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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1857
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[157]

No. 12. 1857.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0 Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Auf der Louisenburg.




I.

Die Saison in Alexanderbad war sehr still. Die launische Mode wechselt mit den Bädern so gut, wie mit den Trachten, und nur Wenige wagen es, ihrem Scepter zu widerstreben. Auch Alexanderbad ist diesem Wechsel erlegen. Es kann nicht mehr wetteifern, wie einst, mit den hessischen Bädern, die durch ihre Spielbanken die fashionablen Schwindler zu sich locken, noch mit Wiesbaden und Kissingen, noch mit den nahen böhmischen Bädern, die den alten Ruf behaupten, noch mit dem gleich nahen sächsischen Bad Elster, das alle Anstrengungen macht, sich empor zu schwingen. Die schönen Tage, da die Königin Louise von Preußen hier Hof hielt, und das nahe Felsengebirge „Luxenburg“ ihr zu Ehren „Louisenburg“ genannt ward, scheinen nicht wiederkehren zu wollen unter bayrischem Scepter. Aber wenn auch die Zahl der Curgäste verhältnißmäßig klein, so wächst doch die der Vergnügungsreisenden, die es berühren, seit der Strom derselben auch wenigstens einige Arme von sich in das Fichtelgebirge sendet.

Zu diesen Vergnügungsreisenden gehörte auch Bruno Meinhardt. Ein rüstiger Fußgänger im blühendsten Jünglingsalter, durchwanderte er an einem heißen Sommertage in Begleitung eines der Gegend kundigen Führers diese reizendste Partie des Fichtelgebirges. Ueberall war es einsam und menschenleer gewesen, und es war darum kein Wunder, daß er lauschend stehen blieb, als auf der Louisenburg die ersten Menschenstimmen an sein Ohr schlugen, und sie klangen ihm um so melodischer, da es zarte weibliche Stimmen waren, die hier in fast wehmüthigen Tönen mit einander flüsterten. Ohne die Sprecherinnen zu sehen oder von ihnen gesehen zu werden, blieb er hinter einer der abenteuerlich gestalteten, mit Moos überzogenen Felsenwände stehen, an denen dieser wundersame Berg so reich ist, und lehnte sich mit dem Ohr an eine Spalte, die auch die leisesten Worte zu ihm hindurch dringen ließ.

„Wir brauchen nur um diese Ecke zu biegen und sind an dem Jean Pauls-Platz,“ erklärte der Führer. Aber Bruno winkte ihm heftig Schweigen zu und daß er hier warten möge, und hörte den ungesehenen Sprecherinnen zu.

Sie waren offenbar viel zu sehr in ihr Gespräch vertieft, um auf das zu achten, was etwa in ihrer Nähe sich regen mochte, und er hörte die Eine zu der Andern in schmerzlich aufgeregtem Tone sagen: „Ich dachte in Dir eine Bundesgenossin, Beistand und Hülfe zu finden – und nun bist Du selbst gegen mich und stimmst den Anderen bei, statt mich zu beschützen!“

„Du bist ungerecht, Amanda!“ antwortete eine ruhig klingende Stimme, „ich habe Deiner Familie gegenüber ihrem Plan noch mit keiner Silbe beigestimmt – aber im Innern muß ich es thun, wenn ich Alles bedenke, um Deines eigenen Wohles willen. Du erliegst diesen kleinlichen, täglich wiederkehrenden Quälereien – Du hast mir mehr als einmal versichert, daß Du die unaufhörlichsten Kämpfe mit Dir selbst zu bestehen hast – Deine Jugend vergeht unter verstohlen geweinten, bittern Thränen; die Widerwärtigkeiten, die Du verbergen mußt, und die darum doppelt schwer zu ertragen sind, zehren an Deiner Gesundheit – die Alexanderquelle kann Dir so wenig helfen, wie irgend ein anderes Heilmittel, wenn Dein Gemüth nicht ruhig wird – und das kann nicht eher geschehen, als bis Du, dem jetzigen Kreise entrückt, ein neues Leben beginnst, das Du Dir nach Deinem Gefallen gestalten kannst.“

„Und das hältst Du für möglich an der Seite eines ungeliebten Mannes?“ rief Jene erstaunt. „Mir ist, als wären alle Kämpfe in meinem jetzigen Verhältnisse Kinderspiel gegen die in einer solchen Ehe, zu der man mich zwingen will.“

„Aber seit wann ist Dir denn Blumenbach unangenehm?“

„Seit er um mich wirbt!“

„Das ist nur eine Mädchengrille, ich kenne das. Wir bilden uns Alle ein Ideal aus den Romanen und Gedichten, die unsere Phantasie beschäftigen. Das Ideal eines Mannes, das wir im Leben nicht finden, und das Ideal einer Liebe, die noch viel weniger existirt. Wohl uns, wenn wir uns endlich von diesen Träumen los machen, statt in nie zu stillender Sehnsucht unsere besten Kräfte zu verzehren; wenn wir aufhören, überspannte Ansprüche zu machen und bescheiden vorlieb nehmen mit dem Gebotenen. Ich habe auch resignirt –“

„Und bist Du denn glücklich?“ unterbrach sie Amanda rasch.

„Wenigstens glücklicher, als Du jetzt bist;“ antwortete Jene nach einer Pause mit einem nur halb unterdrückten Seufzer, „so glücklich, wie es die meisten Frauen sind, die an der Seite eines rechtschaffenen Mannes ihren Pflichten leben und alle romantischen Träumereien überwunden haben. Eine solche Frage solltest Du nicht thun – Du kennst mein Leben!“

„Diese Antwort sagt mir genug,“ antwortete Amanda, „genug, um es mir klar zu machen, daß, wenn ich nachgebe, wenn ich den Verhältnissen mich opfern ließe, ich nur ein Schattenleben führen würde! O, daß ich keine Seele finde, die mich versteht, kein Wesen, mich zu beschützen!“

„Hier an dieser geweihten Stelle ist es Ihnen nah!“ rief plötzlich eine begeistert tönende Männerstimme; „sie trägt nicht [158] umsonst den Namen Jean Paul’s. Fragen Sie ihn um Rath, lesen Sie in seinen Schriften und Sie werden fest in der Erkenntniß bleiben, daß kein Ideal aufgegeben werden darf um äußerer Rücksichten willen!“

Wie Bruno die beiden Damen so hatte sprechen hören, trat er plötzlich hervor, ohne sich zu besinnen, was er that, und stand wie eine geheimnißvolle Erscheinung mit jenen Worten vor ihnen.

Erschrocken war die ältere Dame aufgesprungen, indeß Amanda, wie verzaubert, sitzen blieb. Ihr schön geformtes, ausdrucksvolles, aber bleiches Gesicht erglühte, ihre blauen Augen sahen erschrocken und doch so seelenvoll zu dem Fremden auf, ihre schlanke, zarte Gestalt zitterte und vermochte wohl eben darum sich nicht zu erheben, noch ein Wort hervorzubringen, indeß die andere Dame sagte:

„Mein Herr, welche Indiscretion! Wer sind Sie, daß Sie sich nicht scheuen, sich in so zudringlicher Weise in die Unterhaltung fremder Damen zu mischen?“

„Ein Jünger Jean Paul’s,“ antwortete Bruno mit erzwungener Fassung. „An dieser geweihten Stelle ist es erlaubt, im Sinne dieses erhabenen Genius zu sprechen und seinen Beistand Allen zu empfehlen, die dessen bedürfen sollten. Ich konnte nichts Anderes wollen, als dies, und werde Ihnen nicht länger lästig fallen.“

Mit höflichem Gruße ging er von dannen und überließ die beiden Damen den verschiedenartigsten Empfindungen.




II.

Bruno Meinhardt war schon seit einiger Zeit auf der Reise und allein. Man weiß, was das zu sagen hat. Auf der Reise wird selbst der vertrocknetste Geschäftsmann, der eingerostete Pfahlbürger, der entschiedenste Philister ein anderer Mensch, wie viel mehr nicht der lebensfrohe Jüngling. Ein jeder Reisender geht aus sich heraus, nimmt Leben und Menschen, wie beides sich bietet, kommt über hergebrachte konventionelle Formen und über tausend Vorurtheile, die daheim ihm das Leben erschweren, leicht hinweg und denkt nicht, wie in seiner Vaterstadt, daran, was die Leute dazu sagen werden. Ja, es kitzelt ihn wohl gar, in heiterem Uebermuth der Reisefreiheit, diese mannigfach zu benutzen, und das ihm gleichgültige Urtheil fremder Menschen im flüchtigen Begegnen geradezu herauszufordern.

Als Bruno sich selbst in diesem Falle befand, handelte er zwar nicht aus Absicht rücksichtslos, aber er war es schon gewohnt geworden, der Eingebung des Augenblicks sich hinzugeben und mehr als daheim der poetischen Stimmung seines Innern zu folgen, die Flügel seiner Seele frei zu entfalten und von ihnen über das Alltägliche hinweg sich tragen zu lassen. Die Reisefreiheit benutzte er nicht, um unter Unbekannten und im Geheimen die Schranken zarter Sitte oder gar der Sittlichkeit zu überspringen, sondern nur, die poetische Idealität seiner Natur weniger zu beschränken und sie frei walten zu lassen, wo keine nüchternen Bekannten ihn darum bespöttelten.

Nun wandelte er hier auf den Spuren des großen deutschen Dichters, der immer dem Herzen und seinen Gefühlen zum heiligen Rechte verhalf. Von Jean Paul’schen Erinnerungen und Mahnungen durchdrungen, hatte er an sie sich hingegeben, und da er jene Frauenstimmen gehört, war es ihm gewesen, wie ein sanfter Anklang aus seinen Werken. Aber wie Blasphemie erschien es ihm gerade an dieser Stätte, Zeuge zu sein, wie ein empfindsames Mädchenherz um ihre Ideale betrogen werden sollte für ein ganzes Leben, wie an diesem Betrug eine Andere sich betheiligen wollte, die selbst eine Betrogene war und, statt vor dem gleichen Schicksal Jene zu schützen, es ihr selbst mit zu bereiten gedachte. Das hatte in seine Seele gegriffen. Sein ganzes Wesen war ohnehin erregt von poetischen Eindrücken und physisch angegriffen von der weiten Wanderung. Ihm war zu Muthe, als sehe er ein herrliches, singendes Vöglein in einem listig ausgestellten Netz sich fangen, um dadurch für immer der goldenen Freiheit beraubt zu werten – als müsse er das Netz zerreißen, damit nicht so Schreckliches geschehe. In diesem Erregtsein trat er hastig hervor und sprach, was der Augenblick ihm eingab. Wie konnte er anders hier, mit allen Verhältnissen unbekannt, ein Befreier werden, als wenn er ein edles, aber zagendes Herz an den verwies, der am Besten auch die zarten Mädchenherzen ergründete und darum sie zu stärken und zu schirmen verstand?

Aber als Bruno Meinhardt am folgenden Tage in einer nüchternen Morgenstunde die gestrige Scene auf dem Jean Panl’s–Platz überdachte, kam sie ihm selbst doch etwas wunderlich vor für ein Reiseabenteuer und Reisefreiheit. Das Bild der holden Amanda stand lebendig vor seiner Seele; er mußte mehr von ihr erfahren, sie wiedersehen, sich vor ihr rechtfertigen, er mußte ihr Beschützer werden. Solch liebreizendes Wesen durfte nicht in engherziger Umgebung verkümmern, nicht einem ungeliebten Manne geopfert werden.

