Die Preussische Verfassungsfrage im Jahre 1817 und die Rundreise von Altenstein, Klewiz, Beyme

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Autor: Alfred Stern
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Titel: Die Preussische Verfassungsfrage im Jahre 1817 und die Rundreise von Altenstein, Klewiz, Beyme
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aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 9 (1893), S. 62–99.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br.
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[62]
Die Preussische Verfassungsfrage im Jahre 1817
und die Rundreise von Altenstein, Klewiz, Beyme.
Von
Alfred Stern.


Eines der merkwürdigsten Capitel in der Geschichte der Preussischen Verfassungsfrage, die geschichtlich-politische Forschungsreise von Altenstein, Klewiz und Beyme im Jahre 1817, war bis vor kurzem völlig dunkel geblieben. C. W. v. Lancizolle musste in seinem Buche über Königthum und Landstände in Preussen bemerken, dass über die von ihnen gewonnenen Materialien nichts Näheres bekannt geworden sei. Gervinus konnte nichts weiter als die blosse Thatsache der Bereisung der Provinzen berichten. Erst H. von Treitschke wurde es möglich, nach Benutzung der Acten des geheimen Staatsarchives in Berlin, den Schleier zu lüften. Seine gedrängte und doch höchst lebensvolle Darstellung dieses anziehenden Gegenstandes gehört unstreitig zu den dankenswerthesten Abschnitten seines Geschichtswerkes. Doch mag es nicht unerwünscht sein, den gleichen Gegenstand nochmals in breiterem Rahmen gefasst zu sehen. Manches vom Erzähler der Deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert nur Angedeutete oder Uebergangene wird dabei beleuchtet werden. Anderes, von ihm in den Vordergrund Gerückte wird zurücktreten. Dies und jenes wird sich zur Ergänzung seiner Darstellung heranziehen lassen. Hie und da wird sie stillschweigend berichtigt werden.

Die Acten, in welche die Direction der Königlich Preussischen Archive sehr entgegenkommend Einsicht zu nehmen gestattete, sind vielleicht nicht vollständig erhalten oder abgeliefert [63] worden. Zumal diejenigen Altenstein’s erscheinen lückenhaft. Aber das im geheimen Staatsarchiv zu Berlin Vorgelegte genügt zur Herstellung eines deutlichen Bildes. Daselbst kommen in Betracht „Rep. 77. Ständische Verfassung Nr. 23. Acta betreffend die Bereisung der Monarchie durch Königliche Commissarien in ständischen Angelegenheiten im Jahre 1817 zur Ermittlung der früheren ständischen Verfassung derselben“. „Rep. 77. Commissionsacten. Nachrichten und Ansichten über Ständeverfassung überhaupt“ (10 Bände). „Rep. 77 D. XIV. 1817. Nr. 5 Vorschläge über eine künftige ständische Verfassung gesammelt in Westfalen und den Rheinprovinzen im Jahre 1817“. Einiges liess sich auch „Rep. 92. Hardenberg H. 13 ½ Acta betreffend Aufsätze über Stimmung und Verwaltung der Rheinprovinzen 1816. 17“ entnehmen[1].

Es mag nur kurz daran erinnert werden, wie es zu jener Bereisung der Provinzen durch die drei Staatsmänner kam. Die Zusage der Verordnung des 22. Mai 1815, eine in Berlin einzusetzende Commission mit der Organisation der Landesrepräsentanten wie der Provinzialstände und mit der Ausarbeitung einer Verfassungsurkunde zu beschäftigen, schien unerfüllt bleiben zu sollen. Auch wagte sich bereits in einflussreichen Kreisen die Meinung hervor, eine Repräsentativverfassung für den Preussischen Gesammtstaat sei um jeden Preis zu vermeiden. Als einer der ersten hatte Ancillon 1816 docirt: „man könne die Provinzialstände einrichten, aber um’s Himmels Willen keine allgemeinen Landstände“.

Dieselbe Ansicht verfocht Klewiz, indem er erklärte: „Wir haben den besten König, wir sind reich an den hoffnungsvollsten Prinzen. In ihren Tugenden selbst schon und in der Erziehung der künftigen haben wir eine Constitution und eine höhere Sicherheit gegen Missbrauch als diese je gewähren kann“[2]. Friedrich Wilhelm III. war nur zu sehr geneigt sich diesen Gedankengang anzueignen und wurde durch die Einflüsterungen von Wien in seinem Sinne bestärkt. Hardenberg fehlten Wille und Kraft, [64] von Anfang an den bedenklichen Weg zu verlegen, den die Verfassungssache in Preussen nahm. So ging er auch auf den Vorschlag von Klewiz ein, zunächst an Ort und Stelle „die sachkundigsten Eingeborenen und Einsassen“ über „das jemals Bestandene, soweit es noch passt“, zu befragen. Noch am 30. März 1817, als ein königlicher Cabinetsbefehl einundzwanzig Mitglieder des Staatsrathes in die Verfassungscommission berief, war verkündigt worden: „Diese Commission soll sich zuerst mit der Zuziehung der Eingesessenen aus den Provinzen beschäftigen[3]. Wenige Monate nachher, am 7. Juli, als der Staatskanzler die Commission versammelte, gab er dies Programm auf. „Bevor wir unsere Berathungen beginnen,“ sagte er, „sollen wir uns mit der Zuziehung der Eingesessenen der Provinzen beschäftigen. Es kommt hiebei vor allen Dingen darauf an, den geschichtlichen und den gegenwärtigen Zustand in Absicht auf Verfassung in jeder Provinz genau zu kennen. Hiebei werden sich sehr grosse Verschiedenheiten finden. Unstreitig lässt sich diese Kenntniss besser und vollständiger an Ort und Stelle in den Provinzen selbst erwerben als durch Zuziehung von Eingesessenen zu unsern Berathungen.“ Demnach wurden Altenstein nach Westfalen und an den Rhein, Klewiz nach Sachsen, Schlesien, Posen, Brandenburg, Beyme nach Pommern, West- und Ostpreussen entsandt. Sie sollten gemäss der Weisung Hardenberg’s „damit anfangen, sich eine gründliche Kenntniss der bestehenden Verhältnisse zu verschaffen, dann die Wünsche der Wohlgesinnten und ihre Ansichten die künftige Verfassung betreffend zu erforschen suchen, um auch hierauf bei Bestimmung ihrer eigenen Meinung Rücksicht zu nehmen“.

Wie man sieht, handelte es sich um eine Enquête doppelter Art: eine geschichtliche und eine politische. Bei den grossen Fortschritten, welche die altständische Bewegung bereits gemacht hatte, und bei den romantischen Neigungen des Zeitalters lag die Gefahr nahe, dass die Anforderungen der Gegenwart über dem Behagen an der Vergangenheit vergessen würden. In der That diente, um mit Schön zu sprechen, die Rundreise der drei Staatsmänner dazu „die Rudera des früheren ständischen Wesens aus [65] den Rumpelkammern hervorzusuchen“[4]. Demnächst war es von übler Vorbedeutung, dass einer der Commissäre, Klewiz, mit der unverhohlenen Meinung, man müsse sich auf die Einrichtung berathender Provinzialstände beschränken, ans Werk ging. Endlich ward die Auswahl der ins Verhör genommenen „Eingesessenen“ der Art angeordnet, dass es sehr ungewiss blieb, ob man glauben durfte, aus ihren Worten die Stimme des Volkes heraus zu hören. Nur die „Wohlgesinnten“ sollten nach Hardenberg’s dehnbarem Ausdruck befragt werden. Die Zusammenstellung der Listen der einer Anfrage für würdig zu Achtenden war danach vorzunehmen. Von einem Baron von Nostiz in Görlitz heisst es in den Acten: „Wegen der künftigen ständischen Verfassung konnte mit ihm nicht füglich gesprochen werden, da er dazu von dem Herrn Oberpräsidenten Merckel nicht empfohlen ist und gegen manche Verwaltungsmassregeln sich äussert“. Uebrigens stellte der eingesessene Adel bei weitem das stärkste Contingent der Befragten. Auch die Zahl der höheren Staatsbeamten, die ihr Gutachten abgeben durften, war nicht gering. Kaufleute, Gewerbtreibende, Gemeindebeamte, Geistliche, Gelehrte traten gegen diese beiden Klassen zurück. Vom Bauernstand kamen nur wenige zu Gehör. Aus den Ergebnissen einer so willkürlich angestellten Enquête einen sicheren Schluss auf die Wünsche des Landes ziehen zu wollen, war höchst gewagt.

Da nun aber ein paar hundert Männer auf einmal aufgerufen wurden, ihre Meinung über die öffentlichen Angelegenheiten zu äu8sern, so war es begreiflich, dass sie sich nicht immer nur an den zunächst vorliegenden Gegenstand hielten. Es finden sich denn auch mannigfache Bemerkungen über das Preussische Kriegswesen, den Gang der Verwaltung, das Steuersystem, die Lage von Handel und Gewerbe, die häufig einen bitteren Beigeschmack haben. Die Hauptsache aber war: ein Urtheil über die wünschenswerthe „künftige Verfassung“ abzugeben. Unleugbar herrschte darüber fast völlige Einmüthigkeit, dass es gemäss der Verordnung vom 22. Mai 1815 an Provinzialständen in keinem Falle mangeln dürfe. Nur ausnahmsweise wurde die Meinung laut, dass solchen neben Reichsständen kein Platz einzuräumen sei. So erklärte sie der Oberbürgermeister Francke in [66] Magdeburg für „ganz müssig“. Der Prinz Biron von Kurland sprach sich dahin aus: „In Bezug auf Repräsentation sei er bloss für eine allgemeine Landesrepräsentation und ganz gegen Provinzialstände, welche nur Zwietracht in die Provinzen bringen würden“. Derselben Ansicht waren der Landrath von Knobelsdorf in der Neumark, der Graf von Itzenplitz auf Kunersdorf und der Deichhauptmann von Byern im Magdeburgischen. Auch der Präsident von Motz hielt nach seinem in Merseburg abgefassten Gutachten Provinzialstände „für gefährlich“. Die Dominialbesitzer im Breslauer Kreise gaben wenigstens das Bedürfniss „specieller Gesetze“ für die einzelnen Provinzen zu, wollten aber ihre Bearbeitung „Ausschüssen“ der Reichsstände übertragen wissen. Indessen diese Stimmen verhallten unter der Masse derer, die laut nach der Herstellung von Provinzialständen riefen, sei es, dass man diese an die neuen Provinzen geknüpft, für die Regierungsbezirke gebildet, oder als Nachfolger der alten Stände aller jener einzelnen Gebiete dachte, aus denen der Preussische Staat zusammengewachsen war.

Am Rhein und in Westfalen, wo Revolution und Fremdherrschaft den geschichtlichen Zusammenhang am schärfsten durchschnitten hatten, fanden die Lobredner des alten territorialen Ständewesens, obwohl sie gewisse Verbesserungen zugeben wollten, am wenigsten Anklang. Zwar hatte der Adel in Jülich, Cleve, Berg, Mark bereits eine lebhafte altständische Bewegung hervorgerufen, mit der auch Altenstein bei seiner Rundreise genauere Bekanntschaft machte. Aehnlich sprach Graf August von Merveldt in einer Denkschrift (Münster, 29. August 1817) sich dahin aus: „die Verschiedenheiten, welche die Westfälischen Provinzen in den überlieferten Verfassungen darstellen, leiten auf den Gedanken, dass eine Provinzialverfassung für die Gesammtheit der Länder, welche die Provinz bilden, nur aus ihren Elementen passend hervorgehen kann“. Er wollte daher, dass jedem „einzelnen Lande oder Ländchen, welches sich jetzt im Provinzialgesammtverband befindet“, gestattet werde, periodische Versammlungen der grundbesitzenden Ritterschaft, städtischer und bäuerlicher Abgeordneter zu halten. Aus jeder dieser „Corporationen“ sollten dann jedoch etwa drei Deputirte gewählt werden, um nach Instruction auf einem Provinziallandtag über die Gegenstände zu berathen, welche die allgemeinen Angelegenheiten [67] der Provinz betreffen würden, ohne aber Gegenstände des Interesses eines einzelnen Landes auszuschliessen.

