Die Geschichte von der Heilkünstelei, von den Heilkünstlern und Heilmitteln

Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Die Geschichte von der Heilkünstelei, von den Heilkünstlern und Heilmitteln
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 40–42
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Geschichte von der Heilkünstelei,

von den Heilkünstlern und Heilmitteln.


Im grauen Alterthume, als der menschliche Verstand noch in den Windeln lag und nicht Wissen, nur kindliches und kindisches Glauben herrschte, auch da gab es schon Pfifficusse, die als Götzenpriester, Zauberer, Wahrsager, Isis- und Osirisdiener u. s. f. den Kranken unter Opfern, Zauberformeln, Inkubationen (Schlafen und Träumen im Tempel), Gesängen und anderm Hokuspokus die gewöhnlichsten Dinge als Heilmittel verabreichten und, weil die meisten Krankheiten auch damals schon, gerade so wie heutzutage noch, von selbst heilten, als übermenschliche Wesen, als heilende Engel verehrt wurden. Einer solchen Verehrung verdankte Aesculap (wahrscheinlich ein Hauptpfifficus im Behandeln von Kranken, wenn er nämlich wirklich existirt hat) seine Stelle als medicinische Gottheit. Ihm zu Ehren wurden Tempel, meistens in schönen Gegenden, auf Bergen oder in Hainen und in der Nähe von Quellen gebaut, zu welchen die Kranken, in der Regel zu Fuße, wallfahrteten und, wie es ganz natürlich war und noch ist, in Folge der Reise, der Luftveränderung, der Zerstreuung und Bäder (mit Reibungen, Striegeln und allerlei Manipulationen) sehr häufig genasen; auch trug sicherlich die durch mystische Gebräuche erhöhte Einbildungskraft des Patienten manches zur Genesung mit bei. Neben diesen Wallfahrten suchte man aber auch noch die Götter, welche die Krankheiten geschickt haben sollten, durch Opfer zu versöhnen oder, verschwand die Krankheit, dafür zu belohnen. Solche Opfer, welche man Anathemata nannte, wurden in den Tempeln aufgestellt und bestanden entweder in metallenen Votivtafeln oder in goldenen, silbernen und elfenbeinenen Nachbildungen der kranken Glieder. – Die Nachkommen und Erben der Geheimnisse des Aesculap (die Asklepiaden), welche klug und weise waren und sich durch Eidschwur gegenseitig verpflichteten, den Schwindel Niemand zu verrathen, kurirten als eigene Kaste auf der Insel Kos und Knidos wacker darauf los. Ihnen machten es sodann in der mysteriösen Heilkünstelei die spätern Aerzte der alexandrinischen Schule, sowie die römischen Augurn und Harnspices mit Glück nach.

Blicken wir auf diese erste Kindheit der Heilkunst zurück, so muß man erstaunen, wie so ähnlich dieselbe der Heilkunst unserer Tage ist. Unsere Pfiffici, sehr oft aber gar nicht sehr pfiffig, versetzen jetzt – als Allopathen, Homöopathen, Hydropathen, Rademacherianer, Schrothianer, Magnetiseure, Sympathetiker, Gymnastiker, Barbiere, Apotheker, Schäfer, Hufschmiede, Somnambulen und die zu ihrem, aber nicht zu der leidenden Menschheit Besten mit Geheimmitteln handelnden Buchhändler (s. Gartenlaube Nr. 18 v. J.) – den Kranken unter verschiedenartigem Hokuspokus mehr oder weniger harmlose Stoffe als Heilmittel oder machen an ihnen possirliche Heilkunststücke und lassen sich dann, wenn die Krankheit zufällig und von selbst verschwindet, mit öffentlichen Danksagungen, Titeln, Orden, Louisd’oren oder wenigstens mit der Versicherung ewiger Dankbarkeit (anbei eine Stickerei von schöner Hand) u. s. f. ehren. Die Aesculapstempel existiren jetzt als Bäder und Kaltwasserheilanstalten: die Anathemata findet man in den Krücken, Rollstühlen, Votivtafeln, Albums und dergleichen wieder, welche die Badedoctoren sorgsam aufbewahren; und daß die Asklepiaden, d. s. unsere in die Mysterien der verschiedenen Heilkünste einzuweihenden Nachkommen nicht aussterben, dafür wird schon von verschiedenen Seiten gesorgt.

