannten wir den Generalkonsul unter den Insassen. Er war höchlich überrascht, mir nach Jahren wieder einmal so fern von der Heimath zu begegnen; noch mehr erstaunte er jedoch, als er hörte, daß meine Frau, auf deren besonderen Wunsch diese Reise unternommen war, mich nicht nur so weit begleitet, sondern mit mir auch die Wildniß durchzogen hatte. So gab es denn viel zu erzählen und Meinungen auszutauschen. Da nun gerade ungewöhnlich viele Deutsche an der Bai verweilten und auch der Kommandant der „Möwe“, Herr Korvettenkapitän Hoffmann, mit verschiedenen Officieren an Land kam, nahm die kleine Ansiedelung für einige Tage gewissermaßen einen deutschen Charakter an, und nur die im Winde flatternde englische Flagge gemahnte uns, daß wir nicht auf deutschem Boden standen. Ein Gastmahl im Hause des deutschen Hafenagenten, Herrn L. Koch, dessen liebenswürdige Gattin vor einem Jahrzehnte nicht nur die erste deutsche Heimstätte an der Bai schuf, sondern überhaupt als erste weiße Frau daselbst lebte, vereinte die so glücklich zusammengetroffenen Landsleute, und warmen Herzens wurde des Kaisers und Reiches, des Kanzlers und seiner Kolonialpolitik gedacht. Das wichtige Thema, das uns Alle gerade an dieser Stelle am lebhaftesten beschäftigen mußte, drängte sich stets wieder in den Vordergrund.
Noch immer gewann sich Gustav Nachtigal Aller Sympathien durch seine Liebenswürdigkeit, seine echte Höflichkeit des Herzens und seinen untrüglichen Takt. In seinem Wesen war sonach keine Veränderung zu erkennen, wohl aber in seinem Aussehen. Das Klima Westafrikas hatte den rastlos thätigen, ganz der Vollführung seiner Aufträge lebenden Mann nur zu deutlich gezeichnet, und ich konnte mein Erschrecken nicht verbergen, als er mir mittheilte, daß er nochmals einige Monate in jenen Gegenden zu verweilen haben würde, die selbst vollkommen Gesunden gefährlich sind. Am Lande litt er unter Fieberanfällen und auf dem Schiffe schwächte ihn die Seekrankheit, sodaß seiner Natur keine Pause der Erholung vergönnt war. Wohl fühlte er, welche zunehmende Gefahr ihn bedrohte und wie gut der Rath war, daß er entweder schnellstens heimkehren oder auf einige Zeit nach St. Helena oder Madeira gehen sollte. Er aber hielt trotz alledem die äußerste Erfüllung der ihm anvertrauten Aufgabe, der Pflichten gegen das Vaterland für wichtiger, als die Wiederherstellung der Gesundheit und sogar die Erhaltung des Lebens. Kein Zureden und Bitten, kein Hinweis auf das bereits von ihm Geleistete vermochte ihn in seiner Auffassung wankend zu machen.
So schieden wir nach einigen Tagen. Er, um ohne Zagen der wachsenden Gefahr entgegen zu treten; wir in bangen Befürchtungen um sein Wohlergehen. Zur nämlichen Stunde am 24. November verließen wir die Walfischbai. Ein letztes Winken, ein letzter Flaggengruß, und die stattliche „Möwe“ lief unter vollen Segeln nach Norden, während der kleine „Louis Alfred“ hart am Winde nach Südwesten stand. –
Noch fünf Monate lang hat Gustav Nachtigal seine Kräfte[WS 1] im Dienste des Vaterlandes verwerthen können, bis ihn das Schicksal ereilte, das er, der erfahrene Arzt und Reisende, wohl voraussah. Unter der deutschen Kriegsflagge, an Bord der „Möwe“, die ihn an der Küste Afrikas hin und wieder getragen, ist er aus dem Leben geschieden. In treuester Pflichterfüllung bis zum Tode und vollführend, was der Meister geplant, ist er in Wahrheit für das Vaterland gestorben – nicht minder auf dem Felde der Ehre, als Diejenigen, die im Getümmel der Schlacht ihr Leben lassen. Auf der sonnigen Höhe des Ruhmes, verehrt von Allen, die ihn kannten, und bewundert weit über Deutschlands Grenzen hinaus, ist er hinweggenommen worden: ein ganzer Mann, den Keiner je vergessen kann und darf, dem des Vaterlandes Größe und Zukunft das Herz erfüllt.