Indessen der Schwärmerei für ständische Versammlungen „der einzelnen Lande oder Ländchen“ im Westen wurde von anderer Seite mit scharfem Widerspruch begegnet. Mit diesem verband sich häufig der Hinweis auf die grossen socialen Wandlungen, die Zerstücklung des Landeigenthums, das Aufhören der grundherrlichen Polizei- und Gerichtsgewalt, die Säcularisation geistlicher Corporationen, wodurch eine ganz neue Zusammensetzung der Provinzialstände bedingt werde. In einem anonymen Aufsatz „über eine ständische Repräsentation auf dem linken Rheinufer“ hiess es: „Die Gründung der Rheinischen Provinzialstände auf die Basis der alten ständischen Verhältnisse oder in Anknüpfung an dieselben würde zwei einander höchst unähnliche Epochen in Anspruch nehmen – – die frühere ist bis auf die letzten Spuren verschwunden“. Der ungenannte Verfasser setzt auseinander, wie gross die Verschiedenheiten der alten Territorialstände waren und wie sie „ihr einzelnes Interesse“ verfolgten, während es heute besonders auf „das der ganzen Provinz“ ankomme. Er empfiehlt für eine provinzialständische Versammlung, und zwar des ganzen linken Rheinufers, Theilung in zwei Kammern. In der ersten denkt er sich auf Lebenszeit stimmberechtigte Männer, „die durch die Masse und den Umfang ihres Besitzes an Grundeigenthum, an Capital, an grosser Gewerbs- und Fabrikthätigkeit und an Intelligenz von selbst zur Repräsentation berufen sind“. In der zweiten gewählte Repräsentanten, „an deren Wahl jeder selbständige Staatsbürger durch Theilnahme an der Bildung der Wahlcollegien mitwirkt“. Ein Beschlussrecht will er nur der zweiten provinzialständischen Kammer zugestehen, der ersten das Recht der Verwerfung oder der Sanction. Zur Competenz der provinzialständischen Versammlung rechnet er vornehmlich: Vertheilung der für die Provinz angesetzten Steuerquote, Beschliessung der Erhebung ausserordentlicher Geldmittel für die Bedürfnisse der Provinz auf Antrag der Regierung, Berathung und Begutachtung von Gegenständen, die das Wohl der Provinz betreffen. Will er das Publicum höchstens „bei den Eröffnungs- und Abstimmungssitzungen“ zugelassen wissen, so hält er „treue Bekanntmachung durch den Druck“ für unerlässlich.

[68] Der Regierungspräsident von Schmitz-Grollenburg in Koblenz gibt die Möglichkeit der Bildung „privilegirter Stände in der Ständeversammlung des linken Rheinufers“ zu, indem man die Landstandschaft, wo es an Adel fehle, an Inhaber von grösserem Grundbesitz übertragen könne. Aber von der Nützlichkeit einer solchen Einrichtung neben freier Wahl durch Abgeordnete der Gemeindebehörden in den Kreisversammlungen ist er nicht überzeugt. „Der Adel, die Geistlichkeit und selbst die grossen Grundbesitzer des linken Rheinufers flössen mir das Zutrauen nicht ein, dass ich mir von einer Gleichheit von Repräsentation mit jener des Volkes fürs allgemeine Wohl besondere Vortheile versprechen könnte“. Die Einführung einer freien Gemeindeordnung gilt ihm als Vorbedingung einer provinziellen Verfassung, welche die „bürgerliche Gleichheit“ gewährleistet und „dem ganzen Volke“ eine Repräsentation zusichert. Ueber die Competenz der Provinzialstände spricht er sich nicht aus.

Der Appellationsrath Langen in Düsseldorf fasst diese als die einer berathenden Körperschaft auf, und will die Provinzialstände mit Rücksicht auf Berufsunterschiede auch aus Wahlcollegien der Kreise hervorgehen lassen. Ein vierter, der Jurist Breuning in Koblenz (21. Sept. 1817), gleichfalls überzeugt davon, dass die früheren ständischen Verhältnisse nicht zum Muster dienen können, fordert eine Zusammensetzung von Ständen jeder Provinz nach Massgabe von Grundbesitz, Vermögen und Rechten, die wie ein wirkliches Privateigenthum angesehen werden können, ohne besondere Vertretung der Geistlichkeit, jedoch mit Zulassung der Inhaber von Stammgütern.

Zugleich aber spricht er es mit Entschiedenheit aus, dass Provinzialstände nicht genügen können, ja dass sie für sich allein schädlich wirken würden. „Durch sie würden die ursprünglichen Provinzialabsonderungen wieder ein neues Leben erhalten“. Sie würden auch nicht „der öffentlichen Meinung jene Richtung und Stärke geben, welche dazu erforderlich ist, um sich die mancherlei Anstrengungen mit Bereitwilligkeit gefallen zu lassen, ohne welche die Bedürfnisse des Staates oft nicht zu bestreiten sind“. „Die Staats- und Landesbedürfnisse sind auf eine solche Höhe gestiegen und die Einrichtungen des Kriegswesens haben eine solche Richtung genommen, dass ein bloss folgsamer Gehorsam nicht mehr in allem hinreichend zu sein, sondern dass [69] ein mehr freiwilliges Mitwirken der Landeseinwohner eintreten zu müssen scheint“. Daher ist ein beschliessender Reichstag ein nothwendiges Erforderniss. Eine bloss berathende allgemeine Ständeversammlung muss „in eine Querulantengesellschaft ausarten“. Doch sollen gewisse ständige Auflagen und eine gewisse Zahl der ins Heer einzustellenden Jahrgänger der regelmässig wiederkehrenden parlamentarischen Bewilligung entzogen sein. Obwohl ein grosser Verehrer der Englischen Einrichtungen, verwirft der Verfasser dieser Vorschläge für das damalige Preussen die Theilung in zwei Kammern. Der Adel würde in einer ersten Kammer auf seine Vorrechte bedacht sein und die seit dem Tilsiter Frieden erlebte Entwicklung der Gesetzgebung hindern. Diese ist noch nicht abgeschlossen. Der Preussische Staat ist offenbar in einem Uebergang aus einer Gesetzgebung und aus einer Verfassung in eine andere begriffen. „Uebertreibungen durch eine Kammer sind in Preussen nicht zu fürchten“. Auch wird das grosse Zugeständniss gemacht, dass die reichsständische Versammlung zu zwei Fünfteln aus Adligen bestehen soll, wenn nicht gar die Verfassung der Provinz noch Bürgern und Bauern erlaubt, Adlige zu wählen. Die Versammlung darf nicht zu klein sein. Ihre Sitzungen sind öffentlich, ausser wenn sie sich „in einen allgemeinen Ausschuss“ verwandelt. Ablesen von Reden ist nicht gestattet. Alle Minister, den Staatskanzler inbegriffen, sind als Mitglieder zu betrachten. Jedem Mitgliede steht das Recht zu, Gesetzesvorschläge zu machen, aber durch eine Abstimmung muss festgestellt werden, ob die Versammlung sich darauf einlassen will. Ministerverantwortlichkeit, Pressfreiheit, vielleicht anfangs nur hinsichtlich der Zeitungen etwas einzuschränken, Einsetzung von Geschworenengerichten für die Aburtheilung von Pressvergehen, Selbstverwaltung der Gemeinden sind unabweisbare Forderungen.

Von ähnlichem Geiste zeigt sich der Verfasser eines anderen für Altenstein eingereichten, nicht unterschriebenen Aufsatzes erfüllt. „Wenn Europa nicht einem langsamen Erstarren entgegengehen soll“, muss man zu dem Mittel „einer guten repräsentativen Verfassung“, begründet auf Selbstverwaltung, greifen. Die Rheinlande insbesondere, die sich jetzt „gleichsam als nur angeheftet, als Provinzen im römischen Sinn ansehen“, werden dies niederdrückende Gefühl verlieren, „wenn sie auch ihre Repräsentanten [70] auf dem Preussischen Reichstag haben“. Besser wäre es sogar, „nicht mit den Provinzialständen den Anfang zu machen“, um Reibungen zu vermeiden, sondern „erst den schaffenden Mittelpunct zu setzen“. Der schon genannte Appellationsrath Langen in Düsseldorf will die Preussischen Reichsstände aus der Erwählung von je drei Mitgliedern der Provinzialstände (eines Beamten oder Gelehrten, eines Fabrikanten oder Kaufmannes, eines städtischen oder ländlichen Eigenthümers) hervorgehen lassen und nimmt an, dass sie sich jährlich in der Residenz versammeln. Wenn er sie mit der Verordnung vom 22. Mai 1815 auf Berathung einzuschränken scheint, so setzt er mit dieser übereinstimmend voraus, dass ein „organisches Gesetz ihren Wirkungskreis bestimme“. Auch der Regierungspräsident von Schmitz-Grollenburg entscheidet sich für Wahl einer gewissen Zahl von reichsständischen Vertretern aus den Provinzialständen, während der Präsident Sethe sie aus Wahlen aller selbständigen Staatsbürger mit Ausschluss der steuerfreien Mediatisirten erwachsen lassen will[5].

Ein Grösserer als die Genannten, mit dem Altenstein während seiner Reise zweimal zusammentraf, der Freiherr vom Stein, hielt gleichfalls an dem Gedanken Preussischer Reichsstände unverbrüchlich fest. Wiewohl der alte Reichsritter den Bestrebungen des Rheinischen und Westfalischen Adels innerhalb gewisser Grenzen seine Unterstützung lieh, erklärte er wenig später: „Provinzialstände vermögen nach ihrem Standpunkt das Allgemeine nicht zu übersehen, und die Einheit und Kraft der Monarchie würde zerrüttet, wollte man an die Zustimmung der Provinzialstände das Staatseinkommen und die allgemeine Gesetzgebung binden. Beides darf allein Reichsständen anvertraut werden“[6].

Es ist wahr: dieser und jener der von Altenstein Befragten enthielt sich jeder Aeusserung über die Räthlichkeit der Einführung von Reichsständen oder machte aus seiner zeitigen Abneigung gegen dieselben kein Hehl. So beschränkte sich der ehemalige Syndicus der Trier’schen geistlichen Stände, von Hommer, auf die Darlegung seiner Ansichten „über die ersten Grundlinien [71] einer einzuführenden ständischen Verfassung mit Berücksichtigung auf die im Kurfürstenthum Trier bestandene Verfassung[7]. Jener Graf Merveldt in Münster erklärt: „So wünschenswerth eine repräsentative Verfassung ist, so verehrungswerth ist eine kluge Zögerung, so lange nicht entschieden ist, ob man an dem Ueberlieferten anknüpfen oder ein unbekanntes Neues will. – – Die Einführung der Reichsstandschaft [aus Deputirten der Provinzialstände] scheint besser factisch als durch eine Urkunde zu geschehen. Die successive factische Einführung gewährt folgende Vortheile: 1. jene der Belehrung durch Erfahrung über Vortheil und Nachtheil, 2. dass man etwan mit mehreren zwar, aber nicht sogleich mit der Gesammtheit aller den Anfang machen kann, 3. die Belehrung über die mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit einer Einigkeit zwischen so verschiedenartigen Provinzen, wenn sie einstens in der Gesammtheit versammelt werden sollen“. Graf Edmund von Kesselstadt auf Schloss Föhrn bei Trier hält die Einführung von Reichsständen erst dann für rathsam, wenn überall neue Provinzialstände thätig sind und wenn alle Verwaltungseinrichtungen geordnet sind, „von welchen man die Begründung des Einheitssinnes der Völkerschaften der Preussischen Monarchie erwarten darf“. Uebrigens geht er bei Feststellung der Rechte künftiger Reichsstände über das Edict von 1815 hinaus, indem er Bewilligung neuer Steuern und „Beistimmung“ bei der Gesetzgebung dazu rechnet.

Inwiefern Altenstein durch Vergleichung aller dieser verschiedenen Gutachten zur Bildung einer eigenen Meinung gelangte, lässt sich nicht nachweisen. Doch wird man wohl sagen dürfen, Alles in Allem überschlagen musste er in der Ansicht bestärkt werden, dass wenigstens im Westen der Monarchie das Verlangen „der der Nation einmal zugesicherten Einwirkung auf die Gesetzgebung“ [72] lebendig sei[8], so zwar, dass man, einige Ausnahmen abgerechnet, neben neuen Provinzialständen eine selbständige, einflussreiche Repräsentation für das Ganze des Staates ersehne.




