Ein Künstlerleben (Die Gartenlaube 1868)

Textdaten
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Titel: Ein Künstlerleben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 416
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[416] Ein Künstlerleben. Unsere Leser erinnern sich gewiß gern zweier Genrebildchen „O bete, Kind!“ und „Sein Bild“, von welchen wir jenes im vorigen Jahrgang, Nr. 49, dieses im laufenden, Nr. 21, der Gartenlaube mittheilten. Beide Male ist es versäumt worden, den Namen des begabten Künstlers zu veröffentlichen; um so mehr freut es uns, nun in den Stand gesetzt zu sein, mit diesem Namen zugleich das interessante Bild einer rüstigen Künstlerlaufbahn „von der Pike auf“ in raschen Zügen verbinden zu können.

Theodor Thieme lebt als ein vielgesuchter Portrait- und Genremaler in Dresden. Wie vielen seiner Kunstgenossen drückten die Armuth der Eltern und der Drang nach einer der Kunst möglichst nahe stehenden Thätigkeit ihm die kalte Nadel des Lithographen in die Hand. Bekanntlich erfreute, wie die Musik, auch die Lithographie sich früher der zunftmäßigen Behandlung ihrer Glieder; so kam auch Thieme zu einem schlesischen „Meister“ in die „Lehre“, mußte, da er kein „Lehrgeld“ bezahlen konnte, dasselbe durch verlängerte „Lehrzeit“ abverdienen und das bekannte Lehrlingsschicksal jener guten alten Zeit bis in sein achtzehntes Jahr ertragen, wo er als Wanderbursche in die Fremde zog. An selbstständigen Erwerb schon in der Kindheit gewöhnt, – denn noch als Zögling der untersten Classe des Görlitzer Gymnasiums, an welchem sein Vater den Zeichenunterricht ertheilte, hatte Thieme durch Malen von Stammbuchblättern, Landkarten und dergleichen für seine Mitschüler sich Rock und Stiefeln zu seiner Confirmation verdient – fand er bald lohnende Arbeit, zeichnete namentlich in Polen eine Menge Heiligenbilder in Kreide auf Stein und faßte, von dem ungewöhnlichen Geld in der Tasche ermuthigt, den Entschluß, jetzt noch, im einundzwanzigsten Jahre, auf eigene Faust Maler zu werden. Er eilte nach Dresden, erlangte (1844) den Aufnahmeschein zur Akademie und warf sich mit aller Kraft lang gehemmter Sehnsucht auf seine geliebte Kunst, des Leibes Nahrung und Nothdurft dem lithographischen Erwerb in seinen Freistunden anvertrauend. Dieses Vertrauen bewährte sich jedoch so wenig, wie der Ruf eines allgemein gepriesenen reichen „Beschützers der schönen Künste“, der ihn mit einer dringend empfohlenen Bitte um Unterstützung zurückwies, „weil er, nach seinen Kleidern zu urtheilen, der Hülfe noch nicht bedürfe“. Das Jugendglück half über den knurrenden Magen hinweg, Thieme schwang sich durch alle drei Classen der Akademie hindurch bis zu Julius Hübner’s Atelier empor und war gerettet. Empfehlung und glückliche Leistungen verschafften ihm lohnende Bestellungen, deren klingendes Resultat er anwandte, um sich auf der Akademie zu Antwerpen weiter auszubilden und nach vollendetem Cursus Brüssel und Paris zu besuchen und dann nach Dresden zurückzukehren. Dies geschah im Jahre 1853. Seitdem hat Th. Thieme den Kunstsitz an der Elbe nicht wieder verlassen. Hier war sein nächstes Streben, den Portraitbildern mehr dauernden Werth dadurch zu sichern, daß er Portraitgruppen im Charakter von Genrebildern componirte, gewiß das beste Mittel, dergleichen Gemälde vor dem Schicksal, von undankbaren Enkeln in die Rumpelkammer geworfen zu werden, zu bewahren. Von diesen genreartigen Portraits ging er zur Genremalerei selbst über, und zwar mit eben so vielem Geschick wie Glück. Seine „alte Muhme“ und „die Verlassene“, sowie „die Wittwe“ (von uns als „Sein Bild“ bezeichnet) und „O bete, Kind“, gehören zu den trefflichen Originalwerken, die mit Recht die Freude ihrer Besitzer sind. Möge dem Künstler noch mancher so glückliche Wurf gelingen, wie bisher! Der Ernst seiner Bilder ist stets der Art, daß er das Mitgefühl erregt, aber ohne es zu hart zu beladen oder gar zu verletzen.