Die ersten Spuren einer wissenschaftlichen Anwendung wirksamer und naturgemäßer Heilmittel finden sich (etwa 700 Jahre vor Christi Geburt) bei den Griechen und entsprangen aus den Kampfschulen (Gymnasien) derselben. Diese Mittel bestanden in gymnastischen Uebungen, Bädern, Einreibungen und in Ausbildung der Athmungsorgane, wurden aber nach dem Alter und der Körperconstitution des Einzelnen verständig modificirt. Uebrigens war es nicht sowohl die Herstellung von Krankheiten, womit sich die damaligen Aerzte (so hießen die Aufseher über die Gymnasien und deren Handlanger) beschäftigten, als vielmehr die Heranbildung eines gesunden, kräftigen und schönen Körpers. Ach! hätten wir doch noch solche Aerzte! Leider gab es damals aber neben der rationellen Heilkunst auch noch eine von den Priestern gepflegte und aus abergläubischer Gaukelei bestehende. Selbst Pythagoras sieht noch überall Geister und Dämonen, welche Krankheiten hervorbringen und heilen, und deren Einfluß man durch Zauberei und magische Kunst bekämpfen muß. Aus jener Wiegenzeit der Medicin und des Menschengeschlechts überhaupt besitzen wir übrigens noch jetzt eine recht hübsche Anzahl von Medicamenten, die zum Theil von den Hindus und Aegyptern, zum Theil von den Griechen stammen. – Hippokrates (zu Deutsch: Pferdebändiger) war es, der die Pferdearbeit unternahm und die Heilkunst von den abergläubischen Gaukeleien zu reinigen suchte (400 vor Chr. Geb.) und zuerst den Satz aussprach: „die Natur ist es, welche die Krankheiten heilt.“ Er wendete seine Aufmerksamkeit vorzüglich auf die Krankheitsursachen, auf Luft, Wohnung, Wasser und Nahrung, wie der von ihm gethane Ausspruch beweist: „die Wirkungen der diätetischen Mittel sind dauerhaft, die der Arzneimittel vorübergehend.“ Diesen ersten rationellen (d. h. vernünftigen) und wirklich physiologischen Mediciner, welcher nur der nüchternen Erfahrung und nicht der hohlen Speculation Vertrauen geschenkt wissen wollte, hat man nun in der folgenden und zwar bis auf unsere Zeit schmählich mißverstanden und jeden Unsinn der rohesten Empirie, wie er heutzutage in der Rademacher’schen Quacksalberei hoffentlich seine höchste Höhe erreicht hat, in die Schuhe geschoben. So ist es denn gekommen, daß der einfache hippokratische Heilmittelapparat durch ganz kopflose Anwendung des ersten besten Mittels bei der ersten besten Krankheitserscheinung zu einem Wuste nichtsnutzigen Zeuges angewachsen ist, welches nur insofern noch hippokratisch genannt werden kann, als es allenfalls Pferde zu bändigen im Stande wäre. Noch heute passen Plato’s Worte auf das betrogene arzneisüchtige Menschengeschlecht: „solche Kranke, die aus Unmäßigkeit und Faulheit keine Lust haben, von ihrer schädlichen Lebensweise abzulassen, richten durch alles Heilenlassen nichts aus, als daß sie ihre Krankheit bunter und größer machen; bevor sie nicht anfangen anders zu leben, wird weder Arznei, noch Brennen, noch Schneiden, noch Besprechen, noch Amulette, noch irgend etwas dergleichen das Mindeste helfen können.“ Nur noch Crasistratos (der schon vollständig den Aderlaß und die Purganzen verwarf), sowie Hierophilus, die ersten Lehrer der Schule zu Alexandrien (etwa 300 vor Chr. Geb.), gehörten noch zu den rationellen Medicinern, denn sie empfahlen Mäßigkeit, Bäder, Klystiere, Frictionen und Bewegung; sie tadelten die Thorheit solcher Aerzte, die aus allen drei Reichen Arzneimittel zusammensuchten, auch behaupteten sie, daß man mit ihren einfachen Mitteln weiter komme, als mit der Masse zusammengesetzter Arzneien. Mit diesen beiden alexandrinischen Aerzten hörte so ziemlich die vernünftige Heilkunst mit ihren einfachen physiologischen Mitteln ganz auf und es begann nun in der Medicin das lange Zeitalter der Quacksalberei.