Bei dem Verhöre, das Klewiz und Beyme anstellten, gingen die Antworten viel weiter auseinander. Zwar war es unverkennbar, wie sehr die Städteordnung den Gemeingeist geweckt hatte. Dieser und Jener sprach es aus, wie sie „zur Bildungsanstalt“ geworden sei, so lasse sich ein Gleiches auch von „Volksrepräsentation“ für das Staatsganze wie für die einzelnen Theile erwarten. Aber nicht überall war man so optimistisch. In Westpreussen musste Beyme hören, „der grössere Theil des Bauern- und ordinären Bürgerstandes habe keinen klaren Begriff des ganzen Gegenstandes“[9]. Häufig liess sich auch das Wort vernehmen: „die Nation sei schwerlich reif“. Ein Mann, wie der Breslauer Professor und Consistorialrath Wachler gebraucht diesen Ausdruck. Da „so viel aufzuheben und neu zu schaffen sei“, dürfe man sich nicht mit einer Landesrepräsentation beladen, sondern müsse bei berathenden Provinzialständen, in zwei Kammern getheilt (im Oberhaus vormals landstandsfähiger Adel und höhere Geistlichkeit, im Unterhaus Bürger, Bauer, Kirche und Schule) stehen bleiben. Sein College Reiche wollte wenigstens die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Nation „reif werden würde“, aber rieth auch zunächst, „von den Einzelheiten anzufangen“. Der Fürst von Anhalt-Pless meinte, jedenfalls müsse man sich „für die ersten zwanzig Jahre“ auf Provinzialstände beschränken. Der Landrath Mormann zu Cottbus gab zu, dass „die Stimmen über die Constitution getheilt seien“, hielt aber seinerseits eine allgemeine Landesrepräsentation für unnütz und „vielleicht gefährlich“. Nicht anders urtheilten der Landesälteste Graf von Frankenberg und der Staatsminister von Angern auf Sülldorf. Einer der höchsten Beamten, Heydebreck, der Oberpräsident von [73] Brandenburg, berief sich auf Macchiavelli, um zu beweisen, „dass, wo es darauf ankomme, eine ganz neue Gesetzgebung zu gründen oder eine schon bestehende von Grund aus zu reformiren, dies schwierige Werk gewöhnlich nur Einem gelinge, sehr selten aber unter den Händen vieler gedeihe“. „In dem Zustand von Gährung, worin sich Gesetzgebung und Administration dermalen noch bei uns befinden, und bei dem fortdauernden, nur durch einen höchsten Schiedsrichter, nicht aber durch die Parteien selbst glücklich und gerecht zu schliessenden Kampfe zwischen den alten und den neuen, ja selbst zwischen manchen alten Provinzen, glaube ich durchaus nicht, dass es schon jetzt an der Zeit sei, bei uns allgemein an der Gesetzgebung theilnehmende oder stark darauf einfliessende Reichsstände einzuführen“. Daher für jetzt nur Provinziallandstände jedes Regierungsbezirkes „von (nicht aus) den grossen Grundbesitzern, den Städten und Bauern gewählt – – ohne Fessel jedoch, von welchem Stand und Klasse die Gewählten selbst wären“. Ihre Rechte: Berathung und Verwaltung der Communalangelegenheiten, berathende Monirung aller Gesetzentwürfe, welche die Militär- und sonstigen Pflichten der Staatsbürger, das Steuerwesen, das peinliche und Privatrecht und den eigenen Regierungsbezirk betreffen, Petition an den Regenten wegen Abänderung alter oder Erlass neuer Gesetze, Beschwerde über Missbräuche in der Verwaltung.

Selbst wer sich nicht unbedingt ablehnend gegen die Idee einer allgemeinen Landesrepräsentation verhielt, warnte wohl vor „Uebereilung“. Der Bürgermeister Polenz in Frankenstein bezeugte: „Eine öffentliche Meinung über diesen Gegenstand hat sich noch nicht gebildet, man sei bis zur Kriegsepoche im Frieden glücklich gewesen und erwarte von diesem sein Wohl, betrachte die Verfassung und Repräsentation zwar als ein Gut, das der König seinem Lande schenken wolle, wünsche es jedoch nicht mit Ungeduld herbei“. Noch drastischer sagte der Regierungspräsident Kiekhöfer in Liegnitz, ihm sei eine monarchische Regierung, wie sie unter Friedrich dem Grossen war, die liebste. – – Mehr Festigkeit und Passlichkeit der Gesetzgebung sei allerdings Bedürfniss, aber sie könne durch Rückfrage mit den Provinzialbehörden und von diesen mit verständigen Einsassen am besten bewirkt werden, nur müsse man die Provinzialbehörden selbständiger stellen und besser besetzen. Wolle man in Berlin [74] Provinzialeinsassen zuziehen, so möge man sie dem Staatsrath einverleiben. Dieser Ausweg wurde auch von anderen, wie dem Kammerherrn Baron von der Reck im Magdeburgischen, dem Schlesischen Grafen von Schönaich, dem Syndicus Jungwirth in Wittenberg, dem Amtsrath Karbe in Blankenburg, dem Landrath von Gerlach in Pommern, dem Präsidenten Goldbeck in Berlin angegeben. Der letzte hob dabei hervor, immerhin hätten die im Staatsrath zugelassenen Provinzialdeputirten selbständig, ohne Instruction zu stimmen.

Auch Bülow, der Oberpräsident der Provinz Sachsen, verfiel auf jenen Vorschlag. Er hielt zwar allgemeine Landesstände, wennschon nur „nach dem jedesmal eintretenden Zeitbedürfniss“ vom König zu berufen, gemäss dem Edicte von 1815 für unabweisbar. Aber er fügte hinzu: „Vielleicht wäre es thunlich und zweckmässig, die Landesrepräsentanten in eine gewisse Verbindung mit dem Institute des Staatsrathes zu setzen und die Landesstände an den Staatsrathsverhandlungen Theil nehmen zu lassen. Die hohe Freimüthigkeit, welche bei den Verhandlungen des Staatsrathes herrscht, die reife Gründlichkeit, womit bei dieser Behörde die wichtigsten Gegenstände der Staatsverwaltung von einer aus den einsichtsvollsten und geachtetsten Gliedern der Nation gewählten Versammlung discutirt und erwogen werden, könnte nicht anders als vortheilhaft auf die Volksrepräsentanten wirken, und indem dieselben so die lebhafte Ueberzeugung erhielten von der Sorgfalt und dem Interesse, welches die Regierung dem Wohle der Unterthanen widmet, würde diese Einrichtung ein neues Band des Vertrauens zwischen dem Regenten und dem Volk, sowie zwischen diesem und den Staatsbehörden knüpfen“. Seine Voraussetzung war das Dasein berathender Provinzialstände für jeden Regierungsbezirk, von den Kreisständen, aber nicht unbedingt aus ihrer Mitte, gewählt: acht Rittergutsbesitzer, vier städtische Grundbesitzer, zwölf bäuerliche Grundbesitzer, ohne Rücksicht auf sonstige Berufsart, da „nur Grund und Boden ein vollständig bleibendes und richtig zu ermässigendes Interesse am Wohl des Staates schaffe“. Diese Provinzialstände jedes Regierungsbezirkes hätten ungetrennt sechs Mitglieder der allgemeinen Landstände, zwei Rittergutsbesitzer, einen städtischen, drei bäuerliche Grundbesitzer auf drei Jahre aus dem Regierungsbezirk, aber nicht nothwendiger Weise aus ihrer Mitte zu wählen. [75] Besondere Instructionen will auch er verboten wissen. Staatsdiener erklärt er für unwählbar. Jeder Gewählte hat sich eidlich zu verpflichten „auf gewissenhafte unbefangene Berücksichtigung des allgemeinen Wohles“. Wenn in diesen Vorschlägen der physiokratische Zug, dem noch so viele Geister folgten, unverkennbar ist, so ist die Begünstigung des bäuerlichen Elementes besonders beachtenswerth. Die Provinz, der Bülow Vorstand, war noch nicht im Genuss der agrarischen Reformgesetzgebung. Daher hielt er es für nöthig zu betonen: „Auf den bäuerlichen Grundbesitzern ruht die wesentlichste Stärke und Stütze des Staates – –. Die Ausbildung dieses Standes ist für den Staat von der höchsten Wichtigkeit, und das Bessere wird sich in kurzer Zeit finden“.

Hier setzte nun aber der Widerstand vieler der von Alters Privilegirten ein, die überhaupt eine „Repräsentation des Volkes", von der das Edict von 1815 sprach, verabscheuten und Wiederherstellung des zerbröckelten Alten oder doch Wiederannäherung an dasselbe erstrebten. In dem ehemals Schwedischen Neu-Vorpommern hörte Beyme die Forderung, dass den alten Ständen nicht nur berathende, sondern entscheidende Stimme beigelegt werde. „Dem Bauernstande wird die Repräsentationsfähigkeit aus dem Grunde streitig gemacht, weil Pommern gar keine Bauern aufzuweisen habe, welche ihre Höfe als freies Eigenthum oder auch nur als Erbpächter besitzen, sondern blosse Zeitpächter“. „Es ist dies“, fügte Beyme hinzu, „auch um so weniger zu verwundern, als bei der alten Verfassung Ritterschaft und Magisträte alle übrigen Einwohner unter ihrer Vormundschaft gehalten haben, so dass sich eine öffentliche Meinung über eine volksvertretende Verfassung nicht hat bilden können. Alle gebildeten Einwohner gehören in der Regel zu diesen beiden Classen, die aus Egoismus für die alte Verfassung streiten, wornach sie weder Soldaten werden, noch Abgaben entrichten durften. Zwischen beiden Ständen herrschte immerwährender Streit, der die Juristen bereicherte, die aber auch für diese Nahrungsquelle kämpften und durch ihren Einfluss auf die Stimme des Publicums wirkten. Eine rühmliche Ausnahme bildete neben „dem von Usedom auf Kartnitz“ der Generalgouverneur Fürst von Putbus, „der seine Hände nicht mit Einziehung von Bauerhöfen befleckt, fortwährend neue Bauern-Etablissements auf seinen Gütern errichtet [76] und mit glücklichen Erfolgen danach strebt, sie zu Eigenthümern ihrer Höfe zu machen, ganz natürlich aber wegen dieser freisinnigen Denk- und Handlungsweise bei allen seinen Standesgenossen übel angeschrieben ist“. Beide schlagen vor, „auf den königlichen Domänen das Beispiel zu geben und durch Erbpachten oder Eigenthumsverleihung den Bauernstand zu begründen“[10].

Im ehemaligen Herzogthum Magdeburg wünschte sich der Oberstlieutenant von Katte die vorige ständische Verfassung zurück, wennschon mit der Einschränkung „soweit der Zeitgeist sie noch gestatte“. Dass der Bauer, weil „noch nicht reif“, nach wie vor „durch den Gutsbesitzer zu vertreten sei“, war nicht nur seine Ansicht, sondern auch die anderer hier Befragter, wie des Grafen von Veltheim, des Herrn von Arnim und des Landrathes von Münchhausen. „Man sei“, sagte der zuletzt Genannte, „vor 1806 glücklich gewesen, auf den Zustand wünsche man zurückzukehren“. Mancher Adlige in den vom Königreich Sachsen abgetretenen Gebieten offenbarte den gleichen altständischen Kastengeist. Zwar legte ein Mann, wie der Rittergutsbesitzer von Berlepsch, ausdrücklich Verwahrung dagegen ein. Andere führten aus, mit welchen Unvollkommenheiten das Sächsische Ständewesen behaftet gewesen, wo vorzüglich „auf Kosten des dritten Standes“ bewilligt worden sei. Aber der Graf von Hohenthal sprach nicht nur für sich, wenn er es in Schutz nahm und die fortdauernde Vertretung der Bauern durch den Gutsherrn forderte, weil sie sonst „in die Hände von Winkelschriftstellern und Advocaten“ fallen würden. Eben diese Befürchtung ward auch an anderen Stellen, selbst aus bürgerlichen Kreisen, laut. Die altständische Partei unter dem Landadel wurde dadurch ermuthigt.

In Oberschlesien, äusserten u. a. der Justizrath von Strachwitz, der Major von Reisnitz, der Graf von Seherr, würden wenig taugliche Subjecte unter den Bauern sein. Auch sei zu fürchten, dass sich „der Bauernstand zu den Städten und zum Handel schlagen und Opposition gegen die Rittergutsbesitzer machen würde“.

