Ein Schreibmaterial aus alter Zeit

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Schreibmaterial aus alter Zeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 276
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[276] Ein Schreibmaterial aus alter Zeit. Vor der Erfindung des Papieres, das heute in riesigen Massen hergestellt wird, war der Stoff, auf den man schrieb, viel kostbarer als heutzutage, und es war ein Glück, daß die Leute in den vergangenen Jahrhunderten nicht so schreiblustig waren wie in der Gegenwart. Zu den ältesten Schreibmaterialien gehören die Wachstafeln, Tafeln aus Holz oder Elfenbein, die in einer geringen Vertiefung eine Fläche von Wachs enthielten, auf welche mit einem spitzen Griffel, gewöhnlich von Bein, Notizen aller Art, Rechnungen, Konzepte, Schulübungen, aber auch Briefe und Urkunden eingezeichnet wurden. Brauchte man diese Aufzeichnungen oder richtiger Eingrabungen nicht mehr, so wurden die Wachsflächen mit einem besonderen Geräte wieder geglättet und man konnte sie von neuem benutzen.

Bei den Griechen und Römern waren die Wachstafeln in allgemeinem Gebrauche. Der römische Dichter Properz beklagt in einer hübschen Elegie den Verlust seiner Wachstafeln, die, mit zärtlichen Liebesversicherungen beschrieben, so oft zwischen ihm und seiner Geliebten hin und her gewandert sind; er fürchtet, daß sie einem Geizhalse in die Hünde gefallen seien, der nun seine wucherischen Rechnungen darauf schreibe.

Unserem Jahrhundert, das so viele Schätze des Altertums ans Licht gezogen hat, war es vorbehalten, auch altrömische Wachstafeln, die man vordem nur nach den alten Beschreibungen kannte, im Original wieder aufzufinden, und zwar in den Goldbergwerken Siebenbürgens, die von Römern betrieben worden waren, aber auch in Aegypten und an anderen Orten. Die aufgefundenen Tafeln enthalten meist Kaufverträge und Schuldverschreibungen: sie sind ganz schmucklos und einfach.

Kostbar ausgestattet waren dagegen die aus zwei durch Scharniere verbundenen Elfenbeintafeln bestehenden „Diptycha“, welche die römischen Konsuln in der späteren Kaiserzeit beim Antritt ihres Amtes zu verschenken pflegten und die außen mit reichem Schnitzwerk verziert waren. Viele dieser geschnitzten Tafeln, die im Mittelalter zu kostbaren Einbänden von Büchern verwendet wurden, sind auf unsere Zeit gekommen.

Von den Römern haben die Germanen die Wachstafeln als Schreibgerät überkommen; sie waren im Mittelalter allgemein in Gebrauch, namentlich auch als Schreibtafeln für die Schüler. In Lübeck sind solche des 15. Jahrhunderts, noch mit Schülerschriften versehen, in den sechziger Jahren gefunden worden. Wachstafeln mit Rechnungen, mit Zins- und Steuerverzeichnissen sind viel häufiger und finden sich in den verschiedensten Sammlungen.

Gegen 1500 wurden die Wachstafeln durch die Ausbreitung der Papierfabrikation so ziemlich verdrängt, ganz gelang es dem Papier aber doch nicht, das altehrwürdige Schreibmaterial zu beseitigen; an einigen Orten hat es sich bis in unser Jahrhundert erhalten. In dem Salzwerk zu Halle a. d. Saale waren die Wachstafeln als Grundbuch für die Anteile an den Salzbornen bis 1783 in Gebrauch, in welchem Jahre sie durch königliche Verordnung abgeschafft wurden. In Schwäbisch Hall machte ihnen erst 1812 der Staat den Garaus; hier wurde das Holz, das auf dem Kocher für die Salzsieder angeflößt wurde, auf ihnen verzeichnet. Am längsten aber hielten sich die Wachstafeln auf dem Fischmarkt zu Rouen, woselbst noch vor zwanzig Jahren das Ergebnis der Versteigerung der übrig gebliebenen Fische darauf eingetragen wurde. Der größte Feind des Papiers, das Wasser, hatte hier dem Jahrtausende alten Schreibgerät im Kampfe gegen das Papier beigestanden.