Die unvernünftige empirische Schule, von den Griechen (250 vor Chr. Geb.) und den Römern (100 vor Chr. Geb.) gegründet, beschäftigte sich von nun an mit nichts anderem, als mit Arzneiversuchen und mit leeren Zänkereien darüber. Man wendete gegen jede in die Augen fallende widernatürliche Erscheinung oder Symptomengruppe irgend ein Mittel an, welches, sobald diese darnach verschwand, als Heilmittel gegen jene Erscheinung angesehen wurde. Man ahnete gar nicht, daß dasselbe Resultat auch ohne alle Arznei oder beim Gebrauche sehr vieler anderer, auch der unschuldigsten Mittel hätte erzielt werden können. Man wußte nämlich damals noch nicht, daß unser Körper von Natur so eingerichtet ist, daß Störungen in einem Theile desselben durch nothwendig nachfolgende anderweite Veränderungen allmälig wieder ausgeglichen werden. Was sagst Du nun aber, lieber Leser, dazu, daß dieselbe Wirthschaft mit den unvernünftigen Arzneiversuchen auch jetzt noch, wo die medicinische Wissenschaft die Heilkünstler doch aufgeklärt haben sollte, ganz wie damals fortdauert? Auch gab es damals unter den Empirikern schon eine Art von Homöopathen, die den Grundsatz hatten, man müsse bei krankhaften, in die Sinne fallenden Erscheinungen solche Heilmittel anwenden, die ähnliche Erscheinungen hervorzurufen im Stande wären. – Nach Galen, der noch einmal (150 nach Chr. Geb.), aber vergebens, den alten empirischen Unsinn zu stürzen und die hippokratische [41] Medicin wieder einzuführen versuchte, kam die Heilkunst, wie überhaupt die menschliche Vernunft, allmälig so herunter, daß nur noch mit Wallfahrten, Wundern, Magie, Reliquien, Amuletten, Teufelbannen, Exorzismen, kabballistischem Unsinn und dergleichen gegen Krankheiten zu Felde gezogen wurde. Auch von diesen Mitteln trifft man in der Jetztzeit noch manche an und wer weiß, was die Zukunft davon wieder bescheeren wird. – Die Araber, die Erben der übrig gebliebenen Reste griechischer Weisheit, sorgten zur damaligen Zeit für die Heilkunst nur insofern noch, als sie eine unsinnige Masse von Heilmitteln, bisweilen aus 60, 70 und mehr Ingredienzen zusammengesetzt (Theriak, Mithridat) erfanden und im Jahre 765 in Bagdad eine öffentliche Apotheke stifteten. Daß sie solche schreckliche Thaten thaten, wird man erklärlich finden, wenn man weiß, daß der berühmteste arabische Arzt, Ebn Sina (oder Avicenna) behauptete, der Arzt dürfe eben so wenig als der Priester die Vernunft anwenden. – Im 10. und 11. Jahrhundert befand sich die Heilkunst fast nur in den Händen der Mönche und bestand natürlich bei dem damaligen Hange zum Wunderbaren und Abenteuerlichen, größtentheils aus Aberglauben, selbst dann noch, als die medicinischen Schulen zu Salerno (wo die Aerzte zuerst den Titel Doctoren und Magister erhielten), Montpellier, Paris und Bologna gegründet waren. Die Aerzte des 14. Jahrhunderts traf übrigens damals schon ihres vielen Medicinirens wegen der Spott und die Verachtung ihrer vernünftigeren Zeitgenossen und Petrarca schrieb in einem Briefe, welchen man auch jetzt noch recht gut unterzeichnen kann, die Worte: „daß durch die Medicin im Allgemeinen mehr geschadet als genützt werde, daß das leichtgläubige Volk meistens betrogen werde und daß der Arzt nicht durch das Unglück Anderer sich bereichern solle.“

Als durch die Buchdruckerkunst im 15. Jahrhundert die Wissenschaften und Künste wieder aufzublühen begannen, blieben die meisten Aerzte doch immer noch blinde Nachbeter ihrer unwissenden Vorgänger und abergläubische Verehrer der von diesen empfohlenen Arzneimittel. Die meisten derselben glaubten noch, daß die Krankheiten durch den Teufel, durch Zauberer und Hexen entständen; sie hätten am liebsten durch Verbrennen und Ersäufen die Kranken radical geheilt. Daß bei solcher Dummheit und zu einer Zeit, wo die Astrologen (Nostrodamus an der Spitze) sowie die Alchymisten (Goldmacher) und Universalmedicin- oder Lebensessenzen-Brauer mit den Suchern nach dem Steine der Weisen ihr Pfeifchen schnitten, einer