Bruno ließ sich die Fremdenliste bringen und las sie aufmerksam durch; ein vergebliches Bemühen. Denn war auch Alexanderbad nicht eben sehr besucht, es standen doch sehr viele Familien „mit Fräulein Tochter oder Töchtern“ da und die Vornamen waren nicht mit verzeichnet. Aber der Name Blumenbach fesselte ihn, dahinter das Wort „Rentier.“

„Das also ist er,“ sagte er für sich, „ein Rentier ist immer ein Freier, der selten abgewiesen wird. Aber wer weiß auch, was es mit seinen Renten für eine Bewandtniß hat – in den Bädern muß man mißtrauisch sein gegen Alles, was nach seinem Vermögen sich nennt – vielleicht kann ich mir Aufklärungen über diesen Blumenbach verschaffen, kann ihn sondiren.“

Indem Bruno, sich in diese Gedanken vertiefend, in den Promenaden auf und nieder ging, holte ihn ein stattlicher Herr in mittleren Jahren ein und knüpfte in freundlich gesprächiger Weise eine Unterhaltung mit ihm an, wie das harmlose Badeleben sie mit sich bringt. Bruno ging gern eben so freundlich darauf ein. Er hatte schnell beschlossen, einige Tage hier zu bleiben, und jede Bekanntschaft mit einem alten Badegast, als welcher sich der Fremde zu erkennen gab, war ihm erwünscht, weil er dadurch um so eher auf eine Gelegenheit rechnen konnte, von seiner interessanten Unbekannten etwas zu erfahren. Bei den vielen Grüßen, welche derselbe sowohl empfing, als auch an die ihm begegnende Damenwelt austheilte, konnte Bruno um so eher darauf zählen, daß auch Amanda seinem Begleiter bekannt sei, und er war darum zuweilen etwas zerstreut bei der Unterhaltung, weil er immer mit den Augen umherspähete, ob er sie nicht irgendwo erblicke.

Endlich war ihm auch hierin der Zufall günstig. Amanda kam an der Seite einer andern, als ihrer gestrigen Begleiterin. Die Dame an ihrer Seite war sehr elegant und luxuriös gekleidet und schien durch ihre stolze und herausfordernde Haltung auch ein besonderes Gewicht darauf zu legen. Eine majestätische Gestalt mit einem frischen Gesicht und feurigen Augen, konnte sie wohl für eine schöne Frau gelten – aber ein Ausdruck von Gemeinheit und kaltem Egoismus in ihren Zügen fiel sogleich Jedem auf, der nur ein wenig Sinn für physiognomische Betrachtungen hatte, und that ihrer oberflächlichen Schönheit großen Eintrag. Sie erschien wie eine prahlende Tulpe neben Amanda, die einer zarten, halbgeöffneten Lilie glich. Sie erschien heute bleicher, als gestern, und es war, als habe Nachtthau im Kelch ihrer Augen gestanden.

Bruno erblickte und erkannte sie schon von Weitem und fragte seinen Begleiter: „Wer sind diese Damen?“

Die Erwiderung ward mit freundlichem Lächeln gegeben:

„Frau Regierungsräthin Scharndorf und ihre Tochter Amanda, meine Braut. Wenn Sie wünschen, stelle ich Sie den Damen vor, auf die ich so eben gewartet.“

Bruno blieb wie angewurzelt stehen und schien bestürzt nach Fassung zu ringen.

Der Fremde beobachtete gespannt dies auffallende Betragen.

Plötzlich fragte Bruno entschlossen:

„Mein Herr – verzeihen Sie, wenn ich zweifle – seit wann nennen Sie dies Mädchen Ihre Braut? Wie ist Ihr Name?“

Erstaunt und fast frappirt von dieser Frage, nahm der Fremde einen zusammengefalteten Brief aus seiner Tasche und überreichte ihn Bruno, ohne ein Wort zu sprechen, aber ihn scharf beobachtend.

Bruno öffnete und las die in der üblichen Weise lithographirte Verlobungsanzeige:

„Die Verlobung ihrer Tochter Amanda mit Herrn Rentier Wilhelm Blumenbach beehren sich Verwandten und Freunden ergebenst anzuzeigen
Regierungsrath Scharndorf und Frau.“ 

Bruno zerriß den Brief, warf das Papier zu Boden und sagte:

[159] „Mein Herr, wenn Sie für die That Rechenschaft wünschen, so bin ich bereit, Ihnen eine jede zu geben; gleich jetzt, wenn Sie mit mir kommen wollen, oder zu jeder andern Zeit.“

Blumenbach erholte sich schwer von seinem Erstaunen über dies Betragen eines Menschen, den er eben zum ersten Male sah.

Zugleich bemerkte er das Näherkommen der Damen und sagte heftig, aber leise:

„Rechenschaft werden Sie mir geben, sobald ich von dem Badearzt erfahren, daß Sie nicht unter die Unzurechnungsfähigen gehören, was ich aus Ihrem Betragen schließen muß. Natürlich nicht eine Rechenschaft, wie Sie vielleicht auf burschikose Weise im Sinne haben –“

„Mein Herr,“ unterbrach ihn Bruno, „ich bin principiell auch ein Gegner des Duells und habe wenigstens im Augenblicke nicht daran gedacht. Ich meine damit, daß Sie mir Gehör schenken, wozu jetzt nicht der Ort ist – hier ist meine Karte, bestimmen Sie eine Stunde.“

Blumenbach überlegte – die näher gekommenen Damen waren nicht weit entfernt, sich mit andern begrüßend, stehen geblieben; es mußte ihnen aufgefallen sein, daß er noch nicht auf sie zugeeilt, und um sein Zögern einzubringen, sagte er darum schnell:

„Ich habe heute keine Zeit – kommen Sie morgen so früh Sie wünschen in meine Wohnung.“

„Noch Eins,“ sagte Bruno; „ich schließe aus der Anzahl, die Sie bei sich trugen, daß diese Anzeigen noch nicht ausgeschickt sind; wenn Ihnen Ihre Ehre lieb ist, unterlassen Sie es, bis Sie meine Mittheilungen vernommen.“

„Mein Herr!“

„Ich wiederhole: wenn Ihnen Ihre Ehre lieb ist.“

Blumenbach grüßte, ohne ein Wort zu erwiedern, ließ Bruno stehen und wandte sich zu den Damen.




III.

Bruno beobachtete, langsam umkehrend, wie Blumenbach die Damen begrüßte, wie Amanda scheu zurückwich und sich so zu wenden wußte, daß Blumenbach statt an ihrer, an der Seite ihrer Begleiterin gehen mußte, die ihn mit aufmunternder Freundlichkeit begrüßte. Bruno ging an den Damen vorüber und grüßte.

„Kannten Sie diesen Herrn?“ fragte Blumenbach, und fixirte dabei die junge Dame mit stechenden Blicken.

Diese, die den Gruß erröthend erwiedert hatte, schien jetzt zu zittern und flüsterte ein leises:

„Nein.“

„Sie unterhielten sich ja eben sehr angelegentlich mit ihm,“ sagte die Regierungsräthin; „ich meinte, es sei ein Bekannter von Ihnen, den Sie unerwartet hier trafen, daß Sie darüber alles Andere vergaßen.“

Blumenbach entgegnete: „Er redete mich an und dann interessirte er mich, weil es mir schien, als ob es in seinem Kopfe nicht ganz richtig sei, so viel faselte er durcheinander.“

„O das ist unmöglich!“ rief Amanda, sich vergessend.

„Wie, Sie kennen ihn doch?“ fragte Blumenbach.

„Ich meine nur, er sieht ganz und gar nicht danach aus,“ fügte Amanda kleinlaut hinzu.

„Haben Sie diese Physiognomie so sehr studirt?“ fragte Blumenbach peinlich weiter.

Diesmal besann sich Amanda schneller auf die Antwort.

„Was bleibt uns denn auf diesen einförmigen Spaziergängen weiter zu thun übrig, als die Begegnenden zu betrachten?“

„Nehmen Sie sich in Acht!“ sagte die Regierungsräthin lächelnd; „Sie sehen, wie Amanda empfindlich ist, daß Sie sie so lange diesem einförmigen Spaziergange überlassen konnten.“

Amanda’s Lippen zuckten leise, aber sie thaten keine Gegenrede. Das war die Art der Regierungsräthin, ihrer Stiefmutter, mit wenig Worten anzudeuten, wie wenig Aufmerksamkeit und Liebe die Tochter für sie und wie viel für Blumenbach habe; durch Beides konnte sie diese am tiefsten verletzen.

Blumenbach entschuldigte sich nochmals in einigen gewählten Redensarten für sein Säumen. Dann sagte die Regierungsräthin: „Sie haben nun wohl die Verlobungsanzeigen aus der lithographischen Anstalt in Wunsiedel erhalten und wir können Sie heute aussenden?“

Auch diese Frage, an diesem Orte, war wohlberechnet, denn Amanda konnte unmöglich auf der lebhaften Promenade, von Allen beobachtet, neuen Widerspruch erheben und eine compromittirende Scene herbeiführen – dennoch schien sie nach Worten zu ringen, aber Blumenbach kam ihr zuvor, indem er nach einigem Bedenken sagte:

„Leider hat der Lithograph sein Wort nicht gehalten; vor morgen kann er uns die Anzeigen nicht senden.“

Amanda athmete auf, noch ein Tag war ihr geschenkt. Die Regierungsräthin aber schalt auf die Langsamkeit und Unzuverlässigkeit der Kleinstädter, auf Wunsiedel, ja auf den zukünftigen Schwiegersohn, der die Bestellung nicht eilig und fest genug gemacht.

Er suchte sich und Alles, so gut es ging, zu entschuldigen.

Im Cursaal, wo man das Frühstück nach dem Spaziergange nahm, lehnte Bruno, Zeitungen lesend, in einer Ecke. Er sah die Drei eintreten und bald auch Amanda’s gestrige Begleiterin sich zu ihr gesellen. Als Beide einmal entfernt von Blumenbach und der Stiefmutter und einem Knäuel anderer Damen standen, drängte sich ein kleines Mädchen, das Blumensträuße in einem Korbe feil bot, hinzu, zupfte Amanden, da diese eben ein wenig zurücktrat, an der Mantille, gab ihr einen der schönsten Sträuße und sagte:

„Schnell, nehmt, aber es soll’s Niemand sehen. Ein Zettelchen steckt darin.“

Erschrocken aber hastig griff Amanda danach und wußte nicht warum, noch hatte sie irgend einen bestimmten Gedanken dabei, aber ihr war seit einigen Tagen zu Muthe, wie einem Ertrinkenden, und angstvoll zitternd griff sie nach jedem Strohhalm, vielleicht hing er an einem Fels, der Rettung verhieß. So griff sie auch nach dem Strauße, zog ein Blättchen Papier unter einer vollerblühten brennenden Liebe hervor und barg es in ihrem Busen. Niemand sah es, als Bruno, der aus der Ferne jeder ihrer Bewegungen mit forschenden Blicken folgte.

Heimgekehrt nach einer Stunde und endlich allein, um die Toilette des Morgenspaziergangs mit der zur table d’hôte zu vertauschen, las Amanda das Zettelchen, das indeß feurig brennend auf ihrem Herzen geruht. Es lautete:

„Bleiben Sie standhaft. Verweigern Sie das schreckliche Opfer, das man von Ihnen fordert. Verhältnisse machen es Ihnen schwer, sich selbst getreu zu bleiben, aber nicht unmöglich. Vielleicht ist mir schon gelungen, B. zu bewegen, die Declaration der Verlobung noch bis morgen aufzuschieben, wo ich eine Unterredung mit ihm haben werde, die vielleicht über Ihr Geschick entscheidet. Aber um Sie befreien zu können, muß ich mit Ihnen selbst sprechen. Ich bin so kühn, Sie für diesen Abend um eine Unterredung auf der Louisenburg zu bitten, auf dem Jean-Pauls-Platz, wo wir uns vorgestern begegneten. Können Sie diese Bitte erfüllen, so erscheinen Sie mit diesem Sträußchen an der table d’hôte oder haben Sie anders zu bestimmen, so findet sich wohl dabei eine Gelegenheit zu einer Notiz für mich. Ich werde dort sein, aber nicht wagen, mich Ihnen zu nähern. – Ich bitte nicht um Verzeihung für meine Kühnheit, außer mit den Worten Jean Paul’s, die Horion an den ihm unbekannten Emanuel schreibt: Sage nicht zu mir, ich kenne Dich nicht! – Warum kann der Mensch auf dem schmalen Sonnenstäubchen Erde, auf dem er warm wird, und während der schnellen Augenblicke, die er am Pulse abzählt, zwischen dem Blitze des Lebens und dem Schlage des Todes, noch einen Unterschied machen unter Bekannten und Unbekannten? Warum fallen die kleinen Wesen, die einerlei Wunden haben, und von denen die Zeit das nämliche Maß zum Sarge nimmt, nicht einander ohne Zögern mit dem Seufzer in die Arme: ach, wohl sind wir einander ähnlich und bekannt!
Ein Jünger Jean Paul’s.“