Aus der Mitte des Märkischen Adels tönte Klewiz dieselbe Klage entgegen. Herr von Voss in Havelberg beschwerte sich [77] über die Annahme, „dass der bäuerliche Stand, sowie Unterthänig- und Eigenbehörigkeit aufgelöst werde, das Recht der Selbstvertretung gewinnen könne“. „Die Gestattung der letzteren ist vielmehr eine wahre Ungerechtigkeit gegen die Gutsbesitzer, indem man ihnen etwas von ihrer Eigenschaft Unzertrennliches nimmt, um es dem Dritten beizulegen, der es nie hatte noch haben konnte, und es entsteht daraus leicht, was nach Teutscher und Brandenburgischer Verfassung nie denkbar war, nämlich, dass, wie wir es schon in der letzten repräsentirenden Landesversammlung[11] erlebt haben, der bäuerliche Stand, wann er sich mit den Städten vereinigt, in der Abstimmung das Uebergewicht über seine Gutsherren davonträgt“. Sein Namensvetter, der Staatsminister von Voss-Buch, Stein’s alter Gegner, war vorsichtiger. Er wollte dem bäuerlichen Grundbesitzer die Vertretung nicht ganz versagen und gab zu, dass „eine Constitution für den Staat nach dem sich entwickelnden Geiste der Zeit und für die Möglichkeit, dass doch in später Zukunft einmal irgend ein Regent demselben nicht entsprechen könne, allerdings wünschenswerth und fast unvermeidlich sei“. Auch machte er bereits Vorschläge über die Zusammensetzung künftiger Reichsstände aus zwei Kammern, deren oberste mit ihren Standesherren, Majoratsherren, Bischöfen „die Opposition der unteren mildern, gewissermassen vermittelnd zwischen Volk und Thron treten“, sowie zum mindesten ein Recht des Veto bei Gesetzgebung und Steuerforderung haben sollte. Aber die Reichsstände sollten „keineswegs bereits constituirt“, höchstens „nur angekündigt werden“. Vielmehr müsse die Ständeverfassung zuerst mit den Provinzial- und Kreisständen beginnen und selbst über deren Zusammensetzung rieth er sehr, zuvörderst „die Ueberbleibsel der alten Stände“ zu hören. Gerade dies werde Vertrauen erregen und am sichersten, z. B. wegen Repräsentation des Bauernstandes, zum Zweck führen. Wie man sieht, dachte er: „Zeit gewonnen ist Alles gewonnen“. Aehnlich verfuhr der [78] Landrath von Rochow auf Golzow bei Brandenburg; „Ohne zuvorige Berathung mit den Ständen möchte wohl eine dem beabsichtigten hohen Zwecke entsprechende Verfassungsurkunde nicht entworfen werden können“. In diesen Ständen diene die Ritterschaft „als Stütze des Thrones, das grosse Bollwerk, welches ihn gegen das ungestüme Andrängen schützt“. Er wagt es nicht, sich unbedingt gegen Repräsentation der Bauern auszusprechen: „Indessen“, fügt er hinzu, „ist erwiesen, dass so lange als die Rittergutsbesitzer als natürliche Repräsentanten des Bauernstandes betrachtet wurden, dieser sich überall sehr gut befand“.

Gegenüber solchen diplomatischen Wortführern des Märkischen Junkerthums erscheint ein Major von Winterfeld von erquickender Aufrichtigkeit. Als Nachtrag zu einer Unterredung, die er in Freienwalde mit Klewiz gehabt hatte, richtete er am 27. October 1817 ein erregtes Schreiben an ihn. „Gleich auf die erste Frage“, begann dies, „ob eine Constitution nöthig erachtet werde, hätte ich noch hinzufügen sollen, sie sei nicht allein sehr nöthig, sondern man wundere sich, dass diese Frage erst aufgeworfen werde, nachdem die alte Constitution nicht bloss durchlöchert, sondern unter die Füsse getreten worden“. An dieser „alten Constitution“ hing sein Herz. „Wer kann das Unglück beschreiben, das aus der vernichteten[12] alten, durch keine neue ersetzten Verfassung geflossen ist?“ Mit Ingrimm, aber nicht ohne berechtigten Tadel der Schwankungen der Gesetzgebung, gedachte er „des Bauerneigenthums-Edictes vom 9. Januar 1810“ und des „unausführbaren Edictes vom 14. September 1811 mit seinen Nachträgen und Declarationen, das grösseres Unglück über den Preussischen Staat gebracht hat, als feindliche Verheerungen hätten thun können“[13]. „Mein kleines Dorf, wo Ruhe und Eintracht wohnten, wo Jeder wusste, was er zu thun und zu lassen hatte, und wo rechtliche Entscheidung und polizeilicher Zwang etwas Unerhörtes waren, ist seit diesem unglücklichen Edicte ein Wohnplatz der Zwietracht und Widersetzlichkeit geworden. Niemand thut oder leistet mehr, was er schuldig ist, ohne durch Zwang dazu angehalten zu werden, und Justiz und Polizei sind nicht im Stande, alle vor sie [79] gebrachten Beschwerden zu schlichten“. Sein Antrag ging dahin, „den Staat in seiner bisherigen Verfassung, soviel noch davon übrig ist, zu lassen, bis eine neue und bessere ihm gegeben worden, weil es besser ist, eine fehlerhafte Verfassung haben, als gar keine“. Es lässt sich aus anderen Aeusserungen des Schreibers muthmassen, welche Vorstellungen von einer „neuen Verfassung“ er hegte. Sie deckten sich schlecht mit dem Begriff einer „Repräsentation des Volks“ in Provinzialständen oder gar in einer reichsständischen Versammlung. Diese hielt er überhaupt kaum für möglich. In jenen sollte jedenfalls der Gutsbesitzer „den Hauptantheil haben“.

Indessen drängte sich doch Beyme und Klewiz auf Schritt und Tritt die Wahrnehmung auf, dass mit der Befreiung des Bauernstandes ein ganz neues Fundament des Staatslebens gewonnen sei oder noch gewonnen werden könne. In Vor- und Hinterpommern fand Beyme nach Unterredungen mit mehreren Schulzen und Mitgliedern der Kreisverwaltungen, dass gerade unter den Bauern „der Wunsch nach Volksverwaltung reger sei, als in allen übrigen Classen“, wennschon er auch hier eigentlich nur darauf abziele, „über das, was ihre Abgaben und Leistungen betrifft, mitzusprechen“. In Ostpreussen, wo 1808 auch den Köllmern Landstandschaft zu Theil geworden war, verstand sich dies von selbst. In Schlesien versicherten der Landschaftsdirector Graf von Götzen, der Oberamtmann Simon in Breslau, der Landrath von Eckartsberg u. A., geeignete Subjecte würden sich schon unter den Bauern finden, wie sie sich denn in der Kreisverwaltung nützlich gezeigt hätten. Der Stiftsverweser von Fehrentheil auf Oelmannsdorf befürwortete freilich nur eine „vorsichtige Wahl“ der bäuerlichen Repräsentanten, wobei er wohl gleich Anderen an den prüfenden Schulzen oder Landrath dachte, fügte aber hinzu: „Wer zu geben habe, müsse doch auch gehört werden“. Selbst in der Provinz Sachsen stellten viele Befragte, wie der Gutsbesitzer Vogel im Halberstädtischen, der Commercienrath Lutteroth in Mühlhausen, der Hauptmann von Wintzingerode, der Kammerherr von Westerhagen dem Bauern das Zeugniss aus, dass er vollkommen fähig sei, an der Repräsentation Theil zu nehmen.

Meistens war hiebei nur an eine provinzialständische Repräsentation gedacht. Mancher Bauer aber hatte auch zu den [80] Westfälischen Ständen in Kassel oder zur interimistischen Nationalrepräsentation 1812–1815 in Berlin gehört und erinnerte sich dessen mit Stolz. Dieser Stolz war nicht unberechtigt. „An gescheuten Bauern“, bekundete ein Amtsrath Kühne im Magdeburgischen, „werde es nicht fehlen. Er selbst sei Westfälischer Reichsstand gewesen und habe dabei wohl bemerkt, wie der Bauer mit gesundem Verstand den rechten Fleck treffe“. Der Ortsschulze Leist zu Döllen im Regierungsbezirk Potsdam sagte aus: „Er sei im Jahre 1812 zur Repräsentation nach Berlin mitberufen – –, bei den dortigen Berathungen habe er sich überzeugt, dass die bäuerlichen Deputirten sie zu verfolgen und dabei mit Nutzen und Erfolg Bemerkungen zu machen wohl im Stande gewesen“. Ebenso äusserte sich der Schulze Heinze, der 1814 und 1815 etwa sechs Monate der Versammlung in Berlin angehört hatte. „Beim Bauernstand“, fügte er hinzu, „habe die versprochene Repräsentation viel Zufriedenheit und Vertrauen geweckt“. Uebrigens zog man gewöhnlich aus jenen Erfahrungen, die zur Zeit der Westfälischen Reichsstände und der interimistischen Nationalrepräsentation in Berlin gemacht worden waren, den Schluss: eine Versammlung von Landesrepräsentanten dürfe kein „blosses Blendwerk“ sein, müsse „selbständig dastehen“.

Hie und da, namentlich in der Provinz Sachsen, wurde auf das Beispiel der jungen Verfassung des benachbarten Grossherzogthums Weimar hingewiesen. Der Landvogt Kästner aus Gispersleben, der selbst im Weimarischen begüterte Domdechant Graf von Wurmbrand-Zink u. A. sangen ihr Lob. Zufällig war Gersdorff, Karl August’s geistreicher und freisinniger Minister, in Erfurt anwesend, als Klewiz hier Halt machte. Da Gersdorff auch in der Oberlausitz eine Besitzung hatte, wurde er am 19. August in die Preussische Enquête einbezogen. Er sprach entschieden für „allgemeine Repräsentation aller Volksclassen“, wobei er hervorhob, dass sich in Weimar Adel und Bauerschaft, besser bewährt habe, als das Bürgerthum, für Gewährung des Steuerbewilligungsrechtes und eines Antheiles an der Gesetzgebung, für Ministerverantwortlichkeit. Den „ordinären Etat“ wollte er mit der Verfassung vorgelegt und ein- für allemal bewilligt wissen, so dass nachher immer nur vom extraordinären die Rede wäre. Mit Bezug auf das Budget urtheilte er: die Frage ob dürfe nur in den Reichsständen, bei den Provinzialständen bloss die Frage [81] wie gestellt werden. Er rieth zur Einführung von zwei Kammern in den Reichsstanden, „aber keineswegs die eine auf den Adel basirt“ und schloss: „Bei der Vorlegung der Verfassungsurkunde muss der Landesherr das Maximum, was er geben will, sehr bestimmt und fest aussprechen, aber über die untergeordneten Modalitäten sodann hören“.

Hiemit waren alle die Fragen über die Zusammensetzung der Reichsstände, ihr Verhältniss zu den Provinzialständen, den Umkreis ihrer Rechte berührt, deren Beantwortung im Osten der Monarchie ebensowenig zu umgehen war, wie im Westen, wenn überhaupt die baldige Gewährung einer urkundlich festgestellten reichsständischen Verfassung vorausgesetzt wurde. Zwar that dies mancher nur mit schwerer Ueberwindung seiner von Jugend an festgewurzelten Gefühle. Die patriarchalische Vorstellung, „eine gute Regentenfamilie sei die beste Constitution“, war noch nicht ausgestorben, und Klewiz hörte mitunter seine eigenen Worte aus dem Munde der Befragten wieder. Allein auch ein Landrath von Ziethen auf Wustrow, der jenes Bekenntniss ablegte, gab zu, da ständische Verfassung mit Landesrepräsentanten einmal versprochen sei, „müsse etwas, und zwar nicht scheinweise geschehen.“ So erklärte auch der Director Arnold von der Ritterakademie in Brandenburg, obwohl „nach seiner Ueberzeugung an sich keine Constitution die beste sei“, und er ein langes Leben unter der alten monarchischen Regierung glücklich gelebt habe, man müsse sich an den Gedanken einer Verfassung mit allgemeiner Landesrepräsentation gewöhnen, „wenn die Zeit sie erfordere“. „Der König und Kronprinz“, sagte der Generallandschaftsdirector Graf von Dyherrn in Schlesien, „machen keine Constitution nöthig, aber unvermeidlich ist sie, erstens wegen des königlichen Wortes, zweitens wegen der isolirt dastehenden Ministerialbebörden, drittens wegen der grossen fortdauernden Abgaben“.