vernünftigeren Heilkunst nicht auf die Beine geholfen werden konnte, ist leicht einzusehen. – Im Anfange des 16. Jahrhunderts erschien als Stern für alle zukünftigen Arzneimitteljäger Theophrastus Paracelsus, der fanatischste Charlatan und Kabbaliste, den es je gegeben hat. Er bereicherte die Heilkunst mit Unmassen von Arzneikörpern, von Arcanis und Talismanen, und diese Bereicherung stieg in Folge der Entdeckung von Amerika und dem erwachenden Verkehr mit Ostindien in’s Unglaubliche. Selbst im 17. Jabrhunderte noch, wo die wichtigsten Entdeckungen in der Anatomie und Physiologie gemacht wurden, blieb die Heilkunst in den Banden des Mysticismus und Aberglaubens; Amulette, sympathetische, Geheim- und Universalmittel spielten neben Medicamenten aus der alten und neuen Welt eine Hauptrolle. Die Sucht, möglichst viele Stoffe in einer Arznei zu vereinigen, wurde nie höher getrieben als damals. Uebrigens waren bald diese bald jene Klassen von Arzneimitteln an der Tagesordnung. Es scheint wirklich, wenn man diese früheren Zeiten mit der jetzigen vergleicht, als ob die Heilkünstler stets der Wissenschaft zum Aerger und Hohne gelebt hätten, auch heute noch steht die Heilkunst weit hinter der Wissenschaft zurück, heute noch kommen die unsinnigsten Mittel bald in bald aus der Mode, heute noch suchen die Aerzte nach Arcanis. Uebrigens hörte man damals doch schon einzelne Stimmen behaupten (Guy Patin), daß durch manche Arzneien mehr Menschen umgekommen wären, als durch den dreißigjährigen Krieg. Am heftigsten eiferte gegen die damaligen Aerzte Harvey; er theilte dieselben in sechs Klassen: in Eisendoctoren, die vorzüglich Eisenmittel verordneten: in Eselsärzte, welche Schwindsuchten mit Eselsmilch zu heilen vorgaben; in Jesuitenärzte, die das schädliche Jesuitenpulver (China) gaben; in Wasserdoctoren, die alle Krankheiten mit Mineralwasser heilen wollten: in Fleischdoctoren, die Freunde der Blutentziehungen, und in Dreckdoctoren, die Empfehler der ausleerenden Mittel. Als um diese Zeit der Taback und Thee allgemeiner eingeführt wurde, boten sich die Gewinnsucht der Aerzte und der holländischen Kaufleute einander die Hand; so gab Bontekop folgende Lehre zur Verlängerung des Lebens: „rauche unaufhörlich Taback und trinke beständig Thee oder im Nothfall Kaffee, und bediene dich des Opiums, so oft dir etwas fehlt.“ – Im 18. Jahrhunderte findet man ein buntes Durcheinander von Heilmethoden; hier mußten die Kranken bei dem einen Arzte schwitzen, beim andern Blut lassen; Der vomirte, Jener purgirte; was dem Patienten fehlte, wußten sie natürlich alle zusammen nicht. Die Heroen dieser Zeit sind Hoffmann, Stahl und Stoll. Fr. Hoffmann erwartet sehr viel von der Naturheilkraft, war ein großer Freund der diätetischen Behandlung und namentlich der äußern und innern Anwendung des Wassers; Stahl dagegen hielt auf Ausleerungen durch Schweiß und verordnete Aderlässe, Brech- und Purgirmittel; er verkaufte übrigens nebenbei, wie auch Fr. Hoffmann, verschiedene Arcana und führte die unsinnigen Präservativaderlässe ein. Stoll, der den Grund der meisten Krankheiten in einer Gallenveränderung und in Unreinigkeiten im Bauche suchte, kurirte fast nur mit Brech- und Purgirmitteln; Brown und Girtanner kämpften bei einer Krankheit immer nur entweder gegen heftige Erregung oder gegen Schwäche; ähnlich kurirte Rasori. – Das 19. Jahrhundert zeichnet sich bis jetzt noch durch keine rationellere Heilkunst vor dem achtzehnten Säculum aus; im Gegentheile, hier schossen und wachsen noch jetzt eine Menge der widersinnigsten Heilmethoden, geheime und Apothekermittel, zur Praxis berechtigte und unberechtigte Heilkünstler, kalte und warme Wasseranstalten zusehends empor, trotzdem daß die medicinische Wissenschaft eine ganz bedeutende Höhe erreicht hat. Während zu Anfang dieses Jahrhunderts in Frankreich Broussais fast alle Krankheiten einer Magen- und Darmentzündung, wenigstens einer Entzündung zuschrieb und deshalb alles mit Blutentziehungen