Amanda las und ward dabei von den verschiedensten Empfindungen bestürmt. Zuerst war es Entrüstung weiblichen Stolzes, die ihre Wangen wechselnd erbleichen und erglühen machte. Wer war dieser Unbekannte, der es wagte, so vertraulich zu ihr zu sprechen, so in ihre Familien- und Herzensangelegenheiten sich zu mischen, der es wagte, über ihr Geschick entscheiden zu wollen? Sie weinte vor Unmuth über sich selbst, daß sie diese Zeilen nur angenommen und warf den Strauß, der sie geborgen, entrüstet zu Boden. Aber sie las doch weiter – und da sie zu Ende gelesen, [160] wurden andere Stimmen in ihrer Seele laut. Jean Paul war ihr Lieblingsschriftsteller, sie betrachtete ihn wie ihren Herrn und Meister. Vor ihm, der jedem Herzen und jeder Seele, die einer edlen Flugkraft fähig war, das Recht vindicirte, sich mit freien Flügeln über die Alltäglichkeit zu erheben, schämte sie sich, daß sie selbst von dieser Alltäglichkeit sich fesseln ließ. Gestern, wo sie, von ihren Eltern gedrängt, in die Verlobung mit dem ungeliebten Mann zu willigen, vergebens bei der Verwandten, die ihrem Herzen am nächsten stand, auf Verständniß, Theilnahme und Schutz gehofft, hätte sie den Himmel anflehen mögen, ihr nur eine sympathisirende Seele zu senden – da war der fremde Jüngling vor sie getreten und hatte Worte gesprochen, die unvergessen in ihrem Innern nachzitterten. War nicht er es, den der Himmel ihr sandte? Aber was fragt die Welt nach solchen nüchternen Sendungen! Amanda’s Begleiterin ward nicht müde, auf die Indiscretion des Fremden zu schelten und Amanda selbst auf den Standpunkt herabzuziehen, von dem aus kein anderes Urtheil über ihn zu fällen war. – Aber jetzt, da er sie wieder selbst an den Flug des Genius zu den höchsten Idealen erinnerte, jetzt war sie bereit, ihm zu folgen. War es denn nicht schon vielleicht das Werk des Unbekannten, daß Blumenbach heute mit der Anzeige zögerte, oder daß er deren Abdruck noch nicht hatte, daß er zurückhaltend gegen sie war und schon erklärt hatte, an dem abendlichen Concert nicht Theil nehmen zu können? War er nicht vielleicht der Einzige, der ihr beistehen konnte, und wie mußte sie es bereuen, die rettende Hand von sich zu weisen, die im Augenblick der Entscheidung sich ihr entgegenstreckte?

Unter diesen Grübeleien hatte Amanda ihre Toilette vollendet und mit zitternder Hand steckte sie Bruno’s Strauß an die unruhig bewegte Brust.




IV.

Es ward Abend. Bruno’s Blicke hatten am Mittag mit stolzem Triumph das ersehnte Zeichen gefunden und jetzt ging er auf die Louisenburg, dies holde Mädchen im Geheimen zu sprechen, das er sich vorgenommen, zu retten. Es war heute noch stiller als gewöhnlich in dieser erhabenen Felsenstadt, weil ein Concert, dem später Tanz folgte, die Badegesellschaft im Cursaal vereinigte und festhielt. Der Abendwind säuselte im zarten Laub der Buchen, wie in den dunklen Nadeln der Tannen, der Thau fiel in das smaragdne Moos, das an wunderbaren Steingebilden sich fest geheftet. Die untergehende Sonne beschien noch die Fahne, die auf der höchsten Spitze des Burgsteines wehete, und die waldige Kuppe der Kössenia. Die Vöglein huschten in ihre verborgenen Nester und ließen nur noch einzelne Triller vernehmen.

Bruno stand auf einem Felsenvorsprung unterhalb des Jean Pauls-Platzes und spähete nach Amanden. Da kam sie athemlos die steinerne Stiege herauf. Er ward sie erst spät gewahr, denn sie trug ein grünes Kleid, vielleicht absichtlich sich damit im Grün der Waldung zu verlieren. Sie hatte ihn gesehen und stand zögernd still. Am ganzen Körper zitternd, schien es fast, als wolle sie umkehren – aber ehe dies geschehen, war Bruno mit einem kühnen Sprunge an ihrer Seite.

„Ich danke Ihnen für ihr Vertrauen!“ rief er, „möge ich es in jeder Beziehung rechtfertigen können. Ein Zufall ließ mich einen Blick in ihr Schicksal thun. Wir Männer sind und heißen das stärkere Geschlecht. Es ist unsre Pflicht und war immer das Amt jedes edlen Mannes aller Zeiten, das schwächere weibliche Geschlecht gegen Willkür und Brutalität zu schützen. Im Mittelalter war es immer Brauch, daß der fremde Ritter auch der fremden Dame sich annahm, die eines Beistandes bedurfte – was Gutes an der alten Zeit gewesen, wollen wir immerhin hinüberretten in die neue, die nur edlere und keine roheren Sitten haben sollte. Ich habe immer so gedacht und danach gehandelt und frage am wenigsten nach dem Vorurtheil an einer Stätte, die den Namen eines Dichters trägt, der über jedes Vorurtheil erhaben, wo es den Triumph der edleren Naturen galt über die alltäglichen und ihre niedern Schranken. Er ehrte am meisten das reiche Herz der Jungfrauen, wie jede zarte Sitte der sie unterthan – darum können Sie seinem Jünger nun an dieser Stätte vertrauen.“

„Mein Herr,“ sagte Amanda mit melodischer Stimme, die Bruno tief zum Herzen ging, „ich verstehe Sie und Ihre Worte heben mich über die Nothwendigkeit hinweg, Ihr Betragen bei mir, wie das meinige bei Ihnen zu entschuldigen. Sie kennen mein Geschick – Sie kennen Herrn Blumenbach –“

„Nicht eben genau,“ unterbrach sie Bruno, „aber doch genau genug, um zu wissen, daß er nicht verdient, Ihr Gemahl zu werden.“

Amanda erröthete und sagte mit niedergeschlagenen Augen:

„Ich sah Sie diesen Morgen mit ihm sprechen und schloß daraus, daß Sie ihn kennen – noch mehr, daß Sie Einfluß auf ihn haben. All’ meine Einwendungen, Bitten und Vorstellungen waren bei ihm selbst, wie bei meinen Eltern vergeblich gewesen; man wollte mich ihm mit Gewalt verloben. Ein willenloses Kind, ließ ich endlich wie eine Ohnmächtige Alles über mich ergehen; die bestellten Anzeigen sollten diesen Morgen verschickt werden, an diesem Abend sollte ich zum ersten Male als Blumenbach’s Braut erscheinen – alle Mittel dagegen hatte ich erschöpft, nur ein gewaltsames blieb mir übrig – ich schwankte noch, ob ich heimlich fliehen oder öffentlich erklären wollte, daß meine Eltern mich zwängen, da kommt Blumenbach ohne Anzeigen und ist von selbst bereit, die Verlobung wenigstens noch hinauszuschieben; ist diese Sinnesänderung durch Sie bewirkt?“

„Ich darf es hoffen!“ antwortete Bruno, froh bewegt. „Aber wie können Eltern die eigne Tochter so opfern wollen?“

„Eltern, ach!“ wiederholte Amanda seufzend. „Die Gattin meines Vaters ist nicht meine Mutter – die Stieftochter ist ihr verhaßt. Diese Frau vermag Alles über meinen Vater, sie hat mir durch tausend Intriguen ihr Herz entfremdet, peinigt nicht nur mich, sondern auch ihn täglich um meinetwillen und bietet Alles auf, mich aus dem Hause zu bringen. Mein Vater sieht ein, daß er auch dann nur Ruhe hat, und theilt ihren Wunsch. Aber er ist zu stolz, darein zu willigen, daß ich sein Haus als Mädchen verlasse. Wir haben kein Vermögen und der Gehalt meines Vaters, der früher bei manchem Lebensgenuß uns noch übrig ließ, reicht jetzt nicht mehr aus bei dem Luxus der Stiefmutter – der Vater ist in Sorgen und rechnet darauf, sie sich durch einen reichen Schwiegersohn zu erleichtern. Vergebens habe ich schon seit dem Tage, da die Fremde in’s Haus kommen sollte, den Vater gebeten, mir wo anders ein Unterkommen suchen zu dürfen, als Gesellschafterin oder Lehrerin. Lächeln Sie nicht, mein Herr, über dies Wort, weil ich noch jung bin – ich habe Talente, die ich üben und entfalten könnte – ich male und musicire und die ersten Künstler, die meine Lehrer waren, beschworen mich, diese Talente, die sie an mir zu finden meinten, zu pflegen. Aber durch meine Stiefmutter verkümmern sie; den Unterricht entzog sie mir, und gestattete mir noch weit weniger, selbst welchen zu ertheilen. Mein Vater selbst hält es für ehrenvoller, wenn ich in seinem Hause im Geheimen die niedrigsten Dienste verrichte, zu denen jede Magd gut ist, als wenn ich öffentlich meine Talente verwerthe. Seitdem ist jede höhere Fähigkeit in mir mit Füßen getreten worden, und ich gehe im Ringen mit den kleinlichsten und schmählichsten Verhältnissen zu Grunde. Darum allein konnte selbst meine theuerste Verwandte, die Sie hier mit mir sprechen hörten, mir auch zureden, Blumenbach meine Hand zu geben, damit ich von den häuslichen Qualen erlöst würde, und mir wenigstens die Freiheit erkaufe, einer höheren Ausbildung meiner Fähigkeiten zu leben.“

„Das ist die Geschichte unzähliger strebender weiblicher Wesen!“ rief Bruno. „Mit den herrlichsten Anlagen ausgerüstet, verkümmern sie entweder schon im Elternhause oder mit den zartesten Herzen im Sündenpfuhl einer Ehe, die Zwang oder Berechnung schloß! Sie fühlen es, daß Sie berufen sind, diesem entsetzlichen Schicksal nicht zu verfallen! Sie würden nie die Kühnheit haben, aus dem Vaterhaus zu entfliehen, weil man Ihre edlen Anlagen unterdrückt, aber Sie werden den Muth haben, das Aeußerste zu thun, um nicht ein Verbrechen an sich selbst, einem Andern, an Gott und der Menschheit zu begehen! Sie werden fliehen, wenn Ihnen dagegen kein anderes Mittel bleibt. So wird Ihnen die Erlösung vom häuslichen Drucke kommen auch ohne das geforderte Opfer!“

(Schluß folgt.)
[161]

Dr. Karl Schwarz, Oberhofprediger in Gotha.

Es ist in neuerer Zeit, wo in verschiedenen deutschen Staaten die streng-orthodoxe Kirche die Oberhand hat, schon ein Ereigniß geworden, wenn ein freisinniger oder doch nicht ganz der strengen Richtung angehörender Theolog zu einer einflußreichen Stellung im Staate berufen wird. So erregte es bereits freudige Theilnahme, als vor circa zwei Jahren die Berufung des Professor Liebner als Oberhofprediger in Dresden bekannt wurde; ein förmliches Aufsehen aber, und zwar nicht nur in theologischen Kreisen allein, rief vor Kurzem in ganz Deutschland die Ernennung des Professors Schwarz aus Halle zum Oberconsistorialrath und Hofprediger in Gotha hervor, welches Aufsehen sich noch hob, als seine Antrittspredigt bekannt wurde. Es liegt nicht in der Tendenz unseres Blattes, kirchliche oder religiöse Streitfragen ausführlichen Besprechungen zu unterwerfen; wir begnügen uns deshalb damit, unsern Lesern, von denen die meisten wohl die eben berührte Antrittspredigt vollständig oder doch im Auszug kennen, das Portrait des Mannes vorzulegen, der mit einem immensen Wissen ein edles Streben verbindet, das fern von jeder Ueberstürzung mit Energie und Klarheit ein bestimmtes Ziel verfolgt. In welcher Weise er denkt, schreibt und spricht, bezeichnet am schlagendsten jener Passus seiner Antrittspredigt, worin er die Stellung des Predigers zur Gemeinde bezeichnet. „Nicht daß wir Herren seien über Euern Glauben,“ sagt er, „sondern wir sind die Gehülfen Eurer Freude, denn Ihr stehet im Glauben –.“ Er weist in dieser Rede weiter nach, wie durch die Reformation die Sonderung des Priesterstandes von den Laien aufgehört habe und wie der Geistliche ebenso wie jedes andere Mitglied der Gemeinde nur durch inneres Ringen sich zu einem wahrhaft religiösen und edlen Menschen heraufbilden könne. Indem er die Gemeinde zum Zeugen einer solchen Entwickelung des Predigers aufruft, hebt er die exceptionelle Stellung desselben der Gemeinde gegenüber auf und reicht so den Mitgliedern die Hand – ein Bruder unter Brüdern. Sein Standpunkt ist ein echt-christlicher, der die Lehre des Heilands als offenbarte Religion festhält, aber er läßt dabei dem menschlichen Denken und Empfinden vollständige Freiheit sich zu entwickeln und das Wahre zu suchen, wie es Jeder nach seinem Gefühle und Denkungsvermögen zu finden weiß.