Am bezeichnendsten war das Votum des alten Feldmarschalls York: „Die monarchische Verfassung, so wie sie unter Friedrich dem Grossen war, ist mir die liebste und beste. Indess ist dem Lande Constitution und Repräsentation versprochen und das Wort muss gelöst werden. Auch sobald als möglich, weil die Fortdauer grosser Lasten doch Unzufriedenheit nährt und bei den Waffen in der Hand des Volkes gar zu leicht gefährlich werden [82] kann. Man gebe daher bald und lieber unvollkommen, nach und nach wird sich alles besser ausbilden. Die Repräsentation muss allgemein sein für alle Stände, Adel, Bauer, Bürger, Handel, Gewerbe und zwar durch sich selbst. Subjecte werden sich im Bauernstand finden und bilden, Stellvertretung durch Advocaten muss ausgeschlossen sein. Auch gehören Gelehrte, Künstler etc. dem grösseren Publicum und bedürfen bei ihrer Schriftstellerei keiner besonderen Repräsentation. Der Landesrepräsentanten in Berlin müssen nicht zu viele sein. Vor der Berathung über Gesetzentwürfe werden solche den Provinzialständen vorgelegt, ihre Ansichten darüber und Notizen werden den Landesrepräsentanten mitgetheilt, diese bringen sie bei ihrer Versammlung zur Kenntniss und handeln dann bei der Berathung frei nach bestem Wissen und Gewissen, sind jedoch dafür verantwortlich. Sie werden übrigens nicht auf zu kurze Zeit ernannt, auf drei, vier, fünf bis sechs Jahre. Gesetzgebung, namentlich im Abgabewesen ist dabei Hauptsache. Keine Einmischung in die Verwaltung darf stattfinden. Jedoch ist Vorlegung des Staatsbedarfs, der – – vorhandenen Einnahmequellen und der danach erforderlichen Zuschüsse, – – alsdann Berathung über das wie der Aufbringung wünschenswerth. So wird Vertrauen sich befestigen und die Ueberzeugung hervorbringen, dass ein Preussischer Landesherr, um seinen Beruf zu erfüllen, allerdings viel erheben und in der Verwaltung selbständig sein müsse.“

Der von York geäusserte Wunsch, die allgemeine Landesrepräsentation in Berlin möge „Ansichten und Notizen“ der Provinzialstände einholen, war namentlich unter dem Adel weit verbreitet. Er findet sich u. A. in Gutachten der Grafen von Schack, von Stosch, von Carmer, von Bethusy in Schlesien, des Landrathes von Troschke in Frankfurt a. d. Oder, des Rittmeisters von Jena auf Köthen, des Landrathes von Rochow in Potsdam. Einige wollen diese Pflicht der Einholung von Ansichten und Notizen wenigstens „für die nächsten zwanzig Jahre“ bestehen lassen. Mitunter ist von der Nothwendigkeit einer „Correspondenz“ zwischen Landesrepräsentanten und Provinzialständen die Rede. Doch wird gewöhnlich auch hier betont, dass die Landesrepräsentanten nicht „nach Instructionen“ zu stimmen und „nicht Stände oder Provinzen“, sondern „nach freier Ueberzeugung handelnd“, „das Ganze zu vertreten“ hätten. Ganz ausnahmsweise [83] findet sich das Verlangen eines Kammerherrn von Kerssenbroik, die Landesrepräsentanten müssten „mit den Vollmachten der Provinzialstände versehen werden“.

Wie es mehrfach im Westen geschehen war, so wird auch in den östlichen Theilen der Monarchie häufig angenommen, dass die Versammlung der Landesrepräsentanten sich aus Mitgliedern der Provinzialstände zusammensetze. Doch findet sich gelegentlich eine ausdrückliche Erklärung, wie die des Präsidenten von Brauchitsch in Pommern, er erachtete „die Wahl der Reichsrepräsentanten aus den Vertretern der Provinz und durch dieselben für unzweckmässig“. Hie und da wird hervorgehoben, die Versammlung der Landesrepräsentanten dürfe „nicht permanent“, „nur temporell“ sein, etwa für „drei Jahre“ zu wählen.

Kam man auf ihre Zusammensetzung zu sprechen, so herrschte darüber eine ziemlich weitgehende Uebereinstimmung, dass sie „Männer aus allen Ständen“ enthalten müsse, so zwar, dass jeder Stand „durch sich selbst“ vertreten sei. Wer bei der Bildung der Provinzialstände das Erforderniss von Grundeigenthum geltend gemacht hatte, hielt auch für die Bildung der Reichsstände daran fest, selbst wenn er diese nicht als einen Ausschuss jener betrachtete. Manche wollten, wie der alte York, Gelehrte und Künstler nicht als besonderen „Stand“ gelten lassen. „Sie gehörten“, äusserte der Schlesische Baron von Rothkirch, „eigentlich einer grösseren Republik und wären gefährliche Repräsentanten“. Der Stadtsyndikus Busch in Prenzlau wollte Vertreter der Wissenschaft nur als „technische Sachkundige“ zugelassen wissen. Andere, fast durchweg adelige Gutsherren, wehrten sich auch gegen die Aufnahme von „Advocaten und Geistlichen“. Der Kammerherr Graf von Bethusy fand sogar, dass Kaufleute, weil „sie zu lose dem einzelnen Staate angehören“, nicht zu repräsentiren seien. Ein Bürgerlicher, der Kaufmann Nathusius in Magdeburg, wollte seinerseits nur „zwei Hauptstände, Ackerbautreibende und Gewerbetreibende“, anerkennen.

Hie und da wurde die Eintheilung in zwei Kammern befürwortet, wobei gewöhnlich an die Besetzung der „Pairskammer“ durch „Majoratsherren“, „grössere Gutsbesitzer“, auch wohl „würdige Geistliche“ und „Deputirte grösserer Städte“ gedacht war. Professor Menzel in Breslau, der eine einzige provinzialständische Kammer für hinlänglich erklärte, fand deren zwei [84] in der Landesrepräsentation für rathsam und schlug „das Ingredienz der Standesherren durch Geburt als Anschliessung an ehemalige Verfassung“ vor. Auf eigenthümliche Art entwickelte der Schlesische Baron und Staatsrath von Rhediger die Idee eines Zweikammersystemes. Es war derselbe, den Stein bereits 1808 zu den Arbeiten über reichsständische Verfassungspläne zugezogen hatte, den er aber später einen „rein buchgelehrten, unpraktischen, übrigens sehr schätzbaren Mann“ nannte[14]. Erst am 8. Januar 1819 schickte Rhediger sein schriftliches Gutachten ein, das über achtzig Seiten füllte. Er stellte sich als entschiedenen Freund einer Repräsentativverfassung für den Preussischen Gesammtstaat dar, suchte eine Reihe von Bedenken, die gegen dieselbe geltend gemacht worden, zu widerlegen und warnte davor, dem Rathe gewisser Grossmächte zu folgen, die „einem Gerüchte“ nach Preussen von der Einführung einer Constitution abgemahnt hätten. Die politische Romantik wurde von ihm bitter beurtheilt: „Als die Französische Revolution in ihrem Anfang für ein Umwandlungsstadium im Bildungsgange der Menschheit galt, sollte diese wie der Schmetterling von der Puppenhülse sich von der Geschichte loswinden und, weiter um sie nicht bekümmert, mit neuer Gestaltung ganz neues Leben gewinnen. Umgekehrt soll sie jetzt, nachdem diese Erwartung so grausam getäuscht worden, sich wieder in die Hülse zurückflüchten, in ihr Innerstes sich hineinzwängend. Grosses und Ideales nun, meint man, finde sich nur im Mittelalter und noch tiefer hinein in den Germanischen Urwäldern, es gäbe keinen anderen Weg des Heils als gerade dahin zurück, aber ein so grelles Rechtsum zum Alten, weil Neues misslungen, dürfte wohl auch nicht das Rechte sein, und sich Zurückwenden in die Geschichte, die nur besonnenes Umsehen nach ihr in Anspruch nimmt, ist eben deshalb selbst nicht geschichtlich – –. Das Herkommen werde geachtet, nur fordre es keinen Götzendienst – –. Unbegründet ist das Vorgeben, als stehe es schon geschichtlich fest, dass dauernde Verfassungen sich nur selbst machen und nicht gemacht werden können“. Er wandte sich auch gegen die „altgermanische Theorie vom Grundbesitz und Eigenthum, wonach alle Vertretung [85] und alle bürgerliche Würdigkeit von ihm ausgehen soll“, eine Lehre, die „unserem Staate gar nicht angemessen“ den geschichtlichen Uebergang des Territorialen ins „Sociale“ verkenne. Neben „einer Vertretung des Eigenthums überhaupt durch Städte, Gutsherren, Bauern“ forderte er „Vertretung der socialen Entwicklung durch Gewerbetreibende (Kaufleute, Fabricanten, Handwerker, Geistlichkeit, Gelehrte, Künstler, Staatsbeamte, Militärs)“, endlich „Vertretung des Adels“, den er als nothwendige „Abdachung vom Fürsten zum Volk“ betrachtete. Somit hielt er an dem Begriff einer „ständischen Vertretung“ fest, als dem „für den Anfang“ Gegebenen, von dem aus „das allgemeine repräsentative System nur in der geschichtlichen Entwicklung seinen Platz finden könne“. Er begnügte sich aber nicht mit der Annahme eines „allgemeinen landständischen Rathes“, den die Bezirksräthe, durch einen dreifachen ständischen Zuzug zu Wahlcollegien erweitert, erwählen sollten, sondern forderte als „Revisionsbehörde“, „Oberhaus“, „Senat“, noch einen „landständischen Senat“. In diesem hätten ausser den Prinzen, Präsidenten der Provinziallandtage, Standesherren, Senioren der adeligen, nicht standesherrlichen Geschlechter, Bischöfen, Rectoren der Universitäten, dem Präsidenten der Akademie auch noch eine Anzahl vom König Berufener ihren Platz einzunehmen: einige angesehene Individuen des Handelsstandes, hohe Staatsbeamte und Militärs, ein Inhaber sämmtlicher Orden, ein Mitglied des Hofstaates. Rhediger rechnete auf ein Unterhaus von 192, auf ein Oberhaus von 56 Mitgliedern.

Mochte man sich nun, wie es hier geschah, die künftige Versammlung der Landesrepräsentanten als eine Art von Parlament mit zwei Kammern denken, mochte man sich darunter einen kleinen provinzialständischen Ausschuss vorstellen: die wichtigste Frage blieb, wie im Westen, die nach dem Umfang ihrer Rechte. Sehr zahlreich waren die Stimmen derer, die an dem in der Verordnung von 1815 bewilligten bescheidenen Masse Genüge fanden. Einige gehen etwas darüber hinaus, wenn sie, wie der Justizdirector Ockel in Berlin, neben der Consultative noch das Recht der Initiative, oder wie der Landschaftsdirector von Gilgenheimb auf Franzdorf das Recht der Kenntnissnahme von „Staatsbedarf und Verwendung“ beanspruchen. Auch findet sich das ehrliche Geständniss einzelner Vernommener, ihr Votum könne nicht als Ansicht des Publicums gelten. So sagte [86] der Landrath und Domherr von Bismarck: „Berathung bei Gesetzgebung sei hinlänglich, eine öffentliche Meinung darüber habe sich noch nicht gebildet, sie dürfte aber wohl Recht zur Annahme der Gesetze wünschen“. „Ihm genüge blosse Consultative, bekundete der Landrath von Ziethen, aber in den Wünschen der Menge liege mehr, nämlich Annahme und Verwerfung“.

Es ist jedoch unnöthig, Zeugnisse dieser Art zu häufen. Denn auch in den östlichen Provinzen Preussens machte die Forderung, durch die Verfassung beschliessende Reichsstände zu erhalten, sich häufig unmittelbar Luft. Gersdorff stand keineswegs allein, und sein Vorschlag einer Trennung von „ordinärem und extraordinärem Etat“, der jener über das königliche Wort hinausgehenden Forderung viel an Schärfe nahm, war der Denkweise manches Zeitgenossen nicht fremd. Der Oberbürgermeister Francke in Magdeburg, der das Beschlussrecht der Reichsstände voraussetzte, beschränkte dies sogar insoweit, dass die Bedarfssumme für Militär und Auswärtiges „lediglich vom Landesherrn zu bestimmen sei“. Andere, wie der Regierungspräsident Schönberg in Merseburg, der Landrath Lepsius in Naumburg, der Rittergutsbesitzer von Raschau, der Commercienrath Contessa in Hirschberg, der Schlesische Baron von Richthofen, der Graf von Kalkreuth auf Siegersdorf, der Deichhauptmann von Byern, der Graf von Itzenplitz setzten gar keine Einschränkung des Beschlussrechtes für Mitwirkung bei der Gesetzgebung und für Steuerbewilligung fest. Der zuletzt Genannte entwickelt auch in anderer Hinsicht eine sehr fortgeschrittene Meinung[15]. Er erklärt: „Will man eine Kammer, so wird es am besten sein, alle Feudal-Ueberbleibsel ganz zu vernichten. Die Zahl dieser Landesrepräsentanten bestimme man nach der Volksmenge, z. B. einen auf 100 000. Die Wahl dazu überlasse man dem Vertrauen, so dass also nicht gerade aus sich selbst der einzelne Stand repräsentirt werde. Dadurch eben werden die Reibungen der einzelnen Stände sich verlieren“.