kurirte, betrachtete man (die sogen. naturhistorische Schule) in Deutschland die Krankheit als ein für sich bestehendes Etwas, als eine feindliche Macht, ja sogar als eine parasitische Person, die sich mit der Lebenskraft unseres Organismus, wie Engel und Teufel um unsere Seele stritten. Der Engel bemüht sich (wie Henle sagte) seinen Gegner todtzuschlagen und dessen sterbliche Reste aus irgend einer der natürlichen Oeffnungen unseres Körpers hinauszuschmeißen; ihm muß natürlich vom Arzte beigestanden werden. Häufig unterliegt aber der Engel, trotz des Beistandes von Seiten des Arztes. Noch jetzt giebt es solche naturhistorische Heilkünstler und diese forschen fortwährend nach neuen Waffen (Arzneimitteln) und entwerfen Schlachtpläne (Heilmethoden), um die feindliche Krankheit zu überrumpeln und mit Pulver und Blei oder mit Kartätschen (Pillen) zu vernichten. – Um die allgemeine Confusion im Reiche des Aesculap vollständig zu machen (sagt Steudel in seiner, auch vom Laien lesenswerthen Schrift: „die medicinische Praxis, ihre Illusionen und ihr Streben zur Gewißheit,“ sehr gut), erschien nun die Homöopathie und stellte Grundsätze auf, welche aller Erfahrung und dem gesunden Menschenverstände Hohn sprechen, und nur der Umstand, daß es in der Heilkunst noch nie einen Unsinn gegeben hat, der nicht seine Vertheidiger und Anhänger gefunden hätte, läßt es begreiflich erscheinen, daß es Männer gab und noch giebt, welche glauben, daß ein Naturgesetz, welches keine Ausnahme macht, unwahr sei für die Arzneimittel, indem sie annehmen, daß deren Wirksamkeit mit ihrer Verdünnung und Abnahme gerade an wirksamem Stoffe zuzunehmen fähig sei. Doch hat die Homöopathie trotz ihrer unsinnigen Grundprincipien das Gute gehabt, daß sie zeigte, wie viel durch bloße diätetische Behandlung, ohne alle Medikamente, zu erreichen sei. Es ist übrigens sehr zu bedauern, daß Hahnemann bei der Verkleinerung der Arzneigaben nicht noch einen Schritt weiter ging und die letzte Täuschung fallen ließ, welche in den Pülverchen und Kügelchen besteht, womit den Kranken der erforderliche Sand in die Augen gestreut wird. Wir wären heute weiter und brauchten nicht vor Hahnemann’s Denkmal die Augen niederzuschlagen, wenn dieser Mann damals schonungslos die Wahrheit ausgesprochen hätte, daß unser ganzer Arzneischatz unnützer Kram sei. So aber wächst die Heilkünstelei mit Arzneimitteln zusehends, die Heilkünstler bringen sich durch ihre fortwährenden Widersprüche und den schnellen Wechsel ihrer Systeme immer mehr um den Credit und aller Orten tauchen jetzt Feinde der legitimen Heilkunst als wassersüchtige Heilkünstler, trockene Semmeldoctoren, Magnetiseure, Geheimmitteler, Somnambulen, Kräuterweiber u. s. f. [42] auf. Am betrübendsten ist es aber, daß sich selbst die meisten derjenigen Aerzte, denen die großartigen Fortschritte der medicinischen Wissenschaft nicht fremd geblieben sind (die sogen. rationellen oder physiologischen Mediciner), doch von dem allgemeinen Strudel fortreißen lassen und nicht um ein Haar weniger quacksalbern, als die unwissenschaftlichsten Heilkünstler. Fragst Du warum? so heißt’s: mit so unwissenden und abergläubischen Kranken ist ja nichts Vernünftiges anzufangen. Und allerdings scheint es auch wirklich so, denn vernünftige diätetische Vorschriften werden von den meisten Kranken verachtet und nicht honorirt, während sie für ein Recept, ein Pülverchen, ein Geheimmittel und dergl. schwärmen und dabei das Geld so gut wie zum Fenster hinauswerfen. Kurz, in Sachen der Heilkunst steht es heutzutage so, daß dieselbe weit hinter der Wissenschaft zurückgeblieben ist und sich, trotz des täglich wachsenden Wustes von Arzneimitteln und von Heilmethoden doch in einem ganz erbärmlichen Zustande befindet und zwar blos deshalb, weil die Menschheit über sich und über das, was in der Natur vorgeht, in der größten Unwissenheit lebt. Soll denn das nie anders werden?

(Ueber die Heilkunst der Jetztzeit in einem spätern Aufsatze.)
(B.)