Schwarz hat in seinen frühern Schriften ebenso gegen die Ueberstürzungen des Radicalismus, wie gegen die Absurditäten der Dunkelmänner gekämpft, und sein neues und bedeutendes Werk: „Die Geschichte der neuesten Theologie“ beweist klar und deutlich, daß er neben seinem scharfen kritischen Verstand ein unparteiisches Urtheil und ein Herz hat, das der Religion des Gemüths seine Anerkennung nicht versagt. So kurze Zeit er auch in seiner neuen Stellung ist, so wird er doch schon von seiner Gemeinde hochgeschätzt, und wenn der „neue Oberhofprediger“ Sonntags in Gotha predigt, bringen Dampfroß, Wagen und andere Beförderungsmittel Massen von Kirchengängern aus ganz Thüringen, die sich an seinen kräftigen Worten erbauen und erquicken wollen.



 

[162]
Vorlesungen über Kunst.
Von Chr. Schuchardt in Weimar.
1. Ueber die vervielfältigenden Künste.
Was sind vervielfältigende Künste? – Der Holzschnitt eine deutsche Erfindung. – Ein heiliger Christoph der bekannte Aelteste. – Betrügerische Nachahmungen. – Die Erfindung der Buchdruckerkunst eine Folge der Erfindung des Holzschnittes. – Clair-obscur (Helldunkel) ebenfalls deutsche Erfindung. – Neuester Stand der Holzschneidekunst.

Die Gegenstände, worüber ich in dieser Stunde etwas mitzutheilen gedenke, sind so allgemein bekannt, daß es fast überflüssig scheinen könnte, nur ein Wort darüber zu sagen. Wer kennt nicht Holzschnitte, Kupferstiche aller Art und Lithographien!

Es geht aber damit, wie mit tausend andern Dingen, welche wir täglich gebrauchen, die wir benennen, ohne nur zu fragen, woher sie kommen, wie sie entstehen, was für Anstrengungen ganznr Generationen, oft ganzer Jahrhunderte erforderlich waren, um sie zu dem jetzigen Grad der Vollkommenheit zu bringen.

Sich davon, soweit es geht, eine allgemeine Kenntniß, eine Klarheit zu verschaffen, das unterscheidet in gewisser Beziehung den Gebildeten, der auf Alles achtet, was die Menschheit nach ihrem Ziele bewegt, von dem Ungebildeten, der gedankenlos durch das Leben geht, der eben so gleichgültig das Product der edelsten Anstrengung hochbegabter Menschen ansieht, wohl gar dem Untergange weiht, wie er eine Blume unbeachtet unter seine Füße tritt.


Es veranlaßt dieses Thema, vielerlei zur Sprache zu bringen; und „Wer Vieles bringt, wird manchem Etwas bringen,“ meint schon der Theaterdirector in dem Vorspiel zu Faust. Das läßt auch mich hoffen, daß man am Ende diese Stunde nicht für eine ganz nutzlos verbrachte zu halten veranlaßt sei.

Vielleicht ist die Bezeichnung „vervielfältigende Künste“ nicht ganz deutlich, weshalb ich einige Worte darüber vorausschicken will. Man nennt jetzt alles Kunst, was über das gewöhnliche Handwerk hinausgeht, ja selbst dieses, sobald es mit feinem Sinn, mit Geschmack und Eleganz betrieben wird. Und deshalb verdient ein Handwerker oft mit mehr Recht den Namen eines Künstlers, als manche Andere, welche die Kunst handwerksmäßig betreiben. Wer sich nun zum Lebensberuf gewählt hat, Werke der bildenden Kunst in einer Weise darzustellen, daß sie auf mechanischem Wege vervielfältigt werden können, den rechnet man dann mit Recht zu den Künstlern, wenn er es in einem solchem Grade fähig ist, daß er die vorzüglichsten, die wesentlichsten Eigenschaften eines edlen Kunstwerkes zur Anschauung bringt. Die Vervielfältigung geschieht nur durch Abdruck und deshalb zählt man diese Künste auch zu den Druckkünsten.

Von welcher außerordentlichen Wichtigkeit die Erfindung sei, bildliche Darstellungen der verschiedensten Art in’s Unendliche zu vervielfältigen, davon kann unsere Zeit, die in Ueberfluß fast erstickt wird, gar nicht mehr das volle Bewußtsein, das rechte lebendige Gefühl haben; der Ueberfluß macht uns gleichgültig, ungenügsam. Durch die Erfindung, bildliche Darstellungen durch den Druck zu vervielfältigen, hat auch die wichtigste der Erfindungen, die Buchdruckerkunst, erst ihre Vollendung, ihren Abschluß erhalten. Tausende von Büchern sind nicht im Stande, durch ihre Beschreibungen von Gegenständen das zu leisten, was eine bildliche Darstellung vermag. Es gibt auch fast keine Wissenschaft, die sie völlig entbehren könnte: Geschichte aller Art, Geographie, Astronomie, Naturwissenschaften, wie stände es damit ohne Abbildungen; nicht zu gedenken der Verbreitung edler Kunstwerke, welche die Spitze aller höhern menschlichen Ausbildung überhaupt ausmachen.

Diese Wichtigkeit ist auch der Grund, weshalb verschiedene Nationen sich so lange und erbittert um die Ehre der Erfindung der verschiedenen Manieren der vervielfältigenden Künste gestritten haben und noch streiten.

Dem Material nach, dessen man sich dabei bedient, gibt es zwei Hauptgattungen der Vervielfältigungen: in Holz und Metall; der Manier, der Art und Weise nach gibt es ebenfalls nur zwei Hauptgattungen: Hochschnitt und vertieft gravirte Darstellungen. In neuester Zeit ist noch eine dritte Art hinzugekommen: der chemische Druck von Stein- oder Metallplatten.

Von diesen Unterschieden, von der Zeit der Erfindung jeder der verschiedenen Manieren, und darüber, wem die Ehre der Erfindung jeder derselben zukommt oder noch bestritten werde, will ich jetzt das Hauptsächlichste mittheilen.

Die älteste Manier der vervielfältigenden Künste ist der Hochschnitt. Gewöhnlich sagt man Holzschnitt, weil am häufigsten Holz dabei verwendet worden ist. Erst in neuester Zeit haben Einige gemeint, durch genaue Untersuchungen ermittelt zu haben, daß man zu den frühesten Hochschnitten Metall gebraucht habe. Nun läßt sich zwar ziemlich genau erkennen, ob ein Abdruck von einer Holz- oder Metalltafel genommen sei, es ist aber damit nichts gewonnen, weil es auch sehr viel alte Holzschnitte gibt, und von den ältesten Metallschnitten keiner ein bestimmtes Datum hat, am allerwenigsten eines, das älter wäre, als das auf dem bekannten ältesten Holzschnitte.

Bei den Hochschnitten in Holz und Metall sind die Linien, welche Umrisse und Schattenstriche, also die bildliche Darstellung geben, hochstehend; die Grundfläche aber, welche beim Abdruck auf dem Papier weiß bleiben soll, wird vertieft. Es ist ganz so wie beim Bücher- oder Letterndruck; und gewöhnlich werden Holzschnitte auch in derselben Presse und zwar, wenn es erforderderlich ist, zugleich mit dem nöthigen Text, darum in beweglichen Lettern, abgedruckt.

Das älteste Denkmal dieser Gattung ist ein heiliger Christoph, welcher das Christuskind auf seinen Schultern durch’s Wasser trägt. Er ist bekannt unter dem Namen des Burxheimer Christoph, weil er 1769 in dem Kloster Burxheim in Ottobeuern, Kreis Schwaben, entdeckt wurde. Dieser Holzschnitt hat die lateinische Unterschrift: Cristoferi faciem, die quacunque tueris, illa nempe die morte mala non morieris[1] und die Jahrzahl 1423. Es ist davon nur ein einziges Exemplar bekannt, das eben genannte, und das befindet sich jetzt in der Bibliothek des Lord Spencer in England. Im Jahr 1806 erkaufte zwar das Pariser Kupferstichcabinet ein zweites Exemplar; bei dem Vergleich aber mit dem Lord Spencer’schen, zu welchem Zweck der Besitzer seinen Bibliothekar, Herrn Dibdin, mit dem Schatze nach Paris kommen ließ, ergab es sich, daß das Pariser Exemplar nur eine Copie sei, aus einem Journal entnommen, das Herr von Murr in Nürnberg herausgegeben hat, und zwar aus dem Jahrgang 1776. Durch Färben des Papiers und sonstige Manövres hatte man demselben ein veraltetes Ansehen gegeben. Ueber den förmlichen Congreß, der zu dieser Vergleichung zusammengerufen wurde, ist zwar so recht Bestimmtes nicht zu Tage gekommen. Herr Dibdin gibt aber in seiner Reise nach Frankreich an, daß das Pariser Exemplar von einer spätern Platte, aber ebenfalls mit der Jahrzahl 1423 bezeichnet, genommen sei. Mr. de Laborde dagegen, als tüchtiger Kenner und Schriftsteller in diesem Feld bekannt, spricht bestimmt aus, daß das Pariser Exemplar nichts als ein mit Kaffee gefärbtes Exemplar aus dem von Murr’schen Journal sei.

Hätte der Director des Pariser Cabinets die nöthige Kenntniß von der Beschaffenheit des Papieres in den verschiedenen Perioden gehabt, oder sich darüber belehren lassen, so würde er sich diese Demüthigung erspart haben. Diese Kenntniß ist oft deshalb entscheidender als selbst die feinste Kunstkenntniß, weil sie bestimmt nachzuweisen ist, während die aus dem gründlichsten Studium gewonnene Kenntniß diejenigen nicht überzeugen kann, welche nicht einen gleich gebildeten Sinn haben. Ja, es begegnet nicht selten, daß die Unwissenheit in solchen Fällen siegt, weil auf ernstes Studium sich gründende Kenntniß von ihr so gern verdächtigt, für Sonderbarkeit, Caprice, Dünkel ausgelegt wird.

Einen andern Beleg zu dem Gesagten will ich noch anführen: In einer Cölner Auction kam vor einigen Jahren eine Raphael’sche Zeichnung vor, die der verstorbene Besitzer um hohen Preis [163] erkauft und sehr werth gehalten hatte. Da ein Kunsthändler mit seiner Meinung, daß sie unecht sei, nicht durchdringen konnte, so trug er darauf an, daß dieselbe von der dicken Unterlage abgelöst würde. Und was kam zum Vorschein? Das Papierzeichen N. (Napoleon) mit einer Krone darüber. Napoleon hat aber bekanntlich nicht zur Zeit Raphael’s gelebt. Nun wurde die Zeichnung um soviel Kreuzer verkauft, als Thaler dafür würden gezahlt worden sein. Ein Kunstliebhaber muß auch diese äußere Kenntniß haben, wenn er nicht beständigen Betrügereien will preisgegeben sein.

Niemand hat nun bestritten. daß der erwähnte Holzschnitt ein deutsches Product sei, und Niemand hat bis jetzt vermocht, einen älteren nachzuweisen. Die Ehre der Erfindung des Holzschnittes war deshalb den Deutschen unbestritten. Nur die Niederländer wiederholten ihre Versuche, ihnen diese Ehre zu entreißen, und glaubten vor einigen Jahren ihres Sieges gewiß zu sein. 1845 fand man nämlich in Mecheln in einem alten Koffer einen Holzschnitt eingeklebt, worauf sich angeblich die Jahrzahl 1418 befand.[2] Die königliche Bibliothek in Brüssel erkaufte denselben um hohen Preis und der Bibliothekar Baron von Reiffenberg veröffentlichte darüber eine besondere Broschüre in französischer Sprache: La plus ancienne gravure connue avec une date, der älteste Holzschnitt mit Jahrzahl, und gab dazu eine Nachbildung in Steindruck.