Wegen der Persönlichkeit des Schreibers ist auch das Gutachten des Niederschlesischen General-Landschaftsrepräsentanten von Stein (Breslau, 16. September 1817), der sich gegen „bloss [87] berathende Concurrenz“ äusserte, einiger Beachtung würdig. Dieser Stein war der Sohn von Goethe’s Freundin Charlotte. Er machte in seiner gemeinnützigen Wirksamkeit dem einstigen Berather seiner Jugend alle Ehre. Sein Gutachten drang neben der „Gewissheit der Berücksichtigung“ auf „Verantwortlichkeit der Minister, Anzeige von Missbräuchen, Ersparungen, Vorlegungen des Bedarfs bei neuen Abgaben“. Er verlangte, dass die Repräsentation für unbewegliches und bewegliches Eigenthum allgemein sei, ohne Unterschied von Adel und Bauer bei jenem, wennschon er eine Vertretung des Adels und auch einige Standesherren zugelassen wissen wollte. Die Frage nach der Räthlichkeit einer Trennung in zwei Kammern liess er offen[16]. Beinahe noch merkwürdiger als Fritz von Stein’s Gutachten ist eine Beilage desselben, eine an den König gerichtete Adresse der Dominialbesitzer im Breslauer Kreise. Sie ist schon oben S. 5 gelegentlich erwähnt worden, verdient es aber ihrem Wortlaute nach bekannt gemacht zu werden.


     „Allerdurchlauchtigster Grossmächtigster König!
      Allergnädigster König und Herr!

Wenn wir, die unterzeichneten Dominial-Besitzer eines einzelnen Kreises, es wagen, uns dem Throne Euer Majestät mit einer Bittschrift zu nahen, so darf uns das Bewusstsein einer treuen Anhänglichkeit an Euer Majestät Höchste Person und Haus und die Liebe zu unsrem Antheil am preussischen Namen, sowie der Mangel constitutioneller Organe, durch welche wir unseren demüthigen Vortrag vor Höchst Dero Person gelangen lassen könnten, deshalb entschuldigen.

Die Hoffnung durch eine Verfassung beglückt zu werden ist uns von unsrem Könige gegeben.

Bescheidene Erwartung hält einen Theil des Volkes ab, sich hierüber zu äussern, Besorgnisse, wie diese Verfassung ausfallen werde, hält einen anderen Theil ab.

Uns aber scheint ein Stillschweigen über diesen Gegenstand nachtheilig, weil es uns als Gleichgültigkeit ausgelegt werden könnte, über das Wichtigste, was ein Volk von einem edlen Regenten empfangen kann. Ja, Gleichgültigkeit hierüber müsste unsren Unwerth, ein solches Geschenk zu empfangen, bekunden, und könnte den hohen Entschluss zu einer solchen Gabe billig wanken machen.

[88] Wenn jeder grosse Schritt seine beste Zeit hat, so ist der Zeitpunkt der innigsten Uebereinstimmung und Liebe zwischen Regenten und Volk wohl mit Recht am geeignetsten, um wohlthätig für Jahrhunderte hinaus eine Verfassung festzustellen. Uns, den jetzt Lebenden, würde es zum ewigen Vorwurf von unsren Nachkommen gereichen, wenn wir diesen Augenblick (einen seltenen in der Geschichte) gleichgültig verscherzten und schwiegen um kleinlicher Rücksichten willen. Wir fühlen daher einen tiefen Drang, diese unsere Gefühle Euer Majestät zu Füssen zu legen mit der Ehrfurcht, die jenes hochherzige Versprechen erheischt. Allein auch über das Wie der Ausführung unterstehen wir uns unsere Ansicht Euer Majestät vorzutragen, ohne jedoch zu verkennen, dass nur in einem höheren Standpunkte die Richtigkeit desselben geprüft werden kann. Wir sprechen nicht von der Form und der Autorität der künftigen gesetzgebenden Versammlungen, denn nach der Menge der Verfassungen in den letzten 25 Jahren, die wir entstehen und vergehen sahen, und bei dem bestehenden Beispiel der Westeuropäischen Reiche kann es an guten Entwürfen hierzu und an einer genügenden Entwicklung derjenigen Verfassung, die wir bedürfen, nicht fehlen; sondern wir bemerken bloss einiges in Betreff des Umfanges derselben.

Preussen war gross in dem Kampfe mit Frankreich nicht durch das Räderwerk und Getriebe von Administrationsbehörden und deren Befehlen, so gut und zweckmässig dieselben an sich gewesen, sondern durch die Einheit des Geistes und Willens der ganzen Nation. Wird dieses immer so sein? Wer bürgt dafür? Lose hängen zum Theil die einzelnen Provinzen der Monarchie zusammen. Nicht eine gemeinsame Verfassung, nicht das gemeinsame angestammte Regentenhaus bindet sie zusammen, und die Militärgewalt langt nicht in den Fällen aus, wenn es auf das Gemüth ankommt. Weder Eis, noch Wüsten, noch Meere decken uns einen Rücken. Von allen Seiten her sind wir verwundbar. Andere Interessen, andere Gefahren hat jetzt noch der Bewohner an der Memel und der an dem Rhein. Alles das wird jedoch nicht eher factisch sichtbar, als bis ein Krieg entsteht – und dann zu spät. Der Regent ohne Verfassung hat keinen zuverlässigen Weg, die Gesinnung seines Volkes zu erfahren, keinen, um mit sicherem Erfolg auf dasselbe zu wirken. Ein einziger, unpopulär unternommener Krieg (die Motive dazu mögen von der reinsten Politik eingegeben sein) setzt bei der Immensität der Massen, mit der jetzt die Krieg führenden Mächte vorschreiten, die grössten Provinzen in Gefahr, wie von einem Lavastrom überschwemmt, und das ganze Königreich in Gefahr, erschüttert zu werden. Nur die Bewaffnung des Volkes macht Preussen unüberwindlich. Aber ein Volk ohne [89] Verfassung, ohne Liebe zu derselben ist nur eine todte Masse, ist ohne Geist und Kraft und Leben.

Provinzialverfassungen können also nicht genügen, eine Reichsverfassung ist es, welche das Reich bedarf. Wir wollen hierdurch nicht sagen, dass nicht die einzelnen Provinzen ganz specielle Gesetze nach ihrer Verfassung bedürfen könnten. Aber auch für diese steht durch Ausschüsse aus den grösseren Versammlungen zu sorgen.

Wir haben vielleicht schon zu lange gesprochen, zu kurz jedoch, um unsere wärmste Anhänglichkeit an unseren König ganz auszudrücken.

Die wir mit tiefster Unterwerfung ersterben

 Euer Majestät
 unterthänig Treu gehorsamste
 Dominial-Besitzer im Breslauer Kreise.“


Beredter als es hier, aus der Mitte des Volkes, geschah, liess sich der oft gehörte Einwand kaum widerlegen, eine reichsständische Verfassung werde die centrifugalen Kräfte des Preussischen Staates verstärken. Im Gegentheil: sie erschien den Unterzeichnern der Adresse als das festeste Band, das alte und neue Provinzen umschliessen könne.

Es gab noch einen anderen, höheren Gesichtspunkt, unter dem sich die ganze Verfassungs-Angelegenheit betrachten liess. Man mochte fragen: Was gewann oder was verlor Preussen in Deutschland, wenn es sich entschloss anderen zuvorzukommen? Was verlor es, wenn es den ehemaligen Rheinbundstaaten den Ruhm überliess, zuerst auf Deutschem Boden das constitutionelle Leben zu entwickeln, wenn es sich nicht von der lähmenden Einwirkung der Oesterreichischen Lehren befreite? Erst kürzlich hatte der geistreiche Konrad Engelbert Oelsner, bei der Empfehlung einer „volksthümlichen Verfassung für Preussen“ das Wort gesprochen: „In dem grossmüthigen Geiste, der das Berliner Cabinet beseelt, athmet sicherlich auch der freisinnige Gedanke, Preussen nicht bloss für sich zu ordnen, sondern auch als Musterstaat für Deutschland aufzustellen“[17]. So antwortete der Schlesische [90] Baron von Rothkirch-Trach, als Klewiz sein Gutachten einforderte: Ständische Repräsentation für alle Stände, – – Gesetzgebung und Comptabilität, Verantwortlichkeit der Minister; „was gemacht wird, sei gut und Muster für ganz Deutschland, damit es sich anschliesse, sonst möchte besser sein, nichts zu machen.“

Niemand aber stellte sich, Gegenwart und Zukunft überschauend, auf eine so hohe Warte wie der feurige Zerboni di Sposetti, der Oberpräsident der Provinz Posen. Er war noch ebenso hochherzig und freimüthig wie in seiner Jugend, da er als Südpreussischer Kriegs- und Domänenrath durch die Enthüllung schamloser Corruption zum Märtyrer geworden war[18]. Als Klewiz ihn aufsuchte, litt er an den Nachwehen einer Krankheit und konnte nur kurze Andeutungen über den Gegenstand der Enquête machen. Inzwischen wurden auch hier die gewünschten geschichtlichen Materialien, die Constitutionsacte vom 3. Mai 1791, das Napoleonische Statut für das Herzogthum Warschau vom 22. Juli 1807, die „Charte constitutionelle des Königreiches Polen vom 15./27. November 1815“, zu den Acten genommen. Entwürfe und Denkschriften, vornehmlich aus dem Kreise Polnischer Adliger reihten sich an. Wennschon der Gedanke an eine reichsständische Verfassung in ihnen keineswegs ganz verdunkelt war, so lag doch das Hauptgewicht auf dem Verlangen, einen sehr mächtigen Provinziallandtag „als Garantie der Nationalität“ eingerichtet zu sehen. Er sollte, nach Joseph von Morawski’s Meinung einen immerwährenden Ausschuss wählen, der dem Statthalter zur Seite zu treten hätte, desgleichen eine Erziehungscommission zur Verwaltung der Schulen, auch für die erstmalige Besetzung aller Stellen in Gericht, Verwaltung, Kirche, Schule ausschliesslich aus Einsassen des Herzogthums Vorschläge machen. Für Zerboni di Sposetti waren Sonderbestrebungen dieser Art ein Grund mehr auf baldige Einführung einer volksthümlichen reichsständischen Verfassung zu dringen. Zugleich aber hegte er die freudige Zuversicht, dass Preussen dadurch in [91] Deutschland unschätzbare moralische Eroberungen machen werde. Sein Gutachten, am 28. November 1817 nach Berlin abgesandt, zeichnet sich durch eine schwungvolle Sprache aus, deren Wirkung bei einem Auszug sehr viel verlieren würde. Es folge hier daher gleichfalls seinem Wortlaute nach.


„Als mich Euer Excellenz mit Ihrem Besuche in Posen beehrten, war ich von den Folgen einer heftigen Krankheit so abgemüdet, dass ich es nur mit wenigen Worten vermochte, Ihnen meine Ideen über eine Verfassung für unsern Staat leise zu bezeichnen. Ew. Excellenz erlaubten mir, mein Votum schriftlich nachzutragen. Ich thue dies in dem folgenden gedrängten Aufsatze, von welchem ich heute Seiner Durchlaucht dem Herrn Staatskanzler eine Abschrift einreiche.

Ich spreche zu einer Zeit, wo noch kein Beschluss gefasst ist, wo meine Meinung verlangt wird, aus reinem, kräftig für unsere Sache fühlenden Herzen, in dem lebendigen Gefühle meiner Bürger- und Beamtenpflicht. Es bedarf der Erwähnung nicht, dass ich, als Unterthan und treuer Diener Seiner Majestät, ausführen helfen werde, was auch des Königs höhere Weisheit beschliessen mag.

Noch sind wir keine Nation.

Der Preussische Staat ist eine Masse einzelner sehr verschiedenartiger Theile, deren unnatürliche Verbindung ein Problem der höchsten Staatsklugheit wird.