Und nicht allein ein Vertreter des Reiches war Gustav Nachtigal, dessen Muth und Umsicht, dessen Klugheit und unentwegte Energie das höchste Vertrauen rechtfertigte; er war auch ein Forschungsreisender ersten Ranges, der obenan genannt wird unter den Männern, welchen die Erdkunde die höchsten Ehren zuerkennt. Nicht nur als Entdecker hat er vordem weite unbekannte Räume Afrikas durchmessen, sondern auch als Forscher Länder und Völker mit klarem Blicke geprüft und, was er geschaut und ergründet, der Wissenschaft dargeboten in einem so mustergültigen Werke, daß dieses sein schönstes Monument sein und bleiben wird und allein schon genügt, den Namen Gustav Nachtigal der Nachwelt werth zu machen.
Es war wohl eine sonderbare Fügung des Schicksals, daß jener Mann, der zur allgemeinen Trauer dem afrikanischen Klima erlag, den Boden Afrikas zum ersten Male in der Hoffnung betreten hatte, dort seine Gesundheit zu stärken. Ein Lungenleiden veranlaßte im Jahre 1863 den jungen Militärarzt – Gustav Nachtigal wurde am 23. Februar 1834 zu Eichstätt bei Stendal geboren – nach Algier und Tunis zu gehen. Während seines Aufenthaltes in diesen Ländern sammelte er die hohe Summe von Erfahrungen, die er [380] später mit dem auf deutschen Universitäten erworbenen Wissen in so glänzender Weise verwerthen sollte.
Die Grundlage zu dem schnell emporblühenden Ruhme Nachtigal’s bildete die glückliche Ausführung der schwierigen Mission, nach Bornu vorzudringen und dem dortigen Sultan Geschenke von König Wilhelm zu überbringen. Im Januar 1869 trat er diese Reise an, die sich zu einer der denkwürdigsten afrikanischen Expeditionen gestaltete und von der er erst im Jahre 1875 nach vielen Querzügen durch niemals von einem Europäer betretene Länder des Sudans glücklich in die Heimath zurückkehrte.
Von nun an galt Nachtigal als einer der ausgezeichnetsten Forschungsreisenden, dem Regierungen und gelehrte Gesellschaften hohe Ehrenbezeigungen erwiesen. Als Vorsitzender der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin und als oberster Leiter der deutschen Afrikaforschung förderte er die letztere in rastloser Weise und bestrebte sich, einen Jeden, der ihn um Rath anging, mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit zu unterstützen, während er an seinem Werke „Sahara und Sudan“ arbeitete, dessen Schlußband leider unvollendet geblieben ist.
Von dem Posten des Generalkonsuls des Deutschen Reiches in Tunis, den er seit 1882 bekleidete, wurde er, wie allgemein bekannt, im vorigen Jahre berufen, sich nach der Westküste von Afrika zu begeben, um dort in den neuerworbenen Gebieten die deutsche Flagge zu hissen.
Am 11. April d. J. verließ er, bereits schwer an der Malaria erkrankt, Kamerun. Schon vor der Ankunft auf der Rhede von Lagos nahm, wie die Zeitungen auf Grund amtlicher Mittheilungen berichten, die Krankheit eine ungünstige Wendung, und aus Rücksicht darauf genehmigte Admiral Knorr, welcher ebenfalls vor Lagos anlangte, daß die „Möwe“ sogleich die Reise fortsetzte, um die hohe See zu gewinnen. Das Wetter war gleichmäßig schön und trocken, man konnte deßhalb den Kranken unter einem luftigen Zelt auf Deck lagern; gleichwohl verschlimmerte sich sein Zustand. Am 19. April erkannte er selbst die Gewißheit seines nahen Todes und diktirte seinen letzten Willen. Am nächsten Morgen früh 4½ Uhr verschied er im Beisein des Kommandanten und des Arztes; das Fahrzeug befand sich gerade 100 Seemeilen von Kap Palmas entfernt. Dort, wo bereits im Januar 1856 ein hoffnungsvoller junger deutscher Forscher, Philipp Schönlein, ein Grab gefunden hat, fand am Nachmittage des 21. April die Beerdigung Nachtigal’s statt unter Betheiligung der Officiere und Mannschaften.
Nun ruht der pflichtgetreue echte Sohn der Mark in weiter Ferne, an jenen Küsten, an welchen er der Deutschen Antheil gesichert hat. Auf dem Kap der Palmen ist er in die Erde gesenkt worden, dort, wo vor zwei Jahrhunderten die brandenburgischen Schiffe vorübersegelten, die eine Kolonialpolitik verwirklichen sollten, welche fest zu begründen vorbehalten blieb dem mächtigen Kanzler des geeinten Deutschen Reiches und seinem thatkräftigen Helfer, Gustav Nachtigal.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Kräft