Bald darauf erschien eine andere Schrift dagegen,[3] deren Verfasser sich nur mit den Anfangsbuchstaben C. D. B. genannt hat (Herr von Brou, Bibliothekar des Herzogs von Aremberg), worin das Alter dieses Holzschnittes und die Richtigkeit der Jahrzahl bezweifelt wurde.

Durch eine Reihe von Costümefiguren nach Gemälden, Miniaturen und andern Denkmalen wies er nach, daß der fragliche Holzschnitt nur aus der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts stammen könne. Für Herrn von Reiffenberg trat zwar noch eine andere Schrift in die Schranken, deren Verfasser sich M. J. A. L. redacteur de la renaissance nennt, jedoch ohne sonderlichen Erfolg. Seitdem ist, soviel ich weiß, nichts weiter in der Sache geschehen, als daß Herr Inspector Passavant in Frankfurt a. M. im deutschen Kunstblatt erklärt hat, daß jedenfalls die Jahrzahl gefälscht sei; man bemerke auch noch ein L, 50, an der durch eine kleine Null ausgefüllten Stelle. Danach lautete die Jahrzahl 1468, was mit der Erklärung des Herrn de Brou übereinstimmt.

Der deutsche Christoph hat also diesmal gesiegt. Ob er sich aber gegen wiederholte Angriffe halten wird, kann man nicht voraussagen. Das soll uns Deutsche aber nicht hindern, uns der Ehre dieser Erfindung bis dahin voll zu erfreuen. Den Streit über Holz- oder Metallschnitt lasse ich deshalb unbeachtet, weil das zu weit führen würde und weil es gar kein wesentlicher Punkt ist, ob man Metall, Holz oder Stein verwendet, es wird immer Hochschnitt bleiben. Nur erwähne ich noch, daß der Holzschnitt die Erfindung der Buchdruckerei herbeigeführt hat. Wie man bei dem Burxheimer Christoph sehen kann, so ist die Unterschrift auf dieselbe Tafel ausgeschnitten. Und so verfertigte man auch größere Werke mit bildlichen Darstellungen und Text, welche vorzugsweise xylographische Werke genannt werden. Dergleichen sind die sogenannte Armenbibel, Heilspiegel, die Kunst zu sterben u. a. Ersteres, ein Auszug aus der Bibel mit bildlichen Darstellungen, wird deshalb so genannt, weil er für Unbemittelte, namentlich für Prediger gemacht wurde, für welche die Anschaffung der ganzen Bibel in jenen Zeiten zu theuer gewesen wäre. Diese Werke sind sehr alt, reichen aber noch in die Zeit nach der Erfindung der Buchdruckerkunst herein, weil die Verfertiger nicht sogleich ihre Beschäftigung, ihren Broderwerb aufgeben konnten. Bei späteren Aufgaben hat man die bildlichen Darstellungen benutzt und den Text darum in beweglichen Lettern beigefügt.

Wenn eine wichtige Erfindung einmal gemacht ist, so bemächtigt man sich derselben, beutet sie aus, verwendet und erweitert sie. Und so ist es auch mit dem Holzschnitt gegangen. Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts bemühte man sich, einfarbige Malereien, getuschte Zeichnungen durch Holztafeln herzustellen. Auf eine derselben wurden die Umrisse und tiefsten Schatten ausgeschnitten und auf eine andere nur die Lichter ausgestochen und sorgfältig auf die erste abgedruckt. Dadurch erzielte man drei verschiedene Farbentöne: das hellste Licht, den Mittelton und einen tieferen Schattenton. Diese Gattung nennt man Helldunkel, Clair-obscur, was man, meiner Ueberzeugung nach, irriger Weise mit dem Begriff von Helldunkel in der Malerei verwechselt hat. Hier bedeutet es nur wörtlich eine Zeichnung mit helleren und dunkleren Tönen derselben Farbe. Eigentliches Helldunkel habe ich bei keinem dieser Blätter bemerkt, dazu reichen die Mittel in keiner Weise aus. Nach und nach hat man diese Gattung von Holzschnitt sehr vervollkommnet, und namentlich haben die Italiener Vortreffliches darin geleistet.

Die Erfindung selbst ist ebenfalls eine deutsche, nur streitet man sich darüber, wer der Erfinder sei, an welchen Namen man sie knüpfen solle. Lange galt der Maler und Holzschneider Hans Burgmaier in Augsburg dafür, ein Zeitgenosse Dürers, von dem man ein Blatt mit der Jahrzahl 1510 kennt. Am allgemeinsten wurde aber ein anderer Künstler dafür gehalten, den man Johann oder Hans Ulrich Pilgrim nannte, weil er seine Blätter mit I. V. und zwei gekreuzten Pilgerstäben bezeichnet hat. Die Gründe für diese Annahme sind durch nichts unterstützt, da keins der zehn Blätter, welche man von ihm kennt, eine Jahrzahl hat, auch von seinen sonstigen Lebensverhältnissen nichts bekannt ist. Unsere Zeit, die mit außerordentlicher Thätigkeit der Erforschung und Feststellung von dergleichen schwebenden Fragen und Irrthümern sich zuwendet, hat den Kupferstecher Lödel in Göttingen veranlaßt, die sämmtlichen Blätter dieses Meisters, welche sehr selten und theuer sind, in Copien herauszugeben, und derselbe glaubt, daß sie von einem Straßburger Künstler, Namens Wächtelin oder Vuchtelin, gemacht seien; das Werk ist noch nicht erschienen. Nach andern Arbeiten, welche unter Wächtelin’s Namen gehen, habe ich mich von der Richtigkeit dieser Annahme noch nicht überzeugen können; doch sind das Werk und die angegeführten Beweisgründe erst abzuwarten. Erfreulich war es mir aber, als ich bei meinen Studien über Lucas Cranach ein Blatt von diesem Meister nachweisen konnte, das vom Jahre 1506 ist und welches in der Hitze des Gefechtes übersehen worden. Es ist darauf Venus mit Amor dargestellt. Die Abdrücke davon in Helldunkel sind sehr selten, nicht so die Abdrücke von einer Platte, wovon es sogar neuere gibt.

Eine Korrespondenz des kaiserlichen Rathes Conrad Peutinger zu Augsburg mit dem Kurfürst Friedrich dem Weisen von Sachsen belehrt uns, daß ersterer veranlaßt wurde, mancherlei Erfindungen Cranach’s mit großen Kosten nachmachen zu lassen, und da er zu gleicher Zeit mehrere Holzschneider, darunter auch Burgmaier, für die Werke, die Kaiser Maximilian durch ihn ausführen ließ, beschäftigte, so ist es möglich, daß diese Erfindung von Wittenberg nach Augsburg kam.

Die ersten Arbeiten dieser Art waren nur mit zwei Platten gedruckt, bald aber wollte man ausführlichere, vollendetere Kunstwerke herstellen, steigerte die Zahl immer mehr und suchte auch schon frühzeitig farbige Bilder auf diesem Wege zu erzielen, wie ein Muttergottesbild von Albr. Altdorfer zeigt, wovon ein Facsimile in dem R. Weigelschen Werk vor Kurzem erschienen ist.

Die Holzschneidekunst war, wie freilich alle Kunst, im vorigen Jahrhundert in Verfall gerathen. Da legte ein englischer Kupferstecher, John Bewick, durch seine Abbildungen zu der Geschichte der vierfüßigen Thiere 1790 und zu der Naturgeschichte der britischen Vögel 1797 den Grund zu deren erneutem Aufblühen, und dessen Sohn Thomas verbesserte das technische Verfahren weiter, so daß diese Kunst in ihrer neuen Gestalt von England ausgegangen ist.

Diese in neuester Zeit fast in’s Unglaubliche gesteigerte Technik hat freilich auch dadurch geschadet, daß sie, auf Kosten des eigentlichen Kunstwerthes, überschätzt worden ist, daß man Künstelei, Kunststückchen für Kunst hält. Das Material, der Stoff, dessen sich eine Kunstgattung für ihre Aufgaben bedient, bestimmt ihre Grenzen. Holzschnitte, welche Kupferstiche, Stahlstiche, Radirungen, Lithographien ersetzen wollen, sind Künsteleien, Surrogate, die nur solche befriedigen können, denen das Mühselige der Arbeit, das Ueberwinden von Schwierigkeiten für Kunst gilt; gleich denen, die lieber einen Purzelbaum schlagen sehen, als die ausdrucksvollen graziösen Bewegungen einer fein gebildeten Tänzerin.

[164] Die jetzige Technik der Holzschneiderei ist freilich eine ganz veränderte, so daß man eigentlich gar nicht mehr von Holzschnitt, sondern nur von Holzstich reden sollte, da man sich nicht mehr, wie früher, feiner Messerchen zum Umschneiden der einzelnen Striche von beiden Seiten, sondern des Grabstichels bedient, wie der Kupferstecher, nur zu umgekehrtem Zweck: der Kupferstecher vertieft die Linien, welche das Bild geben, der Holzstecher vertieft die Zwischenräume, welche weiß bleiben sollen. Was dem Kupferstecher die größte Schwierigkeit macht, die tiefsten Schattenmassen, ist für den Holzstecher das Leichteste.

Da es sich hier nicht um eine erschöpfende Geschichte der Holzschneidekunst handelt, so wünsche ich nur, mich deutlich genug ausgesprochen zu haben, und will später ein Gleiches mit der Kupferstecherkunst versuchen. {Linie}}


Die Gewinnung des Kaviars und der Fischfang im Uralflusse.
Vom Major Wangenheim von Qualen.

Der große Landbesitz, der Handel mit dem Innern Rußlands und der Tauschhandel mit den Kirgisen bieten den Uralschen Kosaken, deren Wohnsitz sich am rechten Ufer des Uralflusses an der Grenze zwischen Europa und Asien hinzieht, großartige Erwerbsquellen, welche sich im Laufe der Zeiten noch unendlich mehr vergrößern werden, aber dennoch ist der Fischfang im Ural von der Stadt Uralsk bis zum Kaspischen Meere auf einer Strecke von 475 Werst gegenwärtig noch die wahre Goldgrube des Landes, woran alle dienenden Kosaken des Landes Theil nehmen.

Die Fischerei im Ural ist mehr ein Vergnügen, als eine Art Jagd, sie ist ein Zustand, wo sich kosakische Gewandtheit, Kraft und rasches Leben vor den Augen Aller auf eine vortheilhafte Art zeigen können. Sie ist ein Glücksspiel, da oft ein einfacher Kosak in ein paar Stunden, von Glück und Zufall begünstigt, eine Menge großer Fische fängt, die 100 und mehr Rubel Silber werth sind, während sein naher Nachbar den ganzen Tag nicht eine Flosse mit seinem Haken herauszieht. Sie ist daher zugleich auch eine ergiebige Erwerbsquelle, an der Tausende Theil nehmen, und die außer dem Vergnügen noch eine große Masse Geld in’s Land bringt. Auch für den eigenen Bedarf im Lande ist der Fischfang sehr wichtig. Die fast unglaubliche Menge aller Arten Fische, welche den Ural und die Nebenflüsse beleben und vom Kaspischen Meere immer wieder Zufluß erhalten, sind, nebst Ueberfluß an Fleisch, die gewöhnliche Speise der Kosaken. – Gemüse ist wenig vorhanden und wird auch wenig geachtet, Fleisch und Mehl sind zwar vortrefflich und unglaublich billig, aber ohne Fische, sowohl frische, als gesalzene oder an der Luft getrocknete (Balik), und ohne Kaviar, theils frischen, theils gepreßten, kann kein Kosak leben. Das ist die tägliche Speise, welche man das ganze Jahr hindurch in allen Häusern findet. Dieser so ganz frische, nur eben aus dem Fische genommene Kaviar ist aber auch etwas höchst Delicates. Der feine und vortreffliche Geschmack dieses Fischrogens an Ort und Stelle hat etwas ganz Eigenthümliches, welches dem in ferne Gegenden versendeten und gewöhnlich zu stark gesalzenen Kaviar gänzlich abgeht. Besonders wohlschmeckend ist der großkörnige etwas gelbliche, sogenannte Bernstein-Kaviar, der aber als eine Seltenheit nicht in den Handel kommt. Im Jahre 1847, als ich Uralsk zum letzten Male besuchte, kostete ein Pfund frischen Kaviars 20 bis 25 Kopeken Silber (8 Sgr.). Seit jener Zeit aber sind die Preise bedeutend gestiegen, da die Sendungen in’s Ausland sich von Jahr zu Jahr vergrößern. Aus allen diesen Gründen ist denn auch der Fischfang im Ural für den Kosaken ein wichtiger Gegenstand, und die Idee desselben durchdringt das ganze Volksleben. Die Kinder auf den Straßen spielen Fischfang, in allen Kreisen wird von demselben gesprochen und mit Sehnsucht und freudefunkelnden Augen erwartet jeder Kosak die gesetzlich bestimmte Zeit, wo der allgemeine Fischfang beginnen soll.