Nur in einer der Reife der Zeit angemessenen Verfassung, in der jeder denkende und fühlende Mann das durch die grossen Begebenheiten der letzten dreissig Jahre gezeitigte Product seines eigenen Kopfes und Herzens findet, können diese heterogenen Theile einst in ein Ganzes fliessen, und die verschiedenen Zweige von Völkerstämmen, die es bilden, endlich in eine Nation übergehen.

Sind wir zu einer solchen Verfassung reif?

Das Volk hat durch Anstrengungen, die in die Zeiten der Griechen und Römer datiren, durch hohe, tugendhafte Opfer verunglückte Unternehmungen der Regierung gut gemacht, und könnte diese Frage, die es bereits mit vielem Blute und heissen Thränen beantwortet zu haben glaubt, befremdend finden. Aber, dies übersehn: wann werden wir das Ideal erreichen, wenn man unsere Unmündigkeit verewigt? Je väterlicher die unbegrenzte Herrschaft ist, je lähmender sind ihre Folgen; je mehr überhebt sie die Regierten des Selbstdenkens; je mehr schlummert sie ein.

Schmeichelei wäre hier ein Verbrechen der beleidigten Majestät; täuschen wir uns nicht. Es war nicht bloss eine unüberwindliche Anhänglichkeit an die Regierung, die dem Volke das Schwert der [92] Rache in die Hand gab. Uebersehen wir den grossen Antheil nicht, den die Verzweiflung, der Hohn eines übermüthigen Feindes an dieser Kraftäusserung hatte. Anders würden sich die Sachen gestaltet haben, hätte der Menschenverächter uns auch für etwas zählen lassen und es der Mühe werth gefunden, uns durch sanfte, versöhnende Formen zu seinen Zwecken zu leiten.

Unsere bedenkliche politische Lage verlangt Bürger, die mit ihrer ganzen Existenz dem Staate angehören, ausser ihm kein Heil für denkbar halten. Diese Bürger sind nur in einer Verfassung möglich, welche sie zu integrirenden, activen Theilen des Ganzen macht, ihnen die vollständigste Gewähr für ihr physisches und moralisches Eigenthum leistet. Schön sind die Empfindungen der Liebe, der treuen Anhänglichkeit, deren sich der Monarch bemächtiget, der, nur von seinem eigenen religiösen Geiste und edlem Herzen geleitet, der Nation alles Bürgerglück gewährt; aber, diese Gefühle reichen nicht allein aus, sie erlöschen mit dem Tode des Monarchen, und ein Nachfolger muss sie wieder von neuem erwerben.

Die Rolle, die uns in Europa wiederum zugefallen ist, basirt nicht auf unserer physischen Schwere. Wir existiren nur in der Idee und erlöschen mit ihr.

Die Augen eines ganzen Welttheiles sind neugierig auf uns gerichtet. Die Blicke von Deutschland hängen richtend an dem, was aus uns hervorgehen wird. Es ist kein Rausch einer entzündeten Phantasie, kein verrauchender Freiheitsschwindel, welcher die besseren Köpfe in Deutschland in Bewegung setzt und ihnen die Forderungen an die Fürsten dictirt: durch einen feierlichen, ihre gesammten Pflichten und Rechte umfassenden Vertrag alles Unbestimmte und Zweideutige aus den Verhältnissen mit ihren Unterthanen zu verbannen. Es sind nüchterne, fest und kräftig aus den grossen Weltbegebenheiten aufgefasste Resultate, die sich selbst schon das Volk anzueignen beginnt, die durch jede Gegenwirkung tiefer wurzeln, die nicht mehr zu vertilgen sind. Die Zeit ist gekommen! – ihr Geist ist nur zu beherrschen, indem man ihn in sich selbst aufnimmt. Ich sehe in der Ferne die Auflösung jeder Regierung, die mit ihm in die Schranken treten wird.

„Wir sind weise regiert, wir sind glücklich“ – weil wir dies sind, wollen wir durch feste Satzungen unser Glück auf unsere Nachkommen vererben. Nur in dem Herzen eines gottverehrenden Fürsten, der nichts Böses will, kann die Neigung zu Satzungen, welche Böses verhindern, hervorgehen. Unter Fürsten, gegen welche die Nationen solcher Satzungen bedürfen, werden sie ohne gewaltsame Umwälzungen nie erlangt werden.

[93] „Der König kann seinen Rechten nichts vergeben.“ – Diese Aeusserung kömmt von unserem Könige nicht; in einer hochwichtigen Angelegenheit nicht, wo es darauf ankömmt, seinen Thron, das Glück seines Volkes für eine Reihe von Jahrhunderten gegen alle Erschütterungen zu gründen. Ich habe für diese Aeusserung keine Antwort.

Wohl möglich, dass die Verhandlungen über die Verfassung von Württemberg, dass die Insinuationen fremder Cabinette und Staatsmänner Sr. Majestät Besorgnisse eingeflösst haben. Diese leichteren Besorgnisse werden grösseren gegenüberstehenden weichen, wenn die letzteren geltend gemacht werden. Wo auf der einen Seite die Vernunft, die Klugheit so laut spricht, und auf der anderen sich ein edles Herz so gern Allem, was es für recht und gut erkennt, hingibt, ist der Sieg nicht zweifelhaft. Es muss selbst auf des Monarchen vorübergehende Missbilligung gewagt werden, ihm in treuer Dienerpflicht die Verhältnisse unbedingt zu enthüllen, die sein Wohl bestimmen.

Der grosse Mann, dessen tiefer politischer Blick uns wiedergeboren hat, wird durch seine Auflösung des Problemes, wie durch kluge, kalte, festgehaltene Combinationen und schnelle Würdigung des Moments ein verzweiflungsvoller, politischer Process gewonnen werden kann, ein Blatt in der Weltgeschichte ausfüllen; aber – er hat nichts für die Unsterblichkeit geliefert, das Blut der Helden, das seine Combinationen geltend machte, floss umsonst, wenn er sein schönes Gebäude von neuem dem Zufalle hingibt, es nicht durch eine den Forderungen der Zeit entsprechende Verfassung krönend befestiget.

„Wir wollen eine Verfassung; aber sie soll der Nation nur eine berathende Stimme ertheilen.“ –

Dies ist nicht genug auf der einen Seite, und führt auf der anderen zur Revolution.

Eine Verfassung, welche dem Souverän die Befugniss gibt, die Nation zu hören, ihren Rath zu beachten oder nicht, ist keine Verfassung, keine Bürgschaft für die Dauer unseres Glückes.

„Der König wird nie ein von der Nation gemissbilligtes Gesetz sanctioniren“ – dessen bin ich gewiss; aber um so leichter kann der Nation eine verwerfende Stimme eingeräumt werden. Will man den tugendhaften Monarchen in den Fall bringen, einem späteren, vielleicht nicht tugendhaften, weniger erleuchteten Nachfolger, durch eine förmliche Satzung das Recht vorzubehalten, gegen den feierlich und förmlich ausgesprochenen Willen der Nation, die Gesetze zu ändern, – so bereitet man eine Revolution vor.

[94] Mit Nationen kann man nicht berathen; hierzu hat der Souverain seinen Staatsrath. Eine Nationalrepräsentation kann nur kategorisch über Entwürfe zu neuen Gesetzen oder über die in Vorschlag gebrachte Abschaffung schon bestehender absprechen.

In dieser Ueberzeugung bin ich auch unendlich weit von der Forderung entfernt, dass die Nation bei der Organisation des neuen Staatsgebäudes zugezogen werden soll. Es geschieht alles, was heilbringend ist, wenn hierüber die von der Regierung selbst aufzusuchenden Weisen im Volke gehört werden. Von der Mitwirkung so vieler in ihrer Abstammung und ihrem Interesse heterogener Provinzen, die jetzt unseren Staat bilden, ist noch vorerst keine das Ganze umfassende Ansicht, mithin keine Einheit in den Beschlüssen zu erwarten. Das Gebäude, welches die väterliche Huld des Königs und die Weisheit seiner Räthe der Nation geben wird, ist ihr bloss gegen jede spätere Willkür zu sichern.

Ich stimme für eine Verfassung unseres Staates, welche auf folgende Grundlinien gebaut ist:

Ein zum Theil aus erblichen, zum Theil von dem Könige auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern bestehender Senat, welcher über die Aufrechthaltung der Constitution wacht.

Eine Repräsentation der Nation, die bei den Vorschlägen zu neuen, oder zur Abschaffung von bestehenden, die Person und das Eigenthum betreffenden Gesetzen eine entscheidende Stimme hat.

Provinzialstände, welche die Repräsentanten der Nation wählen, ohne sie mit einer Instruction versehen zu dürfen, denen aber die Befugniss zusteht, über das Wohl ihrer Provinz und über die Verwaltung derselben zu berathen und die diesfälligen Resultate dem Staatsrathe vorzulegen.

Freiheit der Presse, unter der gesetzlichen Verantwortlichkeit des Schriftstellers und des Verlegers.

Die Minister werden auf die Lorbeeren nicht Verzicht leisten wollen, die ihrer warten, wenn sie ihre Mitbürger bei der Eröffnung jeder Versammlung der Repräsentanten von ihrer Verwaltung unterrichten.

Seine Majestät werden eine ähnliche Vergünstigung ohne Zweifel auch dem Oberpräsidenten bei den Versammlungen der Provinzialstände zugestehen.

Ich schreibe diese Forderungen nicht ohne Kummer bei der Möglichkeit nieder, dass ihre Nichtbeachtung uns in den hochbetrübten Fall bringen könnte, in wenigen Jahren ein Werk wieder von neuem anfangen zu müssen, das nach seiner Natur für Jahrhunderte errichtet werden muss.

[95] Wir besorgen von den Polen? Ihr Hang zu einer Veränderung ihrer gegenwärtigen Lage liegt mehr in ihrer Phantasie als in ihrer räsonnirenden Vernunft. Die in tiefer Unmündigkeit erhaltene, sich erleichtert fühlende Masse kann ihn nicht theilen. Hier ist einiges von der versöhnenden Zeit zu erwarten, wenn nicht ein benachbartes Feuer hieher zündende Funken wirft, oder ein an den Grenzen des Landes erscheinender Eroberer die Scenen von 1806 erneuert. Unsere Besorgnisse liegen uns näher, sind wichtiger.

Es ist nicht mehr zu verwundern, dass der gute unglückliche Ludwig im Jahre 1789 nicht wusste was er zu thun hatte, da wir in dem Jahre 1817 ausgerüstet mit den gewichtigen Erfahrungen der dazwischen befindlichen Jahre noch unschlüssig scheinen, wie wir den Resultaten der letzteren zu begegnen haben.

Es liegen grosse Ereignisse im Schoosse der Zukunft. Sie wird sie an Preussen anknüpfen. Wir haben keinen Nebenbuhler, wenn wir die Rolle begreifen, die uns zugefallen ist. – So reichen die Pflichten unserer Staatsmänner über ihr eigenes Vaterland hinaus.“


Zerboni di Sposetti hat diesem Gutachten zehn Monate später noch ein weiteres Schreiben an Klewiz (Posen, 22. September 1818) folgen lassen. Nun aber, da bereits Baiern und Baden Verfassungen erhalten hatten, war er schon sehr entmuthigt. „Der Moment“, schrieb er, „in welchem die Augen eines ganzen Welttheils neugierig auf uns gerichtet waren, wo Deutschland von dem, was aus uns hervorgehen würde, der Norm für die Verfassungen seiner einzelnen Staaten entgegensah, ist vorübergegangen. Kleine Deutsche, von uns an Bildung nicht ebenbürtig gehaltene Regierungen sind uns zuvorgekommen. Wir haben immer wieder erneute – – Zusagen unerfüllt gelassen. Man erwartet nichts mehr von uns. Freiwillig haben wir ein Reich aufgegeben, das bei der geographisch-politisch so unvortheilhaften Lage unserer verhältnissmässig kleinen Monarchie uns hätte aushelfen können – –. Nach den mir mitgetheilten Tabellen hat die überwiegende Mehrheit der ins Vertrauen gezogenen Personen die Nothwendigkeit einer Verfassung anerkannt, nur über die Form und besonders in Rücksicht der Wirksamkeit der Volksrepräsentation sind die Meinungen sehr verschieden. Einige Gutmüthige – – haben mehr zur Ehre ihres Herzens als ihres Kopfes sich darauf berufen, dass ein guter Regent besser als alle Verfassungen sei, und dass es nur auf eine gute regierende [96] Familie ankomme. Ew. Excellenz scheinen diese Personen gutmüthig mit der Frage verschont zu haben, wie es wohl eine Nation anfangen müsse, um sich bei dem ewigen Wechsel alles Menschlichen für alle Zeiten höchst erleuchteter guter Könige und einer tugendhaften Regentenfamilie zu versichern. Leute, welche eine dem Lande zu gebende Staatsverfassung für ein Attentat gegen die regierende Familie halten, sind zu unbekannt mit den zu verhandelnden Gegenständen, um mitsprechen zu können.“ Er wiederholte, dass er das Recht der Berathung der Landesrepräsentanten nicht für genügend halte, aber das Gebäude der Verwaltung ohne ihre Mitwirkung vollendet wissen wolle. Er gab den Gedanken auf „die Stimmfähigkeit nur an das Grundeigenthum zu binden“ und erhob sich zu der Forderung: „Wer in jedem Moment bereit sein soll, den Staat mit Gut und Blut zu vertheidigen, muss sich als ein Mitglied des Ganzen fühlen“. Er frug, die Gefahren blosser Provinzialstände noch schärfer als früher hervorhebend: „Wollen wir die Monarchie in kleine, für sich bestehende Herzogthümer unter einem gemeinschaftlichen Oberhaupte auflösen? eine Cantonalverfassung wie in der Schweiz einführen? In den Vereinigten Staaten von Nordamerika selbst existirt eine Centralverfassung“. Aber bei Klewiz waren solche Worte verloren. Es wird in keiner Weise bezeugt, dass er aus seiner Rundreise Eindrücke gewonnen habe, die seine ursprüngliche Meinung verändert hätten.