Obgleich der Fischfang im Uralflusse schon oft beschrieben und nachgeschrieben worden, so ist dies doch von Augenzeugen in der neueren Zeit, wo sich alle Zustände des Lebens so sehr verändert haben, wohl nicht geschehen. Außerdem ist auch der Gegenstand so höchst merkwürdig und im ganzen Erdenraume so einzig in seiner Art dastehend, daß sich immer wieder neue Ansichten daran auffinden lassen, und das interessante Material ist noch lange nicht erschöpft. Das Kaspische Meer enthält einen ungeheuren Reichthum an fetten und wohlschmeckenden Fischen, welche alljährlich, um ihren Laich abzusetzen, in die Wolga und den Uralfluß stromaufwärts gehen. Unter ihnen ist das Geschlecht Acipenser mit rüsselförmigen Köpfen mit seinen vier Arten dasjenige, welches die größten Fische enthält und den schwarzen Kaviar liefert. Der größte von diesen Fischen ist der Hausen (Beluga), welcher nach den Aussagen alter Leute in früheren Zeiten oft in einer Größe von 40–50 Pud (2000 Pfund) gefangen worden und 5–6 Pud Kaviar gegeben haben soll. Jetzt sind Hausen, die einen Faden lang, 15–20 Pud wiegen, schon eine Seltenheit. Nach dem Hausen folgt in der Größe der Stör (Osetr oder Osetrina) mit dem Schipp, einer schlechten Abart des Störs. Der Stör-Kaviar wird für den besten gehalten, doch geben auch Viele dem vom Hausen den Vorzug. Dann folgt der Sewrüga und zuletzt der kleinste von allen, der Sterlev, welcher ausgewachsen gewöhnlich nur zwei, höchstens drei Fuß lang ist. Frisch ist dieser Fisch außerordentlich fett und wohlschmeckend, und wird als Delicatesse sogar lebend mit großen Kosten bis nach St. Petersburg gebracht. Sein Kaviar ist aber zu feinkörnig und schleimig, und wird daher weniger beachtet. Außer diesen Acipenser-Arten wird der Uralstrom noch von weißen Lachsen, großen Welsen, Hechten, Sandarten, Barsen und vielen andern Fischen im Ueberflusse belebt. Da nun, wie gesagt, die Fische zu gewissen Zeiten des Jahres immer stromaufwärts gehen wollen, auch größtentheils im Flusse überwintern, andere aber, wie z. B. der Sewrüga, sobald sie gelaicht haben, wieder in’s Meer zurückgehen, so hat man seit den ältesten Zeiten unterhalb der Stadt eine Fischwehre errichtet, die alle Jahre neu gebaut und wobei der Strom von einem Ufer zum andern mit langen Balken gesperrt wird, um die großen Fische zu verhindern, stromaufwärts über die Grenzen des Kosakenlandes hinauszugehen. An dieser Fischsperre nun drängen und reiben sich die Fische, von ihrem Instincte getrieben, um gegen den Strom oder zurück in’s Meer zu schwimmen, in einer solchen Menge und mit einem solchem Eifer, daß es hier in der Tiefe von Fischen wimmelt, die in langen Reihen unter und über einander sich gegen die Fischwehre drängen.

Es war im Sommer des Jahres 1824 oder 25, als ein erst unlängst angestellter Civil-Gouverneur von Orenburg zum ersten Male die Stadt besuchte und mich zu seiner Begleitung wählte. Da es gerade in einer Zeit war, wo keine Fischerei stattfinden konnte, der Heeres-Ataman uns aber doch ein Stück des Uralschen Fischerlebens zeigen wollte, so begleitete er uns zur Fischwehre, wo uns ein wunderbares Schauspiel erwartete. Auf einen Wink des Heeres-Atamans sprang ein kräftiger und gewandter Kosak aus der uns umgebenden Menge, warf rasch Stiefeln und Oberkleider ab, nahm dann in die rechte Hand einen eisernen Haken, der an einen langen Strick gebunden war, dessen Ende von Kosaken auf der Fischwehre gehalten wurde, schlug in der Eile das Kreuz, – dann ein geräuschloses Hinabgleiten – und der Kosak war unter dem Wasser verschwunden! – Es war eine lautlose Stille, Aller Augen auf die Oberfläche des Stromes gerichtet, und wir Fremden eine halbe Minute voller Erwartung der Dinge, die da kommen würden. Da bewegte sich der Strick – das gegegebene Zeichen zum Heraufziehen – der Taucher erschien wieder auf der Oberfläche des Wassers, einen zappelnden Fisch, mit dem eisernen Haken in die Kiemen gefaßt, hinter sich herschleppend, und in diesem Zustande wurden beide unter lautem Jubel der Kosaken an’s Ufer gezogen. Man denke sich nun unser Erstaunen bei dieser wunderbaren Erscheinung, wir blieben eine ganze Zeit lang lautlos, endlich nahm der Gouverneur zuerst das Wort und bemerkte mir in französischer Sprache: er glaube, daß der Fisch wohl unten im Flusse bei der Fischwehre angebunden gewesen sein müsse, denn in einem großen Strome mit den Händen einen solchen Fisch zu fangen, sei doch eins wahre Unmöglichkeit. Der Heeres-Ataman, ob er gleich die Sprache nicht verstand, begriff aber dennoch mit der bekannten kosakischen Verständlichkeit den Sinn der Rede, befahl eine lange, unten zugespitzte Stange zu bringen, und [165] bat nun der Gouverneur, er möge mit Hülfe eines Kosaken es doch versuchen, neben der Fischwehre die Stange unten in die Tiefe des Flusses hinabzustoßen. Das Experiment wurde, nachdem der Kosak vorher etwas sondirt und die Stange gehörig gerichtet hatte, mehrere Male versucht, und jedes Mal erhielt der Gouverneur einen so starken Ruck in die Hand, daß er unwillkürlich die Ueberzeugung erhielt, immer auf einen Fisch gestoßen zu haben. Zuletzt wurde ihm sogar bei einem kräftigen Stoße, wo wahrscheinlich die Spitze der Stange recht getroffen und ein großer Fisch verwundet sein mochte, die Stange durch den starken Ruck des Fisches aus der Hand gerissen.

Der Heeres-Ataman erklärte uns nun, daß dies Kosakenkunststück gar nicht so schwer sei, wie es scheine, denn da sich eine so große Menge Fische an den Balken der Wehre herumdränge und gegenseitig drücke und reibe, so würde der leise herabsinkende Mensch von den Fischen kaum bemerkt, und könne sich bei günstiger Gelegenheit und wenn der Kosak nur seine Sache gut verstehe, sogar die Herren da unten recht gemüthlich betrachten und nach Belieben wählen. Doch dürfe der Taucher den Fisch mit seinem eisernen Handhaken nur in die Kiemen fassen, welches aber ebenfalls nicht schwer sei, da der Fisch sie beim Wasser-Athmen immer öffne. Zufällig war der gefangene Fisch ein Roger. Das Ovarium wurde deshalb herausgenommen, etwas durcheinander gerührt, hierauf durch ein Sieb gepreßt, wobei Fasern und Schleimhäute zurückblieben, zuletzt dann noch dieser durchgepreßte Rogen etwas gesalzen und der Kaviar war fertig, so daß in der Wohnung des Heeres-Atamans ein ganz frischer Kaviar zum Frühstück vorgesetzt werden konnte, all ends in a meal! – So unwahrscheinlich auch diese Geschichte natürlicherweise erscheinen muß, so ist sie doch in jenen fernen Gegenden eine allgemein bekannte Sache. Ich berufe mich hier auf Pallas Tom. I. 283 u. s. w., der über die Unmasse der Fische, welche sich in ältern Zeiten an der Fischwehre drängten, um stromauf zu gehen, Folgendes sagt: „Daß damals der Uralfluß durch einen Fischwehrenfang weiter abwärts zum kaspischen Meere abgesperrt worden, und der Andrang von Sewrügen oft so stark gewesen sei, daß man gefürchtet habe, sie würden die Fischwehre durchbrechen, daher man die Fische mit blinden Kanonenschüssen verscheucht habe.“

Im März, April und Mai ziehen die Acipenser-Arten am häufigsten aus dem Meere stromaufwärts und oft in großen Schaaren, am spätesten kommen die Sewrügen. So zahlreich der Fischfang auch gegenwärtig noch immer ist, so hat doch nach den Aussagen alter Leute im Vergleich mit frühern Zeiten sowohl die Menge als auch die Größe der Fische bedeutend abgenommen. Viel mag wohl dazu beitragen, daß die großen Fischereien in der Wolga und im Ural, bei Astrachan und im kaspischen Meere selbst diese Abnahme veranlassen, denn schwerlich wird man sich einen Begriff davon machen können, welche ungeheure Masse dieser schönen Fische theils gesalzen, theils steinhart gefroren oder in langen Streifen (Balik) an der Luft getrocknet, alljährlich verschickt und in dem ganzen großen russischen Reiche während der Fastenzeit consumirt wird. Andererseits mag auch wohl die von Jahr zu Jahr allmählich zunehmende Versandung der Strom-Mündungen des Urals mit Veranlassung sein, daß die Zahl der großen Fische sich vermindert, denn mir erzählte ein Kosak in Guriew, er habe selbst gesehen, daß im Frühjahre zu einer Zeit, wo der Fischfang im Ural noch verboten war, ein großer Hausen bei der Mündung des Urals auf eine Sandbank gerathen, so daß der Rücken des Fisches aus dem Wasser hervorgeragt, und das große Thier sich nur mit vieler Anstrengung aus dem Sandschlamme herausgewühlt habe, um in tieferes Wasser zu kommen.

Im Ural finden, außer einigen kleineren, weniger bedeutenden, jetzt nur drei gemeinschaftliche große Fischereien statt, woran alle Kosaken Theil nehmen. Die Zeit und der Ort des Fischfangs, Größe der Fischergeräthe und das ganze Verhalten ist bei diesen Fischfängen auf das Genaueste bestimmt und wird mit militairischer Strenge befolgt. Der erste ist der Frühlings-Fischfang, der zweite der Herbstfang, beide mit Netzen, – und der dritte und merkwürdigste von Allen ist der Winterfischfang auf dem Eise (Bagrenie) mit acht bis zehn Faden langen Stangen, an deren unterem Ende starke eiserne halbrunde und sehr geschärfte Haken befestigt sind. Dieser letztere Fischfang ist das interessanteste Stück im Leben der Uralschen Kosaken. Jedes Mal, wenn im Sommer ein Fischfang beginnen soll, wird unter den ältesten Stabsofficieren ein Fischerei-Ataman gewählt, der für die bestimmte Ordnung sorgt, wann und wo die Fischerei beginnen soll, zugleich auch Streitigkeiten entscheidet und dem alle nach militairischer Ordnung den strengsten Gehorsam schuldig sind. Täglich wird eine gewisse Strecke des Flusses angewiesen, die zum Fischen bestimmt ist und deren Grenze Keiner überschreiten darf; hat man diese des Abends erreicht, so erfolgt das Zeichen, die Fischerei hört auf und Alles begibt sich an’s Ufer in’s Lager, wo Pferde und Wagen halten, gekocht und gebacken wird, und wo schon viele russische Kaufleute harren, um die Fische zu kaufen, einzusalzen und weiter zu schicken. Bei Tagesanbruch wird wieder eine neue Strecke stromabwärts angewiesen, wo gewöhnlich das Zelt des Fischerei-Atamans aufgestellt ist. Das bunte Fischerleben fängt nun wieder von Neuem an, und so geht es alle Tage weiter, stromabwärts, bis ein paar Hundert Werst abgefischt sind und man endlich beim kaspischen Meere anlangt, an welchem die Fischerei auf diese Art ein Ende hat. Bei der Frühlingsfischerei, bei welcher seltener einzelne Hausen und Störe erscheinen, welche aber nach der bestehenden Ordnung immer wieder zurück in den Fluß zu werfen sind, werden vorzugsweise nur Sewrügen und einzelne Lachse gefangen. Die Herbstfischerei nimmt im October ungefähr zweihundert Werst von der Stadt Uralsk ihren Anfang und endet beim kaspischen Meere. Die Ordnung ist ganz dieselbe wie bei der Frühlings-Fischerei, nur daß hier andere, weit stärkere Netze benutzt werden. Es ist bei diesen Fischereien ein wahres Vergnügen, zu sehen, wie der ganze Strom bis in die weite Ferne von Menschen wimmelt, und wie die Kosaken in ihren leichten Beidaren – kleine Kähne, in denen gewöhnlich ein Kosak sitzt – mit Blitzesschnelle über den Strom hin und her schießen, mit außerordentlich raschen und oft kühnen Wendungen ihrer Nußschalen sich, so weit es die Ordnung erlaubt, gegenseitig zuvorzukommen suchen, und wie bei dieser Gelegenheit dann und wann ein noch etwas unerfahrener junger Kosak in’s Wasser plumpst, ohne sich im Geringsten etwas daraus zu machen, da jeder von ihnen vortrefflich schwimmen kann und im Wasser wie zu Hause ist. Dabei ist die rasche Entschlossenheit, Gewandtheit und das Savoir faire der Kosaken in allen Sachen, die nur entfernt an Gefahr erinnern oder Unternehmungsgeist verlangen, wahrhaft bewundernswürdig! – Diese Menschen, die so zu sagen im Flusse und im Meere aufgewachsen sind, würden vortreffliche Seeleute abgeben, wenn das kaspische Meer nicht als ein großer Binnensee so sehr abgeschlossen wäre. So viel aber bleibt gewiß, daß der tapfere und unternehmende Geist, welcher das ganze Uralsche Kosakenheer durchdringt und bei welchem der Kosak die vielfachen Entbehrungen im Felde weniger empfindet, wie andere Menschen, für ein rauhes Klima gänzlich abgehärtet ist und mit Gewandtheit jede Gefahr leichter überwindet, nur durch dies freie, wilde, und doch mit militairischer Disciplin geordnete rasche Fischerleben belebt wird. Durch dieses wird der Kosak in seinem ganzen Habitus als Krieger sehr gekräftigt und in seinem Wesen wird eine gewisse Sicherheit, rasche Entschlossenheit und Thatkraft unterhalten, die ihn im Felde bekanntermaßen so vortheilhaft auszeichnen. Ich komme nun zu der dritten Art oder Winterfischerei, welche, wie gesagt, von allen die interessanteste ist.

Sobald im Spätherbst der Uralfluß anfängt sich mit einer leichten Eisrinde zu bedecken, welches gewöhnlich Ende November oder im December der Fall ist, suchen die Fische vorzugsweise die tieferen Stellen des Flusses auf, um hier reihenweise den Winter in einer Art von Ruhe zu verleben. Da sich aber der Boden des Uralflusses durch die Strömungen alljährlich verändert, so daß die tieferen Lagerstellen der Fische nicht immer bekannt sein können, so merken sich die Kosaken, sobald der Fluß zufrieren will, diejenigen Stellen, wo die Fische an der Oberfläche erscheinen, um zu spielen, oder sie legen sich, sobald der Fluß nur eben zugefroren ist, auf das dünne und wie Glas durchsichtige Eis, bedecken den Kopf mit einem dunkeln Tuche und können dann die großen Fische auf dem Grunde des Flusses ruhig liegen sehen. Diese Andeutungen suchen sie dann bei der allgemeinen Winterfischerei zu benutzen. Der erste und kleinste Fischfang erfolgt gewöhnlich in den ersten Tagen des December, oft sogar schon Ende November, wenn das Eis noch sehr schwach ist, und dauert gewöhnlich nur einen Tag. Auch fischen hier blos eine gewisse Anzahl Kosaken, denn der Zweck desselben besteht eigentlich nur darin, nach altväterlicher Sitte eine Menge der schönsten Fische und des besten Kaviars als Präsent, wie es die Kosaken nennen, – so [166] schnell wie möglich zum Allerhöchsten kaiserlichen Hofe abzufertigen. Zu diesem Zwecke harren schon ein Officier und neun Dreigespanne mit raschen Pferden am Ufer. Die Fische und der Kaviar werden aufgeladen und mit sausender Eile geht es nun Nacht und Tag mit Postpferden bis nach Petersburg, von wo die Ueberbringer immer mit reichen Geschenken zurückkehren.

Der zweite eigentliche und allgemeine Fischfang oder das kleine Bagrinie erfolgt immer vor Weihnachten, dauert nur acht Tage und endet achtzig Werst von der Stadt Uralsk abwärts zum kaspischen Meere in täglichen Stationen. Der dritte Fischfang oder das große Bagrinie fängt achtzig Werst von der Stadt an und endet 180 bis 200 Werst von Uralsk. Jeder Kosak fischt für sich mit einem Fischhaken, denn jeder erhält nur einen Erlaubnißschein, Officiere und Beamte aber verhältnißmäßig mehrere. Diese können, wenn sie sich nicht selbst das Vergnügen der Fischerei machen wollen, Leute miethen, dies hindert aber nicht, daß mehrere Kosaken, welche Erlaubnißscheine haben, sich gegenseitig helfen, Gesellschaften bilden (Artels) und die gefangenen Fische gemeinschaftlich theilen. Als Fischergeräth hat jeder Kosak den oben beschriebenen langen Fischerhaken, mehrere kleine Haken an kurzen Stangen, um den Fisch herauszuziehen, wenn er schon gefangen ist, eine eiserne Brechstange zum Aufbrechen des Eises und eine Schaufel. In den früheren Zeiten wurde der Winterfischfang im Ural auf eine ganz andere Art betrieben, wie gegenwärtig. Alle Fischhaken wurden nämlich auf Schlitten gelegt, die immer mit den schönsten und oft auch recht wilden Pferden bespannt wurden. Die Tausende von Schlitten stellten sich in Reihen hinter einander auf, um, sobald das Zeichen gegeben wurde, in einer Art Wettlauf die Stelle zu erreichen, wo der Fischfang seinen Anfang nehmen sollte. Von dem Getöse dieser wüthenden Jagd, bei welcher Einer dem Andern vorzukommen suchte, erdröhnte das Eis und wurden die Fische von ihren Lagerstellen aufgescheucht. Da aber bei dieser Art der Fischerei Unfälle nicht zu vermeiden waren, und auch andere Unbequemlichkeiten stattfanden, so wurde die tolle Pferdejagd aufgegeben und man fischt gegenwärtig auf andere Weise.

(Schluß folgt.)




Englisch-ostindische Gebirgs-Artillerie.

Kanonentransport auf Elephanten.

Es ist in den Berichten über den Krieg Englands mit Persien häufig, auch bereits in Nr. 6 der Gartenlaube („ein Stück Wegs in Persien“), auf die ungeheuern Terrainschwierigkeiten hingewiesen worden, die überwunden werden müßten, wenn die angreifende englische Armee in das Innere Persiens vordringen wollte, was doch unumgänglich nöthig sei, wenn der Schah sich nicht schon durch Drohungen bewegen ließe, die englischen Forderungen zu bewilligen. Dies letztere scheint nun zwar, nach Zeitungsnachrichten, der Fall zu sein, es bleibt aber nichts desto weniger von Interesse, zu wissen, welche Vorbereitungen und Anstalten man englischer Seits getroffen hatte, die wohlbekannten Schwierigkeiten überwinden zu können.

Dabei ist wohl zu berücksichtigen, daß die englisch-ostindische Armee schon oftmal in dem Fall gewesen ist, in ihren Kämpfen mit den Afghanen und sonst, Lebensmittel und Geschütz durch die schauerlichsten Gebirgsschluchten, durch dürre Wüsten und über pfadlose Felsen transportiren zu müssen, daß ihr solche Hindernisse in Persien also nicht zum ersten Male entgegentreten und daß sie Einrichtungen und Uebung besitzt, die es ihr im Verhältniß leicht machen, ihren Marsch in Gegenden fortzusetzen, welche für andere Armeen eine unübersteigliche Schranke sein würden.

Abgesehen davon, daß ein großer Theil der Truppen Eingeborne aus den Grenzländern Persiens und deshalb an das Klima, an die Lebensweise und an Wanderungen in Gebirgsgegenden gewöhnt sind, gibt es in der ostindischen Armee bereits seit längerer Zeit sogenannte Gebirgsartillerie und Transportmittel für dieselbe. Die beiden Abbildungen hier veranschaulichen dieselben.

Die erste zeigt uns eine Penschab-Batterie, die eben in den Stand gesetzt wird, in einen wilden Gebirgspaß einzurücken. Man [167] bedient sich dazu kräftiger wohlabgerichteter Elephanten. Drei dieser Riesenthiere sind erforderlich, um ein Geschütz zu transportiren, das nicht einmal ein sehr großes sein darf, nur etwa eine neunpfündige Kanone oder eine vierundzwanzigpfündige Haubitze. Einer der Elephanten trägt das Rohr des Geschützes, ein zweiter die Lafette, und ein dritter die für dieses eine Geschütz bestimmte Munition. Der Elephant legt sich nieder, wenn er beladen werden soll, und die das Geschütz bedienende Mannschaft ist mit den nöthigen Werkzeugen, Balken, Stangen, Flaschenzügen u. s. w. versehen, mit deren Hülfe das Geschützrohr und die Lafette auf den Rücken des Thieres gewunden wird, um da befestigt zu werden. Der Mohaut, der Führer des Elephanten – und jedes dieser Thiere muß einen solchen haben – commandirt die Bewegungen, die der riesige vierbeinige Lastträger zu machen hat. Das Beladen der Kanonen-Elephanten geht übrigens mit geübten Leuten so rasch, daß ein Geschütz in der kurzen Zeit von zehn Minuten auseinander genommen und auf zwei Elephanten gepackt werden kann. Ebenso rasch erfolgt das Abpacken und man kennt Beispiele, daß binnen zehn Minuten das Geschützrohr von dem einen Elephanten, die Lafette von dem andern genommen, das Rohr auf die Lafette gelegt, das Geschütz geladen, gerichtet und so zum Abfeuern bereit gemacht worden ist.

Sind die sämmtlichen Artillerie-Elephanten beladen und ist sonst alles zum Aufbruch fertig, so wird der Marsch über die steilste Höhe angetreten und die scheinbar so plumpen Kanonenträger bewegen sich mit großer Sicherheit und Klugheit auf den beschwerlichen Wegen hinter einander her.

Eine Maulthier-Batterie auf dem Marsche.

Die zweite Abbildung zeigt uns eine ähnliche Batterie auf dem Marsche und zwar eine eigentliche Gebirgsbatterie, die eben von einem Gebirge herabsteigt. Es ist dies eine der Peschawur-Maulthier-Batterien, die man so nennt, weil bei ihr die kleinen Geschütze von Maulthieren getragen werden und zwar in ähnlicher Weise wie bei den andern von Elephanten. Ein Maulthier trägt das Rohr, ein zweites die Lafette, ein drittes die Munition. Jedes Thier wird von einem eingebornen Soldaten geführt und die das Geschütz bedienende Mannschaft marschirt hinterher. Englische Officiere, welche in der ostindischen Armen gedient und solche Batterien in Thätigkeit gesehen haben, versichern, eine solche von Maulthieren getragene Batterie könne in einer Minute schußfertig gemacht, in eben so kurzer Zeit wieder aufgepackt werden und weiter marschiren.

Es sind dies allerdings sehr schätzenswerthe Mittel zur Erleichterung des Geschütztransportes, aber sie nützen doch gar nichts, wenn eine solche Batterie auf dem Marsche in der Gebirgsschlucht selbst überfallen wird, wo kein Platz ist die Geschütze aufzustellen und zu gebrauchen. Und solche Ueberfälle wären z. B. in einem Kriege mit Persien zu fürchten gewesen.




Blätter und Blüthen.