Dagegen fand Beyme, der es liebte, ohne hinreichende Schärfe im einzelnen glänzende allgemeine Ziele aufzustellen, in der angesammelten Durchschnittserfahrung Stoff genug für ein scheinbar vielversprechendes Programm. Nur von ihm liegt ein zusammenfassendes Gutachten vor. Er warf einen Blick auf den „in Deutschland beginnenden merkwürdigen Entwicklungsgang der Veränderung der Landstände in Volksvertretung“. Er bezeugte, dass sich gegenüber den alten Ständen, die nur ihre Standesinteressen vertraten, „die Ideen von Gemeingeist und bürgerlicher Freiheit entwickelt haben, die die Geschichte der letzten drei Jahrhunderte beherrschen und sich jetzt in dem allgemeinen und lauten Verlangen nach volksvertretenden Verfassungen aussprechen“. „Die Geschichte der gesellschaftlichen Revolutionen, welche die Entstehung der Communen im Mittelalter bewirkte, kann uns von der Unwiderstehlichkeit der Gewalt [97] des plötzlichen Wechsels der Meinungen – – – belehren. Die gewaltige Veränderung der allgemeinen religiösen und politischen Denkart, die, seitdem Nordamerika das Beispiel von Insurrection und das Ideal von Verfassung gegeben, recht sichtbar geworden ist, wird nicht minder unwiderstehlich sein. In weniger als einem Menschenalter werden selbst in die Ministerplätze und in die Stellen der ersten Staatsbeamten fast lauter Männer kommen, die nach den neuen Meinungen sich gebildet haben. Man darf sich nicht mit der Hoffnung schmeicheln, dass unser Vaterland allein dem allgemeinen Schicksal entgehen werde. Wenngleich das allgemeine Verlangen nach Volksvertretung in demselben bisher weniger und fast nur in den Rheinlanden laut geworden, so ist das mehr eine Folge der Weisheit unserer Monarchen, die den Staat schon lange im Geiste einer repräsentativen Verfassung erhielten und die mangelnde Form nicht vermissen liessen.“ Darüber liess er zwar keinen Zweifel, dass seiner Ansicht nach die Repräsentation auf den verschiedenen Stufen, analog dem Herkommen, nach der Eintheilung in „Rittergutsbesitzer“, „Bürger”, „Bauern“ zu bilden sei. Aber dies sollte „keinen egoistischen Ständeunterschied“ ausdrücken, sondern „zur Erleichterung des Uebergangs aus der ständischen Verfassung in die Volksvertretung“ dienen. Dies sollte sich auch in der neben Provinzialständen bestehenden „Reichsrepräsentation“ zeigen. Die Frage, ob in derselben ein „Oberhaus“ einzuführen sei, hielt er „durchaus für vorzeitig“.

Als Competenz der Reichsrepräsentation schwebte ihm vor, was durch Uebereinkunft Oesterreichs, Preussens, Hannovers am 21. October 1814 in Wien als „Minimum ständischer Rechte“ angenommen worden war: Mitwirkung bei der Gesetzgebung, Einwilligung bei der Festsetzung öffentlicher Abgaben, Mitaufsicht über die Verwendung derselben, Beschwerderecht, Recht die Bestrafung schuldiger Staatsdiener zu fordern[19]. Die allgemeine Staatsverfassungsurkunde sollte folgende Grundrechte enthalten: Vollkommene Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Meinung und der Presse unter Verantwortlichkeit für [98] gesetzwidrigen Missbrauch derselben vor öffentlichen Gerichten nach dem Ausspruch von Geschworenen, Zusicherung des gesetzlichen Schutzes für Personen und Vermögen, Verbot, dass sich irgend ein Unterthan gegen den anderen zu Diensten, welche der Qualität nach erlaubt, der Zeit und dem Grade nach aber unbestimmt sind, weder als Taglöhner noch als angesessener Taglöhner verpflichten könne, Unverletzlichkeit des durch die Gesetze angeordneten Gerichtsstandes, Unabhängigkeit des Richters, Aufhebung aller Privat- und Patrimonialjurisdiction, Wiederherstellung der aus dem Allgemeinen Landrecht weggelassenen Verordnungen des Allgemeinen Gesetzbuches, Einleitung § 6, 7 gegen die Machtsprüche[20], Berechtigung aller christlichen Eingeborenen der Monarchie ohne Unterschied des Standes, Ranges, der Geburt oder der Provinz zu allen öffentlichen Aemtern. Recht der Auswanderung ohne Abzug des Vermögens. –

Der Eindruck des Beyme’schen Gutachtens wurde aber guten Theils wieder vernichtet durch folgenden Vorbehalt: „Wie viel Missliches jedoch der unvorbereitete und plötzliche Eintritt einer grossen berathenden Centralversammlung nach sich ziehen kann, ist zu einleuchtend, als dass ich es besonders erörtern dürfte. Daher ist es rathsam, vorläufig bloss einige solide Grundsteine zu legen, auf welchen die Zeit das Gebäude der Constitution errichten kann. Diesem Zweck scheint es zu entsprechen, partielle Repräsentationen zu versammeln, weniger um rathen als um verwalten zu helfen. Die nächsten Resultate wären, dass die öffentlichen Lasten geringer und die Bürger zu praktischer Geschäftskenntniss angeleitet würden.“

Es war klar: ein solches Urtheil aus solchem Munde musste zur Ermuthigung aller derer dienen, die bei der Berufung von Provinzialständen Halt zu machen wünschten. Auch konnte Schuckmann schon am 27. December 1817 triumphirend an Raumer schreiben: „Zu Ihrem Troste kann ich Ihnen sagen, dass es mir gewiss nicht durch den Werth meiner Person, sondern durch das Gewicht der Wahrheit gelungen ist, die Ueberzeugung sehr allgemein zu begründen, dass man sich durch das allgemeine Schlaraffen-Geschrei nicht muss verführen lassen, ein papierenes Constitutionsdach in die Luft zu stellen, sondern dass man durch [99] Communalordnungen und Provinzialstände, dem Geiste und Zustande des Volkes angemessen, Fundamente legen muss, worauf die Erfahrung fortbauen möge[21]“. Man weiss, wie es kam, dass Schuckmann und seine Gesinnungsgenossen Recht behielten. Als Metternich sich während des Congresses von Aachen zum Rathgeber Friedrich Wilhelm’s III. in Sachen der Preussischen Verfassung aufwarf, hatte er schon halb gewonnenes Spiel. Das folgende Jahr machte seinen Triumph gewiss.



Anmerkungen

  1. Ich bemerke, dass ich bei wörtlichen Anführungen oder vollständiger Mittheilung von Acten aus diesen Beständen die wechselnde, alterthümliche Schreibung und Interpunction nicht beibehalten habe.
  2. Klewiz’ Denkschrift vom 28. April 1817 mit Begleitbrief an Hardenberg vom 7. Juni 1817.
  3. F. Sailer, Der Preussische Staatsrath und seine Reactivirung. Unter Benutzung von archivalischen Quellen. Berlin, Deubner. 1884. S. 128.
  4. Aus den Papieren Theodor’s v. Schön III, 55.
  5. Ich muss bemerken, dass mir Sethe’s Denkschrift, die H. v. Treitschke II, 290 anführt, nicht im Wortlaute vorgelegen hat.
  6. Pertz, Stein V, 152; 155; 187. Ebenda V, 325–27; 355 spricht er sich scharf gegen eine bloss berathende reichsständische Versammlung aus.
  7. Hommer an Altenstein, Ehrenbreitstein 13. Sept. 1817. Uebrigens sagt er, weit entfernt davon, den alten Trier’schen Landtag einfach wieder herstellen zu wollen: „Da dermalen keine Abt- und Stifts-Dechanden und überhaupt ausser dem etwa zu errichtenden Domkapitel und vielleicht einigen Anstalten, welche für Krankenpflege oder Erziehungswesen bestimmt sind, keine geistlichen Korporationen mehr bestehen, so ist mit der Geistlichkeit eine Veränderung vorgegangen, welche die derselben in vorigen Zeiten eigen gewesenen Befugnisse nicht mehr anwendbar sein lässt“. S. über Hommer einige Angaben bei O. Mejer, Zur Geschichte der Römisch-Deutschen Frage II, 2 S. 16.
  8. Altenstein: Einige Bemerkungen über die Organisation der höchsten Verwaltungsstellen des Preussischen Staates mit Begleitschreiben an Hardenberg 8. März 1816. Geh. St.Arch. Berlin. Theilweise abgedruckt Deutsche Revue 1882, II, 294–296.
  9. Ueber Beyme’s Auftreten in West- und Ostpreussen s. einige mit Vorsicht aufzunehmende Notizen: Aus den Papieren Theodor’s v. Schön in Band III, 55; 56. VI, 401; 405–407.
  10. Vgl. G. F. Knapp, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preussens (1887) I, 319. II, 463 ff.
  11. Anspielung auf die sog. interimistische Landesrepräsentation 1812 bis 1815. Vgl. meine darauf bezügliche Studie in den „Abhandlungen und Actenstücken zur Geschichte der Preussischen Reformzeit“. Leipzig 1885. Im Widerspruch zu Herrn von Voss meinte der Stadtsyndikus Paul in Potsdam, bei der interimistischen Nationalrepräsentation hätten zwar die Städte für die Bauern, aber diese gegen die Städte gewirkt.
  12. So statt „Vernichtung der alten Verfassung“.
  13. Vgl. Knapp a. a. O. I, 139; 161–184.
  14. Siehe meine Abhandlungen und Actenstücke zur Geschichte der Preussischen Reformzeit S. 151 ff.
  15. Siehe über ihn, wie über viele der sonst Genannten, M. F. v. Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg u. s. w. Register.
  16. Auf Fritz v. Stein’s Gutachten ist bereits von mir hingewiesen im Goethe-Jahrbuch IX: „Aus dem Briefwechsel von Fr. v. Stein und L. Zeerleder“.
  17. Das Preussische Cabinet. Von einem Einsiedler. 1816 mit dem angeblichen Druckort Aachen. Abdruck in Oelsner-Monmerqué: Denkwürdigkeiten aus Oelsner’s Schriften. Bremen 1848. Die Angabe 1819 daselbst S. 67 ist irrig. Siehe Allgemeine Zeitung 1816 Nr. 270 und Oelsner’s Briefe an Varnhagen 1. Oct. 1816.
  18. Martin Philippson, Geschichte des Preussischen Staatswesens vom Tode Friedrich’s des Grossen bis zu den Freiheitskriegen. Leipzig 1882. II, 292 ff.; vgl. Wattenbach, Correspondenz zwischen Zerboni, Held und Nieter mit dem Herausgeber des Genius der Zeit (Abhandlungen der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. 1870).
  19. Vgl. W. A. Schmidt, Geschichte der Deutschen Verfassungsfrage während der Befreiungskriege und des Wiener Congresses 1812–15. S. 232.
  20. Vgl. Stölzel, C. G. Svarez. 1885. S. 385 ff.
  21. Lebenserinnerungen und Briefwechsel von F. v. Raumer II, 80.