Eine Arbeit hinter Eisengittern. Es ist für uns Deutsche immerhin noch ein kleiner Kitzel, wenn fremde Nationen in ihren besten Organen auf die Erzeugnisse unserer Presse aufmerksam machen. Es dürfte deshalb unsere Leser in mehr als einer Beziehung interessiren, in welcher Weise eins der besten englischen Blätter „the Examiner“ über das vor kurzem in Leipzig erschienene Buch: „Englische Dichter. Eine Auswahl englischer Dichter mit deutschen Uebersetzungen von O. L. H…r.“ sich ausspricht, zumal das erwähnte Buch die Arbeit einen Mannes ist, dessen Schicksal – ewige Gefangenschaft – überall große Theilnahme erregt. „Von Chaucer, Spenser, Shakspeare, Milton an bis zu Procter und Tennyson herab hat der Herausgeber,“ sagt das Blatt, „eine Auswahl aus den englischen Dichtwerken gegeben, wie sie unter zehn Engländern kaum einer zu treffen vermocht hätte, und er hat diese Dichtungen mit bewundernswerther Treue übertragen in nicht etwa deutsche Verse, sondern deutsche [168] Poesie. Das Meiste ist so gelungen, daß das Buch Tausenden eine höchst willkommene Gabe sein wird, in Deutschland sowohl als in England. Der Verfasser beachtete und übersetzte nichts, was er nicht gefühlt hat, und hat nichts gefühlt, als was schön und edel ist. Ein Grundzug geht hauptsächlich durch die ganze Sammlung; er ist die eigentliche Seele derselben und verleiht der Auswahl ihren eigenthümlichen Ton. Es ist dies die Liebe zum Heimwesen und zur Familie. Mit der warmen Sehnsucht nach Haus und Familie im Herzen arbeitete der einsame Gefangene an diesen Strophen; er fand Trost in Schilderungen der Häuslichkeit und des Familienglücks, und kraft der Innigkeit, mit welcher er fühlte, was er schrieb, hat er bisweilen das deutsche Gedicht besser gemacht, als er es im Englischen gefunden. Welch’ ein besseres Buch,“ schließt die Kritik, „gäbe es, worin der gebildete Deutsche gleich gut die englische Muse kennen lernen könnte?“ So weit der englische Kritiker!

Vielleicht keiner unsrer Leser hat das Unglück gehabt, Gottes schöne Sonne hinter Eisengittern untergehen zu sehen. So schön die Sonne, und so klar und frei und weit der Himmel – der Gefangene hat nur die eine Freude daran, daß er sich glücklich schätzt, wenigstens das Sonnenlicht sehen zu dürfen. Vielen seiner Leidensgenossen ist auch diese Freude versagt. Ihr könnt mir’s schon glauben, es ist ein armes – armes Dasein, das Gefangenenleben, selbst wenn es nur Monate oder wenige Jahre lang währt und durch die Milde der Vorgesetzten in jeder Weise erleichtert wird. Getrennt von Frau und Kind und Allem, was ihm lieb, der gewohnten Beschäftigung entzogen, mit jedem Tage der Einsamkeit und in allen schlaflosen Nächten von den quälenden Gedanken gemartert, daß zu der Herzensnoth der Seinigen auch noch die materielle tritt, so schleichen die Tage des Gefangenen langsam und niederdrückend hin, bis endlich die Hoffnung auf das Ende dieser Leiden wie ein lichter Strahl in die Dunkelheit des Kerkers dringt. Aber ohne Hoffnung täglich die heiße Stirn an die Eisengitter drücken, mit jedem neuen Morgen zu dem Bewußtsein erwachen, daß die Mauern, zwischen denen jetzt ungesehen Thränen der Sehnsucht fließen, ihn umfassen sollen, so lange auf Erden sein müder Leib noch aushält, sein Weib, sein Kind, seine Freunde nie wieder an das Herz zu schließen, das so viele Jahre schon jeder, auch der kleinsten Freude entbehrt – es gehört ein großer eisenfester Charakter dazu, unter der Wucht dieses Unglücks nicht zu brechen und zu sterben.

Der Verfasser dieses Buches – O. L. H…r –, wegen seiner Betheiligung an den sächsischen Maitagen zu ledenslänglichem Zuchthaus verurheilt, büßt diese Strafe nun schon fast acht Jahre. Um seiner nicht mit Reichthümern gesegneten Familie auch im Gefängniß der sorgende Vater zu bleiben, hat er die mild gegebene Erlaubniß der Regierung benutzt und sich mit literarischen Arbeiten beschäftigt. Die obenangeführte schöne Sammlung Gedichte ist das Ergebniß seines Kerkerfleißes. Der Verleger läßt die Hälfte des Gewinns der Familie zukommen und je mehr Exemplare also verkauft werden, je mehr wird die Arbeit des Gefangenen eine lohnende. Es bedarf wohl nur dieser Andeutung, um unsere Freunde zu veranlassen, das gute Buch ihrer Bibliothek einzuverleiben. Der Ertrag kömmt ja einer Gattin und vier Kindern zu. Wohl in mehr als einer Beziehung hat deshalb der englische Kritiker Recht, wenn er sagt: „mit der warmen Sehnsucht nach Haus und Familie im Herzen arbeitete der einsame Gefangene an diesen Strophen.“ – Mögen auch die Leser der Gartenlaube dazu beitragen, daß die Hoffnungen des armen Gefangenen nach dieser Seite bin reichlich erfüllt werden.[4]

Wir aber wollen nicht daran zweifeln, daß auch für ihn die Sonne des Glückes noch nicht untergegangen. Gott erbarme sich seiner und lasse ihn den Tag der Freiheit recht bald sehen, damit die verlassenen Kinder dem Heimkehrenden einst jubelnd mit dem schönen Gruße entgegen stürmen können: der Vater kommt – der Vater kommt!
E. K.


In Sachen Alex. v. Humboldt sagt das Frankf. Museum sehr richtig: Die Zeitungen bringen allwöchentlich wenigstens einmal irgend ein höfliches Schreiben, das Alex. v. Humboldt an einen Schriftsteller, an die Vorsteher einer Stiftung, an einen heimgekehrten Reisenden gerichtet hat. Jeder Brief des großen Mannes ist ein neues Zeugniß für seinen hohen Sinn und seine allseitige Humanität; in jedem ist, selbst bei geringer Veranlassung, ein heller und bedeutender Gedanke ausgesprochen. Gleichwohl scheint uns in der zudringlichen Art, mit der man den bald Neunzigjährigen bestürmt, eine Taktlosigkeit, ein Mißbrauch zu liegen, gegen den das gebildete Deutschland zu seiner eigenen Ehre und im Interesse des Patriarchen protestiren sollte. Humboldt selbst giebt in mehreren Briefen zu verstehen, er könne die rücksichtslos angehäufte Correspondenz nicht mehr bewältigen. Er schreibt die progressive Erhöhung seines Weltruhmes bescheiden dem Interesse zu, das sich an sein Uralter knüpft. Er bedarf dieser Erhöhung freilich nicht; gegen jede Wirkung der ruchlosen Angriffe einer Wiener Kirchenzeitung und ihrer Consorten ist sein erhabener Name längst gesichert.

Manche Sendschreiben werden dem edlen Manne auf unwürdige Weise zu eigennützigen Zwecken entlockt. Unermüdlich liest er eingesandte Bücher, Brochüren und Prospecte; selbst bei mangelhaften Leistungen ist er zu Anerkennung der Absicht, zu einem ermunternden Zuspruch bereit. Aber mit dieser Thätigkeit verbringt er kostbare Stunden seines Wirkens, das, weil er sich ja doch träge Ruhe nicht vergönnen mag, der Welt angehört.

Ein Verleger zieht bei Veranschlagung der Aussichten für sein neues Geschäft neben den schönen Holzschnitten und dem gepreßten Umschlag auch den Brief von Humboldt in Rechnung, „der wohl zu haben sein wird.“[5] Ein angehender Gelehrter steigert den Werth seiner Arbeit durch das abgedruckte Zeugniß, daß Humboldt sich für dieselbe interessirt habe. So wird ein Name des herrlichsten Klanges zum Aushängeschild entwürdigt, ja man bringt ihn in Gefahr, zum Gemeinplatz zu werden. Denn beim Umsichgreifen dieser neuen Art von Speculation kann es kaum ausbleiben, daß die Empfehlung an Gewicht verliert.

Mag Humboldt auch weiterhin verdiente Forscher und Entdecker dem König, seinem Freunde, vorstellen; mag er den Amerikanern seinen Rath zukommen lassen, die sich wegen des Durchstichs von Panama ehrenhalber zuerst an ihn wenden: das Alles ist seine Sache. Aber ihr jungen Schriftsteller, ihr Vereine, ihr Buchhändler könntet Euch wohl vor Euresgleichen auf eine passendere Weise auszeichnen, als indem ihr eure Leistungen mit seinem unsterblichen Namen verbrämt. Schlagt Euch doch durch wie Andere, oder wenn ihr durchaus Betriebsamkeit üben müßt, so wählt euch das Feld dazu mit etwas mehr Anstand und Takt! Deutschland hat nur noch einen Genossen seiner ersten Größen, seines Goethe, Kant, Herder und Schiller; lasset ihn in Ruhe sein neuntes Jahrzehend beschließen und seinen Kosmos vollenden! Suchet den Glanz dieses Gestirns nicht kleinlich zur Aufhellung Eurer Fabrik oder Studirstube zu verwenden: nein, lasset es ruhig ausstrahlen, bis ihm die Gottheit winkt, daß es ruhig untergehe!




Ein Pferde-Essen. Erlauben Sie mir, eines eigenthümlichen Diners zu erwähnen, das vor einigen Tagen der berühmte Gastronom Chevet, Bruder des vor Kurzem verstorbenen Marchand de Comestibles im Palais-Royal, einem auserwählten Kreise von Feinschmeckern gegeben. Bei diesem Diner wurden nämlich in den verschiedensten Formen Fleischspeisen aufgetragen, deren kunstvolle Zubereitung die Bewunderung der Zecher so sehr erregte, daß sie den Wirth mit den begeisterungsvollsten Lobeserhebungen überhäuften. Dieser machte jedoch nach beendigter Tafel seinen Gästen die Mittheilung, daß die verschiedenen Fleischsorten, die sie zu sich genommen zu haben wähnten, nur eine einzige Fleischsorte war und zwar nichts mehr und nichts weniger als – Pferdefleisch. Chevet sagte ihnen zugleich, daß es kaum einen Wursthändler in Paris gebe, in dessen Waaren das Pferdefleisch nicht einen Hauptbestandtheil bildete. Er habe ihnen das Fleisch von einem jungen zarten Pferde vorgesetzt, während in den Pasteten der Pariser Wursthändler sich oft das Fleisch von Pferden befinde, die während ihres langen Lebens tausenderlei Schicksale erfahren. Chevet behauptete ferner, daß die meisten Pariser, ohne es zu wissen, Hippophagen seien und daß gar Mancher, der ein Beefsteak zu verzehren glaubt, gemüthlich ein Stück von einem Schimmel genieße, der vor vielen Jahren einem Gensd’armen angehört, oder von einem Schweißfuchs, der vor kaum einem Monat mit peripatetischem Schritte eine Droschke durch die Boulevards geschleppt. – Wir Pariser erfahren gar Manches, die Geheimnisse aber, welche die hiesigen Restaurants unserm Magen zu verdauen geben, werden wir niemals ganz erfahren.
W. Z.

Für Zeitschriften- und Kalender-Verleger.

Von den, in meinen Zeitschriften

Gartenlaube – Dorfbarbier – Dorfzeitung

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Leipzig, im März 1857.

Ernst Keil.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. An dem Tage, an welchem Du das Bild des heiligen Christophs anschauest, wirst Du nicht eines schlimmen Todes sterben.
  2. Es ist darauf vorgestellt die gekrönte Madonna auf dem Thron, in einer Gartenumzäunung, von vier Heiligen umgeben: Sancta Katerina, Barbara, Theorettisa (Theresia?) und S. Margoreta, wie die Beischriften und Attribute angeben. Darüber schweben drei Engel mit Kränzen.
  3. Quelques mots sur la gravure au millesime de 1418. (Einige Worte über den Holzschnitt mit der Jahrzahl 1418.)
  4. Alle Buchhandlungen, auch die Verlagshandlung der Gartenlaube, nehmen Bestellungen an. Preis 2 Thlr.
  5. Leider sind dergleichen buchhändlerische Speculationen sogar bei naturwissenschaftlichen Werken in Anwendung gebracht worden.